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37. Erkennen des mitgebrachten Programmes. Verstehen, das Fundament zum geistigen Aufbau
ОглавлениеWir sprachen zuletzt von der erforderlichen Reform der Gerichtsbarkeit und des Strafrechts. Heute will ich damit beginnen zu erklären, wie die Menschen es einrichten könnten, sich im Leben besser zurechtzufinden und ohne fremde Hilfe – ich meine ohne ständige Unterstützung – den richtigen Weg zu wählen und zu finden.
Wir müssen nun bedenken, daß wir in dieser Zeitrechnung noch sehr wenige Menschen finden, die es mit Bewußtsein tun und, ich möchte sagen, die Stimme des Innern erforschen nach dem Programm, das sie mitgebracht haben. Es sind meist nur diejenigen, die eine Berufung fühlen und sich ihr nicht entziehen können und natürlich auch nicht wollen, weil der freie Wille von vornherein darauf eingestellt war. Solche Berufene werden auch durch noch so starke materielle Einflüsse nicht davon abgehalten und gehen unbeirrt ihren Weg, und wenn er noch so steinig ist. Gerade die Schwierigkeiten, die in den Weg gelegt werden, veranlassen meist zu erhöhten Anstrengungen und führen deshalb zu größeren Erfolgen als ein bequemer Weg und ein sorgenfreies Leben. Das sind aber nicht die Menschen, die ich betrachten will, sondern diejenigen, die um den Aufstieg ringen und nicht genug Kraft haben, alle Hindernisse erfolgreich zu bekämpfen.
Wir haben aber schon angedeutet, daß es heute noch verhältnismäßig wenige Führer gibt in dieser Hinsicht. Es genügt nicht, daß der Mensch lesen und schreiben lernt und vor allem rechnen, was man ja für das größte Erfordernis betrachtet im materiellen Streben. Geld und Gut zu erreichen ist ja der Höhepunkt im Dasein, und daneben werden höchstens Menschen anerkannt und geachtet, die auf künstlerischem Gebiet Fähigkeiten beweisen, die über das Niveau des Durchschnittsmenschen hinausgehen. Alle anderen sind nach Ansicht der geltenden Lebensordnung bestenfalls mittelmäßig, stehen mehr oder weniger über oder unter dem Durchschnitt, oder gehören eben zur Masse, die für den Fortschritt und die Entwicklung eines Volkes und Staates höchstens Handlanger sind.
So ist das aber wahrlich nicht, wenn man den Erfolg vom Gesichtspunkt des geistigen Fortschritts und Aufstiegs beurteilt. Wie schon an anderer Stelle betont, müßten die Menschen die sich zur Ehe und Zeugung von Kindern entschlossen haben einen tiefgehenden Unterricht erhalten. Sie müssen dem werdenden Menschen ja Helfer und Berater sein, und will man richtige und gesunde Lebensgrundlagen schaffen, dann muß derjenige, der dazu beauftragt ist, den rechten Weg dazu finden können.
Die Welt verfügt heute über so ausgezeichnete Mittel, guten Einfluß zu verbreiten und zu vermitteln, wie da sind Radio- und Fernsehapparate, daß man nur den richtigen Gebrauch davon machen muß. Aber was soll wohl vermittelt werden? Das ist so einfach, daß niemand daran denkt.
Ich sagte schon, daß es in der Erziehung des Kindes darauf ankommt, herauszufinden, wohin der Lebensweg führen soll, welches Programm im Inneren des Menschen wohnt. Was dazu nötig ist zu lernen, ist einfach das richtige Verstehen, das Erfühlen der Grundlagen und Fähigkeiten. Das kann man aber nur, wenn man dem Menschen die Möglichkeit zur freien Entfaltung gibt.
In der Erziehung der ersten Lebensjahre werden so viele Fehler begangen, Hemmungen in jeder Richtung werden anerzogen, denn solche sind niemals angeboren. Ein Kind, das einen schwachen eigenen Willen hat, wird sich leicht lenken lassen, ja aber wohin? Meist dorthin, wohin es die Eltern und Erzieher für zweckmäßig und richtig halten. Der Vater hat ja einen Beruf oder ein Geschäft für den Sohn aufgebaut, und ist er noch sowenig dazu geeignet und begabt, er muß das Geschäft übernehmen, weil sonst das Vermögen umsonst zusammengekratzt wurde.
Wenngleich sich in dieser Richtung schon in den letzten Jahrzehnten eine Lockerung angebahnt hat, herrscht doch immer noch die Auffassung, daß die Kinder ein Erbe von den Eltern erhalten müssen, um ein sorgenfreies Dasein führen zu können. Daraus muß man den Schluß ziehen, daß die Eltern ihren Kindern nicht zutrauen, daß sie dasselbe erreichen könnten oder erarbeiten, was die Eltern zustande gebracht haben. Wie kurzsichtig ist solche Auffassung. Man übersieht dabei vollkommen, daß der den Eltern anvertraute Geist oft oder meist weit höher entwickelt ist und nur eine – ich möchte sagen – primitive Grundlage braucht, um seine Veranlagung zum Ziel zu führen. Es ist geradezu eine Überheblichkeit der Eltern, die der Meinung sind, daß ihre Kinder arm und verlassen sind und hilflos, wenn sie die irdische Welt verlassen. Wie oft zeigt es sich erst dann, daß ein Mensch sehr wohl imstande ist, auf eigenen Beinen zu stehen, was man ihm vorher restlos abgeleugnet und abgesprochen hatte.
Wie lange muß solch ein Menschenkind oft warten, bis es sein eigenes Leben leben darf, bis aller Zwang und Bevormundung wegfällt und es sich entfalten darf auf Grund der Anlagen, die in ihm ruhen. Mancher kommt damit zu spät und findet nicht mehr Zeit und Möglichkeit, seine Aufgaben, die er sich gestellt hat, zu erfüllen. Er muß nachsitzen, könnte man sagen, und nachholen und vollenden, entweder im Jenseits, fern von der materiellen Welt, oder gebunden an diese, in einer noch dunklen Sphäre, je nach dem Versäumnis, das er nachzuholen hat. Erspart bleibt ihm nichts.
Die Eltern aber, die solcherart ihrem Kind hindernd und hemmend im Wege standen, müssen auch umlernen, um für das nächste Mal gereifter und klüger ihrer Aufgabe und ihren Pflichten gerecht zu werden. Das dauert aber wieder eine ganz geraume Zeit, oft einige hundert Jahre, bis sie zurückkommen können, um gutzumachen, was sie verdorben hatten.
Ich will also damit sagen, daß in erster Linie die Eltern eine Erziehung brauchen, wenigstens noch vorläufig so lange, bis es solche Irrtümer auf der materiellen Welt nicht mehr gibt. Man mag nur zurückdenken, mit welchen Fehlern und Irrtümern die Menschheit in den letzten Jahrhunderten schon aufgeräumt hat und welcher Fortschritt sich in der Zivilisation der Völker, die ja das Spiegelbild des geistigen Fortschritts sein soll, schon erkennen läßt. Warum soll es nicht möglich sein, auch auf diesem so wichtigen Gebiet Ordnung zu machen, da doch in dieser Richtung der größte Fortschritt erzielt werden kann?
Ich weiß aus Erfahrung, daß es nur ein wenig guten Willen braucht, um verstehen zu lernen. Ein wenig Einfühlungsvermögen besitzt jeder Mensch und dieses zu betätigen oder in stillem Fühlen zu befragen, ist gar nicht schwer. Ein solches Einfühlen kann nur in guter Absicht erfolgen und muß daher von Erfolg begleitet sein.
Wenn eine Mutter ihr Kind schreien hört und nur ganz still und in sich gekehrt überlegt, wodurch der Schmerz oder Kummer verursacht ist, ob es ein echter oder simulierter ist, so wird sie es fühlen und dementsprechend in Güte und Liebe zu trösten oder zu beruhigen suchen.
Daß der Umgang mit Menschen, ob in Familie oder außerhalb derselben, viel Geduld erfordert, wissen wir alle. Wir müssen lernen, sie niemals zu verlieren, denn im Augenblick, da wir in Ungeduld und Zorn oder auch in Gleichgültigkeit geraten, werden wir niemals Verstehen finden und erkennen können, was wir ergründen wollen.
In dem Augenblick aber, da die Eltern bemüht sind, nur mit Geduld und Verständnis ihren Sprößlingen zu begegnen, werden sie es unterlassen, diese zwingen zu wollen, durch Befehle und Züchtigung das zu tun und zu lassen, was den Eltern gefällig ist oder der stets kritisierenden Umgebung. Verstehen brauchen die Menschen auch im reifen Alter untereinander, in Ehe und Beruf und im täglichen Leben. Sich liebevoll gegenüberstehende Menschen werden für jedes Verhalten des andern eine Begründung, ich will sagen Entschuldigung oder Verzeihung finden. Ohne Liebe gibt es kein Verstehen. Liebe wieder in einem viel weiteren Rahmen als nur zwischen Gatten oder in der Familie. Ich möchte in diesem Fall sagen Güte. Güte ist die Bezeichnung für ein Verhalten, mit dem man eine Einstellung charakterisieren möchte, die eine Handlung rechtfertigt, die nicht unbedingt erforderlich, aber gerne vollbracht wird, also aus reinem Herzen. Solche Handlungen sind selbstverständlich, weil sie dem Menschen keine Belastung bedeuten, keinen Verzicht oder größeren Aufwand.
Gut dagegen ist ein Mensch erst dann, wenn er ungeachtet seiner eigenen Person und seines Vorteiles Leistung vollbringt zum Nutzen und Segen der Mitmenschen.
Es ist ein kleiner Unterschied zwischen gut und gütig, aber in unserem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Eltern müßten ihren Kindern gegenüber wohl nicht nur gütig, sondern wahrhaft gut sein, also ungeachtet einer Belastung und eines noch so großen Opfers alles tun und geben wollen, was in ihren Kräften steht.
Auch in dieser Hinsicht darf man sagen, hat sich die allgemeine Lebensauffassung schon zum Besseren geändert. Wir wissen noch von unseren Vorfahren, wie groß der Abstand der Kinder oft von ihrem Vater, seltener auch von der Mutter gewesen ist. Nur Respekt durfte gezeigt werden und strenge Zucht war selbstverständlich. Und betrachten wir die arme Frau. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes ein Sklave. Ich erwähne diese Tatsachen, um der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, daß der eingeschlagene Weg eifrig fortgesetzt und zu einem guten Ende geführt oder beschritten wird.
In vielen Belangen ist schon Ordnung gemacht worden, so darf wohl mit Fug und Recht angenommen werden, daß die Menschheit nicht stehenbleiben wird in ihrer Entwicklung zu noch besserem Verstehen, das die Grundlage, das Fundament zum geistigen Aufbau ist. So wie in der Technik die großen Erfindungen, das Ergründen der Naturgesetze und die Nutzbarmachung ihrer Kräfte es ermöglichen, in kürzester Zeit unter Ausschaltung aller Hindernisse gigantische Bauten zu errichten und befreit von materieller Schwere durch die Lüfte zu fliegen, so müssen auch dem Menschen selbst die Hindernisse beseitigt werden, die ihn zu seiner Entfaltung hemmend umgeben. Damit beende ich für heute.