Читать книгу Der Henker von Bad Berging - Katja Hirschel - Страница 6

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Montag, 18:24 Uhr, König Ludwig Gymnasium, Bad Berging

»Good evening, ladies and … Oh!« Mit einem wunderschönen, entschuldigenden Lächeln blickte sie auf und nahm dann ihre Lesebrille ab, die sie an einer langen Kette um den Hals trug. Einige Sekunden schien sie zu überlegen, bevor sie ihre Sehhilfe los- und auf ihren prachtvollen Vorbau fallenließ, wo diese hüpfend aufkam. Mit gespieltem Vorwurf hob sie die Teilnehmerliste hoch, wedelte damit, sah dabei in die Runde, räusperte sich und nahm den Faden wieder auf.

»Excuse me, I’ve to correct myself. Good evening, gentlemen and welcome to the english conversation and basic grammar repeating class. My name is …«, und hierbei drehte sie sich elegant zu der weißen Tafel, schnappte einen Stift, entfernte mit einem Plopp den Deckel und begann schwungvoll zu schreiben. Einige Augenblicke später trat sie einen Schritt zurück, wohl wissend, dass auch ihre Rückenansicht für die Teilnehmer eine Augenweide sein musste, und nickte zufrieden.

»My name is: Miss Katherine Shaw. But please call me …«, und wieder hatte sie sich mit einem atemberaubenden Lächeln zu den anwesenden Herren umgewandt, »Kathy!«

Zehn Augenpaare waren auf sie gerichtet. Manche waren groß und etwas ängstlich, schließlich war es schon ein bedeutender Schritt als Erwachsener noch einmal die Schulbank zu drücken und dabei an längst vergangene aber vielleicht durchaus immer noch traumatische Erlebnisse erinnert zu werden. Manche blickten mit unverhohlenem Entzücken, so eine atemberaubende Lehrerin zu haben. Manche waren konzentriert, aber mit abwartendem Interesse und wieder andere voller Selbstzweifel, da offenbar nicht alles verstanden worden war und sich der Gedanke aufdrängte, doch lieber gleich in den Anfängerkurs zu wechseln.

Miss Kathy war zufrieden. Die Gruppe gefiel ihr gut. Genau die Mischung, mit der man arbeiten konnte. Zuversichtlich durch jahrelange Erfahrung, hier einen brauchbaren Kurs zu haben, legte sie ergriffen eine Hand auf den Busen, nickte einem besonders intelligent aussehenden Herrn in der ersten Reihe freundlich zu, hielt sich aber aus Gründen der Professionalität nicht lange damit auf, sondern begann durchzuzählen.

Mit gerunzelter Stirn ertastete sie gleich wieder die Lesebrille und setzte diese auf ihre Nase, um auf der Liste die Anwesenden zu überprüfen.

»Oh, I see!«, bemerkte sie. »We are not complete. Two people are missing! Hm, but wir starten now, meine Herren. Wer zu spat kommt, der hat nicht gut Glück, oder?«

Ein zustimmendes Grinsen breitete sich kollektiv auf allen Gesichtern aus. Wie süß doch ihr hinreißender Akzent war, wenn sie versuchte, Deutsch zu sprechen – und wie verdreht ihre Formulierungen! Kathy wusste eben, wie sie eine Atmosphäre der Gemeinschaft und des Wohlfühlens mithilfe eines gut platzierten Witzes, eines gewinnenden Lächelns und des Hinweises auf eine Verbrüderung gegenüber den »Zuspätkommern« schaffen konnte. Jetzt war hier keiner mehr nervös, keiner ein Außenseiter. Alle waren entspannt.

»Well, well. I think we first check the names«, fuhr sie fort. »Mister AUA, Florian?«

»Hier, that’s I!«, rief ein hochgewachsener Mann Anfang fünfzig in der letzten Reihe. Unnötigerweise hob er dabei die Hand, aber da sie nun schon einmal oben war, machte er gleich ein kleines Winken daraus. Kathy nickte huldvoll – ihre englische Königin hätte es nicht besser machen können – und wollte gerade den nächsten Namen lesen, als der Winker ihr ins Wort fiel.

»Äh, my name is AuERRRR. You see – with ein »er« on the ending. Not AUA. Sounds like pain, or?«, er kicherte über seinen eignen Witz – noch dazu in einer fremden Sprache – und fühlte sich großartig.

»Oh!«, blieb ihr lediglich bei dieser Zurechtweisung zu sagen, aber da sie als Britin ein höflicher Mensch war, fügte sie rasch ein »Excuse me!« hinzu, bevor sie im Geiste die Randnotiz typisch nervender Klugscheißer hinter seinen Namen setzte. Ihre gute Laune war durch dieses kleine Zwischenspiel etwas verflogen und sie zog es daher vor, mit der Liste zu den einzelnen Teilnehmern zu gehen, um sie dort abhaken zu lassen. Dass sie sich dabei aber ihrem hilfsbereiten Naturell entsprechend vorbeugte und jedem einzelnen – den Nerver in der letzten Reihe natürlich ausgenommen – einen kurzen Einblick auf ihr herrliches Dekolleté gab, merkte sie offenbar gar nicht. Nach drei Minute war der administrative Teil abgeschlossen und sie ging wieder zu ihrem Pult, um dort zu verkünden: »We are missing Mister Hammer and …«

Weiter kam sie jedoch nicht, denn die Tür wurde mit einem Ruck und eindeutig zu viel Kraft aufgerissen, sodass alle Köpfe herumfuhren. Dort hatte sich eine Art Knäul aus Armen und Beinen gebildet, das sich abmühte, in den Raum zu kommen. Bei genauerem Hinsehen konnte man jedoch erkennen, dass zwei Herren gerade versuchten, gleichzeitig die für beide zusammen viel zu enge Tür zu passieren. Ein Geschiebe, Gedränge, Gerangel entstand, und Kathy war nahe daran, dazwischen zu gehen und wie bei einer Pausenhofprügelei die beiden Kontrahenten mit einem beherzten Griff an die Ohren zu trennen. Einige der Kursteilnehmer schienen ähnlichen Ideen nachzugehen, und Florian Auer hielt schonmal sein Englischbuch griffbereit. Aber bevor irgendjemand etwas hätte unternehmen müssen, war es dem größeren und kräftigeren der beiden Männer gelungen, den anderen mit seiner flachen Hand einen Klaps gegen die Stirn zu geben, sodass dieser zurückprallte und den Weg endlich freigab.

»Take sis, you Saubazi!«, kommentierte der Sieger und rief, als er endlich im Klassenzimmer stand: »Hello alltogether!«

Jovial lächelnd sah er in die Runde, nickte einem Bekannten zu und wusste dann offensichtlich nicht mehr, was er eigentlich wollte.

»So ned, Freinderl!«3, rief es anklagend hinter seinem Rücken. »I war eideitig zerscht do!«4

Da stand augenscheinlich noch eine Rechnung offen, aber bevor nun alles aus dem Ruder laufen würde, war Kathy auch schon bei ihnen und hatte theatralisch beide Hände erhoben.

»Stop! Both of you, stop it!«

Sie war nicht sonderlich laut geworden, aber ihr Blick sprach Bände, sodass nicht nur die Streithammel sondern auch alle anderen Männer im Raum kollektiv den Kopf einzogen. Einige Sekunden herrschte absolute Stille. Ihre Nasenflügel bebten immer noch etwas, als sie dann in normalem Tonfall fragte: »Who are you?«

»Oh, I äm Hammer, Werner Hammer, I äm on se Liste, I hope it!«

»And my name is Hübner, Hilbert«, stellte sich der andere – nach einem missbilligenden letzten Blick auf den Schläger mit dem schrecklichen Akzent – rasch vor. »I was not on your list. I was assigned to the wrong course. But I’m definitely more advanced! Has your colleague informed you?«

»Oh yes, Mister Hübner and Mister Hammer«, nahm Kathy zur Kenntnis. Ihr anfänglicher Optimismus war mittlerweile der Realität gewichen, hier einen Spagat auf menschlicher und sprachlicher Ebene vollführen zu müssen. Etwas ratlos blickte sie von einem zum anderen, aber bevor sie Weiteres tun konnte, übernahm Hammer wieder. Er hatte Kommissar Maus in der ersten Reihe erspäht und watschelte glücklich zu ihm, um sich gleich darauf auf den freien Platz neben ihm fallen zu lassen. Zwar hatte sich Maus schon die ganze Zeit kleiner und kleiner gemacht, war fast schon unter den Tisch gerutscht und hatte dabei in stummer Verzweiflung auf das Bild von Elisabeth II, das über der Tafel hing, gestarrt, in der unsinnigen Hoffnung, sie könnte ihm helfen, aber da war jetzt wohl nichts mehr zu machen.

»Hallo Chef!«, grinste Hammer gutmütig. »Na, da staunen Sie sicher, dass auch ich mich dazu entschlossen habe, wieder die Schulbank zu drücken. Aber als mir die Steffi vorgestern von Ihren Ambitionen, Ihr Englisch mal wieder auf Vordermann zu bringen, erzählt hat, hab ich mir nur gedacht: Was für eine super Idee! Das wollt ich doch auch schon immer mal! Aber allein hab ich ja nie den Hintern hochbekommen. Tja, und dann bin ich gleich hierher, hab mich angemeldet und jetzt kann ich es kaum mehr erwarten!«

»English, please, Mister Hammer!«, rügte Kathy, und Maus konnte sich ein schadenfrohes Grinsen kaum verkneifen. Schnell konzentrierte er sich daher auf die exakte Anordnung seiner Stifte im rechten Winkel zu dem nagelneuen Schreibheft und dem Englischbuch, das er noch vor fünfzehn Minuten als seinen größten Schatz angesehen hatte. Ein scheeler Seitenblick auf seinen Sitznachbarn und er wusste, warum ihn die Freude an seinem ersten Schultag bereits so gänzlich verlassen hatte.

3 So nicht, Freundchen!

4 Ich war eindeutig zuerst da!

Der Henker von Bad Berging

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