Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 27

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Mittwoch, 07:35 Uhr, Tennisplatz TSV, Bad Berging

Es war ein neblig kalter Herbstmorgen und man konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass – wie vom Wetterbericht vorhergesagt – heute noch die Sonne scheinen würde. Immobilienmakler Schneider zitterte in der dünnen Tennishose und verfluchte sich und die Umstände, die ihn in diese Situation gebracht hatten. Schon seit seinem viel zu frühen Aufstehen heute Morgen war er von einer Welle der Hoffnungslosigkeit und des Selbstmittleids getragen, die ihn nun in einer Art Tsunami mitreißen wollte, als er sich von seinem potenziellen Kunden unbeobachtet fühlte, der auf der anderen Seite des Netzes gerade einige Kniebeugen machte. Fritz Bock – Besitzer einer zum Verkauf stehenden großen Gründerzeitvilla und begeisterter Sportler – hatte Schneider zu dieser frühen Stunde zu diesem Match herausgefordert. Er wollte durch Rüdengehabe beweisen, wer hier der Stärkere war, wer wem was schuldete, indem er den Deckmantel eines freundschaftlichen Wettkampfs unter Männern über dieses offene Duell geworfen hatte. Jetzt griff der rüstige Endsechziger nach seinem Schläger und machte ein paar schöne Luftschwünge.

Idiot, schimpfte Schneider in Gedanken und drehte sich weg, denn er konnte sich im Augenblick nicht zu seinem besten Verkäuferlächeln aufraffen. Er hatte das Gefühl, dass alle seine Gesichtsmuskeln eingefroren wären.

»Schneider!«, wagte es Bock, ihm zuzurufen. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie es schaffen würden.«

Der Angesprochene tat sportlich, tippte lässig mit dem Schläger gegen die Schuhspitze und sofort machte sich ein unangenehmes Ziehen in seinem Rücken breit.

Ich auch nicht, dachte er sich, schielte zu der Bank und überlegte, ob es gar zu warmduscherhaft rüberkommen würde, wenn er doch die Jacke wieder anzog.

»Es gibt wirklich nichts Schöneres, als einen Tag mit etwas Bewegung in der freien Natur und guten Spezeln zu verbringen, nicht wahr?!«

»Sie sagen es!«, zwang sich Schneider, ihn jetzt doch anzusehen. Langsam richtete er sich wieder auf und brachte sich in Position. »Na dann mal los. Fangen wir an!«

Der erste Ball schoss gleich mit seinem »an« auf ihn zu. Da Schneider aber weder damit gerechnet hatte, noch überhaupt warm genug war, um sich überhaupt schneller als eine Schnecke zu bewegen, ging der Punkt verständlicherweise an Bock. Dieser ging mit einem breiten Grinsen in die Grätsche, hielt seinen Schläger mit beiden Händen gepackt und wippte leicht mit dem Körper.

»Sie sollten vielleicht erst einmal ein paar Übungen machen, damit ihre Muskeln geschmeidiger werden!«, hallte es schadenfroh zu Schneider hinüber.

»Zefix!«, kam es leise zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, die glücklicherweise aus der Entfernung als strahlendes Lächeln gewertet werden konnten.

»Mei«, fügte Schneider schnell an. »Ich bin wohl etwas aus der Übung.«

»Des auch!«, Bock wippte immer noch federnd provokativ auf und ab. »Aber trotzdem sollten Sie vielleicht erst einmal eine Runde laufen, sonst gewinn ich ja gar zu leicht.«

So vorgeführt war Schneider jetzt nahe daran, wie ein bockiges Kind den Schläger auf den Boden zu werfen und den Platz zu verlassen, aber seine Geschäftsseele zog sofort am Zügel der Selbstbeherrschung, zwang ihn einsichtig zu nicken und gleich brav auf der Stelle zu treten. Der Rücken schmerzte wieder, aber da musste er wohl jetzt durch.

Na warte Freundchen, dachte er grimmig und konnte gleichzeitig nicht umhin an seine Assistentin Claire zu denken, die ihm am Vortag noch vorgeschlagen hatte, eine andere Sportart zu wählen.

»Ei, worum donn gleisch so ebbes Ohstrengendes, wonn der Kerl aach Golf spiele tut?«31, hatte sie ihren klugen Ratschlag hervorgebracht. Im Nachhinein tat es ihm jetzt leid, dass er über sie und ihre Einfälle gelacht und sich stattdessen kernig in die Brust geworfen hatte. Für Rentnersport bin ich ja wohl noch viel zu jung, hatte er sagen wollen, doch dann hatte er zuerst einmal herzhaft niesen müssen, was sie wiederum in Tränen hatte ausbrechen lassen.

»Klara, jetzt hab dich doch mal nicht so«, war sein Versuch gewesen, sie zu trösten, doch man konnte eher einen Staudamm mit eigenen Händen vor dem Brechen bewahren, als eine gramgebeutelte Frau auf die Ebene der Vernunft zu ziehen.

»Ei, no«, hatte sie laut geschluchzt. »Ei, no, jetzt is die Kändis schunn drei Tog verschwunne und du bist imma noch allergisch uff se. Ei, mein orm Schätz’sche, mein Schnuckiputzi, mein Augestern’sche. Der Schmerz tut misch regelrescht zerreiße!«32

Claires Gesicht verzerrte sich vor seinen Augen, das Blut rauschte in den Ohren und riss ihn aus den Erinnerungen. Schneider ging die Luft aus. Er brauchte eine Pause, stampfte mit den Füßen auf und hielt sich dabei krampfhaft mit der linken Hand am Maschendraht fest, der das Gelände umgab. Die andere ließ er sinken, da der Schläger plötzlich einen Zentner zu wiegen schien. Zusätzlich hatte er jetzt auch noch das Gefühl, sein Herz würde jeden Augenblick aufhören zu schlagen.

Selber Schuld, schimpfte er sich. Ich hätte wohl zum einen auf Claire hören und zum anderen an meiner Kondition arbeiten sollen.

Keuchend blickte er auf den kleinen Feldweg hinter dem Zaun, sah alles ein wenig verschwommen, sehnte sich sogar einer kleinen Ohnmacht entgegen, damit dieses Match aufhörte, bevor es richtig brutal werden würde. Ein Schnaufen – leider nicht sein eigenes, denn dieses klang gleichmäßig und nicht rasselnd – und leichte, trabende Turnschuhtritte ließen ihn aufhorchen. Aus den Augenwinkeln sah er einen Jogger auf sich zukommen. Verdammt! Zu spät erkannte Schneider ihn, sodass ihm keine Zeit mehr blieb, sich schnell umzudrehen und den Mann gekonnt zu übersehen.

»Ja, Griaß Gott!«33, flog es ihm auch schon entgegen. »Da Herr Immobilienmakler!«

»Ich grüße Sie auch, Herr Hübner. Na, schon in aller Herrgottsfrüh auf den Beinen?«

Schneider wusste auch nicht, wie es ihm immer noch gelingen konnte, so leicht und locker zu klingen, obwohl er rein optisch wie ein Unfallopfer und aus medizinischer Sicht bereits klinisch tot wirken musste. Es ist eine Gabe und ein Fluch, solch schauspielerische Qualitäten zu besitzen, erklärte er sich dieses Wunder und setzte noch einen drauf, indem er mit einem Hollywoodlächeln auf den Platz hinter sich deutete und hinzufügte.

»Na, was ist? Wollen Sie auch eine Runde mitspielen?«

Hilbert Hübner trabte auf der Stelle, kniff die Augen zusammen, erkannte schließlich Bock, nickte ihm zu und wandte sich dann schnaufend wieder an Schneider.

»Na, i hob doch an Schreibtischjob beim Amt, des wissen’s doch. Deswegn brauch i a richtige Bewegung!«34

»Haha! Sie sind wirklich witzig!«, entgegnete Schneider und behielt mit letzter Kraft sein Lächeln bei. »Na dann, viel Spaß noch. Ich nehme mal an, dass Sie für den »Bad Berginger Herbstlauf« am Sonntag trainieren. Da drück ich Ihnen mal die Daumen und werde es derweil wohl etwas langsamer angehen lassen.«

»Auf oa Woat no!«35

Schneider hatte sich bereits umgedreht. Er wusste genau, was noch folgen würde, hatte keine Lust auf die immer wieder kehrende Diskussion, winkte einfach ab und rief über die Schulter: »Herr Hübner, wir haben das schon tausendmal durchgekaut. Sie haben das Haus Rossweg 17 vor vier Monaten so wie es war gekauft und da können Sie jetzt nicht mit Reklamationen und verspätetem Preisnachlass kommen. A deal is a deal!«

Wütend nahm er einen Ball, warf ihn in die Luft, holte aus und schmetterte ihn mit aller Kraft. Verflixte Kunden – ehemalige, augenblickliche und zukünftige. Warum konnten die nicht einfach mal schätzen, was er für sie tat, anstatt ihn zu quälen, zu jammern, herumzuschubsen. So mit seinem gerechten Zorn beschäftigt merkte er nicht einmal, dass sein Ball im Netz hängengeblieben war.

31 Nun, warum gleich so etwas Anstrengendes, wenn der Kerl auch Golf spielt?

32 Nun, nein. Jetzt ist die Candis schon drei Tage verschwunden und du bist immer noch allergisch auf sie. Nun, mein armes Schätzchen, mein Schnuckiputzi, mein Augensternchen. Der Schmerz zerreißt mich regelrecht!

33 Ja, Grüß Gott!

34 Nein, ich habe einen Schreibtischjob beim Amt, wie Sie wissen. Deswegen brauche ich richtige Bewegung!

35 Auf ein Wort noch!

Der Henker von Bad Berging

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