Читать книгу Im Schutz der Orchideen - Karola Schmidt - Страница 7
Das Wiedersehen
ОглавлениеAls Sam endlich ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte und mit ihrem Vater in Sicherheit war, brach sie erneut zusammen und konnte sich nicht mehr beherrschen.
»Oh Dad, ich habe dich so vermisst.«
Sie fiel ihrem Vater um den Hals und drückte ihn so fest, dass ihm die Luft wegblieb.
»Liebes, du erwürgst mich gleich. Ach meine Kleine, es ist so schön, dich nach dieser langen Zeit wieder in meinen Armen zu halten. Ich habe dich so sehr vermisst.«
»Und ich dich erst, Dad.«
Sam löste sich von ihrem Vater und sah ihn mit einem ernsten Blick an.
»Wo warst du die ganzen Jahre und warum bist hier? Ich meine, warum jetzt, warum nicht schon viel früher? Ich dachte, nein, Mom und ich dachten, du wärst tot. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du hier bist. Ich träume das doch nicht. Oder?«
Die Worte sprudelten wie an einem Fließband aus ihr heraus.
»Nein, du träumst nicht. Eins musst du mir glauben, wenn ich gekonnt hätte, ich wäre schon viel früher gekommen. Komm setz dich und dann werde ich dir alles erzählen.«
Sam wollte ihren Dad nicht mehr los lassen. Immer noch dachte sie, dass alles nur ein Traum wäre. Sie machte es sich auf ihrer Couch bequem. Bevor sich William setzte, sah er sich im Wohnzimmer um.
»Es ist sehr hübsch eingerichtet. Du hattest schon immer einen außergewöhnlichen Geschmack, so wie deine Mutter. Ich bin unendlich stolz auf dich.«
William Black sah plötzlich bedrückt aus. Es war ihm fremd geworden, solche Gespräche mit seiner Tochter zu führen. Früher war Samantha noch ein Kind, mit dem er redete, aber heute, heute saß eine junge Frau vor ihm, deren Erwachsenwerden er verpasst hatte. Vor schmerzlichen Erinnerungen zog sich sein Herz zusammen.
»Samantha«, sagte er in einem ernsten Ton, »ich sah Ricardo Cruz aus deinem Geschäft kommen. Du hast hoffentlich nichts mit ihm ...? Ich meine, bist du mit ihm ...mehr als befreundet oder sowas in der Art?«
Sam war überrascht und erstaunt, dass ihr Vater sie danach fragte. Beabsichtigte er mit dieser Frage etwas Bestimmtes?
»Nein Dad, warum fragst du? Stimmt etwas nicht mit Rick? Ich meine, ich habe ihn heute das erste Mal seit langer Zeit wieder gesehen. Genau wie dich! Ist das ein Zufall?«
Er nahm ihre Hand, sah ihr in die Augen und sagte etwas zu ihr, was sie zutiefst erschütterte.
»Ricardo Cruz ist ein Informant und Auftragskiller der kolumbianischen Drogenmafia.«
»Unmöglich! Das kann nicht sein.«
Sollte sie sich in Rick so geirrt haben? In zehn Jahren konnte natürlich viel geschehen sein, aber das. Immer wieder schüttelte Sam den Kopf.
»Dad, bist du dir da wirklich sicher? Ich meine, er hat Mom und mir vor zwei Wochen bei einem Überfall das Leben gerettet.«
»Das weiß ich, mein Kind. Deine Mutter hat es mir erzählt. Sie hat ihn an diesem Tag wiedererkannt.«
Sofort kam Sam das Bild ihrer Mutter in den Sinn, wie sie im Sessel saß und ganz blass aussah. Damals dachte sie, es würde ihr nicht gut gehen, stattdessen hatte es mit Ricardo zu tun.
»Ich würde darauf wetten, dass der Überfall inszeniert war, nur um sich bei dir und deiner Mom einzuschmeicheln. Er versucht schon seit einigen Jahren mich zu finden, um mich den Kolumbianern auszuliefern. Dank einiger Freunde von mir ist ihm das aber nie gelungen.«
Sam holte sich den bewussten Abend noch einmal ins Gedächtnis zurück. Natürlich war Rick ziemlich schnell zur Stelle, aber dass er das inszeniert haben sollte, nein, davon war sie nicht überzeugt. Es musste einen anderen Grund geben, warum ihr Vater so von Ricardo redete.
»Seit einigen Jahren, sagst du? Dad, ich verstehe es nicht. Erkläre es mir bitte. Ich meine, er hat dir doch eine Zeit lang in deiner Werkstatt geholfen. Warum bitte soll er dich an diese Kriminellen verraten? Es sah doch immer so aus, als wäre er ein Freund unserer Familie. Er hat mir erzählt, wie er dir bei deinem Verschwinden geholfen hat, damit du denen nicht bei ihrem Drogenhandel behilflich sein musstest.«
Mit fragenden Augen sah Sam ihren Vater an.
»Ja Kleines, anfangs hat er mir auch bei der Flucht aus Kolumbien geholfen, aber dann wechselte er die Seiten. Ich habe versucht ihn davon abzubringen, aber das schien damals unmöglich zu sein.«
Samantha senkte den Blick. Einerseits wusste sie, dass ihr Vater sie nie belügen würde, doch andererseits, hatte sie ihn seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen. Es ist gut möglich, dass sich ein Mensch, der so viel durchgemacht hatte wie ihr Vater, auch verändern konnte. Sam war in den letzten Jahren oft auf sich allein gestellt. Ihre Mom, auch wenn sie jetzt wieder in den Staaten wohnte, arbeitete nach wie vor für das Auswärtige Amt. Als Dolmetscherin war sie immer noch gefragt. In dieser Zeit hatte sie gelernt, nicht alles zu glauben, was man ihr erzählte. Es gab immer zwei Seiten der Medaille.
»Dad, was war mit seinem großen Bruder Manuel? War er auch ein ...?«
»Manuel? Nein. Manuel hat nie verstanden, warum sein kleiner Bruder so geworden ist. Wäre Manuel damals nicht gewesen, dann würde ich heute nicht hier bei dir sitzen. Du erinnerst dich bestimmt noch, dass er ein Elitesoldat werden wollte.«
Sam nickte zustimmend.
»Ja, das weiß ich noch, deshalb ist er ja weggegangen. Damals hat mich das sehr traurig gemacht.«
Sam spürte, wie verlegen sie auf einmal wurde.
»Ich weiß Sam. Es war so schlimm dich leiden zu sehen. Du warst bis über beide Ohren verliebt in ihn.«
Samantha lief rot an. Es war ihr peinlich. Sehr sogar.
»Das hast du gewusst?«
»Natürlich, es war ja nicht zu übersehen.«
»Was ist aus Manuel geworden?«, versuchte Sam die peinliche Lage zu überspielen, »Hast du ihn in all den Jahren mal wieder gesehen?«
Ihr Vater sah sie so liebevoll an, genauso tat er es früher immer, wenn er ihr etwas Schönes sagen wollte.
»Samantha«, sagte er, »Manuel hat seinen Traum verwirklicht und hat die strengste Ausbildung über sich ergehen lassen, die ein Soldat jemals ertragen muss, wenn er zu den Besten gehören will. Er ist ein Navy-Seal, ein Elitesoldat. Übrigens hat er oft von dir gesprochen.«
Sofort merkte Sam, wie ihr Gesicht wieder zu glühen begann. Vor Verlegenheit konnte sie nicht sofort etwas sagen, versuchte dann aber die Situation zu retten. »In seiner Ausbildung habe ich immer Briefe von ihm erhalten, aber dann ist der Kontakt irgendwann abgebrochen.«
»Kleines, ich habe doch immer gesehen und es auch gewusst, dass du ihn mochtest. Ein Vater sieht so etwas. Da ich mich mit deiner Mutter heimlich traf, konnte sie dir natürlich keine Grüße von ihm ausrichten. Er wusste das und Mom und ich auch.«
Sam war es unangenehm über solche Dinge mit ihrem Vater zu sprechen. Früher wäre das kein Problem gewesen, aber jetzt. Sie lenkte das Gespräch in eine andere Richtung.
»Dad, was wird denn jetzt geschehen? Du kannst dich doch nicht für den Rest deines Lebens verstecken. Ich brauche dich doch. Mom braucht dich. Wie soll es weiter gehen? Kann ich überhaupt nichts tun um dir zu helfen?«
Sams Vater lächelte sie sanft an, dann sagte er:
»Sam, du hilfst mir, wenn du dich von Ricardo fern hältst. Glaube mir, er ist gefährlich und würde niemals vor einem Mord zurückschrecken. Überall dort, wo er aufkreuzt, hinterläst er eine Blutspur. Er ist ein Profi in seinem Fach.«
Sams Blick wurde steinern.
Ein Mörder? Nein, niemals. Wieder machte sie sich ihre eigenen Gedanken.
»Dad, warum will er dich eigentlich an das Kartell ausliefern?«
Der Gesichtsausdruck ihres Vaters änderte sich deutlich. Offenbar war es ihm nicht angenehm darüber zu reden.
»Ich sagte dir ja anfangs schon, dass ich mir zwar nicht sicher bin, aber es gab Anzeichen dafür, dass er nicht nur ein Informant, sondern offenbar auch mit einem der berüchtigten Drogenbosse befreundet war und immer noch ist. Erst nachdem Ricardo damals bei mir anfing zu arbeiten, kamen einige Tage danach diese Männer in unsere Werkstatt. Ich sollte für sie Drogen in den Autos deponieren, die zurück in die USA gebracht wurden, weil sie dem Standard der Botschaftsangehörigen nicht mehr entsprachen. Sollte ich mich weigern, drohten sie damit, meiner Familie schreckliche Dinge anzutun.
Um euch damals nicht zu gefährden, versteckte ich das Rauschgift in verschiedenen Limousinen. Ich informierte anonym den Sicherheitsdienst der Botschaft. Die wiederum ordneten an diesem Tag eine Routinekontrolle aller Fahrzeuge an, die das Botschaftsgelände verlassen sollten. Auf diese Weise fiel es nicht auf, dass die Sicherheitskräfte einen direkten Hinweis bekommen hatten. Ich glaube aber, dass Rick etwas ahnte. Er hat mich zwar nie darauf angesprochen, doch einige Male machte er versteckte Anspielungen, die diesen Vorfall betrafen.
Ja mein Kleines, so war das damals. Bis heute versucht er mich zu finden.«
Sam hatte genau zugehört, was ihr Vater erzählte. Sie merkte auch, dass er bei einigen Aussagen zögerte. Ihr kam der Gedanke, als hätte jemand ihrem Vater diese Geschichte in den Mund gelegt. Vielleicht wollte ihm ja nur jemand Glauben lassen, dass Rick der Böse war.
»Dad, was ist, wenn du dich irrst und Rick nichts damit zu tun hatte? Das ist doch möglich.«
»Das könnte natürlich sein, aber du musst wissen, dass diese bewussten Fahrzeuge zurück in die Staaten transportiert wurden, um sie dort weiter zu verkaufen. Schließlich waren sie noch in einem Top-Zustand. In den Staaten standen sämtliche Autos bereits auf einer Warteliste. Weißt du Sam, solche Informationen konnte nur ein Insider wissen.«
»Ja, das verstehe ich. Trotzdem kann es doch sein, dass es auch ein Angestellter der Botschaft hätte sein können. Jemand, an den man nicht mal im Traum denken würde.«
Es war zu sehen, dass sich ihr Vater über ihre Argumente Gedanken machte.
»Dad, gehst du nicht ein sehr hohes Risiko ein, wenn du dich mit mir oder Mom triffst? Was, wenn du mit Rick Recht hast und er mich beschattet? Er hat immerhin eine Zeit lang vor meinem Geschäft gestanden und, so nehme ich an, darauf geachtet, dass mir nichts passiert. Vielleicht weiß er sogar wo ich wohne. Dad, du nimmst das alles auf die leichte Schulter. Bitte sei vorsichtig. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt. Das würde ich mir nie verzeihen und Mom sicher auch nicht.«
Sam sah auf ihre Armbanduhr. Es war bereits kurz vor drei Uhr morgens.
»Dad, wenn du willst, hole ich dir eine Decke, damit du auf der Couch schlafen kannst. Ich bin ganz schön fertig.«
»Das ist sehr lieb von dir, aber das musst du nicht.« William nahm seine Tochter in die Arme und drückte sie zärtlich an sich.
»Sam, mach dir keine Sorgen. Jemand passt auf mich auf.«
Überrascht sah sie ihren Vater an, als es plötzlich an die Tür klopfte. Ihr Herz raste. Sie blickte ängstlich zu ihrem Vater.
»Wer kann das sein? Ich erwarte niemanden.«
Vor lauter Aufregung begann Sam zu zittern. Ihr Vater behielt die Ruhe.
»Du musst keine Angst haben. Geh und mach auf.«
»Was?«, rief Sam fast übertrieben.
»Nun geh schon Kleines.«
Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie zur Tür ging. Sie schaute durch den Türspion und glaubte zu träumen. Dort stand Manuel. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie die Tür öffnete.
»Hallo Samantha!«, sagte Manuel freundlich.
Sam bemühte sich, so normal wie möglich zu antworten. Doch mehr als ein »Hallo Manuel!« bekam sie nicht raus.
Die Aufregung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er lächelte genauso charmant wie früher. In ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge um die Wette. Sam war nicht bewusst, dass sie Manuel die ganze Zeit anstarrte.
»Darf ich reinkommen, Sam?«
Wie in Trance schüttelte Sam den Kopf.
»Oh entschuldige. Ja, bitte, komm rein.«
Sie trat zur Seite und ließ ihn in ihre Wohnung. Nie im Leben hätte sie gedacht Manuel wiederzusehen und vor allem nicht hier in ihrer eigenen Wohnung. Jetzt stand er vor ihr. In seinen schwarzen Jeans, seinem einfarbigem Hemd und der dazu passenden Lederjacke sah Manuel umwerfend aus. Seine braunen Augen funkelten sie an. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm lassen. Er sah unglaublich gut aus. Kein Wunder, dass sie früher schon in ihn verliebt war. Im Gegensatz zu seinem Bruder Ricardo hatte sich Manuel kaum verändert.
Er ging ins Wohnzimmer, wo ihr Vater schon wartete.
»Mr. Black, es wird Zeit. Wir müssen gehen.«, sagte er in einem sehr förmlichen Ton.
»Ja Manuel, ich komme. Ich möchte mich nur noch von meiner Tochter verabschieden. Schließlich weiß ich ja nicht, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen.«
Endlich riss Sam ihren Blick von Manuels Gesicht los. Wie benommen drehte sie sich zu ihrem Vater um.
»Du willst schon wieder gehen, Dad?«
Fragend sah sie ihn an und dann schaute sie wieder auf Manuel.
»Könnt ihr wirklich nicht mehr bleiben?
Ich habe genug Platz, zu Essen ist auch reichlich da. Es weiß doch niemand, dass ihr hier bei mir seid, oder?«
Sams Stimme klang flehend, doch die Antwort übernahm Manuel.
»Es wird zu gefährlich, wenn dein Vater zu lange an einem Ort ist. Jetzt wo auch noch Rick hier aufgetaucht ist, ganz besonders. Mein Bruder ist mit allen Wassern gewaschen. Er ist ein Fuchs. Schnell und listig.«
»Aber wie lange willst du denn meinen Vater noch vor diesen Drogenverbrechern verstecken? Er hat schon so viele Jahre auf uns und sein wahres Leben verzichten müssen. Irgendwann muss das doch mal aufhören.«
Bei den letzten Worten liefen ihr schon die Tränen. Manuel sah Sam traurig an. Er trat einen Schritt auf sie zu, schaute sie mit seinen braunen Augen an und sagte:
»Es ist bald vorbei. Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, wirst du deinen Vater bald für immer wieder haben. Das verspreche ich dir.«
Was dann kam, hatte Sam nicht erwartet. Manuel sah zu ihrem Vater und sagte:
»Verzeihen Sie mir bitte Mr. Black, aber das muss ich einfach tun.«
»Was meinst du Manuel?«, fragte William.
»Das!« Manuel nahm Sams Gesicht in seine Hände und küsste sie mit so viel Leidenschaft, wie sie es noch nie erlebt hatte. Ihr war, als würde ihr Körper in diesem Augenblick schweben.
»Das wollte ich früher schon tun, doch mir fehlte der Mut.«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Dann drehte er sich um und ging zur Tür. Wie versteinert stand Samantha da. Ihr Dad lächelte sie an, dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Pass auf dich auf Kleines. Ich hab‘ dich lieb.«
Zusammen mit Manuel verließ er das Appartement seiner Tochter. Er hörte Sam nicht mehr sagen: »Ich liebe dich auch, Dad.«
Die Tür klickte ins Schloss und sie stand allein in ihrer Wohnung. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Gesicht feucht von ihren Tränen war. Sam weinte. Sie weinte so sehr, als würden alle zehn Jahre, die sie auf ihren Vater gewartet hatte und hoffte ihn eines Tages wiederzusehen, über sie zusammen brechen.
Inzwischen war es schon fast morgens. An Schlaf war kaum zu denken, obwohl sie den ganzen Tag schon auf den Beinen war. Eigentlich hätte Sam tot ins Bett fallen müssen. Doch dazu kam es nicht, denn gerade als sie unter die Dusche gehen wollte, klopfte es an ihrer Wohnungstür. Leise schlich sie in den Flur. Erst dachte sie, Manuel wäre noch einmal zurückgekommen, doch als sie einen Blick durch den Türspion warf, versetzte es ihr eine Gänsehaut.
»Sam, ich weiß dass du da bist. Öffne die Tür oder ich trete sie ein.«
»Einen Moment bitte, ich muss mir erst etwas überziehen.«
Schnell warf sich Sam einen Bademantel über und zog ihren Slip an. Fast nackt, öffnete sie ihre Wohnungstür, die durch eine Kette gesichert war. Ein Hauch von Alkohol wehte ihr ins Gesicht.
Samantha bemühte sich sicher aufzutreten, was ihr nur zum Teil gelang. Nach ihrem Gespräch mit Manuel und ihrem Vater vor nicht einmal einer Stunde hatte sie panische Angst in diesem Moment.
»Weißt du eigentlich wie spät es ist? Was willst du hier, mitten in der Nacht?«
Mit strenger Ansage wiederholte er sich.
»Öffne bitte die Tür, oder ...«
»Schon gut, schon gut, ich mache sie ja schon auf.«
Langsam schob sie den Riegel nach oben, bis er aus der Verankerung sprang und öffnete die Tür für ihren unerwarteten Besucher Ricardo Cruz.
Ganz lässig schlenderte er herein, schloss hinter sich die Tür und sah Samantha von oben bis unten an.
Sein Blick gefiel Sam nicht, trotzdem sah er unglaublich sexy aus. Seine Haare waren durcheinander und sein schwarzes T-Shirt spannte sich über seinen muskulösen Oberkörper. Voller Lüsternheit sah Rick Sam an. In seinen Augen lag etwas, was ihr trotzdem Angst machte. Er kam ihr fast fremd vor und sie hatte so ein Gefühl, als wäre er nicht er selbst oder vielleicht hatte Rick auch etwas eingenommen. Sie konnte es nicht richtig deuten. Mit seinen Augen durchbohrte er Sam, als wollte er ihr das bisschen, was sie auf dem Leib trug, damit ausziehen. In ihr stieg langsam Panik auf. Was sollte sie tun, wenn er aufdringlich werden würde? Sie atmete tief durch, dann sah sie Ricardo an und sagte mit fester Stimme:
»Bitte Rick, du solltest nicht hier sein. Nicht in meiner Wohnung und nicht in diesem Zustand. Ich möchte, dass du jetzt gehst. Wir können uns gerne ein anderes Mal unterhalten.«
Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, interessierte es ihn nicht im Geringsten, was Sam gerade sagte. Als wären ihre Worte durch ihn hindurchgegangen. Langsam näherte er sich ihr.
»Du siehst umwerfend aus, Sam. Weißt du eigentlich, dass ich schon immer scharf auf dich war? Schon damals hast du mir gefallen, aber du hattest ja nur Augen für meinen Bruder. Ja richtig, mein Bruder. Ich sah ihn vorhin aus der Tiefgarage wegfahren. Was hatte er hier zu suchen?«
Ricks Augen funkelten gefährlich. Da er immer näher auf sie zukam, ging Sam Schritt für Schritt zurück, bis sie die Wand berührte.
»Das geht dich nun wirklich nichts an Rick.«
Sam sah ihm an, dass diese Antwort nicht die war, die er erwartet hatte. Plötzlich ergriff er mit seinen Händen den Kragen ihres Bademantels, zog sie zu sich heran und begann sie ohne Vorwarnung zu küssen. Mit den Armen versuchte Samantha ihn wegzustoßen, was ihr nicht gelang. Er war unglaublich stark. Offenbar spornte ihn das nur noch mehr an, denn jetzt versuchte er Sam den Bademantel zu öffnen. Sein Bein schob sich zwischen ihre Schenkel und Sam spürte seine Erektion an ihrem Unterleib. Sie wehrte sich heftig dagegen und als sie dachte, jetzt wäre alles aus, er würde sie vergewaltigen und sie hätte nicht die geringste Chance, ließ er von ihr ab. Mit einem schelmischen Lächeln grinste er sie an.
»Keine Angst, ich werde dir nichts tun. Denke ich jedenfalls.«
Rick ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Er ging zum Fenster, nahm die Gardine zur Seite und sah hinaus.
»Schöne Aussicht.«, bemerkte Ricardo, drehte sich um und sah sie an.
Samantha stand immer noch an der Wand. Sie hatte es nicht gewagt sich zu rühren. Ihr ganzer Körper zitterte und ihre Lippen brannten von dem brutalen Kuss.
Sam holte tief Luft um sich zu entspannen.
»Sag endlich, was du willst Rick und dann möchte ich, dass du gehst.«, sagte sie beinahe liebenswürdig.
Wieder kam er auf sie zu. Ihr Atem wurde schneller, was Rick natürlich nicht entging. Er legte seine Hand unter Samanthas Kinn und zwang sie so ihn anzusehen.
»Zuerst wirst du mir meine Fragen beantworten. Wenn ich allerdings merke, dass du mich belügst, nun, dann werde ich nicht mehr so zärtlich mit dir umgehen. Haben wir uns verstanden?«
Sie nickte leicht, dann befreite sie sich aus ihrer misslichen Lage. Trotz seiner Drohung sah er unglaublich sexy aus. Sein schwarzes T-Shirt spannte sich über seinen Oberkörper, wobei sich seine Muskeln abzeichneten.
»Warum tust du das, Rick? Du machst mir Angst und das mag ich nicht.«
Jetzt liefen ihr auch noch die Tränen übers Gesicht. Über diese Schwäche ärgerte sie sich sehr. Er sollte nicht sehen, wie sie empfand.
»Nun Samantha Black, es ist ganz einfach, erzähl mir, was Manuel hier wollte und ich bin sofort wieder verschwunden.«
»Da gibt es nichts zu erzählen. Er war zufällig in der Nähe und hat nur mal vorbeigeschaut. Wir haben uns seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Wir haben über alte Zeiten geredet und dann ging er wieder. Das war alles.«
Ohne die geringste Vorwarnung knallte Rick seine Faust auf den Tisch, dass die Tischplatte einen Riss bekam. Sam war so erschrocken, dass sie die Augen schloss und innerlich betete, er möge verschwinden.
»Ach wirklich, ihr habt euch seit Jahren nicht mehr gesehen und woher wusste Manuel, wo du wohnst? Kannst du mir das beantworten?«
»Woher wusstest DU denn, wo ich wohne?«, stellte Sam zögernd die Gegenfrage und konnte ein Zittern ihrer Stimme nicht unterdrücken.
Mit drohendem Blick stand er vor ihr. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Sam schlang die Arme um ihren Körper, als könnte sie sich auf diese Weise schützen. Sie verkroch sich in die hinterste Ecke ihrer Couch. Das half aber nichts, denn er kam sofort wieder auf sie zu. Er schnappte sich Sams Knöchel und zog sie abrupt zu sich. Dabei rutschte ihr Bademantel nach oben und sie lag mit entblößten Beinen vor ihm. In diesem Moment waren seine Gedanken deutlich transparent für Sam. Was nun geschehen würde, wusste sie genau. Rick griff nach ihren Handgelenken und streckte sie über ihren Kopf hinweg. Auf diese Weise kam er Sam noch näher. Er lag fast auf ihr und sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht und seine steinharte Erektion an ihrem Oberschenkel.
»Bitte Rick, lass mich los.«, flehte sie ihn an.
Er ignorierte ihr Flehen und wieder begann er sie leidenschaftlich zu küssen. Seine Wärme durchflutete Sams Körper und für einen Augenblick hatte sie so etwas wie Gefühle in sich. Das wollte sie nicht zulassen, nicht jetzt und nicht so. Mit aller Gewalt versuchte sie ihren Kopf wegzudrehen. Diesmal gelang es ihr sogar. Jetzt wurde sie langsam wütend. Sie drehte sich wie ein Wurm, dann schrie sie:
»Hör auf, hör endlich auf!«
Erstaunt über ihren Ausraster, ließ Rick von ihr ab.
Als hätte sich gerade sein Gehirn wieder eingeschaltet, sah er sie überrascht an. Ein leichtes Kopfschütteln brachte ihn ins Hier und Jetzt zurück.
»Es tut mir leid Sam. Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte dir nicht wehtun. Das würde ich niemals tun.«
Mit diesen Worten stand er auf. An der Tür drehte Rick sich noch einmal um. Sein trauriger Blick versetzte Sam einen Stich ins Herz. Die Tür fiel ins Schloss und Sam ließ sich zurück fallen.
Hemmungslos begann Samantha zu weinen, bis sie irgendwann auf der Couch einschlief.
Das Klingeln ihres Telefons weckte sie. Sie tastete mit ihrer Hand danach. Irgendwo hier musste es doch liegen. Dann hatte sie es gefunden und drückte auf die grüne Taste.
»Ja bitte?«, sagte sie verschlafen.
»Samantha, ich bin es, Rick. Bitte leg nicht gleich auf. Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich hatte getrunken und weiß nicht, was mich getrieben hat. Du warst immer eine gute Freundin. Es wird nicht wieder vorkommen. Das wollte ich dir nur sagen.« Dann war nur noch ein tuten in der Leitung zu hören.
Sam starrte den Hörer an. Ihr blieb nicht einmal Zeit zu antworten.
Ricardo hatte sich soeben bei ihr entschuldigt. Hatte Manuel Unrecht und Rick war nicht so schlecht, wie ihr Vater und er annahmen? Wenn Ricardo Cruz ein brutaler Mörder sein sollte, dann hätte Sam sicher diese Nacht nicht überlebt. Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, sie zu überwältigen und zu töten. Er hatte das niemals vorgehabt. Natürlich war sein Verhalten nicht in Ordnung. Auf eine gewisse Art fand sie Ricardo sogar interessant. Sein Körper schrie förmlich nach Sex. Er sah rebellisch und verwegen aus. Manuel wirkte gegenüber seinem Bruder eher diszipliniert, aber Rick, er war der Draufgängertyp, stark, mysteriös, sexy. Bei diesen Gedanken begann sie leise vor sich hin zu lachen. Wäre Rick letzte Nacht nicht angetrunken gewesen, vielleicht wäre alles anders zwischen ihnen gelaufen. Sie war fest entschlossen, Rick wiederzusehen.