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Ein ostgotischer König bei den Hunnen

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Im Gefolge Attilas taucht ein Ritter namens Dietrich von Bern auf. Er ist als Flüchtling zu den Hunnen gestoßen und dem heidnischen König, der ihm Schutz gewährt, loyal ergeben. Hinter diesem Dietrich verbirgt sich augenscheinlich der ostgotische König Theoderich der Große (um 453–526). Diese Betrachtung offenbart zugleich die chronologischen Ungereimtheiten des Nibelungenliedes. Theoderich der Große, der das norditalienische Ravenna zu Beginn des 6. Jahrhunderts in einen Hort der Kunst und Kultur verwandeln sollte, wurde nämlich erst ein Jahr nach dem Tode Attilas geboren.23 Zwischen ihm und dem burgundischen König Gundobad ist allerdings ein interessanter Briefwechsel bezeugt. In ihm spiegelt sich die kulturelle Blüte Ravennas in beeindruckender Weise wider. Auf seine Bitte hin übersandte Theoderich dem Burgunderkönig im Jahre 507 eine Sonnen- und eine Wasseruhr nebst zugehörigem Bedienungspersonal. Es waren frühmittelalterliche Meisterwerke der Feinmechanik, eine Kunst, die im östlichen Mittelmeerraum auf höchstem Stand gepflegt wurde, in den Germanenreichen des westlichen Europa hingegen noch gänzlich unbekannt war. Wie Wunder erscheine den Burgundern, was in Ravenna alltäglich sei, schrieb Theoderich daher dem in seinen Diensten stehenden römischen Philosophen Boëthius. „Denn mit Recht wünschen sie selbst anzuschauen, was sie in den Berichten ihrer Gesandten in Erstaunen versetzt hat“, heißt es weiter. In den Beziehungen zwischen den Völkerschaften dieser Zeit liegt möglicherweise eine Erklärung für Theoderichs späteren Auftritt im Nibelungenlied.

Der Gestaltwandel vom berühmten Herrscher Theoderich zum Flüchtling Dietrich von Bern am Hofe Etzels vollzog sich im Laufe des Mittelalters über mehrere literarische Stationen.24 Eine Umdeutung von Theoderichs umsichtiger Herrschaft fand bereits wenige Jahrzehnte nach dessen Ableben statt. Die Darstellungen des Ostgotenkönigs wurden dabei mit zahlreichen, unterschiedlichen Legenden ausgeschmückt, für die sich kein realer historischer Hintergrund rekonstruieren lässt. In seinen am Ende des 6. Jahrhunderts entstandenen Dialogi stilisierte Papst Gregor der Große (590–604) Theoderich zum Mörder an Papst Johannes. Zur Strafe für diesen Frevel habe Gott den Gotenkönig in den Vulcanus gestürzt, heißt es in den Ausführungen. Ziel des Katholiken Gregor war es, die Herrschaft des Arianers Theoderich im schlechten Licht der Tyrannei erscheinen zu lassen. Er hatte mit dieser Propagandastrategie Erfolg. Die Konkurrenz zwischen Katholiken und Arianern, die letztendlich das seiner historischen Wirklichkeit entfremdete Theoderich-Bild am Ende des 6. Jahrhunderts begründete, erscheint uns heute mit all ihren theologischen Spitzfindigkeiten nur schwer nachvollziehbar. Während der arianischen Auffassung zufolge lediglich eine Wesensähnlichkeit (Homoiusie) zwischen Gottvater und Sohn besteht, so existiert nach katholischem Glauben zwischen beiden eine Wesensgleichheit (Homousie). Bereits im Jahre 325 wurden die Lehren der Arianer auf dem Konzil von Nicaia verdammt. Das Konzil von Chalcedon knüpfte 451 an diese Verurteilung an und präzisierte die Glaubensgrundsätze der Dreifaltigkeitslehre. Resultat war das Schisma zwischen Rom und Byzanz. Im Jahre 484 kam es zur kirchlichen Spaltung und stetigen Streitigkeiten um die richtige Formel des Glaubensbekenntnisses. Diese Spannungen sollten sich während der letzten Lebensjahre Theoderichs zuspitzen. So hatte der Herrscher den Papst Johannes ersucht, beim oströmischen Kaiser als Vermittler für einen toleranteren Umgang mit den Arianern aufzutreten, die in Byzanz Verfolgung und Bedrückung ausgesetzt waren. Doch Johannes tat alles andere als das. Im Gegenteil, das katholische Kirchenoberhaupt ging so weit, den oströmischen Kaiser in allen Ehren noch einmal zu krönen. Angesichts dieses Verrats ordnete Theoderich nach der Rückkehr des Papstes an, dass sich dieser in Ravenna aufzuhalten habe. Dort starb Johannes – allerdings ohne das Zutun Theoderichs – nur wenige Tage später. Doch blieb der Tod des Papstes wie ein Makel an dem Herrscher haften, der seinerseits kurz darauf, am 30. August 526, aus dem Leben schied.

Aus solch zufälligen Ereignissen ließen sich trefflich Legenden spinnen. Und so erfuhr die Herrschaft Theoderichs des Großen in der vornehmlich von katholischen Klerikern geprägten Geschichtsschreibung des Mittelalters jene negative Deutung, die ihn zum häretischen und gottlosen Tyrannen stempelte und im Nibelungenlied wie späteren Zeugnissen der deutschen Dichtung zum Exilanten degradierte. Dabei erklärt sich der dort verwendete Name „Dietrich“ einfach durch den deutschen Lautstand des in lateinischen Schriftzeugnissen stets benutzten „Theoderich“.

Artus ohne Tafelrunde

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