Читать книгу Im Schutz der Orchideen - Karola Schmidt - Страница 5
Gefährliche List
ОглавлениеSeit einigen Tagen herrschte in L.A. Hochbetrieb. Die Oskarverleihung stand vor der Tür. Jeder, der auf diesem Event dabei sein wollte, versuchte sich so schick wie nur möglich herauszuputzen. Da die meisten Sachen in Samanthas Geschäft von Schauspielern und anderen Prominenten in der Regel nur einmal getragen wurden, hatte sie in ihren Regalen und auf den Kleiderständern fast neuwertige Waren. Ihre Stammkunden wussten dies natürlich und so rannten sie ihr sozusagen die Tür ein. Für Sam war es gut, der Umsatz war gigantisch und genau deshalb hatte sie den Vorfall vor etwa zwei Wochen nicht vergessen.
Die meiste Zeit versuchte sie gelassen zu wirken, kam aber nicht umhin, ihre Umgebung mit anderen Augen zu sehen. So entging Samantha auch nicht, dass seit diesem bewussten Tag auf der gegenüberliegenden Seite in unterschiedlichen Abständen ein schwarzer Landrover parkte. Durch das Seitenfenster des Wagens erkannte sie den Mann, der ihr und ihrer Mom am Abend des Überfalls geholfen hatte. Sam war sich relativ sicher, dass er sie und ihr Geschäft beobachtete. Auf unerklärliche Weise war sie froh darüber, dass er in ihrer Nähe war.
Ihrer Mutter hatte sie nichts davon gesagt. Wie sie ihre Mom kannte, wäre sie sofort über die Straße zum Auto gelaufen oder hätte die Polizei gerufen. Sie versuchte schon immer ihre Tochter zu beschützen. Das tat sie schon früher mit einer Hingabe, die Samantha manchmal fast erdrückte.
Vor etwa zehn Jahren zogen beide von Kolumbien nach Los Angeles zurück. Sams Mutter arbeitete im Auswärtigen Amt in Bogota als Dolmetscherin und ihr Vater leitete den Fuhrpark der amerikanischen Botschaft. Er liebte Autos. Eines Tages verschwand er spurlos und niemand hatte jemals wieder etwas von ihm gehört. Jede Suchaktion blieb erfolglos. So entschied sich ihre Mutter aus Kolumbien wieder zurück in die Staaten zu ziehen. Aus irgendeinem Grund war sie immer noch davon überzeugt, dass ihr Mann, Sams Dad noch am Leben war.
Manchmal hatte sie das Gefühl, ihre Mutter würde ihr etwas verschweigen. Sam glaubte, dass sie mehr über das Verschwinden ihres Vaters wusste, als sie ihr gegenüber zugab.
Am Ende dieses Tages hatte sich Sam fest vorgenommen, unter dem Vorwand sich zu bedanken, hinüber zu diesem Fremden zu gehen. Sie würde den Mann darauf ansprechen, warum er beinahe jeden Tag dort stand und sie beobachtete. Auch wenn sie sich vielleicht danach lächerlich vorkommen sollte, sie wollte es einfach wissen.
In diesen Tagen hatte sie keine festen Ladenschließzeiten. Wenn sie der Meinung war, es würden keine Kunden mehr kommen, dann verschloss sie die Tür und machte Feierabend. So auch an diesem Abend. Es war kurz vor 22 Uhr als Sam den Schlüssel ins Schloss steckte, um den Laden zu schließen. Allerdings kam sie nicht mehr dazu, denn gerade als sie den Schlüssel umdrehen wollte, stand der Mann aus dem Landrover vor ihr. Fast blieb ihr das Herz vor Schreck stehen, aber irgendwie spürte sie keinerlei Angst ihm gegenüber.
Für einen kurzen Moment sahen sich beide an.
»Ich muss mit dir sprechen«, sagte er durch die geschlossene Glastür zu ihr.
»Mit mir sprechen, warum?«
»Lass mich bitte herein, dann werde ich es dir erklären.«
Im ersten Moment überlegte sie, ob es nicht gefährlich wäre, ihn so spät noch herein zu lassen. Doch andererseits war sie natürlich neugierig auf ihn. Er sah gut aus, hatte einen warmherzigen Blick und überhaupt, warum eigentlich nicht. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet, warum also sollte er ihr jetzt etwas antun wollen. Mit einem kurzen Nicken zeigte sie ihre Zustimmung und öffnete die Tür, die sie gleich wieder hinter ihm verriegelte.
»Ich gehe mal davon aus, dass du mich nicht mehr kennst?«, sagte der Fremde zu Sam.
Überrascht, sah sie ihn an.
»Sollte ich es denn?«, fragte sie.
Auf seinem Gesicht zeigte sich ein verschmitztes Lächeln. Offenbar war er über ihre Frage belustigt.
»Nun«, begann er zögerlich, »ich habe damals als Laufbursche im Autofuhrpark deines Vaters ausgeholfen.«
»Bei meinem Vater? Du meinst in Kolumbien, in der amerikanischen Botschaft?«
»Genau dort, Sam. Habe ich mich denn wirklich so sehr verändert?«
Für einen kurzen Moment holte sie sich alle Erinnerungen an diese Zeit zurück in ihr Gedächtnis. Dann plötzlich fiel es ihr wieder ein.
»O nein! Du bist Rick?«
Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Du sagst es, Ricardo Cruz.«
Sam musste sich erst einmal hinsetzten. Im Augenblick überschlugen sich alle ihre Gedanken. »Rick«, sagte sie wie zu sich selbst. Jetzt wusste Sam, warum sie so ein Gefühl hatte diesen Mann zu kennen.
»Was machst du hier? Ich habe dich im Auto gegenüber gesehen. Du hast mich die ganze Zeit beobachtet. Warum? Hast du mich gesucht oder ist es nur ein Zufall? Weißt du vielleicht etwas über meinem Vater?«
Er legte seine Hand auf Sams Schulter und sagte in einem ruhigen Ton:
»Sam, ich werde dir alle deine Fragen beantworten, nur könnten wir bitte woanders hingehen? Ich möchte nicht, dass uns deine Mutter überrascht. Okay?«
Sie sah Rick immer noch mit großen Augen an und konnte es kaum fassen, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatte. »Ja, ja natürlich, gehen wir ins Büro und meine Mom kommt heute nicht. Donnerstags ist sie mit ihren Freundinnen beim Bingo. Du kannst also ganz beruhigt sein.«
Sam schaltete die Lampen im Verkaufsraum aus und gemeinsam gingen sie durch einen schmalen Gang in ihr Büro.
Rick ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Sie konnte sehen, dass er über ihre Einrichtung und auch über ihr elektronisches Equipment erstaunt war. Seine Gestik war deutlich zu erkennen.
»Du bist ja voll ausgerüstet. Überwachungskameras, Alarmsystem, also ich bin beeindruckt. Wurdest du schon öfter überfallen oder warum diese Vorsichtsmaßnahmen? Ich hoffe natürlich, du wirst es nicht irgendwann wieder gebrauchen müssen.«
»Nun, das hoffe ich auch. Der Überfall neulich war das erste Mal. Er hat mir gereicht und ich muss sowas auch nicht noch einmal haben, das kannst du mir glauben. Ich nehme an, du hast mich und mein Geschäft schon länger beobachtet?«
Erstaunt sah er Sam an.
»Wie kommst du darauf?«
»Nun, du warst sehr schnell zur Stelle und offenbar wusstest du genau, was du zu tun hattest. Es sah sehr geschickt aus, wie du den Kerl zu Boden gestreckt hast.«
Sam konnte deutlich sehen, dass er überlegte, was er ihr antworten sollte. Sein ganzes Verhalten war einfach nicht zu durchschauen, trotzdem hatte er etwas Faszinierendes an sich.
»Ja weißt du Sam, ich musste mich all die Jahre durchs Leben kämpfen. Glaube mir, ich hatte es nicht gerade einfach und dein Va.....«
Sofort hielt er inne. Er starrte sie an, als hätte man ihn beim Stehlen erwischt.
»Rick, was wolltest du gerade sagen? Was ist mit meinem Vater? Du wolltest doch gerade etwas sagen. Lebt er noch? Weißt du etwas von meinem Dad und warum ist er verschwunden ohne ein einziges Wort? Die ganzen Jahre, kein Lebenszeichen von ihm. Meine Mom war damals außer sich, sie hat nie aufgehört nach ihm zu suchen oder an ihn zu denken. Bitte Rick, was ist los? Mein Vater ist nicht tot, nicht wahr?«
Ricardo schloss die Augen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Innerlich kämpfte er mit sich. Er verfluchte sich, dass ihm so ein Patzer passieren konnte. Jetzt blieb ihm nichts weiter übrig, er musste Sam reinen Wein einschenken. Natürlich war er zu Sam gekommen, um sie über den Verbleib ihres Vaters aufzuklären, doch er wollte es vorsichtig angehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er endlich den Mund öffnete und mit der Sprache heraus kam.
»Sam, es wird dir nicht gefallen, was ich dir über deinen Vater zu sagen habe. Eins solltest du aber wissen, dein Dad war und ist auch heute noch ein ehrenwerter Mann. Alles, was er in den letzten Jahren getan hat, tat er aus Liebe zu dir und deiner Mutter.«
Sam merkte wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Ihr Vater lebte. Sam konnte es nicht fassen.
»Sprich ruhig weiter Rick, ich will alles wissen, auch wenn es mich verletzten sollte, was es jetzt schon tut.« Sam fühlte sich verraten und sie war wütend auf ihren Vater. Er war die ganzen Jahre am Leben und hatte sich nicht ein einziges Mal gemeldet. Kein Lebenszeichen, einfach nichts. Wie konnte er ihr und ihrer Mutter das antun.
»Wie du möchtest Sam. Als dein Vater damals verschwand, tat er es, um euch damit zu schützen. Ich meine dich und deine Mutter. Er war ein angesehener ehrlicher Mensch und er liebte seine Familie über alles. Autos waren seine Leidenschaft und genau die wurden ihm zum Verhängnis. Eines Tages kamen zwei Männer zu ihm. Sie hatten sich offenbar mit gefälschten Dokumenten Einlass in die Botschaft verschafft. Ich hatte im Werkstattlager zu tun und so konnten sie mich nicht sehen. Als ich sie sah machte ich mich sozusagen unsichtbar. Jedes Wort, was sie mit deinem Vater redeten, konnte ich hören. Er sollte für deren Boss Autos umbauen, um unbemerkt Drogen aus Kolumbien in die Staaten zu schmuggeln. Ich hörte, wie dein Vater diesen Auftrag sofort ablehnte. Doch die Kerle akzeptierten kein NEIN, zogen ihre Waffen und bedrohten deinen Vater damit. Wenn er nicht tun würde, was sie von ihm verlangten, wollten sie seine ganze Familie töten.«
Jetzt liefen Sam die Tränen wie in einem Sturzbach über die Wangen. Rick reichte ihr ein Taschentuch und sie schnaubte sich die Nase. Sam war so aufgelöst. Trotzdem wollte sie alles erfahren. Rick griff nach ihrer Hand und streichelte sie zärtlich.
»Soll ich wirklich weiter erzählen, Sam?«
Samantha nickte Rick zu.
»Ja ich möchte es hören.«
Verlegen entzog sie sich seiner Berührung.
»Ich habe dir noch nichts angeboten, möchtest du etwas trinken?«
Ein smartes Lächeln huschte über Ricks Gesicht.
»Gern, aber mach dir keine Umstände meinetwegen, ein Glas Wasser genügt schon.«
In ihrem Kühlschrank hatte Sam immer einen kleinen Vorrat an Getränken. Ein Wasser für Rick und ein Bier für sich selbst, das konnte sie jetzt gebrauchen. Wieder umspielte ein Lächeln seine gut geformten Lippen, als er das Bier sah. Sam bemerkte seinen Gesichtsausdruck.
»Das brauche ich jetzt«, sagte sie etwas verlegen.
»Kann ich mir gut vorstellen. Nun, dein Vater hatte natürlich Angst um euch und so tat er so, als willigte er ein. Einer der Männer legte ihm seine Waffe an die Stirn, mit dem Finger am Abzug. Ich hörte, wie er zu ihm sagte, dass es deinem Vater leid tun würde, wenn er Dummheiten machen sollte oder die Polizei informieren würde. Daraufhin verschwanden sie. Gleich darauf kam ich aus meinem Versteck. Dein Dad fragte mich, ob ich alles mit angehört hätte. Ich nickte und gab ihm sofort zu verstehen, dass ich auf seiner Seite stand und niemandem etwas von diesem Vorgang erzählen würde. Sam, wir hatten echt Angst um euch. Wen diese Leute einmal in die Mangel nehmen, glaub mir, die sind hinterher nicht wiederzuerkennen oder aber sie sind tot.«
Er leerte das Glas Wasser in einem Zug.
»Ich würde jetzt auch gern ein Bier trinken.«
Sam zitterten die Hände vor Aufregung.
»Aber natürlich gern. Ich habe auch noch ein Sandwich, wenn du möchtest.«
»Nein danke, ich habe schon gegessen.«
»Erzähl weiter Rick. Was geschah dann?«
Sam holte Rick ein Bier und setzte sich wieder auf ihren Platz.
»Dein Vater war so durcheinander. Er war aufgeregt und ich glaube, er wusste nicht, was er tun sollte. Du weißt ja, ich bin damals dort aufgewachsen und so kannte ich jeden Winkel so gut wie meine Westentasche. Ich bot deinem Dad an, euch erst einmal zu verstecken. Er lehnte energisch ab. Seine Familie im Stich lassen, das kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Trotzdem musste eine Lösung her. An dem Tag, an dem er verschwand, sprach er mit deiner Mutter. Sie wusste, was er vorhatte, aber er verschwieg, wohin er gehen würde. Sie sollte nicht in Versuchung kommen ihm zu folgen. Er gab ihr auch den Rat, zur Polizei zu gehen, um ihn als vermisst zu melden und außerdem die Medien einzuschalten. Nur auf diese Art war es glaubhaft, dass ihr nichts von dem spurlosen Verschwinden eures Vaters wissen konntet. Die Drogenmafia würde euch in Ruhe lassen und euch nicht als Druckmittel verwenden.«
Rick entging der Blick von Sam nicht, als er ihre Mutter erwähnte.
»Du sagst, meine Mutter hat gewusst, dass mein Vater untertauchen würde? Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass er am Leben ist?«
Sams Stimme bebte vor Aufregung. Es war ihr anzusehen, dass sie Mühe hatte, nicht auf der Stelle auszuflippen. Rick versuchte sie zu beruhigen.
»Glaube mir, es war für dich das Beste, dass du nichts davon wusstest. Du warst zu der Zeit erst 15 Jahre, beinahe noch ein Kind. Sie wollte dich doch damit nur schützen.«
Sam schüttelte immer wieder den Kopf. Die ganzen Jahre hatte ihre Mutter es vor ihr verheimlicht.
Was für eine Bürde.
»Hast du denn immer mit ihr in Verbindung gestanden und sie über meinen Vater informiert?«
»Ja, das habe ich. Von Zeit zu Zeit sahen sie sich auch heimlich. Deine Mutter kannte nur nicht seinen Aufenthaltsort und so sollte es auch bleiben, bis jetzt.«
»Was meinst du damit? Ist etwas geschehen?«
»So ist es. Dein Vater ist verschwunden. In unserem üblichen Versteck ist er seit zwei Tagen nicht mehr aufgetaucht. Ich habe keine Ahnung, wo er sich im Augenblick aufhält.«