Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 21
ОглавлениеDienstag, 18:17 Uhr, Polizeirevier, Bad Berging
Stefanie Voglers Laune hatte sich um keinen Deut gebessert. Zwar konnte sie den Grund ihrer negativen Gefühle nicht mehr auf das Wetter schieben, da es mittlerweile schon längst aufgehört hatte zu regnen. Jetzt lächelte sogar die Herbstsonne milde durch ihr Fenster. Aber die Tatsachen, dass diese dabei gerade am Untergehen war und die Scheiben unbedingt wieder einmal geputzt werden müssten, machten Stefanie sogar noch ärgerlicher.
»Herr Kommissar!«, rief sie erbost, doch sie hatte Pech. Ihr Chef war offenbar nicht in Hörweite. Dafür steckte aber Werner Hammer den Kopf durch ihre Tür und biederte sich nicht nur durch seine Anwesenheit, sondern besonders durch sein fröhliches Grinsen, regelrecht als Ersatz an.
»Grüß dich, Steffi!«, ignorierte er ihren funkelnden Blick und schlenderte auch gleich an den Schreibtisch. »Du, sag, is the Big Boss da?«
Stefanie holte Luft, wollte ihn verbal zur Schnecke, zur Sau, zu jedem Tier auf der Welt machen, kam jedoch nicht dazu, denn er zwinkerte auch gleich schon auf seine spezielle Hammerart, was nur eines bedeuten konnte – er hatte eine besonders gute Klatschgeschichte zu erzählen. Sie war einen Augenblick lang hin- und hergerissen. Einerseits konnte sie mit ihren zickigen Seitenhieben und direkten Angriffen fortfahren, anderseits konnte sie ihm aber auch die Chance geben, sie mit einem vielleicht sogar delikaten Bericht aus diesem Loch der Frustration herauszuholen, oder zumindest etwas aufzuheitern. Da sie es mittlerweile müde war, ihren negativen Gefühlen freien Lauf zu lassen, entschied sie sich für Möglichkeit Nummer zwei und nickte Hammer zu, der der Aufforderung sofort nachkam.
»Dein Tipp mit dem Englischkurs war übrigens super!«, begann er grinsend, schwang sich halb auf ihren Tisch, drückte seinen prallen Oberschenkel ungerührt gegen einen Stapel Akten und stützte sich mit dem rechten Arm ab. Dadurch hatte er es halbwegs kommod, sodass er sich leicht nach vorne neigte, ihr viel zu vertraulich und vor allem viel zu nahe kam. Instinktiv lehnte sie sich zurück, bemüht aus dem Dunstkreis seines schlechten Kaffeeatems zu kommen. Mit der Stuhllehne stieß sie dabei gegen die Fensterbank. Hammer, unsensibel wie er nun einmal war, ignorierte diese unmissverständliche Haltung und ging sogar soweit, dass er sich noch weiter zu ihr vorbeugte und nun fast schon quer über der Tischplatte lag.
»Die Lehrerin – Miss Kitty – ist eine Granate!«, erklärte er begeistert.
»Miss Kitty?«, wiederholte Steffi verdutzt und rutschte dabei ein paar Zentimeter mit ihrem Stuhl nach links. »Sag mal, findet dein Unterricht etwa in diesem Saloon in der Nähe vom Wildpark statt? In diesem Black-Buffalo-Cactus-Club?«
»Hä? Quatsch! Natürlich nicht. Die Sprachschule hat doch für den Abendkurs Räume im König-Ludwig-Gymnasium angemietet. Aber jetzt wo du es erwähnst, also Western, Film und so. Miss Kitty hat tatsächlich erstaunliche Ähnlichkeit mit einer von den ganz großen Divas.«
»Diva? Oh, dann ist die Dame wohl schon älteres Semester!«, konnte sich Steffi den Einwurf nicht verkneifen.
»Naja, des scho. De is hoit ned mehr so resch wia du.21 Eher so im Alter vom Chef, aber dafür hat sie sich fantastisch gehalten. Die hat ordentlich Holz vor der Hütt’n22 sag ich dir und auch der Rest is einfach … Wow!« Ihm fehlten offenbar die richtigen verbalen Beschreibungsmöglichkeiten. Schnell glich er diesen Mangel pantomimisch aus, indem er mit großzügigen, wellenförmigen Handbewegungen darstellte, damit jeder – es sei denn es handelte sich um einen bedauernswerten Blinden – verstand, dass er von einer sehr gut gebauten Dame sprach. Steffi verkniff die Lippen. Sie war heute besonders anfällig, was den diskriminierenden Sexismus ihrer hauptsächlich männlichen Kollegen betraf, wollte schon etwas dazu sagen, aber Hammer war mittlerweile zu sehr in Fahrt und schwelgte in seliger Erinnerung an seinen ersten Schultag.
»Ein prächtiges Weibsbild, nicht wahr? Also wie dieser berühmte, heiße Feger, aus … Ähm, also diese … Zefix, wie hieß die noch? Warte, ich komm gleich auf den Namen. Herrschaftszeiten … Du weißt schon, wen ich meine, oder? Die, die mit diesem weißhaarigen Ölbaron verheiratet war, sich dann aber hat scheiden lassen, weil der was mit seiner Sekretärin hatte …«
»Hammer, rück mir nicht so auf die Pelle!«, schimpfte Steffi, doch leider ohne große Wirkung. Hammer konnte sich bekanntlich immer nur auf eine Sache konzentrieren und die war im Moment leider die Suche nach einem Namen.
»Sprichst du jetzt eigentlich von einem Film, einer Fernsehserie oder vom wahren Leben?«, versuchte sie halbherzig ihm auf die Sprünge zu helfen, und nahm dabei schnell die Schere, die sie gleich wie eine Waffe fest umklammerte, um sie gegebenenfalls zu benutzen, falls er sich noch weiter zu ihr beugte.
»Natürlich eine Serie!«, erklärte Hammer pikiert und starrte auf die Schere. Offensichtlich arbeitete sein Gehirn wieder mehrspurig, und endlich lehnte er sich etwas zurück.
»Steffi, Steffi, Steffi. Ich hab es ja nicht glauben können, als der Krautschneider mir erzählt hat, dass du heute etwas bissgurkig bist, aber nun! Tztztztz!«
Er sah sie bekümmert an und schüttelte den Kopf.
»Er hatte wohl Recht. Du siehst gar nicht gut aus. Soll ich mir jetzt Sorgen machen? Was is denn los, Madl?«
»Nichts!«, erwiderte sie scharf.
Nichts, was du verstehen würdest und was dich anginge, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Na dann!«, nahm er es gutmütig hin und da er mit seiner Geschichte noch nicht fertig war, fuhr er auch gleich fort. »Der Chef war übrigens auch ganz angetan von ihr. Hat sich voll ins Zeug gelegt. Ständig hat er sich gemeldet und gefreut, wenn sie ihn gelobt hat!«
»Ach!«, bemerkte Steffi und Hammer sah mit Entzücken, dass sie jetzt endlich lächelte. Zwar bildeten ihre Mundwinkel strenggenommen eigentlich nur einen spöttischen Bogen, aber er wertete es als eindeutig positive Reaktion. Endlich schenkte sie ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Sollte er sie nun mit weiteren Maus-schwärmt-für-die-Lehrerin-Geschichten bei Laune halten?
»Und dich hat sie wohl gleich in die Ecke gestellt!«, sagte sie und Hammer kam nicht umhin, eine Spur Sarkasmus herauszuhören. Trotzdem lachte er, wunderte sich dabei aber etwas über ihren komischen, so schadenfrohen Gesichtsausdruck und die Tatsache, dass sie an ihm vorbeiblickte – zur Tür hin. Plötzlich kam ihm ein böser Verdacht. Schnell drehte er sich um und das Lachen blieb ihm im Halse stecken. Dort stand niemand anderer als Kommissar Maus.
»Hammer?!«, begann dieser grimmig. »Es wundert mich, dass Sie hier herumlungern, obwohl ich vor einer Stunde gesagt habe, dass Sie sich der Sache mit den verschwundenen Haustieren annehmen sollten.«
»Äh, ja, klar Chef. Äh, ich mein, das hab ich schon erledigt. Ich hab eine picobello Liste getippt, mit Besitzern, Adressen und Stellen, wo die Viecher verschwunden sind … und so …«
»Ach, und welche Stellen sind das denn und so?«, fragte Maus gedehnt und bemerkte mit Genugtuung, dass es seinem Untergebenen gar nicht wohl in der Haut war.
»Verschiedene. Also, hier und dort quasi. Mal im Stadtpark, mal am Waldrand, mal auf dem Acker vom Bauer Huber, mal direkt aus dem Garten.«
»Na, dann will ich Sie nicht weiter aufhalten!«
Hammer öffnete verblüfft den Mund, da es offensichtlich war, dass er mit dieser Bemerkung nichts anzufangen wusste.
»Was der Herr Kommissar gerade gemeint hat, … «, übersetzte Steffi genüsslich. »… ist, dass du dich mal auf den Weg machst und die Tatorte in Augenschein nimmst.«
»Echt jetzt? Alle?«, rief Hammer verwirrt, aber egal zu wem er auch schaute, in beiden Gesichtern stand unmissverständlich die gleiche Botschaft: An die Arbeit! Geräuschvoll seufzend stieß er sich vom Tisch ab, ging mit hängendem Kopf zur Tür, warf dabei noch einen scheelen Blick in Kommissar Maus regloses Gesicht und verließ traurig das Zimmer. Der Beginn seines wohlverdienten Feierabends war in weite Ferne gerückt.
»Das war der Höhepunkt meines Tages«, kicherte Stefanie Vogler, als Hammer außer Hörweite war. »Danke Chef, Sie haben endlich wieder die Sicht auf die schönen Dinge gelenkt.«
»Die da wären?«, fragte er schmunzelnd.
»Nun, Nervensägen und Tratschtanten vorzuführen, das Leben von der humorvollen Seite zu betrachten und nichts mehr so eng zu sehen, es sei denn, es ist unerlässlich und wichtig genug.«
»Hm, apropos wichtig. Ich war heute Mittag in der Buchhandlung und da haben die mir gesagt, dass Ihre Bestellung da sei. Ich war so frei und habe Sie Ihnen mitgebracht. Moment, ich hole sie gleich mal.«
Stefanie lächelte und es war das erste ehrliche Lächeln dieses Tages. Ihr Chef war ein Goldstück, wenn es darauf ankam. Kurze Zeit später riss sie auch schon ungeduldig an der Plastikfolie, in der das Buch eingeschweißt war. Sie war ganz zappelig, wollte endlich darin blättern und mit dem Lesen beginnen.
»Wer ist dieser Kerl eigentlich?«, fragte Maus, der beobachtete, wie sich ihre Wangen vor Aufregung röteten.
»Wer?« Steffi schaute überrascht auf.
»Na, der blonde, bärtige Autor, dessen Bild da so plakativ die ganze Rückseite Ihres Wälzers einnimmt und der mit seiner Augenklappe sehr an einen Seeräuber erinnert.«
»Ach, der?«, seufzte sie und schaute nun ihrerseits das erwähnte Foto an. »Das ist Jens Kessler. Ein toller Mann, nicht wahr? Noch dazu ist er ein begnadeter Profiler. Ach, Herr Kommissar, Sie sollten das auch unbedingt mal lesen. Der Mann ist bahnbrechend auf dem Gebiet der Kriminalistik. Von dem können selbst Sie noch einiges lernen!«
21 Naja, das schon. Die ist halt nicht mehr so knackig wie du.
22 Umschreibung für Körbchengröße Doppel D