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III. Hinreichende Eintrittswahrscheinlichkeit
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Gem. § 13 Abs. 1 S. 2 WpHG a.F. konnte ein in der Zukunft liegendes Ereignis nur dann Gegenstand einer Insiderinformation sein, wenn es hinreichend wahrscheinlich war. Diese Vorgabe fand sich in Art. 1 Abs. 1, 1. Fall RL 2003/124/EG. Andere Fassungen der Richtlinie nutzten nicht den Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, sondern forderten eine Auseinandersetzung damit, ob das Ereignis „vernünftigerweise erwartet“ wird.[64] Auch Art. 7 Abs. 2 S. 1 MAR verlangt eine Prüfung, ob der Eintritt des Ereignisses „vernünftigerweise erwartet“ werden kann.[65]
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Schon über die Frage, ab wann der Eintritt eines zukünftigen Umstands „hinreichend wahrscheinlich“ ist, bestand in Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit.
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Die herrschende Meinung verlangte für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. eine überwiegende d.h. eine Eintrittswahrscheinlichkeit von mindestens 50 % plus 1 %[66] und zum Teil deutlich darüber.[67] Danach muss der Eintritt eines Ereignisses zumindest näher liegen als sein Nichteintritt.[68] Nach anderer Auffassung ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit i.S.d. § 13 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. als bewegliche Größe zu verstehen, bei der es nicht allein auf die Eintrittswahrscheinlichkeit ankommt, sondern zusätzlich die zu erwartenden Auswirkungen beim Emittenten zu berücksichtigen sind (Probability Magnitude Test).[69] Bei massiven Auswirkungen und entsprechend zu erwartenden Kursausschlägen, wie z.B. bei einer bedeutenden Übernahme, kann nach dieser Auffassung auch eine deutlich geringere als eine 50 %-Wahrscheinlichkeit ausreichen.
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Schon der EuGH erteilte in seinem Daimler/Geltl-Urteil der Auffassung wonach es für die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichen soll, dass der Eintritt der Information weder unmöglich noch unwahrscheinlich ist, sofern sie nur in hohem Maße kursrelevant ist (Probability Magnitude Test), aus rechtssicherheits- sowie systematischen Erwägungen eine Absage.[70] Die Aussagen des EuGH wurden überwiegend dahingehend interpretiert, dass für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, wie bisher schon von der herrschenden Meinung vertreten, eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 + 1 % erforderlich aber auch ausreichend ist.[71] Eine hohe Wahrscheinlichkeit muss demnach nicht vorliegen.[72] In der Praxis geht es dabei nicht um die (unmögliche) Bestimmung von präzisen Wahrscheinlichkeiten sondern um die Frage, ob der Eintritt eines Ereignisses wahrscheinlicher ist als sein Nichteintritt.[73]
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Auch die MAR folgt dem EuGH in Erwägungsgrund Nr. 16 S. 2 MAR. Die Schwelle, wonach der Eintritt eines Ereignisses „vernünftigerweise erwartet“ werden kann, ist überschritten, wenn „eine realistische“ Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt. d.h. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (50 % plus 1 %),[74] besteht. Auch den Probability Magnitude Test hat der europäische Gesetzgeber im Einklang mit dem EuGH in Erwägungsgrund Nr. 16 S. 3 MAR abgelehnt.
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In Konsequenz seiner Auffassung, dass auch Zwischenschritte präzise bzw. konkrete Informationen sein können, stellte der EuGH 2012 in einem obiter dictum[75] zusätzlich fest, dass die mögliche Qualifikation von Zwischenschritten als Insiderinformationen nicht nur für bereits existierende Schritte gilt, sondern auch für solche, bei denen mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden.[76]
Da der europäische Gesetzgeber in der MAR an den Begriff der Insiderinformation aus der Marktmissbrauchsrichtlinie anknüpft und sich in Bezug auf Zwischenschritte eng an der Daimler/Geltl-Entscheidung anlehnt, wird davon ausgegangen, dass auch die übrigen Aussagen der EuGH-Entscheidung weiterhin maßgeblich sein sollen[77] und damit auch dieser Grundsatz weiterhin gilt.