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Ein neues Berufsbild – Der „paedagogus“, der kein Pädagoge ist

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Mit dem Aufstieg zur Weltherrschaft und vor allem mit dem stärkeren Kontakt zur griechisch-hellenistischen Zivilisation ging indes in Rom ein Kulturbruch einher, der auch die traditionelle Pädagogik erfasste. Da konnte man noch so leidenschaftlich und laut über die tatsächliche oder vermeintliche Abkehr vom mos maiorum streiten – in der Alltagswirklichkeit änderten sich die Dinge, und zwar in Richtung Öffnung zur und Anpassung an die von den meisten Römern als überlegen anerkannte griechische Kultur. Ein wichtiger Transmissionsriemen für den kulturellen Transfer war die Komödie. In den von Plautus und Terenz adaptierten griechischen Stücken kamen auch paidagogoí („Kinderführer“) vor, Hüter und Begleiter von Kindern der Oberschicht.

Das waren hauptsächlich für die Beaufsichtigung der „lieben Kleinen“ beiderlei Geschlechts abgestellte Sklaven – ein ergänzendes Erziehungskonzept, das die vornehmen römischen Familien gern übernahmen. Es entlastete die Eltern und verlagerte einen Teil der Erziehungsaufgaben auf Unfreie, die das besondere Vertrauen der familia genossen, zu deren Mitgliedern sie im römischen Sinne auch gehörten: familia ist im Lateinischen die „Hausgenossenschaft“ aller, die unter einem Dach leben, unabhängig von ihrem sozialen und juristischen Status. Zwischen Kindern und ihren Pädagogen entwickelten sich häufig enge persönliche Beziehungen, die über die Jugend hinaus Bestand hatten.10 In Einzelfällen wurden Mädchen auch weibliche paedagogae an die Seite gestellt. Gegenüber mehreren Dutzend namentlich bekannter männlicher Pädagogen sind allerdings aus Rom nur vier weibliche Pädagogen bekannt.11

paedagogi waren anders, als der moderne Sprachgebrauch es erwarten lässt, keine Lehrer im schulischen Sinne. Wenn sie die Kinder etwas lehrten, so waren es allenfalls Mores. Will sagen: Sie wachten nicht nur darüber, dass ihren Schutzbefohlenen kein Leid von Außenstehenden widerfuhr, sondern achteten auch auf deren eigenes anständiges Benehmen. Das Verhältnis zwischen dem Kind oder Jugendlichen und seinem Pädagogen warf durchaus heikle Fragen auf – da gab ja ein Sklave einem frei geborenen Kind Anweisungen, sodass sich in zugespitzten Situationen schon einmal die Frage stellte, wer eigentlich wessen Sklave sei.12

Im Prinzip aber ergab sich die Hierarchie durch die Funktion, und die meisten Römer gewöhnten sich rasch an diese „Anomalität“. Nachdenkliche Traditionalisten nahmen allerdings nicht zu Unrecht Anstoß, wenn Eltern den erstbesten oder gar einen zu nichts anderem tauglichen Sklaven als Pädagogen abstellten.13 Im Sinne einer Erziehung zu Anstand und Rechtschaffenheit war das sicher kontraproduktiv, doch dürften sich die meisten Eltern dieses Risiko selbst klargemacht haben. Die Wahl fiel oft auf Sklaven aus dem griechischsprachigen Osten. Das hatte den Vorteil, dass die Kinder schon früh mit der Bildungssprache Griechisch Bekanntschaft machten.

Die Abgabe von Erziehungskompetenz und -verantwortung an Personen, die außerhalb der Familie im modernen Wortsinne standen, war sicherlich mit manchen Widerständen und Rückschritten verbunden. Es ging damit ja wenigstens de facto eine Einschränkung der patria potestas, der „väterlichen Gewalt“, einher, die geradezu Absolutheit beanspruchte. Mit der allmählichen Übernahme der griechischen „Pädagogik“ verband sich gewissermaßen der Einstieg in eine Entwicklung, die das familieninterne Erziehungs- und Bildungsmonopol aufbrach. Als weiterer – vielfach durchaus parallel sich vollziehender – Schritt kam das Engagement von Hauslehrern hinzu. Auch sie waren in der Regel kriegsgefangene Sklaven, die in ihrer griechischen Heimat als Freie eine gute Bildung mit auf den Weg bekommen hatten.

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