Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 19
ОглавлениеDienstag, 12:07 Uhr, Polizeirevier, Bad Berging
»Huhu, Claudi!«, begrüßte Hannes das etwas pixelige Gesicht seiner Freundin. »Na, wie geht’s?«
Die Verbindung war wirklich nicht sehr gut. Claudia hörte ihn offenbar gar nicht, sah ihm eine Weile konzentriert entgegen, hob dann sichtlich genervt die Hand, sodass sich sein Bildschirm plötzlich in ein fleischfarbenes Rosa tauchte und dann leicht erschüttert wurde.
»Claudi?«, rief er und rüttelte an seiner Maus, in der irren Hoffnung, nun seinerseits etwas an der Einstellung verbessern zu können. Doch glücklicherweise sah er gleich darauf wieder ihr Gesicht. Sie war offensichtlich sehr unzufrieden, starrte böse auf einen Punkt über ihm und schielte fast dabei.
»Ja Kruzitürkn!«, hörte er sie endlich. »Du damische Schoasskisdn. Wos is des jetza wieda fia a Glump?«20
»Claudia?!«, versuchte es Hannes abermals und hatte Glück. Sie hatte ihn endlich gehört und sah ihn jetzt wohl auch, denn ein Strahlen erhellte ihr Gesicht, als sie rief: »Hannes? Ja mei, ja suppa! Ich kann dich sehen! Ja endlich klappt’s!«
Gleich darauf bildete sich jedoch eine steile, skeptische Falte zwischen ihren Augenbrauen.
»Wie schaust du eigentlich aus? Du bist ja ganz grün! Geht’s dir nicht gut? Ach nein, stopp, des is der Monitor hier. Neigt zu etwas viel Farbe. Moment, ich glaub, ich kann das hier einstellen.«
Und schon war sie aus dem Bereich der Kamera verschwunden. Hannes konnte sie lediglich rufen hören – »João, could you please help me?«. Entnervt seufzte er. Soviel zur modernen Technik und dem Motto Die Welt wächst zusammen. Vielleicht sollten sie sich doch nur auf das SMS-Schreiben beschränken. Wieder trommelten seine Finger auf dem Schreibtisch. Wie lange brauchte dieser João denn noch? Dann war der Bildschirm plötzlich ganz schwarz.
»Claudia!«, erhob Hannes die Stimme. »Claudia? Bist du noch da?«
»Jaha! Ich kann dich klar und viel zu laut hören. Es liegt nicht am Soundsystem, sondern am Bild. Aber wir kriegen das schon in den Griff. Nur die Ruhe. Oh, look here João, there is a funny Knopf – äh – button. Maybe we should press here? No? Why not?«
Hannes stützte sein Kinn auf die Hand und verhedderte sich dabei im Kabel seines Kopfhörers. Genervt zerrte er diesen herunter, denn er drückte schon die ganze Zeit unangenehm auf den Ohren. Da er aber damit die akustische Verbindung gekappt hatte, und nicht hören konnte, falls Claudia sich endlich dazu herabließ mit ihm statt diesem João zu sprechen, zog er vorausschauend das Verbindungskabel heraus. Sofort kam ihm ein Kauderwelsch englischer Vokabeln und starker Akzente aus dem Lautsprecher entgegen. Es klang alles so wichtig, so eingespielt, so ungemein witzig und Claudia kicherte für seinen Geschmack viel zu lang und zu begeistert. Hannes fühlte sich plötzlich ausgeschlossen und verstoßen. Genervt blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die Tastatur vor sich zu starren. Meine Güte, war die verklebt. Er sollte sich endlich einmal abgewöhnen, am Arbeitsplatz zu essen. Wie von selbst begann sein Zeigefinger auf dem Buchstaben Q herumzukratzen. Warum der so schmutzig war, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Den benutzte er ja eigentlich nie.
»Hannes? Ich glaub, des dauert noch eine Weile mit dem Angucken«, meldete sich Claudia wieder. »Hm, dann machen wir es eben wie beim Telefon – nur quatschen.«
»Pffft, des hätte ich ja dann auch von zu Hause aus tun können«, maulte er und ärgerte sich gleichzeitig über seine kindische Enttäuschung.
»Oooch, is da jemand gerade ganz bockig?«, fragte Claudia belustigt. »Komm schon. Da kann man nix machen. Das is halt komplizierte Hightech. Aber sei nicht traurig. In zwei Tagen hast du ja deinen Laptop wieder. Ich denke, der Ercan wird bis dahin jeden Virus gefunden und eigenhändig getötet haben und dann können wir wieder von daheim aus sorgenfrei ratschen.«
Hannes grinste. Sie hatte ja Recht. Er sollte sich freuen, wenn sie wenigstens jetzt ein bisschen miteinander reden konnten.
»Wie läuft es denn so bei dir?«, machte er auch gleich den Anfang. »Nach eineinhalb Tagen Eingewöhnung hast du bestimmt schon allerlei erlebt, oder?«
Sie kicherte. Hannes wartete, aber anscheinend schien das für sie Antwort genug.
»Äh, Verzeihung, aber ich glaube, jetzt habe ich hier ein auditives Problem. Ich habe dich nicht so ganz verstanden«, versuchte es Hannes verwirrt noch einmal.
»Ich hab nix gesagt, nur gelacht!«, erklärte sie. »Was soll ich denn auch sagen? Ich mein, du hast mich dazu überredet, an diesem europäischen Austauschprogramm für Bullen mitzumachen und ich muss zugeben, ausgerechnet hier in Portugal gelandet zu sein, übertrifft meine tiefsten Erwartungen. Ich bin noch extrem am Fremdeln und verstehe kein Wort – die geben hier ständig so komische SCH-Laute von sich. Ich kapier gar nix, noch nicht mal, wie ich ein Busticket kaufen kann. Dafür trinke ich den ganzen Tag Galão – so heißt hier der Milchkaffee – und esse diese Puddingkuchen – die übrigens saulecker sind – und werde in drei Wochen vermutlich total verwirrt und in die Breite gegangen wieder nach Berging zurückkommen. Ich hoffe, dass du mich dann immer noch liebst!«
Jetzt musste auch Hannes lachen. Die Vorstellung, dass die gertenschlanke Claudia Hubschmied als kleine Tonne zurückkommen würde, war schon mehr als amüsant. Sofort wurde das mit dem Pinselstrich der Schadenfreude gemalte kleine Bild jedoch von einem Gefühl der Wehmut überdeckt. Er sah sie plötzlich genau vor sich, wie sie, verschlafen am Tag ihrer Abreise, in die Bettdecke gekuschelt war und als er diese nun im Geiste wegzog, konnte er entzückt feststellen, dass sie – die portugiesischen Bäcker seien gepriesen! – genau an den Stellen, auf die es ankam, zugenommen hatte. So verlockend, so verführerisch, so appetitlich war sie plötzlich für ihn, dass eine Hitze in ihm aufflammte, die leider aber sofort von der Enttäuschung übergossen wurde, die in Claudias viel zu lauter Stimme mitschwang. Hannes zuckte zusammen. Verflixt, er hatte sich ablenken lassen, hatte ihr gar nicht zugehört und hatte stattdessen die ganze Zeit blödgrinsend vor sich hingestarrt. Sein Spiegelbild, das auf dem Monitor reflektiert wurde, war der eindeutige Beweis. Dort blickte ihm sein triebgesteuertes Inneres entgegen.
»Hannes!?«, schepperte es erneut aus dem Lautsprecher. »Hej, hast du eigentlich gerade verstanden, was ich gesagt habe?«
Erwischt, dachte er grimmig. Zum Glück konnte sie nicht sehen, wie rot er wurde, als er sofort zu einer Notlüge griff.
»Äh, nein. Tut mir leid, mein Semmelknödel. Aber es hat gerade einen Wackler beim Ton gegeben.«
»Semmelknödel?«, kam es erheitert zurück. »Hm, du bist vermutlich ganz allein auf weiter Flur, sonst würdest du nicht so romantisch werden. Na dann, meine kleine Sprotte, werde ich mal wiederholen, was ich gerade so hoch Philosophisches von mir gegeben habe. Also, zunächst einmal, du süßer kleiner Strandläufer …«
»Claudia!«, rief Hannes etwas panisch, denn sie wurde wirklich sehr privat. Schnell schaute er über die Schulter, überlegte, ob er die angelehnte Tür schließen sollte, damit ein zufällig vorbeilaufender Kollege nicht hören konnte, mit welchen Kosenamen er zu Hause gerne bedacht wurde, aber seine Freundin sprach schon weiter.
»Wenn du mich ständig unterbrichst, sag ich gar nix mehr!«, rügte sie ihn zu Recht, fuhr dann aber unbeirrt fort. »Also, ich muss dir beipflichten und deine Weisheit loben. Es ist ein Abenteuer und gefällt mir bis jetzt wahnsinnig gut. Auch wenn ich am Anfang Angst hatte, so bereue ich es nicht, hierhergekommen zu sein. Man kriegt einen ganz neuen Blickwinkel, verstehst du?«
»Nach fast zwei Tagen ist das wirklich bemerkenswert«, konnte er sich den kleinen ironischen Einschub nicht verkneifen, doch Claudia Hubschmied wäre nicht Claudia Hubschmied gewesen, wenn sie hier mehr hineininterpretiert hätte, als nötig gewesen wäre.
»Du sagst es!«, entgegnete sie daher optimistisch. »Das kann nur noch besser werden. Die sind hier alle supernett und so entspannt. Da können wir uns echt mal eine Scheibe abschneiden. Oh, warte mal. Ich glaub, ich … Hej João, I have got the feeling, that this Kabel is locker. See!«
Wieder verwickelten sich die beiden in ein leises Gespräch und Hannes blieb nichts anderes übrig, als geduldig zu warten. Leise seufzte er, weil er jetzt gerne bei ihr gewesen wäre und sie so schrecklich vermisste.
»Mahlzeit, Petersen!«, grüßte es hinter ihm und er fuhr erschrocken herum. Kommissar Maus stand in der Tür und hob entschuldigend die Mundwinkel, denn es war klar, dass er den Kollegen nicht hatte erschrecken wollen. Petersen, nachdem er sich gefangen hatte, nickte ihm zu.
»Herr Kommissar?! Sie sind noch nicht zu Tisch?«
»Zu Tisch?«, wiederholte Maus amüsiert. Diese Norddeutschen drückten sich manchmal schon etwas gestelzt aus. »Naa, heut wird’s etwas später mit der Brotzeit. Ich musste noch einige Besorgungen machen.«
Er hob zur Bestätigung eine Einkaufstüte hoch, wollte offenbar auch gleich wieder gehen, zögerte jedoch und kam dann in das Zimmer, um neugierig auf Hannes Monitor zu blicken, der mittlerweile in einem herrlichen Azurblau erstrahlte.
»Schöne Farbe! Ist das Ding etwa wieder kaputt? Obwohl – mir war so, als ob Sie gerade mit jemandem gesprochen hätten …«
»Ja«, sagte Hannes schnell und fühlte sich wider Erwarten wie ein ertapptes Kind beim Ladendiebstahl. »Ja, ich skype gerade mit Kommissarin Hubschmied.«
Maus konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kommissarin Hubschmied?! Typisch Hannes Petersen – immer korrekt, auch wenn das ganze Herz vor Sehnsucht zerspringen möchte.
»Oh!«, meinte er daher betont diskret. »Oh, dann will ich natürlich nicht weiter stören.«
Er hatte sich schon weggedreht und wollte wieder gehen, da kam ihm ein dringender Gedanke, der zuvor noch in Worte gefasst werden musste.
»Nun, korrigieren Sie mich bitte, falls ich mich irre, aber ist bei Skype nicht auch was zu sehen? Also, Sie wissen schon, dass man dabei den Gesprächspartner beim Nasebohren beobachten kann und so? Ich mein, so wie das jetzt hier mit diesem blauen Bild aussieht, wäre ein normales Telefonat viel sinnvoller, oder? Man hätte mehr Privatsphäre und könnte herumlaufen, sich zurückziehen und so weiter.«
Doch bevor Hannes darauf etwas hätte erwidern können, flackerte aufs Stichwort genau der Bildschirm, wurde dunkler, zeigte schemenhafte Umrisse, wurde schärfer und gleichzeitig endlich wieder hell, um schließlich ein Bild zu werden. Maus öffnete überrascht den Mund.
»Na so was. Das ist ja toll! Da ist ja die Frau Kommissarin. Hallo Claudia!«, rief er und nickte erfreut Claudia Hubschmied zu, die ihrerseits gleich zurückstrahlte.
»Hallo Herr Kommissar!«, rief sie fröhlich. »Bom dia aus Portugal.«
Hinter ihr wollte gerade ein Mann abtauchen, aber schnell war sie zu ihm herumgefahren, hatte ihn gepackt und neben sich vor die Kamera gezerrt.
»Und das hier is übrigens mein neuer Partner, der João. Look João, this is my boss from Bavaria.«
Der Mann lächelte artig nach Deutschland, schien sich aber nicht sonderlich wohl dabei zu fühlen, so in den europäischen Fokus gerückt worden zu sein.
»Donnerwetter!«, flüsterte Maus Hannes verblüfft zu. »Ich wusste gar nicht, dass auch Stars bei der portugiesischen Polizei unter Vertrag sind. Der sieht ja aus, wie einer von diesen Latino-Schnulzensängern, deren Namen ich mir natürlich nie merken kann.«
Er hatte es nicht böse gemeint, hatte für einen Augenblick der Überraschung vergessen, dass er gerade mit Claudias festem Freund sprach. Aber Hannes nahm es ihm nicht krumm. Hier war nur angesprochen worden, was mehr als offensichtlich war. Zwar musste er im Geiste Maus wegen der Übereinstimmung mit einem Popstar widersprechen, denn der Mann hatte eher Ähnlichkeit mit einem international bekannten Fußballspieler, aber unterm Strich stand dick ein niederschmetterndes Ergebnis: Dieser Kollege dort auf dem Bildschirm war eigentlich zu schön, um wahr zu sein.
20 Ja Kreuztürken! Du dämliche Scheißkiste. Was ist das jetzt wieder für ein Schrott?