Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 25
ОглавлениеDienstag, 19:39 Uhr, Edelweißstraße 23 b, Bad Berging
Der Kopf des Hamsters tauchte aus der Brusttasche von Janas Latzhose auf. Verzückt betrachtete sie ihren kleinen Schatz. Er war ja so süß, wie er mit seiner kleinen Nase aufgeregt schnupperte und sie aus hübschen schwarzen Knopfaugen ansah. Schnell nahm sie ein Salatblatt von dem Rohkostteller und hielt es ihm vor die Schnauze. Sofort packte er mit einer Kraft danach, die den kleinen Pfoten kaum zuzutrauen war, zerrte es zu sich, biss einmal hinein, ließ es aber gleich wieder fallen. Es war wohl offensichtlich, dass auch er, wie seine Besitzerin, nicht auf Gesundes stand. Jana kicherte, als ihr Liebling sich umdrehte, um wieder in der Tasche zu verschwinden. Lediglich sein dickes, kleines Hinterteil mit dem Stummelschwänzchen war noch zu sehen.
»Jana!?« Stefanie Vogler, die gerade die Spaghetti im Topf auf ihre Al-dente-Tauglichkeit überprüfen wollte, hatte sich mit strengem Blick ihrer Tochter zugewandt. »Du hast doch hoffentlich nicht deinen Hamster hier am Esstisch?«
Ertappt und etwas zerknirscht schaute Jana nun zu ihrer erzürnten Mutter, doch gleich mischte sich wieder ein aufsässiges Funkeln in ihre Augen, das sie heute Morgen schon so gekonnt eingesetzt hatte. Dem musste sofort ein Riegel vorgeschoben werden. Stefanie zog eine Braue hoch und deutete zur Tür.
»Bring das Vieh in seinen Käfig. Sofort, junge Dame. Du weißt genau, was ich von Tieren in meiner Küche halte. Das ist unhygienisch!«
»Du bist so was von gemein!«, platzte es aus Jana heraus. Mit einem Ruck war sie aufgesprungen, hatte sich mit hochrotem Gesicht vor ihrer Mutter aufgebaut und stampfte wütend mit dem Fuß auf.
»Wie bitte?!« Zwar war Steffi ob der heftigen Reaktion ihres Kindes ein klein wenig erschrocken, doch da es ein von ihr geerbtes Temperament war, reagierte sie gleich genauso heftig: »Ja, was glaubst du, mit wem du gerade sprichst?«
»Mit dir!«, schrie Jana, blähte wie ein wildgewordener Mustang die Nüstern und schaute sie dann so böse an, dass man es mit der Angst bekommen konnte. »Du bist gemein!«
Jana merkte selbst, dass sie sich wiederholte, wusste, dass sie vielleicht etwas genauer werden sollte. Sie musste einen Weg finden, ihrer Mutter deren ganze ungerechte Willkür und Bösartigkeit der letzten zwölf Stunden wie einen Spiegel vor Augen zu halten.
»Du lässt mich gar nix machen!«, bebte ihre Stimme vor Zorn.
»Was machen?«, fragte Steffi und Jana schob die Unterlippe vor. Plötzlich fühlte sie sich wie ein zwölfjähriges Mädchen, das sie ja auch war.
»Weil ich heute Morgen gesagt hab, dass du leider nicht in den Herbstferien zu deinem Vater fahren kannst?«
»Genau!«
Zwar hatte Jana zuerst mit dem Thema Mitgliedschaft in einem großen, sozialen Netzwerk beginnen wollen, hatte schon alle guten Argumente von wegen, dass sie eine Außenseiterin wäre, weil alle ihre Freundinnen nur noch so kommunizierten, bereit gelegt. Auch hätte sie dann gleich zu dem nächsten Punkt – der Anschaffung eines anständigen Smartphones – übergehen können, aber ihr Vater war auch ein gutes Druckmittel.
»Ich will zu Papa! Der erlaubt mir wenigstens auch mal was und behandelt mich nicht immer wie ein Baby.«
Janas Augen waren zu gefährlichen Schlitzen geworden und mit Genugtuung beobachtete sie ihre Mutter, der es offenbar die Sprache verschlagen hatte. Ha, dachte sie triumphierend, ha, und jetzt kommt noch ein Nachschlag.
»Du hasst ihn und willst nur nicht, dass wir zusammen sind und Spaß haben und so!«
Stefanie verdrehte die Augen, was diesmal Jana in die Sprachlosigkeit trieb. Diese Reaktion hatte sie sich nicht erhofft. Warum brach sie nicht zusammen und gab es einfach zu? Warum war sie nicht zerknirscht, wollte ihr töchterliches Verzeihen, würde gleichzeitig Besserung geloben und versprechen, ihr morgen ein supertolles Handy zu kaufen?
»Ich hasse ihn nicht!«, entgegnete Steffi traurig.
Nein, das ist falsch! So steht es nicht im Text! Das darf sie jetzt nicht sagen. Oh, diese gemeinen, unberechenbaren Erwachsenen!
»Es ist nur so, dass er seit mindestens drei Monaten keinen Unterhalt mehr gezahlt hat. Wir haben doch schon darüber gesprochen, erinnerst du dich? Es ist gegen die Abmachung. Wenn er uns nicht unterstützt und wenn er damit nicht beweist, dass er ein pflichtbewusster Mensch ist, dann kann ich es nicht verantworten, dich bei ihm zu lassen!«
»Menno!« Wieder stampfte sie mit dem Fuß auf. Durch die Erschütterungen neugierig geworden, lugte jetzt abermals ihr Hamster aus der Tasche.
»Janalein, Liebling!«, versuchte es Steffi mit leiser, sanfter Stimme.
Oh nein, jetzt kam sie auf diese Tour. Jana schnaufte laut und ungehalten.
»Ich mag nicht mehr darüber streiten. Das führt nur zu bösen Worten und vielen unnötigen Tränen. Also, komm schon. Bring das Fräulein Rottenmeier in den Käfig und dann können wir essen.«
»Er heißt nicht mehr Fräulein Rottenmeier. Ich hab herausgefunden, dass er ein Junge ist. Er heißt jetzt Fritz! Und ich hab keinen Hunger. Und ich will zu Oma …«
Stefanie zuckte zusammen – Oma? Oma Lehnchen? Die Mutter ihres Ex? Die Überglucke, die schuld daran war, dass ihr Sohn zu diesem Waschlappen, diesem Versager, diesem Weichspüler geworden war? Niemals! Dann konnte sie Jana ja gleich bei ihrem Vater abliefern. Sie wollte schon Einspruch erheben, da vollendete Jana beim Rausgehen ihren Satz: » … und Opa Vogler!«
»Na prima!«, rief Steffi ihr nach. »Du kannst gleich deine Dreckwäsche rauslegen, damit ich alles mal durchwasche und du was Sauberes zum Koffer packen hast! Und übermorgen, wenn die Ferien beginnen, bring ich dich vor der Arbeit zu ihnen!«
»Des brauchst du nicht! Ich bin groß genug und fahr lieber mit dem Radl, als mit dir stundenlang im Bus sitzen zu müssen!«
Auch gut, dachte Steffi und war irgendwie erleichtert, dass Jana in ihrem Trotz beschlossen hatte, zu ihren Eltern auf den Bauernhof zu gehen. Dort konnte sie sich austoben, wurde vielleicht ruhiger und, wenn Steffi an ihre Mutter dachte, auch nach Strich und Faden verwöhnt. Sie seufzte. Ein bisschen Abstand zwischen ihnen würde guttun. Im Augenblick war der Mutter-Tochter-Draht so überhitzt, dass die Funken nur so sprühten. Aufs Stichwort zischte es hinter ihr. Erschrocken sah sie, dass ihre Soße gerade dabei war überzukochen.