Читать книгу Im Schutz der Orchideen - Karola Schmidt - Страница 11
Eine unglaubliche Geschichte
ОглавлениеAmanda nahm einen großen Schluck Kaffee, lehnte sich in ihren Sessel, schloss für einen kurzen Moment die Augen und begann zu erzählen.
»Dein Vater kannte sich mit Autos so gut aus wie kein anderer. Er hätte mit verbunden Augen einen Wagen auseinander und wieder zusammenbauen können. Der Fuhrpark der amerikanischen Botschaft in Bogota war sein ganzer Stolz. Er hatte zu jeder Zeit alles im Griff. Jede einzelne der Limousinen war stets einsatzbereit. Dafür sorgte er am Tag und selbst in der Nacht. Ich sagte immer, dass er mehr Zeit in der Werkstatt verbrachte als mit uns und dass er zu viel arbeitete. Er sollte sich von jemandem helfen lassen. Natürlich weigerte er sich meinen Rat anzunehmen. Ich glaube, er hatte Angst, dass niemand gut genug für diese Arbeit wäre. Dein Vater wusste, dass ich oft mit dir allein war. Nach einiger Zeit und meinen Überredungskünsten gab er endlich nach und beschäftigte einen einheimischen jungen Mann, Manuel Cruz. Manuel war ein ruhiger, sehr fleißiger Mann und es stellte sich heraus, dass er auch gute Kenntnisse von Autos besaß. Manuel wohnte zusammen mit seinem Bruder bei seinen Eltern am Rande von Bogota. Sein Vater arbeitete als Landarbeiter und seine Mutter war Köchin bei einer wohlhabenden Familie. Die Bezahlung war nicht sehr gut und da er älter war als sein Bruder Ricardo tat Manuel alles, um seiner Familie finanziell unter die Arme zu greifen. In der Werkstatt der Botschaft wurde er gut entlohnt. William war sehr zufrieden mit Manuel und so steckte er ihm gelegentlich einige Dollar zu. Das Vertrauen deines Vaters gegenüber ihm baute sich im Laufe der Zeit aus und so kam es, dass dein Vater auch mal nach langer Zeit mit seiner Familie etwas unternehmen konnte.
Manuel gefiel der Job sehr, vor allem, weil er dadurch die Tochter seines Chefs, nämlich dich mein Kind, öfter sehen konnte. Ich glaube, er hatte sich in dich verguckt. Zwar warst du noch viel zu jung für ihn, doch hatten William und ich das Gefühl, dass er einen guten Einfluss auf dich ausübte. Du warst zwar eine gute Schülerin, doch deine Sprachkenntnisse machten dir immer zu schaffen. Manuel half dir in seiner Freizeit deine Spanischkenntnisse zu vertiefen. Es machte ihm viel Spaß dir zu helfen, aber es war alles nicht das, was er wirklich wollte. Sein Traum war es nach Amerika zu gehen, um ein amerikanischer Elitesoldat zu werden, bei den Seals zu kämpfen und mit seinen erworbenen Kenntnissen später einmal seinem Heimatland zu dienen. Wie halt die jungen Burschen so sind. Er war davon besessen, einmal ein reicher Mann zu werden, um seiner Familie ein gutes Leben zu bescheren. Nach drei Jahren verließ er die Werkstatt und sorgte dafür, dass sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ricardo die Stelle übernahm. Dein Vater war einverstanden, denn auch Rick liebte Autos und verstand eine Menge davon. Natürlich reizte es ihn auch, wie sein Bruder mal ein Kämpfer und Patriot zu werden.
Die Fähigkeiten deines Vaters Autos zu reparieren, war in ganz Bogota bekannt. So bekannt, dass auch die Drogenmafia davon Wind bekam und sich einen Nutzen daraus ziehen wollte. Eines Tages wurde er von zwei bewaffneten Handlangern eines Drogenbosses aufgesucht. Sie sollten ihn überreden Autos so auszustatten, dass diese zum Drogenschmuggel genutzt werden konnten. Er lehnte es ab, doch so einfach ließen die Kerle sich nicht abfertigen. Mit der Waffe am Kopf warnten sie ihn, zu tun, was ihr Boss verlangte oder er würde seine Familie nie mehr lebend wiedersehen. Natürlich hatte dein Vater Angst um uns. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als diesen Verbrechern zu helfen. Rick, der alles mit angesehen hatte, bot sofort seine Unterstützung beim Umbau der Autos an. Zunächst allerdings wollte Rick ihn dazu überreden, uns alle in ein sicheres Versteck zu bringen. Er kannte jeden Fleck, jeden Platz, doch vergebens. William blieb stur. Er hatte nicht vor, seine Familie in Gefahr zu bringen. Stattdessen riet er mir zur Polizei zu gehen und ihn als vermisst zu melden. Ich sollte mich auch an die Presse wenden. Auf diese Weise konnte ich verhindern, unter den Verdacht zu geraten, etwas über das Verschwinden deines Vaters zu wissen. Er selbst wollte untertauchen und zurück nach Amerika gehen. Es fiel ihm sehr schwer, mich und besonders dich zurückzulassen. Natürlich sollte einige Zeit vergehen, bis auch wir wieder in die Staaten übersiedelten.
Nur zwei Menschen wussten von diesem Vorhaben. Ich und Ricardo Cruz. Um dich nicht unnötig zu gefährden, verschwiegen wir dir diesen Plan. So konntest du, falls man dich verhören sollte, nichts verraten. Wir wollten dich einfach nur schützen. Weißt du mein Kind, Ricardo mochte dich sehr. Von dem Moment, seit er dir zum ersten Mal begegnete, hatte er immer ein Auge auf dich geworfen. Er war vernarrt in dich und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dich sozusagen heimlich zu beschützen. Du hattest von alledem keine Ahnung. Für dich war dein Vater verschwunden.
Etwas außerhalb von Los Angeles hatte Ricardo unter seinem Namen eine Wohnung mit einer kleinen Autowerkstatt angemietet und wohnte dort mit deinem Vater. Sie reparierten nicht nur Autos, sondern spezialisierten sich auf die Restaurierung von Oldtimern und verkauften sie an Autoliebhaber. Es brachte genug Geld ein, um uns und auch Ricardos Familie zu unterstützen. Natürlich achteten die beiden darauf, so diskret wie möglich aufzutreten. Los Angeles war so groß, dass sie dort relativ sicher waren. Nachbarn, die in ihrer Nähe wohnten, dachten sie wären einfach nur Freunde oder Geschäftspartner.
Die Arbeit machte Rick viel Spaß, trotzdem hielt er an seinem Traum fest, ein Seal zu werden, so wie sein großer Bruder. Dein Vater wollte sich dankbar zeigen, für alles was er für ihn getan hatte und unterstützte Ricardo bei seiner Entscheidung. Dieser junge Mann sollte nicht eines Tages sagen müssen, sein Leben für William Black vergeudet zu haben. Sollte Rick jemals seinen Entschluss bereuen, konnte er jederzeit wieder zurück in die Werkstatt deines Vaters kommen. Schließlich war er ihm das schuldig.
Rick bat seinen Bruder um Hilfe. Er bewarb sich für die Ausbildung eines Sealsoldaten in Little Creek in Virginia und Manuel unterstützte ihn dabei. Es war die Ausbildung, die Manuel selbst durchgestanden hatte und so konnte er seinem kleinen Bruder hilfreiche Tipps geben. Das harte Training und die körperlichen Strapazen der Ausbildung waren nicht einfach, trotzdem wurde Rick der Beste in seinem Team. Es folgten diverse Auszeichnungen. Manuel war stolz auf ihn. Eines Tages fragte er seinen kleinen Bruder, ob er Lust hätte viel Geld zu verdienen. Doch als Rick von ihm erfuhr, was er dafür tun sollte, war er maßlos enttäuscht von seinem Bruder. Ihre Wege trennten sich.
Manuel Cruz war ein Drogenkurier geworden, wenn auch unfreiwillig. Er verdiente nicht schlecht damit. Ricardo ging jedoch seinen eigenen Weg, konnte aber nie verstehen, warum sein Bruder auf die andere Seite gewechselt hatte. Er selbst arbeitete gelegentlich für die CIA und nahm auch für private Institutionen Aufträge an. Besonders, wenn es um Kolumbien oder den Dschungel ging, denn dort kannte sich Rick bestens aus. Seine harte Kampfausbildung bei den Seals kamen ihm hier zu Gute.
Von nun an agierten die Brüder auf verschiedenen Seiten. Rick verabscheute Drogen und er hasste es, was Manuel tat, doch er hatte ihn nie verraten.
Die Jahre vergingen und wenn dein Vater nicht so unvorsichtig geworden wäre, nur um seine Frau ab und zu einmal zu sehen, wäre dieses hier alles nicht geschehen.
Es kam der Tag, an dem Manuel in Los Angeles unterwegs war. Der Zufall wollte es, dass er ausgerechnet in einem Blumenladen deinem Vater über den Weg lief. Er nutzte seine Chance und verriet ihn an seinen Boss. Das ganze Spiel begann von vorn. Manuel bekam den Auftrag, William zu beschatten und ihn gegebenenfalls zu entführen, wenn es nötig sein sollte. Immerhin wusste dein Vater, auf welchem Weg die Drogen von Kolumbien nach Amerika geschleust wurden. Die Drogenlieferanten konnten das Risiko nicht eingehen verraten zu werden. Ich hatte furchtbare Angst um ihn und so blieb mir nichts weiter übrig als mitzumachen. Sam, du solltest von diesen ganzen Begebenheiten nichts erfahren. Das änderte sich an dem Tag, an dem dein Geschäft überfallen wurde und Rick dort auftauchte. Den Rest kennst du ja.«
***
»Ja Liebes, nun weißt du alles.«
Wie versteinert saß Sam im Sessel. Gefesselt von einer Geschichte, von der sie nicht wusste, wie sie enden sollte.
»Mom, ich verstehe es nicht. Dad hat mich besucht. Warum ist er nicht vor Manuel geflohen. Wenn ich alles früher gewusst hätte, ich hätte ihm doch helfen können. Was ist mit Rick? Kann er nichts für dich und Dad tun?«
Fragend sah Samantha ihre Mutter an. Eigentlich sollte sie wütend sein, auf ihre Mom, ihren Dad und auch auf sich selbst. Sam war eine sehr spontane Frau. Ihre Ideen gingen ihr nie aus. Wann immer sie über etwas nachdachte, fand sie auch einen Weg ihre Vorstellungen zu realisieren. Nur dieses Mal war alles anders. Sie hatte nicht mit solcher Art von Problemen gerechnet.
»Das ist nicht so einfach mein Kind.
Rick hat uns schon sehr damit geholfen dich zu beschützen.«
»Ja, das stimmt. Er hat mir schon zum dritten Mal das Leben gerettet.«
Amanda Black wurde ganz blass. Sie sah ihre Tochter mit weit aufgerissenen Augen an.
»Was meinst du mit zum dritten Mal? Gab es denn außer dem Überfall noch etwas anderes?«
Erst jetzt wurde Sam bewusst, dass sie sich verplappert hatte.
»Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, sonst regst du dich nur auf. Aber es ist jetzt sowieso egal. Ich wurde heute Morgen beinahe in meiner Tiefgarage überfahren. Rick war zur rechten Zeit am rechten Ort. Etwas später, wurde ich vor meinem Geschäft von zwei Typen entführt. Auch da hat Rick mich gerettet.«
Samanthas Mutter liefen die Tränen, sie war mit den Nerven am Ende. Weinend sagte sie:
»Liebling, das wollte ich nicht. Es tut mir alles so leid.«
Sam nahm ihre Mutter in den Arm um sie zu beruhigen. Natürlich war Samantha bewusst, dass die Versuche sie einzuschüchtern, mit ihren Eltern zu tun hatten. Das konnte sie aber ihrer Mutter nicht vorwerfen, denn damit hatte niemand gerechnet.
»Mom, bitte hör doch auf zu weinen. Wir kriegen das schon wieder hin. Ich weiß zwar noch nicht genau wie, aber es wird uns schon etwas einfallen. Bitte sei jetzt stark für mich.«
Ihre Mutter nickte und entspannte sich etwas.
»Du solltest dich hinlegen und ein wenig ruhen, dann wird es dir wieder besser gehen. Ich bleibe bei dir, bis du aufwachst. Versprochen!«
Erleichtert darüber, dass Amanda ihrer Tochter nun endlich die Wahrheit über ihren Vater sagen konnte, schlief sie ein.