Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 23

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Dienstag, 19:14 Uhr, Rossweg 19, Bad Berging

Kommissar Maus öffnete die Kühlschranktür und blickte kritisch auf die wenigen Produkte, die dort vor sich hinfroren. Das hatte er nun davon, mit Inga verheiratet zu sein. Sie war eben mit Leib und Seele Ornithologin und hatte daher nicht allzu großes Verständnis für profane Dinge, wie sich um vorgekochte und in Tupperware abgefüllte Mahlzeiten zu kümmern, wenn sie ihren Mann für einige Zeit allein ließ.

Misstrauisch tastete Maus eine Tüte ab. Nein, das war eindeutig ein Meisen-Knödel. Vermutlich hatte sie diesen für ihre Biologie-AG-Gruppe in der Grundschule selbst gemacht und zum Festwerden hier reingelegt. Sein Blick fiel auf ein Päckchen, das im Papier einer hiesigen Metzgerei eingeschlagen war. Hier konnte sich durchaus etwas Essbares verbergen. Schnell griff er danach und öffnete es.

Weißwürste!?

Vorsichtig schnüffelte er an ihnen. Ja, die waren noch halbwegs frisch und mussten eindeutig weg. Aber um diese Tageszeit? Er würde wohl die Rollläden herunterlassen und am besten bei totaler Verdunkelung sein Abendessen genießen müssen, damit die Nachbarn nichts merkten. Maus grinste bei diesem Gedanken. Er war eben ein Querkopf, ein Anti-Traditionalist und ein hungriger Mann, dessen Frau vergessen hatte, Vorräte einzukaufen. Er kramte einen Topf aus dem Schrank, setzte Wasser auf, wickelte seine Brotzeit aus und wollte das Papier in den Abfalleimer werfen. Leider ging das nicht, weil die Mülltüte fehlte. Nachdenklich sah Maus sich um.

Aber natürlich! Er hatte Inga heute Morgen daran gehindert, den Müll gleichzeitig mit ihrem schweren Koffer vor die Tür zu tragen und mit Inbrunst erklärt, dass das schließlich Aufgabe des Mannes sei. Da sie ihm daraufhin gleich ihr Gepäck mit einem großen Lob auf seinen gestählt muskelbepackten Körper in die Hand gedrückt hatte, war es nur zu verständlich, dass er dabei vergessen hatte, die Tüte zu entsorgen. Es war schließlich Aufbruchsstimmung, Abschiedsschmerz und Eile geboten. Die Bahn wartete bekanntlich nicht auf eine Kommissarengattin.

Maus seufzte. Rasch warf er einen prüfenden Blick auf den Topf, dessen Wasser noch lange nicht warm genug war, und entschloss sich, derweil sein Versprechen einzulösen. Im Gang wurde er auch gleich fündig.

Wie hatte er beim Heimkommen diese riesige und nicht gerade wohlriechende Mülltüte übersehen können?

Schnell packte er sie, öffnete die Tür einen Spalt und sah nach, ob die Luft rein war. Zum Glück war es dunkel genug, da die Straßenlaterne vor seinem Haus den Geist aufgegeben hatte. In einigen Fenstern der Nachbarhäuser sah er das blaue Licht von Fernsehern flackern. Er fühlte sich unbeobachtet und setzte, mutig geworden, einen Fuß vor die Tür.

Immer noch nichts.

Er machte noch einen Schritt.

Alles ruhig.

Maus straffte die Schultern, fühlte Selbstbewusstsein in sich aufsteigen, war der Herr seines Grund und Bodens und schritt elastisch aus. Er war schon fast bei der Tonne, die für die morgige Müllabfuhr bereits am Straßenrand stand, da wurde er regelrecht umgerannt. Verblüfft machte Maus eine nicht gerade elegante Drehung nach links, verlor durch die schwingende Tüte in seiner Hand die Balance und wäre in der Hecke gelandet, wenn er nicht instinktiv einen Ausfallschritt gemacht hätte.

»Ja, Zefix!«, rief er erstaunt und wollte sich nach dem Übeltäter umdrehen, der offenbar nicht gerade groß war, und sich in seiner Jacke festgekrallt hatte.

»Nicht!«, flüsterte eine piepsige Stimme.

»Du Saubua!«, schimpfte es keine vier Meter vor Maus. »Jetza hob i aba de Faxn dicke. Wenn i di und dei Köta erwisch!«23

Der Klammergriff an Maus’ Jacke intensivierte sich, was er nur zu gut verstehen konnte. Vor ihnen war jetzt nämlich wutschnaubend Nachbar Hübner aufgetaucht. Am liebsten wäre Maus im gleichen Augenblick wirklich in der Hecke verschwunden, doch sofort schalt er sich einen Kindskopf. Schließlich war er erwachsen und noch dazu Chef der Abteilung für Recht und Ordnung. Da wäre es doch ein Leichtes, diesem Mann die Stirn und gleichzeitig der Person in seinem Rücken Schutz zu bieten.

»Ja, guten Abend, Herr Hübner«, grüßte er daher unverfänglich.

»Des hoaßt Griaß God, Herr Maus. Immerhin san mia no in Bayern!«24, korrigierte Hübner den freundlichen Gesprächsanfang.

Kommissar Maus aufgesetztes Lächeln verschwand augenblicklich, machte nur zu gerne natürlicheren Gesichtsregungen Platz. Er verengte die Augen, blähte die Nase leicht und legte die Stirn in abweisende Falten. Schon immer war es ihm verhasst, wenn Lokalpatrioten ihn zwingen wollten, zu sehr auf seine Wurzeln zu achten. Die Aufforderung, Dialekt zu sprechen, war von jeher ein rotes Tuch für ihn, sodass sich ohne sein Zutun automatisch wohlartikulierte Nachrichtensprechersätze bildeten. Er konnte gar nicht anders, denn durch Zwang auf das Niveau eines einfältigen Komödienstadel-Darstellers herabgewürdigt zu werden, war das Letzte, was er bereit war, zu tolerieren.

»Herr Hübner, seien Sie gegrüßt!«, dehnte er daher jedes Wort. »Es erstaunt mich, Sie zu so später Stunde hier draußen noch anzutreffen. Wobei, nachdem es heute mit dem Wetter so schlecht angefangen hat, ist es doch ein befreiendes Gefühl, jetzt wieder so angenehme Temperaturen zu haben.«

Im Geiste dachte Maus an Hannes Petersen, der sich bestimmt nicht gewählter ausgedrückt hätte und wahrscheinlich jetzt sogar applaudieren würde.

»Wos redn Sie do fia an Schmarrn?!«25, schnauzte Hübner. »Es is oaschkoid und i bin nur aussekemma, um dene Rotzleffe do hinta Eanam Ruggn de Levitn z’ lesn!«26

Maus fühlte sich zwar immer noch am längeren Hebel sitzend, doch langsam war auch er neugierig geworden. Er wollte wissen, wer sich da in seinem Schatten verbarg, drehte sich um und sah in die großen, ängstlichen Augen eines Kindes. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, war er rüde zur Seite geschoben worden.

»Jetza hearst ma oba amoi zua und schreibst as dia hinta de Ohrwaschl. Wenn i di no amoi dawisch, wia du und dei Drecksköta durch mein Gartn schleichts, ziag i dia an Hosnbodn stramm. Hosd mi?!?«27, drohte Hübner mit erhobenen Zeigefinger, sodass das Kind lediglich mit einem panischen Quietschen antworten konnte. Das war zu viel. Maus stellte sich gleich wieder vor den Nachbarn, legte die Hand um die Schulter des Kindes, zog es an sich und merkte dabei gar nicht, dass die Mülltüte gegen dessen schmale Brust baumelte.

»Herr Hübner!«, knurrte er gleich angriffslustig. »Ich muss doch sehr bitten. Das war gerade eine ernstzunehmende Drohung und Sie machen dem Jungen damit Angst. Ich …«

»Sie wissn ja gar ned, von wos Sie red’n. Ihr Grundstück is ja aa ned in Mitleidenschoft zogn woadn. Da Bua do hod’s auf mei Kürbisbeet obgseng. Des is Sabotage! Er lasst mit Absicht sein Hund drin umanandagrobn, wui verhindern, dass i heier den Preis fia den greaßtn Kürbis kriagn dad. Da müssts ihr vo da Polizei eigreiffa und ned den Täta aa no verteidign!«28

»Ist das so?«, fragte Maus in Richtung Müllbeutel. »Gräbt dein Hund die Preise aus?«

Das Schniefen konnte er wohl als Geständnis nehmen. Aber da Maus es langsam zu kalt wurde, er Hunger hatte und ihm siedend heiß einfiel, dass der Topf mit Wasser unbeaufsichtigt in seiner Küche brodelte, musste er das Gespräch etwas vorantreiben.

»Ich glaub, hier ist wohl eine Entschuldigung fällig, meinst du nicht auch?«

»Entschuldigung!«, piepste es sofort unter der Mülltüte.

Hübner sog hörbar die Luft ein. Er merkte jetzt offenbar endlich auch, dass er ein bisschen überreagiert hatte, nickte zur Absolution und wollte sich gerade umdrehen, als ihm doch noch etwas einfiel, das gesagt werden musste.

»Sie wissn scho, dass Sie de Nachbarschoft belästign doan, wenn Sie mittn in da Nacht Ihrn Abfoi entsoagn?!«29, bemerkte er scharf und jetzt war es an Maus, betroffen zu Boden zu blicken und im Gedanken gerade noch sein »Entschuldigung« zurückzupfeifen. Hübner hatte aber glücklicherweise selbst genug von dem Disput, da es ihm offensichtlich zu kalt zu werden schien. Er hatte gesagt, was zu sagen war und dabei das letzte Wort behalten. Auf einen Abschiedsgruß verzichtend, drehte er sich um und war gleich darauf im Schatten seiner hohen Hecke verschwunden.

»Puh!«, machte das Kind, das sich wie Maus wieder entspannt hatte. »Da sind wir ja noch mal mit einem blauen Auge davongekommen!«

»Du sagst es«, murmelte er und drehte sich zu seinem kleinen Gesprächspartner. »Hm, aber sag mal, dich kenn ich doch und du bist auch kein Junge, stimmt’s?«

»Nö«, grinste das Kind. »Ich bin die Evi und ich wohn da drüben. Da über die Straße. Also, ich und meine Eltern, mein großer Bruder und mein Hund Struppi.«

»Richtig!«, erinnerte sich Maus. »Dieser kleine, nette, weiße Hund. Wie der aus dem Comic-Buch!«

»Ja genau!«, strahlte Evi. »Deshalb heißt er auch so. Oh, guck mal, da kommt er ja. Struppi! Struppi! Hierher! Ja, guter Hund!«

Maus musste lachen. Ein Mädchen, das mit seinen kurzen Haaren wie ein Lausbub aussah, ein Hund, der nach einem Zeichentrickvorbild benannt worden war, ein wildgewordener Nachbar, der ihn dabei erwischt hatte, wie er seinen Haushaltsmüll zur unchristlichen Zeit entsorgen wollte – es gab weitaus geringere Anlässe zur Erheiterung. Schade, dass Inga nicht da war. Sie hätte sich bestimmt auch ganz köstlich amüsiert.

23 Du Saubube! Jetzt habe ich aber die Faxen dicke! Wenn ich dich und deinen Köter erwische!

24 Das heißt Grüß Gott, Herr Maus. Immerhin sind wir noch in Bayern!

25 Was reden Sie da für einen Quatsch?!

26 Es ist arschkalt und ich bin nur rausgekommen, um diesen Rotzlöffel da hinter Ihrem Rücken die Leviten zu lesen!

27 Jetzt hörst du mir aber mal zu und schreibst es dir hinter die Ohren! Wenn ich dich noch einmal erwische, wie du und dein Drecksköter durch meinen Garten schleicht, zieh ich dir den Hosenboden stramm. Hast du mich verstanden?!

28 Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie reden. Ihr Grundstück ist ja auch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Junge hier hat es auf mein Kürbisbeet abgesehen. Das ist Sabotage! Er lässt mit Absicht seinen Köter dort rumwühlen, will verhindern, dass ich dieses Jahr den Preis für den größten Kürbis bekomme. Da müsst ihr von der Polizei eingreifen und nicht den Täter auch noch verteidigen!

29 Sie wissen schon, dass Sie die Nachbarschaft belästigen, wenn Sie mitten in der Nacht Ihren Müll entsorgen?!

Der Henker von Bad Berging

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