Читать книгу Bereit für die Liebe! - Katharina Middendorf - Страница 24
WER IST MIT WEM ZUSAMMEN?
ОглавлениеIn einem großen Teil der Literatur zum Thema Liebe geht es darum, wie man seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse richtig kommuniziert. Das ist sicher richtig und wichtig. Das Wunder der Liebe zeigt sich aber gerade dann, wenn es nicht mehr nur um den eigenen Standpunkt geht. Wir können nur liebende Menschen sein, wenn wir auch zu uns selbst stehen können. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Aber müssen wir immer auf unserem eigenen Standpunkt beharren? Vielleicht liegt hier eine der größten Chancen der Liebe: vom anderen und für den anderen zu lernen und auch das Potenzial im anderen zu sehen. Wir werten damit nicht nur den Partner auf, wir stärken dadurch auch uns selbst.
In Bezug auf die Jahr für Jahr steigenden Trennungsraten und die gleichzeitig sinkende Zahl der Eheschließungen wird in Zeitschriften und Internetforen immer wieder eine Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt noch Partnerschaften? Sind langfristige emotional verbindliche Beziehungen eigentlich noch zeitgemäß? Oder beruhte das Konzept, ein Leben lang zusammenzubleiben, in Wahrheit nur auf der Vermeidung von wirtschaftlicher Unsicherheit und ist heute nicht mehr aktuell?
Aus welchem Grund sollten wir überhaupt an unseren Beziehungen „arbeiten“? Das hört sich zunächst einmal nicht gerade erstrebenswert an. Das Wort „Arbeit“ klingt im Zusammenhang mit Liebe nicht passend. Und da wir unsere Partner heute immer wieder frei wählen können, liegt die Frage nahe: Warum soll man in einer Beziehung bleiben, wenn sie anstrengend wird? Wenn wir nach der Maxime leben, stets unserem Glück zu folgen, dann sind auch Partnerschaften folgerichtig dafür da, das Leben einfacher zu machen, nicht schwerer. Wieso also an der Liebe arbeiten?
In der westlichen Welt kannten wir die Ehe vor allem als traditionelle Zweckgemeinschaft. Man fand sich zusammen, nicht nur um seine Lust ausleben zu können, sondern auch − und wohl in erster Linie −, um die wirtschaftlichen und familiären Aufgaben gemeinsam zu bewältigen. Da durch das moderne Sozialsystem und die damit verbundene Gesetzgebung wirtschaftliche Aspekte immer weniger eine Rolle spielen – welchen Sinn hat es dann noch, mit einem nörgelnden Quälgeist zu leben oder mit einem Partner, der sich nicht mehr um uns bemüht?
Welche Gründe gibt es überhaupt, in Erwägung zu ziehen, sein ganzes Leben mit einem Menschen zu verbringen?
Eine sehr schöne Erklärung für die Möglichkeiten, die eine langfristige verbindliche Beziehung wie die Ehe für die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit bietet, gibt es in der indischen Mythologie. Im Westen wird Liebe, die sich über die Jahre entwickeln soll, nicht selten als veraltetes Konzept belächelt. Andererseits haben wir im Laufe der Jahre viele Paare beobachten können, bei denen sich die Liebe tatsächlich so entwickelt hat, wie die folgende Idee es verdeutlicht.
Der indische Mythologe Devdutt Pattanaik beschreibt diese Idee nach einer mündlich überlieferten tantrischen Tradition: In einer Partnerschaft möge die Frau ihren Mann stets als ihren Lehrer sehen. Und der Mann möge seine Frau stets wie eine Göttin anschauen. Das klingt wie aus einem Märchen aus 1001 Nacht oder möglicherweise auch wie die rückwärtsgewandteste Patriarchatsfantasie, die man sich vorstellen kann. Deshalb finden wir, dass dies nicht geschlechtsabhängig gelesen werden, sondern in beide Richtungen für Mann und Frau gelten muss: Auch der Mann sollte seine Frau als Lehrerin ansehen und die Frau das Göttliche in ihrem Mann betrachten.
Wir können uns nun entscheiden, ob wir uns verschreckt von dieser Vorstellung abwenden wollen oder aber die Möglichkeiten und die Schönheit dieses Bildes ganz in unser Herz lassen: Lehrer und Göttin – Lehrerin und Gott. Klingt das nicht zauberhaft und verheißungsvoll, gerade in Zeiten, in denen wir dringend der Realität ins Auge sehen müssen? Die Liebe lebt davon, die Möglichkeiten zu sehen. Und wenn wir etwas beim Wachsen beobachten, können wir auch in unserer Vorstellung diesem Wachsenden Raum geben, um es so groß werden zu lassen, wie es will. Wenn unsere Kinder uns zum Beispiel ihre Wünsche mitteilen, dann antworten wir auch nicht sofort einschränkend mit: „Nun, vielleicht kannst du ja Taxifahrer werden“, wenn da eigentlich jemand Rennfahrer sein möchte. Wir stellen uns unsere Kinder im besten Fall so erfolgreich und glücklich vor, wie wir nur können. Können wir das Gleiche mit unserem Partner tun? Und mit uns selbst? Können wir uns unseren Partner als unseren Lehrer vorstellen? Und uns selbst als Göttin? Wenn nicht, dann ist es an der Zeit zu fragen: Warum nicht? Wenn ja, dann: Willkommen im Abenteuer der Liebe! Aber was bedeutet es überhaupt für uns, den anderen als unseren Lehrer zu sehen? Was haben wir davon, einen Lehrer zu haben?