Читать книгу Bereit für die Liebe! - Katharina Middendorf - Страница 26
GÖTTIN UND GOTT
ОглавлениеBevor wir uns die zweite interessante Sichtweise anschauen, müssen wir uns zunächst über die Begriffe klar werden, die wir verwenden wollen. Es mag auf den ersten Blick schwer zugänglich sein, hier mit den Wörtern „Göttin“ und „Gott“ zu arbeiten, weil in unserem Kulturkreis heutzutage die männliche Form „Gott“ in der Regel mit dem Absoluten gleichgesetzt wird. In der indischen Mythologie, wie auch bei den alten Griechen und Römern und in vielen anderen Kulturen, werden Götter oft auch als Persönlichkeiten mit bestimmten Eigenschaften gesehen − macht- und kraftvoll, aber nicht unfehlbar. In ähnlicher Weise sprechen wir hier von „Göttern“ und Göttinnen“ und meinen damit Qualitäten. Wir beten den anderen nicht uneingeschränkt an, sondern üben uns darin, ihn oder sie wertzuschätzen.
Im Alltag leben wir oft nebeneinander her, ohne uns darüber klar zu sein, wie reich beschenkt wir miteinander sind. Und das ist oft noch der glücklichste Fall, denn mitunter kann es vorkommen, dass wir uns fragen, warum wir den anderen überhaupt in unser Leben gelassen haben. Wenn wir in unserer Erinnerung zurückgehen in die Zeit, als die Beziehung begann, dann waren wir in den meisten Fällen sehr froh, dass dieser Mensch endlich aufgetaucht war und um uns geworben bzw. unser Werben angenommen hatte. Doch mit den Hormonen aus der Verliebtheitsphase ist nach einigen Jahren meist auch die romantische Sicht auf den Partner verschwunden. Können wir diese zurückholen? Und warum sollten wir das überhaupt tun?
Eine Antwort darauf finden wir in der Tradition des Bhakti Yoga, des „Yoga der hingebungsvollen Liebe“. Warum strotzen so viele Tempel auf der ganzen Welt vor Gold, Marmor und Geschmeide? Weil Menschen dies schön finden. Beim Anblick von Schönheit fällt es uns leichter, unsere Herzen zu erheben. Nun mag die Schönheit im Auge des Betrachters liegen, aber wir bestimmen eben auch, mit welchen Augen wir sehen wollen.
Im religiösen Leben ist es eine Voraussetzung, seinen Geist rein zu machen, indem wir etwas verehren, das wir bewusst über uns stellen. Damit ist ursprünglich nicht gemeint gewesen, dass wir uns zu kleinen Sündern degradieren. Zu einer spirituellen Praxis kann es genauso gehören, dass wir das Göttliche in uns selbst anschauen und erkennen. Dies sollte auch für unseren Partner gelten können. Wenn wir den anderen als Göttin oder Gott betrachten, dann wissen wir, dass der andere das ebenfalls tun kann. Dann können wir uns durch seine Augen genauso sehen.
Ist es nicht übertrieben, den anderen so zu erheben? Unser Partner hat doch offensichtlich auch eine Menge Fehler. Das mag sein, und wir können uns darauf konzentrieren. Das tut unser Geist aber in der Regel ohnehin ganz automatisch von selbst. Wir kommen im folgenden Kapitel noch ausführlich dazu, wenn wir uns mit den Denkfehlern beschäftigen. Wir lenken hier die Kraft der Gewohnheit eher in eine andere Richtung. Gerald Hüther bringt das wunderbar auf den Punkt, wenn er sagt, das Gehirn werde so, wie man es auf der Suche nach dem Glück benutze. Und wenn wir unseren Partner zur Abwechslung einmal nicht von dem Sockel herunterholen, auf den wir ihn in der Verliebtheitsphase gestellt haben, wenn wir ihn nicht innerlich runtermachen, sondern ihn dort oben lassen oder sie vielleicht sogar wieder dahin zurückstellen − wenn es noch nicht zu spät ist −, dann bietet sich unserem Geist ein ganz anderes Bild. Das wird dann kein Bild der Traurigkeit, sondern der Schönheit sein. Und es basiert nur auf unserer eigenen Entscheidung.
Je mehr Schönheit, je mehr Kraft, je mehr gute und wunderbare Eigenschaften wir bereit sind, in unseren Partner „hineinzusehen“, umso mehr konzentriert sich unser Geist darauf und umso eher werden wir diese auch erleben können. Vielleicht sind wir die Ersten, die unserem Partner dann überhaupt erlauben, solche Größe zu haben.
Und das strahlt sofort auf uns zurück. Denn wer sind wir, wenn wir mit einem göttlichen Wesen zusammenleben? Richtig: Wir sind nicht nur dessen Verehrer. Das sind wir auch, und das ist auch an sich schon etwas sehr Schönes, denn es ist auch eine Qualität, etwas verehren zu können. Ein Verehrer hat die Größe, sich selbst nicht als Zentrum des Universums zu sehen, sondern auch andere ins Licht der Aufmerksamkeit stellen zu können. Ein Verehrer hat Geduld, weil er um die Möglichkeiten der Kraft weiß, die in seiner Verehrung liegt. Und gleichzeitig hebt es uns auf die gleiche Stufe wie die Person, die wir verehren. Denn wenn wir das Göttliche in unserem Partner sehen, dann wissen wir, es ist auch in uns. In dieser Weise leben ein Gott und eine Göttin zusammen. Welch ein schönes Paar!
Ist das, was wir mit diesem Bild hier versuchen, nun hilfreich oder eher psychotisch? Wir meinen, dass es hilfreich sein kann. Da wir in der Regel von vielen unserer Bezugspersonen als Objekte gesehen werden – und wir diese oft auch als solche betrachten −, ist dieser Blick auf den Partner als ein göttliches Wesen ein Weg, ihn oder sie tatsächlich einmal als Subjekt wahrzunehmen. Das ist der Schlüssel, wenn diese Art der Sicht gelingen soll. Denn es geht nicht darum, den Partner zu idealisieren. Es geht auch nicht darum, so zu tun, als sei unser Partner perfekt, in dem wir ihm Attribute zuschreiben, die er gar nicht hat. Es geht letzten Endes darum, ihn so zu sehen, wie er ist. Und das tun wir normalerweise viel seltener, als es angemessen wäre. Warum also nicht einmal diese andere Sichtweise einnehmen?