Читать книгу Im Schutz der Orchideen - Karola Schmidt - Страница 6
Nächtlicher Besuch
ОглавлениеAmanda und William Black passten einfach zusammen. Als Samanthas Eltern sich vor 31 Jahren kennen lernten, so erzählte ihre Mutter immer, war es nur ein kurzer Augenblick und sie wussten sofort, sie gehörten zusammen. Damit sollte sie auch Recht behalten. Sam hatte ihre Eltern nie streiten gesehen. Sie gingen immer liebevoll miteinander um und diese Liebe gaben beide an ihre Tochter weiter. Sam hoffte, auch einmal so einen herzlichen Partner zu bekommen. Bisher hatte sie aber noch nicht den Richtigen gefunden. Es gab schon den einen oder anderen in ihrem Leben, aber das war nichts Ernstes. Liebeleien, Schwärmereien, was man eben so empfindet, wenn man jung ist. Als ihre Familie noch in Kolumbien wohnte, war sie total verliebt in einen Jungen. Er war 18 und sie erst 14 Jahre alt. Sein Name war Manuel. Ein disziplinierter, ruhiger Typ, sah gut aus und hatte eine sehr anmutige Ausstrahlung. Sam beobachtete Manuel heimlich. Sie bewunderte seinen muskulösen Körper, der sich unter seinem T-Shirt und seiner Jeans abzeichnete. Manchmal, wenn sie sich mal über den Weg liefen, wechselten sie ein paar Worte miteinander. Natürlich war Sam noch zu jung für ihn, was sie sehr bedauerte. In ihren Träumen war sie seine Freundin. Er war ein großer Autoliebhaber. Um seine Ausbildung zu finanzieren, arbeitete er in der Werkstatt ihres Vaters und half ihm beim Montieren oder Putzen der Limousinen. Das gefiel Sam natürlich sehr und damit sie ihn öfter sehen konnte, besuchte sie ihren Vater häufiger als sonst. William lächelte immer, wusste er doch genau, dass seine Tochter nicht nur wegen der Autos herkam.
Manuel und seine Familie waren Kolumbianer. Samanthas Eltern hatten keinerlei Vorurteile gegen die Einheimischen. Im Gegenteil, sie waren nett, zuvorkommend und sie mussten, um ihr tägliches Brot zu verdienen, hart arbeiten. Manuels Eltern hatten nicht das Geld für seine Ausbildung in den Staaten, also verdiente er sich in der Werkstatt das Geld dafür.
Nach dem Ende der Schulzeit sah sie Manuel nicht mehr so oft.
Samantha wollte später einmal Ärztin werden und er unbedingt ein Elitekämpfer. Schon als Kind träumte er davon. Manchmal zeigte er Sam, was er so an Kampftechniken drauf hatte. Sie war sehr von ihm beeindruckt. Mit Hilfe der amerikanischen Botschaft und Sams Vater konnte Manuel die gewünschte Ausbildung bei der US Navy aufnehmen, was für Emigranten in der Regel fast unmöglich war. Als Manuel aus Bogota wegging, kam sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ricardo zu ihrem Vater in die Werkstatt. Er war das Gegenteil von seinem großen Bruder. Ein Rebell, ein Rumtreiber, aber trotzdem immer zuverlässig und wie viele Jungs in seinem Alter verrückt nach Autos. Deshalb war er nicht gerade böse, als Manuel von zu Hause fort ging.
Sam allerdings brach es fast das Herz. Oft lag sie allein in ihrem Zimmer, starrte die Decke an und ließ ihren Tränen freien Lauf. Einige Monate bekam sie gelegentlich Post von Manuel. Er berichtete Sam von seiner harten Ausbildung bei den Navy-Seals in den USA. Wie alle jungen Mädchen hob sie alle seine Briefe sorgfältig auf. Doch nach einiger Zeit blieb die Post aus, es kamen keine Briefe mehr an. Sie wusste nicht, was geschehen war. Sie hatte auch keinerlei Informationen darüber, wo sich Manuel zu dieser Zeit aufhielt. Der Kontakt brach vollkommen ab. Keinen der beiden Brüder hatte Sam in den letzten Jahren wiedergesehen. Wenn sie alte Fotoalben durchblätterte, kehrten wieder die Erinnerungen an die unbeschwerte Zeit in Kolumbien zurück. Sie dachte nicht im Traum daran, jemals wieder etwas von Manuel und Ricardo zu hören. Doch genau jetzt in diesem Augenblick saß Sam zusammen mit Rick in ihrem Büro und er erzählte ihr etwas Unglaubliches über ihre Eltern.
Aber konnte sie überhaupt glauben, was er berichtete? Seit zehn Jahren hatte Sam weder von Manuel noch von Ricardo etwas gehört. Wie konnte sie wissen, ob Rick die Wahrheit sagte. Was hatte er die ganzen Jahre getan und wieso tauchte er jetzt plötzlich auf?
Es gab jetzt nur eines zu tun, sie musste unbedingt mit ihrer Mutter sprechen. Eigentlich war Sam immer davon überzeugt gewesen, dass ihr ihre Mutter die Wahrheit sagte, doch nun kamen ihr Zweifel und das gefiel ihr nicht. Wenn das alles, was Rick ihr gerade erzählt hatte, der Wahrheit entsprach und sich ihre Eltern heimlich trafen, wäre sie zutiefst erschüttert.
Gegen Mitternacht verlies Ricardo Cruz ihr Geschäft. Er verabschiedete sich noch von Sam mit einer Umarmung.
»Es war schön, dich mal wiederzusehen.«
Sein Blick ging förmlich durch sie hindurch.
»Ja, fand ich auch.«
Rick reichte Sam die Hand.
»Gute Nacht Samantha.«
»Gute Nacht.«
Er überquerte die Straße und fuhr mit seinem Landrover davon. In diesem Augenblick fühlte sie sich allein gelassen.
Sam war viel zu aufgewühlt, um jetzt noch etwas zu tun. Ihre Abrechnung hatte auch noch Zeit bis morgen. Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Sie sah ihren Vater bildlich vor ihren Augen. Wie konnte er ihr das nur antun? Was sollte sie jetzt machen? Natürlich konnte Sam nicht mehr um diese Zeit ihre Mutter aufsuchen. Dazu war es viel zu spät. Wahrscheinlich hätte sich Amanda sofort Sorgen um ihre Tochter gemacht. Also ging sie zu ihrem Auto und alles andere verschob sie auf den nächsten Tag.
Draußen war es angenehm kühl. Sam atmete die frische Luft tief ein. Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug bekam sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, so als würde sie jemand beobachten. In ihrer Bauchgegend machte sich eine Unruhe bemerkbar, die sie sonst nicht kannte. Sie sah sich nach allen Seiten um, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen und auch niemanden sehen, der ihr irgendwie verdächtig vorkam. Hier und da waren noch einige Nachtschwärmer unterwegs. Die Leuchtreklamen waren so hell, dass sie alles gut überblicken konnte. Ihr Auto stand auf einem Parkplatz ganz in der Nähe von ihrem Geschäft.
Trotzdem war da dieses flaue Gefühl in ihrer Magengegend. Schnell öffnete sie die Autotür und setzte sich ans Steuer. Geschafft! Ein Geruch, den sie von früher kannte, lag in der Luft und umspielte ihre Nase. Im nächsten Moment blieb Sam fast das Herz stehen. Jemand bewegte sich auf dem Rücksitz ihres Autos. Deutlich hörte sie jemanden atmen. Jetzt weglaufen war zwecklos, denn sie hatte sich bereits angeschnallt. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und schaute nach hinten.
»Dad?«, schrie sie laut auf.
»Ganz ruhig Kleines. Fahr einfach los. Ich werde dir alles erklären.«
Samantha stand unter Schock. Ihr fiel kaum noch ein, wie man das Auto startete, so aufgeregt war sie. Mit zitternden Händen setzte sie ihr Auto in Bewegung.
»Wo soll ich hinfahren?«, stotterte sie aufgeregt.
»Am besten zu dir nach Hause.«
An ihrer Wohnung angekommen, fuhr sie in die Tiefgarage. Hier kam man nur hinein, wenn man einen gültigen Ausweis besaß. Vor lauter Aufregung dauerte es einen Moment, ehe sie die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz stecken konnte.
Aufmerksam beobachtete ihr Vater die Umgebung. Erst als sie sicher waren, dass ihnen keiner gefolgt war und sich niemand in der Tiefgarage befand, stiegen sie aus dem Fahrzeug. William nahm die Hand seiner Tochter und zog sie in aller Eile hinter sich her. Der Aufzug war etwa 30 Meter entfernt. Trotzdem keine Menschenseele zu sehen war, hatte Sam ein flaues Gefühl wie zuvor auf dem Parkplatz vor ihrem Geschäft. Irgendwie kam sie sich beobachtet vor. Als sich endlich die Aufzugtür schloss, atmete sie erst einmal tief durch. Sie schlang die Arme um ihren Vater, legte ihren Kopf an seine Brust und begann hemmungslos zu weinen. William fehlten die Worte. Er wusste genau, wie seiner Tochter jetzt zu Mute sein musste. Er streichelte Sam übers Haar und sagte leise: »Es ist alles gut Kleines.«
Ihr Appartement lag im 8.Stock eines älteren, aber gut erhaltenen Gebäudes in L.A. Hier wohnte sie seit nunmehr sechs Jahren. Im Eingangsbereich saß zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Pförtner. Sie fühlte sich hier wohl und sicher. Ihre Wohnung hatte eine Terrasse, drei Zimmer sowie eine Küche und ein Bad. Sam hatte es sich geschmackvoll eingerichtet. Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam, setzte sie sich auf ihre Terrasse und genoss die Aussicht. Da sie ziemlich weit oben wohnte, bot sich ihr ein herrlicher Ausblick über die Stadt. Samantha liebte Los Angeles. Die Stadt die niemals zur Ruhe kam. Die Stadt, in der sie glaubte für immer leben zu können.