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WIE GROSS SOLL DIE GEMEINSCHAFT SEIN?

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Man könnte nun fragen: Wenn wir in einer Gemeinschaft am besten wachsen, warum sollen wir uns dann auf eine Zweierbeziehung beschränken? Wäre es nicht im Sinne der Liebe – die, wie manche selbsternannten Lehrer der Liebe gern betonen, frei fließen möchte –, diese Beschränkung auf eine Person aufzuheben? Wenn zwei Menschen zusammen mehr Hirn und mehr Herz besitzen als einer allein, hat man dann nicht in offenen Beziehungen noch größere Chancen, etwas über sich zu lernen und zu wachsen? Der Zeitgeist scheint das zu bestätigen, denn noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich über das Phänomen Polyamorie zu informieren oder es aktiv zu leben.

Wir, die Autoren, sind große Freunde des Lernens in Gemeinschaften. Unsere eigenen Erfahrungen haben immer wieder bestätigt, dass wir unser Potenzial besser entfalten können, wenn wir von anderen gesehen werden. Und das liegt nicht nur daran, dass wir dann mehr über unsere blinden Flecken oder über unsere Schwächen lernen. Das Schönste und viel Bedeutendere ist, dass andere Menschen auch unsere Schönheit sehen, die uns selbst so oft verborgen ist. Wir lernen von anderen auch mehr über unsere Stärken, manchmal sogar auf Gebieten, die wir selbst kaum in Betracht gezogen haben. Unser Leben wird umso reicher, je mehr wir wohlgesinnte Menschen auf uns schauen lassen. Und in der gleichen Weise können wir das Leben vieler Menschen bereichern, wenn wir sie mit Augen der Liebe betrachten.

Schwierig wird es allerdings, wenn wir die Gemeinschaft mit anderen auf romantische und sexuelle Bereiche ausweiten, auch wenn es eine wachsende Zahl von Veröffentlichungen darüber gibt, dass der Mensch biologisch nicht für die Monogamie gemacht sei. David Deida beschreibt, dass gerade Männer entwicklungsgeschichtlich ein größeres Interesse daran hatten, ihre Fortpflanzungskraft vielen Frauen zur Verfügung zu stellen, weil sie nur indirekt die Konsequenzen einer Schwangerschaft tragen mussten. Er betont allerdings, wie wertvoll es für den eigenen Weg ist, sich auf einen Partner festzulegen. Aber es gibt auch ethnologische Studien, die belegen, dass es vorteilhaft sein kann, wenn Frauen mehrere Liebhaber haben. Allerdings hat die oft zitierte Polyandrie, wie sie in einigen Regionen des Himalaya zu finden ist, in erster Linie eine soziale Funktion.

Was bedeutet das nun für uns? Adieu Zweierbeziehung? Führt die vollständige Befreiung der Liebe wirklich zu einem unbeschränkten Dasein, in dem wir unser Bett mit vielen Menschen teilen können? Und wenn wir das eigentlich gar nicht wollen, müssen wir uns dann von der romantischen traditionellen Idee verabschieden, um wirklich frei für die Liebe zu sein?

Wir können Ihnen diese Frage leider nicht beantworten, aber eine Einschätzung dazu haben wir. Wir verstehen Liebe nicht so, dass dabei nicht nur die eigenen Bedürfnisse nach Verbundenheit und Freiheit erfüllt werden sollten. Wir möchten auch unserem Partner das geben, was er braucht. Und ein zusätzlicher Liebespartner in einer Beziehung erzeugt in jedem Falle eines: Stress. Ob wir wollen oder nicht: Wir fühlen uns bedroht, wenn jemand in der Beziehung auftaucht, der vorher nicht da war. Das ist ein automatischer Prozess des Selbstschutzes, und das hat nichts mit einem „engen Ego“ zu tun. Es tut weh. Wollen wir unserem Partner das antun?

Und müssen wir uns das selbst antun? In Patañjalis Yoga-Sutras taucht der Begriff Brahmacharya, das Vermeiden von sexuellem Fehlverhalten auf, als eine der fünf Regeln für den Umgang mit anderen. Der buddhistische Lehrer Thich Nhat Hanh übersetzt diesen Begriff für die heutige Zeit mit „achtsamem Lieben“. Der Hintergrund bei beiden ist das Verständnis, dass wir mit unbeschränkter Sexualität sowohl unserem Partner als auch uns selbst Leid zufügen. Denn je mehr wir an unterschiedlichen Stellen Romanzen und Sex suchen, desto unruhiger wird auch unser eigenes Nervenkostüm. An klare Entscheidungen ist dann nicht mehr zu denken.

Manche sind sehr geschickt darin, eine „offene Beziehung“ als spirituellen Fortschritt darzustellen, während sie eigentlich der Befriedigung von narzisstischen Bedürfnissen nachgehen. Ken Wilber beschreibt das als die sogenannte „Prä / Trans-Verwechslung“. Regressives, infantiles Verhalten wird anderen – und einem selbst − als Transzendenz verkauft. Unter dem Mantel der Offenheit und der Liebe holt man sich selbst auf bequeme Weise das, was in der Partnerschaft nur durch Anstrengung – meist durch unbequeme Selbstoffenbarung – zu erreichen gewesen wäre. (Wie zum Beispiel nachlassender sexueller Anziehungskraft auf andere Weise begegnet werden kann, werden wir in den folgenden Kapiteln näher betrachten.)

Wenn wir uns nicht um unsere eigene emotionale Gesundheit bemühen, dann wird letztlich keine Form von Beziehung für uns funktionieren − weder Monogamie noch Polygamie. Interessant dabei ist auch, warum überhaupt manche meinen, für das eine oder das andere wissenschaftliche Begründungen heranzuziehen zu müssen. Wir möchten die ganze Diskussion bei einer einfachen Frage belassen: Braucht man die Wissenschaft, um seinem Herzen zu folgen?

Bereit für die Liebe!

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