Читать книгу Bereit für die Liebe! - Katharina Middendorf - Страница 25
LEHRER UND LEHRERIN
ОглавлениеWenn wir eine neue Fähigkeit erlernen wollen, machen wir das in der Regel mit der Hilfe eines Lehrers. Lesen, Schreiben, Fahrradfahren − all diese Fähigkeiten hat uns jemand beigebracht, als wir klein waren. Bei manchen Dingen sind wir davon überzeugt, sie uns selbst beigebracht zu haben. Aber selbst als Autodidakten haben wir in der Regel Vorbilder gehabt, an denen wir uns orientiert haben. In den meisten Fällen war es dabei wichtig, dass uns jemand gesehen hat und uns wertschätzend und geduldig gezeigt hat, wo wir gerade stehen und wie wir uns weiter entwickeln können. Vielleicht hatten wir nicht immer die besten Vorbilder, aber wir sind ins Leben gewachsen. Und wir lernen jeden Tag weiter, durch Freunde, Kollegen und Vorgesetzte, welches Verhalten gut ankommt und womit wir eher auflaufen.
Für je reifer und entwickelter wir uns selbst dabei halten, umso fester wird dabei jedoch in der Regel unsere Überzeugung, dass wir die richtigen Dinge tun bzw. die Dinge richtig tun und die anderen das Problem sind, wenn irgendetwas nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen. Mit zunehmendem Alter wächst in uns dann die Meinung, dass wir die einzigen Experten für uns selbst sind. Mitunter können wir dabei vergessen, dass wir „blinde Flecken“ haben, das heißt Stellen, die anderen an uns auffallen, uns selbst allerdings nicht. Das können zum Beispiel Verhaltensweisen sein, mit denen wir anecken und die uns gar nicht bewusst sind. Vielleicht haben wir sogar Gewohnheiten, mit denen wir andere verletzen, ohne dass wir das bemerken. (Dass wir gerade grausames Verhalten oft doch sehr wohl selbst bemerken und dabei sogar eine Art von Schadenfreude genießen können, steht auf einem anderen Blatt.2)
Manches, was uns an uns auffallen könnte, wäre einfach zu unangenehm für unsere seelische Hygiene, sodass wir es lieber ins Unterbewusste verschwinden lassen. Wir werden es dann meist nicht mehr selbst erkennen können. Mit anderen Worten: Wir sind oft zu nah dran an uns selbst, um uns selbst noch sehen zu können.
Wenn wir wirklich etwas über uns selbst lernen wollen – auch wenn das zunächst unangenehm werden kann –, müssen wir die bewusste Entscheidung treffen, die Wahrheit über uns und unsere Muster hören zu wollen. Wenn wir diese innere Verpflichtung eingehen, dann erlauben wir diesen unterbewussten Teilen, wieder ans Licht zu kommen. Wir werden dadurch vollständiger, und das ist schließlich vielleicht auch ein Teil unserer Lebensaufgabe.
Doch wer kann uns dabei helfen, wenn wir es selbst nicht sehen? Wir können externe Fachleute einschalten, also zum Beispiel einen Therapeuten konsultieren. Aber wenn wir in einer langfristigen, emotional verbindlichen Paarbeziehung sind, dann gibt es in dieser Partnerschaft normalerweise schon einen Experten, der uns die ganze ungeschminkte Wahrheit über uns selbst sagen kann. Und er sitzt nicht wie der Analytiker in der Therapie am Kopfende der Couch. Wenn er auf der Couch sitzt, dann neben uns vorm Fernseher. Er sitzt uns gegenüber beim Abendessen oder schaut uns in die Augen, wenn wir Liebe machen. Dies ist der Experte für uns selbst: unser Partner.
Das als eine Möglichkeit anzunehmen stellt einiges auf den Kopf. Denn bisher waren wir davon ausgegangen, dass wir die Experten sind, wenn es um uns selbst geht. Die gängigen Kommunikationstechniken, die wir bisher gelernt haben, um unsere Beziehungen zu verbessern, beruhen ja darauf, dass wir vor allem über uns selbst sprechen, nicht über den anderen. Das hat auch gute Gründe. Denn wenn wir emotional verstrickt sind, interpretieren wir häufig etwas in den Partner hinein und liegen damit oft falsch. So etwas wollen wir vermeiden, indem wir über uns sprechen, aber oft können wir nicht einmal uns selbst sehen.
Andererseits können wir in den Zeiten, in denen wir einigermaßen ausgeglichen und nicht allzu aufgewühlt sind, unseren Partner oft sehr klar sehen, auch da, wo er sich vielleicht selbst im Weg steht. Unser Partner kann das bei uns genauso. Warum sollten wir also die Einschätzung eines solchen Experten nicht anhören? Manchmal sieht der Partner uns besser als sich selbst. Umgekehrt können wir da, wo wir bei uns selbst blind sind, beim Partner sehen, was er oder sie macht. Und oft eben genau deswegen, weil wir es bei uns selbst verdrängt haben.