Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 22

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Dienstag, 19:08 Uhr, Polizeipräsidium, München

Er hatte so leise die Tür geöffnet, dass Rita ihn nicht bemerkte. Konzentriert saß sie vor dem Bildschirm ihres Computers, ihr Gesicht bläulich-grau beleuchtet, weil sie kein Licht gemacht hatte.

»Und das ist alles?«, fragte Rita den Monitor.

»Ja, im Moment schon. Aber wir arbeiten mit Hochdruck daran. Es wird bald mehr folgen. Versprochen!«, antwortete eine Frauenstimme.

Jens Kessler trat nun ganz ins Zimmer. Er war ein dunkler Schatten und hätte vermutlich durch sein plötzliches Auftauchen jeden erschreckt – jeden, nur nicht Rita Hubschmied. Sie hob lediglich ihren Kopf, sah ihn einen kurzen Augenblick an und wandte sich dann gleich wieder ihrer Gesprächspartnerin zu.

»Ist gut, Renate. Zumindest haben wir nun ein paar Hintergründe, mit denen wir arbeiten können. Übrigens ist Kessler endlich eingetroffen. Möchtest du ihm noch etwas sagen?«

Jens hob abwehrend die Hände. Er hatte keine Lust, sich jetzt mit gleich zwei Frauen auseinanderzusetzen, die ihn in ihrer Kommunikationsbereitschaft mit Hang zu Belanglosigkeiten und gleichzeitigem Sprechen, nur nervös machen würden. Trotzdem ging er um den Schreibtisch herum. Er wollte zumindest wissen, wer diese Renate war und erkannte mit Erstaunen Frau R. Heinen wieder, die gerade live ihr Headphone zurechtrückte und ihm ernst entgegenblickte.

»Guten Abend, Herr Kessler«, grüßte sie artig. »Ich bin bereits mit dem vorläufigen Bericht durch und habe Ihnen und Rita alles auch schon aufs Handy, respektive an Ihre SOKO-Accounts geschickt. Leider muss ich jetzt noch etwas anderes tun und verbleibe einmal mit freundlichen Grüßen bis zum nächsten Mal.«

Jens Kessler öffnete verblüfft den Mund. Manchmal lag er eben falsch, was seine Einschätzung gegenüber schwatzhaften Frauen betraf.

»Ihnen auch noch einen schönen Feierabend!«, sagte er schnell, hörte ein Aufschnauben, sah ihr spöttisches Gesicht und dann war sie verschwunden. Zurück blieb ein Bildschirm, dessen Desktop mit so vielen Icons, Ordnern und PDF-Dateien zugekleistert war, dass ihm ganz schwindlig wurde. Rita hatte offensichtlich hart gearbeitet, wenn man dieses Chaos als Indikator nehmen konnte. Da er aber ein Freund der Ordnung und Struktur war, ertrug er es keine Sekunde länger, den mehr als bunten Bildern, aufpoppenden Hinweisen auf Backups und laufenden Downloads ausgeliefert zu sein. Rasch drehte er sich daher um und suchte erst einmal den Lichtschalter.

»Du hasst mich, hab ich Recht?!«, kam gleichzeitig mit der Erhellung des Raumes Ritas Feststellung.

Jens Kessler drehte sich langsam zu ihr um, sah sie aber nicht an und holte stattdessen sein frisch gekauftes Päckchen Zigaretten aus der Manteltasche, um es zu öffnen.

»Und du rauchst!«, bemerkte sie.

Er seufzte, schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und suchte nach dem Feuerzeug.

»Wie wäre es, wenn du mir klipp und klar sagen würdest, woran ich bin! Wo ich stehe!«

Die Flamme zischte auf, glühte die Zigarettenspitze an und fraß sich in das Papier, in den Tabak.

»JENS!«, rief sie genervt. »Ich ertrag es nicht mehr. Du behandelst mich wie Luft! Lässt mich seit Stunden allein hier rumhängen. Gehst nicht an dein Handy. Wo warst du, verdammt noch mal, die ganze Zeit?«

Die Spur Verzweiflung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Obwohl sie ihm tapfer entgegenblickte, musste er mit Erstaunen feststellen, dass sie kurz davor war, den harten Panzer abzuwerfen und ihren kleinen weichen Kern zu zeigen. Jens Kessler ging zu einem Stuhl, nahm ihn sich und zog ihn geräuschvoll zum Schreibtisch. Den Rauch ausblasend nahm er Platz. Dann griff er nach dem erstbesten, was vor ihm lag – einem Stapel ausgedruckter Fotos.

»Rita!«, begann er und richtete sein Auge demonstrativ auf das oberste Bild. »Ich habe heute Nachmittag beschlossen, wieder mit dem Rauchen anzufangen.«

Der Anfang war schwach. Das wusste er selbst. Und das Foto war grauenvoll. Wie oft musste er sich denn noch dem Anblick abgetrennter Köpfe aussetzen? Sofort ärgerte er sich über die Zigarette in seiner Hand, da es so etwas umständlich war, gleichzeitig die Aufnahme des Hamburger Enthaupteten wegzulegen, um sich dem nächsten Bild widmen zu können. Dieses war dann glücklicherweise schon viel besser. Hier war das Opfer in voller Lebensgröße, verhalten lächelnd neben einer wunderschönen Sandburg und einem trotzig dreinschauenden Jungen am Strand zu sehen. Sie hatten ihn also endlich gefunden, den Namen- und Kopflosen.

»Und ich hab dich nicht rumhängen lassen. Ich halte es nur für Zeitverschwendung, wenn jeder Schritt, den ich mache via Telefonieren oder SMS dokumentiert werden muss. Das hält auf und nervt total. Und wenn es dich beruhigt, dann sage ich dir, dass ich einiges erledigt habe. Zuerst war ich in der Pathologie. Dann habe ich zu Mittag gegessen. Diese Klöße aus Brötchen sind übrigens ganz vorzüglich. Danach habe ich mir den Fundort zeigen lassen. Und dann war ich im Hotel und hab mich ein wenig frisch gemacht.«

»Wie schön für dich!«, lachte sie leise und freudlos. »Semmelknödel und sich etwas frisch machen?! Das hätte mir auch gut gefallen. Vermutlich hast du anschließend noch ein kleines Nickerchen gehalten – Tja, das erklärt auch, dass du nicht zu erreichen warst.«

Sie hatte voll ins Schwarze getroffen. Doch Jens Kessler war nicht in Stimmung, sich weiter rechtfertigen zu müssen.

»Und ich hasse dich nicht!«, lenkte er auch gleich ihre Aufmerksamkeit auf den ersten Vorwurf, der diese unerfreuliche Diskussion eingeleitet hatte.

»Aber?!«, sprang sie sofort an und zwang ihn zu weiteren Ausführungen.

»Aber ich bin enttäuscht von dir. Du hast dich äußerst unprofessionell verhalten. Da ist es wohl naheliegend, dass ich etwas skeptisch bin.«

»Skeptisch? Nun, so hätte ich deine Haltung mir gegenüber nicht gerade beschrieben. Und für meinen Fauxpas, den du mir wohl nie vergeben wirst, habe ich mich bereits dauerhaft entschuldigt!«, zischte sie. »Gleich während des Meetings, die ganze Zugfahrt hindurch und heute Morgen vor und nach dem Besuch beim Polizeidirektor. Und wenn du möchtest, dann sage ich es eben noch einmal: ES! TUT! MIR! LEID!«

Auf dem nächsten Foto sah man das Opfer mit stolz geschwellter Brust einen riesigen Aal hochheben. Jens hasste Aal, hasste die verfahrene Situation, zog wieder an der Zigarette und beachtete die Asche nicht, die auf den Linoleumboden fiel.

»Du bist nicht enttäuscht! Das könnte ich noch verstehen. Weißt du, was ich mittlerweile wirklich glaube? Du bist einfach nur nachtragend, extrem unversöhnlich und dabei so arrogant, dass es wehtut!«, bemerkte sie kalt. »Du hast wohl noch nie einen Fehler gemacht, was?!«

»Verflucht, Rita!«, knurrte er. »Vielleicht bin ich nachtragend. Vielleicht bin ich der Elefant, der nie vergisst und alles niedertrampelt, wenn er es für nötig erachtet. Fakt ist, du hast dich MIR in den Weg gestellt und MEINE Arbeit behindert! Aber um dich zu beruhigen, ich bin es mittlerweile so was von müde, noch eine einzige Entschuldigung von dir zu hören. Wir sollten damit aufhören – da gebe ich dir Recht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Wir müssen am gleichen Strang ziehen, doch dazu muss ich dir vertrauen. Mehr noch, ich muss mich tausendprozentig auf dich verlassen können! Glaubst du, dass du das diesmal hinbekommst?«

Sie war blass geworden, hatte die Lippen zu einem Strich zusammengepresst, wollte deren verräterisches Zittern unterdrücken und konnte daher nur still nicken.

»Na gut«, brummte er. »Hier kommt deine zweite Chance. Ich begrüße dich herzlich im Team und hoffe auf gute Zusammenarbeit, ohne Extrawürste und Solo-Kapriolen.«

Eine Träne. Erstaunt sah er, wie sich doch tatsächlich eine kleine Träne aus ihrem Auge stahl, die Wange hinabrollte, am Kinn ankam und auf ihre weiße Bluse tropfte.

»Gut!«, meinte er, wobei nicht ganz klar war, ob er mit seiner Ansprache oder ihrem emotionalen Einknicken zufrieden war. »Und jetzt an die Arbeit. Hast du zufällig hier einen Aschenbecher gesehen?«

»Nein«, murmelte sie mit rau belegter Stimme. »Hier herrscht im ganzen Gebäude absolutes Rauchverbot. Aber ich halte dir natürlich den Rücken frei und kann bis zu deiner Verhaftung mit meinem Kaffeebecher aushelfen.«

Der Henker von Bad Berging

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