Читать книгу Bereit für die Liebe! - Katharina Middendorf - Страница 31
ОглавлениеDIE FÜNF DENKFEHLER
LEIDVOLLE EMOTIONEN
In den östlichen Philosophien sowohl des Buddhismus als auch des Yoga gibt es einen Begriff, der in unserem Zusammenhang eine Schlüsselrolle einnimmt. Es ist dort die Rede von den sogenannten Kleshas. Dieses Sanskritwort bedeutet wörtlich „Trübung, Leid, Schmerz“, und es sind damit mentale Schwingungen gemeint, die den Geist verdunkeln und die Grundlage bilden für all unser Leiden. Manchmal wird dieser Begriff auch mit „leidvolle Emotion“ oder „mentale Spannung“ übersetzt. Der wörtlichen Bedeutung des Wortes folgend, interpretiert man Kleshas auch als „Verunreinigungen“ und sogar als „Gifte“. Das klingt bedrohlich genug, um sie ernst zu nehmen. Wir wollen sie der Einfachheit halber hier „Denkfehler“ nennen. Und auch wenn diese Denkfehler bereits vor ein paar tausend Jahren von dem indischen Gelehrten Patanjali formuliert wurden, sind sie doch auch heute noch bedeutsam. Wenn wir auf sie achtgeben, dann können wir uns viel Ärger ersparen. Wie entstehen sie also? Und wie wirken sie in einer Beziehung?
GEDANKEN UND GEFÜHLE
Bevor wir zu den Denkfehlern im Einzelnen kommen, möchten wir uns kurz mit den beiden Begriffen „Gedanke“ und „Gefühl“ und deren Unterscheidung beschäftigen. Die Abgrenzung, was genau ein Gedanke ist und was ein Gefühl, wird von unterschiedlichen psychologischen Schulen unterschiedlich vorgenommen. Und es wird dabei auch in den Blick genommen, welcher Art und wie stark die Wechselwirkung zwischen diesen ist. Beeinflussen die Gefühle die Gedanken? Oder beeinflussen eher die Gedanken die Gefühle? Und ist eine der beiden Kräfte stärker als die andere? Haben Gefühle also möglicherweise stärkere Auswirkungen auf unsere Gedanken? Oder ist es eventuell umgekehrt?
Es gibt heute ein großes Angebot an Literatur, die Anleitung darin verspricht, wie man sich Wunder mit Gedankenkraft „beim Universum bestellen“ kann. Dass Gedanken tatsächlich die Kraft sind, die alles andere bedingt, ist eine etwas gewagte Interpretation. Trotzdem liegt der Schluss nahe, dass unsere Gedanken unsere Gefühle beeinflussen und sich dieser Einfluss schließlich sogar materiell manifestiert, zum Beispiel in unserem Körper. Wir denken an etwas, wir beurteilen es, und dies erweckt in uns ein Gefühl. Wenn dieser Prozess andauert, ändert sich unsere Stimmung. Dies kann wiederum eine Wirkung auf unseren Körper haben und sich zum Beispiel in unserer Haltung zeigen. Das macht verstehbar, warum chronische Krankheiten so häufig auf Stress basieren. Wenn wir also in Gedanken gefangen sind, beeinflusst das unsere Gefühle, und darunter leidet der Körper. Doch das ist keine Einbahnstraße. Es funktioniert jeweils in beide Richtungen. Auch unser Körper beeinflusst unsere Stimmungen und unsere Gefühle, und diese wiederum beeinflussen unsere Gedanken.
Während in alten östlichen Traditionen der Geist wie oben beschrieben als hauptverantwortlich angesehen wird, gibt es heute Untersuchungen, wonach nicht nur das Denken Einfluss auf die Gefühle nimmt, sondern auch die Gefühle auf das Denken.5 Das muss kein Widerspruch sein, denn mit „Geist“ ist hierbei nicht nur der Vorgang des Denkens an sich gemeint, sondern darüber hinaus auch die gesamte Haltung bzw. Einstellung zu den Dingen.
Um beides nun miteinander zu verbinden, sind unsere Werkzeuge in der Liebe und in unserem ganzen Alltag die Achtsamkeit und die Bestimmtheit unseres Entschlusses. Also die Entscheidung, einen bestimmten Weg zu gehen, und die Achtsamkeit darauf, was unterwegs geschieht. Diese Achtsamkeit bezieht sich aber nicht nur auf unseren Entschluss, denn dieser führt uns, wie wir gleich sehen werden, oft hinters Licht. Die Achtsamkeit bezieht sich auf unser ganzes Sein − unser Denken, unsere Gefühle und bis hin zu den kleinen Signalen unseres Körpers und wie wir mit ihm umgehen. Die Möglichkeiten, unter unserem Denken zu leiden, sind groß, aber unsere Wachheit dafür kann es auch sein. Und deshalb sind wir unserem kritischen Geist nicht ausgeliefert.
Die Gedanken in unserem Kopf sind nicht von Natur aus leidvoll. Das werden sie erst, wenn wir beginnen, die Dinge zu beurteilen. Wie geschieht das? Welche „Gifte“ sind das, die da in unserem Geist aktiv sind? Je nachdem welcher Schule des Geistes man folgt, gibt es unterschiedliche Sammlungen von Kleshas. Sorgen, Ängste, Wünsche und viele andere Aspekte werden darunter zusammengefasst. Doch auch wenn die verschiedenen Lehren sich leicht darin unterscheiden, wie viele dieser leidvollen Spannungen sie aufzählen, einer dieser Geisteszustände wird sowohl im Buddhismus als auch im Yoga als Wurzel aller anderen mentalen und seelischen Probleme genannt: Avidya – das Nichtwissen. Damit ist nicht Unwissenheit im Sinne mangelnder Intelligenz oder fehlender Bildung gemeint. Es ist damit gemeint, dass unser Wissen auf einer falschen Wahrnehmung der Realität basiert. So wird Avidya zum Ursprung aller daraus folgenden Denkfehler. Wie sieht das praktisch aus?
DENKFEHLER NR. 1: AVIDYA − „ICH WEISS BESCHEID.“
Avidya, das Nichtwissen, wird als das Missverständnis über die Natur der Wirklichkeit betrachtet. Das klingt zunächst kompliziert; leuchtet aber auch schnell ein, dass so eine Kraft uns das Zusammenleben in einer Partnerschaft schwer machen kann. Werden wir ruhig kurz etwas philosophisch: Die Unwissenheit, von der hier gesprochen wird, bezieht sich auf die Existenz aller Dinge. Wir halten das, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können, für real, zum Beispiel einen Tisch. Dabei bekommt dieser seine Bedeutung erst durch die Bezeichnung oder Bewertung, die wir ihm geben, sonst wäre es einfach nur „ein Haufen Holz“. Es ist also nichts aus sich selbst heraus so, wie es ist. Wir „erschaffen“ sozusagen erst durch unsere Benennung und Bewertung etwas, das wir für Realität halten.
Uns allen erscheint es nun im Alltagsbewusstsein so, als gäbe es ein „Ich“, das von den anderen Menschen getrennt ist. Wir denken: Das bin „Ich“, und ich bin einzigartig. Und alle anderen sind „Nicht-Ich“. Das ist der Beginn dualistischer Wahrnehmung: Es gibt „mich“, und es gibt die „anderen“. Diese Wahrnehmung erleichtert zunächst die Orientierung in allen praktischen Dingen des Zusammenlebens. Es gibt da zum Beispiel Dinge, die wir haben wollen, und Dinge die wir nicht haben wollen; es gibt Zustände, die wir erleben wollen, und Zustände, die wir nicht so gern erleben wollen; und es gibt Menschen, mit denen wir zu bestimmten Zeiten zusammen sein wollen, mit denen wir zu bestimmten Zeiten nicht zusammen sein wollen oder in deren Gesellschaft wir überhaupt nicht sein wollen. Es gibt also eine Unmenge an Kombinationsmöglichkeiten von Erfahrungen, die wir erleben oder vermeiden wollen. Unser Gehirn ist dabei die ganze Zeit damit beschäftigt zu wählen.
Das Wort „wählen“ scheint mit Freiheit verbunden zu sein, doch unser Geist ist von Geburt an darauf trainiert worden, so auszuwählen, dass angenehme Erfahrungen möglichst wiederholt und unangenehme Erlebnisse vermieden werden. In einer bestimmten Situation empfinden, denken, und handeln wir auf eine bestimmte Art und Weise. Wenn das funktioniert hat, wiederholen wir es von nun an. Hier kommt nun ein weiterer Aspekt von Avidya zum Tragen: Unser Nichtwissen bezieht sich auch auf den Rahmen, innerhalb dessen wir unsere Erfahrungen machen. Durch unsere Konditionierung sind wir eben nicht immer „frei“ in unserer Wahl. Da wir mit unserem Alltagsbewusstsein nicht die Einheit aller Dinge erleben, leben wir ständig aus einem Bewusstsein heraus, das wie in einen Käfig eingeschlossen ist. Die Vorgänge in unserem Kopf beruhen auf vergangenen Erfahrungen und Eindrücken. Das Vorziehen des Angenehmen und das Ablehnen des Unangenehmen beruhen beide auf der Erinnerung an Situationen, die bereits hinter uns liegen. Dadurch ist unser Geist stets „gefangen“ in der Vergangenheit.
Unsere Neigungen und Abneigungen werden dadurch über die Zeit immer festgefahrener. Wir sind stets von alten Eindrücken geprägt. Und da unsere Wahrnehmung in der Regel recht eingeschränkt und ichbezogen ist, können die Eindrücke uns täuschen. Wir beharren auf unserer Meinung, weil wir sie für die Wahrheit halten. Aber die Wahrheit über uns, unseren Partner und die Beziehung ist mehr, als ein Einzelner erfassen kann. Das Problem dabei ist: Sobald wir im „falschen Verstehen“ sind, können wir nicht mehr sehen, dass unsere ganze Wahrnehmung von eben diesem beeinflusst ist. Das prägt dann auch alle unsere Handlungen, die wir aus dem falschen Verstehen heraus begehen. Wenn wir uns aber andererseits entscheiden, Avidya als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, und auch bereit sind, hinzuschauen, zu bleiben und nicht zu gehen, dann gehört auf einmal alles, was zwischen uns und dem Partner geschieht, zum Weg der wirklichen Selbsterkenntnis. Wenn wir den Schleier der einschränkenden Wahrnehmung gelüftet haben, ist es möglich, den Ursprung unseres Handelns und dessen Folgen zu sehen. Und es ist nicht nur so, dass wir unsere Umwelt „falsch“ wahrnehmen, sondern wir missverstehen uns auch sozusagen „selbst“, denn wir gehen davon aus, dass die alten Eindrücke und Muster unser wirklicher Kern sind. Doch es ist möglich, dieses „Missverständnis“ auszulösen. Dabei haben wir – wenn wir die Entscheidung getroffen haben, neue Wege zu gehen, und die Kraft gesammelt haben, das auch zu tun – immer wieder die Möglichkeit, aus einer anderen Perspektive auf unseren Handlungsspielraum zu schauen. (Dazu später mehr im Kapitel über die „Spielfelder“.)
DENKFEHLER NR. 2: ASMITA − „ES GEHT UM MICH.“
Das oben beschriebene Nichtwissen wird in den Yoga-Sutras des Patanjali beschrieben als ein Zustand, in dem wir „das Nicht-Selbst für das Selbst halten“. Durch die enge Grenze, die wir um uns ziehen, bekommen wir in der Regel eine feste Vorstellung von unserem „Ich“. Asmita meint nun die falsche Identifikation mit diesem Gebilde. Es wird auch übersetzt mit „Ichheit“ oder „Ichgefühl“. Wir nehmen uns selbst in meist recht eindeutiger Weise wahr. Wir haben so viel erlebt, dass wir uns eine Vorstellung davon aufgebaut haben, wer wir sind. Damit identifizieren wir uns, und sind auch bereit, diese Persönlichkeit gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Es kann jedoch aufgrund unseres Nichtwissens schwierig sein zu erkennen, was tatsächlich ein Angriff ist und was nicht. Im weiteren Sinne bedeutet Asmita auch die Identifikation mit einem momentanen Gefühl. Wir kennen das, wenn wir etwas im gegenwärtigen Moment erleben und dann schnell zu dem Schluss kommen, dass dies jetzt unsere wahre Persönlichkeit ist.
Wenn es uns gelingt, darin einen Moment innezuhalten und unvoreingenommen da zu sein, dann kann sich durch diese bewusste Bemühung für kurze Zeit eine Art Fenster öffnen, durch das wir uns wirklich selbst wahrnehmen können: Wir bekommen dann eine Ahnung davon, wie es wäre, wenn wir tatsächlich frei wären, das heißt ohne die Konditionierungen und Muster der Vergangenheit. Doch der Schleier wird sich meist schnell wieder darauflegen, bis wir irgendwann so viel geübt haben, dass der Schleier immer weniger an uns haftet. Der Nebel wird dann noch eine Zeit lang da sein, aber er liegt hinter uns und versperrt nicht mehr die Sicht.
Wenn man sich diesem Konzept das erste Mal widmet, erscheint es zugegebenermaßen ganz schön trocken. Aber es lohnt sich zu versuchen, gerade diese ersten beiden Begriffe – Avidya und Asmita − zuerst mit dem Verstand zu erfassen und dann einfach sein Herz für die Möglichkeit zu öffnen, dass hier ein großer Schatz verborgen liegt.
Wenn wir das ernst nehmen, was Mystiker wie zum Beispiel Bernhard von Clairvaux sagen, nämlich dass wir uns durch die Liebe im anderen erkennen und mit ihm eins werden können, dann ist es nur verständlich, warum so viele sich danach sehnen.
Doch oftmals wünschen wir uns die Verschmelzung mit dem anderen, weil dies die Auflösung der wahrgenommenen Persönlichkeit verspricht, die wir als begrenzt und einengend empfinden. Um uns innerhalb dieser Persönlichkeit gut zu fühlen, versuchen wir positive Erfahrungen zu machen und negative zu vermeiden. Dabei müssen wir schon deshalb scheitern, weil wir aufgrund von Avidya an der falschen Stelle suchen. Alles, was wir für erstrebens- oder ablehnenswert halten, ist seiner Natur nach nicht real und bestenfalls vorübergehend und flüchtig. Trotzdem versuchen wir ständig, unsere Welt und unsere Umwelt zu kontrollieren, damit es uns gut geht.