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„Ruhmvolle Leben“ und die „Nacht Vergessenheit“

So glaubte ich denn, mich von meinem Vorhaben nicht abhalten lassen zu dürfen. Zumal, da ich mir bewusst war, niemand könne so wahr und getreu wie ich das aufzeichnen, was ich selbst miterlebte, was ich mit eigenen Augen sah und da ich überdies nicht wissen konnte, ob es wirklich auch von einem anderen aufgezeichnet werden würde oder nicht. Und ich erachtete es für besser, noch neben anderen den selben Gegenstand zu behandeln und ihn auf die Nachwelt zu bringen, als das ruhmvolle Leben und die herrlichen Taten des ausgezeichnetsten und größten Königs seiner Zeit in die Nacht des Vergessens sinken zu lassen “,

heißt es in der Vorrede zur Vita Karoli Magni.1 Unverkennbar ist in diesen Worten die Absicht ihres Verfassers Einhard, die Erinnerung an das herausragende Wirken des Herrschers und gleichsam an dessen Person für alle Zeit zu sichern. Umso glaubwürdiger mussten späteren Lesern des Werkes dessen Ausführungen erscheinen, wenn der Autor sich als Augenzeuge der berichteten Ereignisse zu erkennen gab und für deren Wahrheitsgehalt bürgte. Desto gewichtiger war zugleich sein Urteil über den König und die Bewertung von dessen Taten. An seinem Vorbild sollten sich seine königlichen Nachfolger orientieren.

Einhard, um 770 geboren und im Kloster Fulda erzogen, lässt sich seit 794 am Hof Karls des Großen in Aachen nachweisen.2 Nachrichten über ihn bezeugen, dass die Natur den kleinwüchsigen, oft dem verhaltenem Spott seines Umfeldes ausgesetzten Einhard mit außergewöhnlicher Gelehrsamkeit und künstlerischen Fähigkeiten gesegnet hatte.3 So wirkte er als geachteter Ratgeber, häufiger Begleiter und enger Vertrauter des Herrschers. Nach Karls Tod im Jahre 814 gelang es Einhard als einem von wenigen, seine einflussreiche Stellung bei Hofe zu halten. Ludwig der Fromme, Karls Sohn und Nachfolger auf dem Thron, übertrug ihm die Leitung der bedeutenden Klöster St. Peter und St. Bavo im flandrischen Gent, St. Wandrille in der Normandie, St. Servatius in Maastricht sowie später St. Cloud in Paris. Irgendwann in den 820er Jahren zog sich Einhard vom Hof zurück. An den Machtspielen um das Erbe Ludwigs des Frommen mochte er nicht mehr teilhaben. Etwa um diese Zeit entstand die Vita Karoli Magni. Noch im fortgeschrittenen Alter von rund 60 Jahren kam er jedoch weiterhin seinen Diensten für den Herrscher pflichteifrig nach. Dies bezeugt unter anderem ein um 830 verfasster Brief an die Kaiserin Judith, die Gemahlin Ludwigs des Frommen.4 Darin entschuldigt sich Einhard, aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit den Herrscher derzeit nicht aufsuchen zu können. Zum Zweck der Genesung wolle er sich per Schiff nach St. Bavo begeben und sein Versäumnis nachholen, sobald sein Gesundheitszustand dies erlaube, versichert er. Doch seine Beschwerden plagten Einhard spätestens ab dieser Zeit derart, dass er sich schließlich mit seiner Gattin Imma auf seine Besitzungen im Odenwald zurückzog. Dort verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens. In Steinbach, unweit von Michelstadt, hatte das Ehepaar eine Kirche gestiftet. Später folgte eine Klosterstiftung in Mühlheim im Maingau. Im Jahre 840 starb der Biograf Karls des Großen. In Seligenstadt fand er seine letzte Ruhe.

Orientierte sich Einhard bei der Abfassung seiner Vita Karoli Magni am Vorbild von Suetons im ersten Viertel des 2. Jahrhunderts entstandenen Lebensbeschreibungen römischer Herrscher von Gaius Julius Caesar bis hin zu Domitian, so folgte sein Werk doch anderen Zielen. Nicht die Geschichtsschreibung als solche, die Bewahrung von Karls Andenken stand für ihn unverkennbar im Mittelpunkt. Durch die Überhöhung von dessen Taten als gleichsam unerreichbar, wird der Herrscher bereits in die Nähe eines Heiligen gerückt – auch wenn Einhard ausschließlich dessen irdisches Wirken würdigen wollte und sich bemüht, seine Distanz zur zeitgenössischen Hagiografie zu betonen.5 Seinen Zweck, Karls Ruhm nicht „in die Nacht der Vergessenheit sinken zu lassen“, erfüllt Einhards Werk seit Jahrhunderten und zweifelsohne bis heute. Gemeinsam mit einer Reihe zeitgenössischer Annalenwerke bildet es den Grundstock einer literarischen Tradition um Karl den Großen, in deren weiterer Entwicklung die historischen Ereignisse immer stärker von Legenden überlagert wurden.

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts verfasste Notker der Stammler aus St. Gallen seine Taten Karls (Gesta Karoli Magni).6 Kaum zwei Generationen nach Einhard prägen darin bereits Anekdoten und Legenden das Bild des Herrschers. Notkers Ausführungen verklären Karl zum idealen Herrscher. Doch die Bilder sind wohl nicht allein der Fantasie des Autors entsprungen. Gespeist wurden sie vielmehr durch eine nicht zu unterschätzende, in ihren Inhalten allerdings noch kaum greifbare mündliche und im Volk weit verbreitete Überlieferung. Sie wurde dadurch begünstigt, dass Karl der Große seiner Zeit wie kaum ein anderer Herrscher einen nachhaltig sichtbaren Stempel aufgedrückt hatte. Die Reformen der Schrift, des Kloster- und Bildungswesens wie auch der Verwaltung wirkten sich auf das tägliche Leben aus. Ebenso präsent war den Menschen die Schaffung des fränkischen Großreiches, die Christianisierung und die Integration der Sachsen. All dies hielt die Erinnerung an das Wirken Karls wach und inspirierte nachfolgende Generationen zu einer legendären Ausschmückung solch bahnbrechender Leistungen. So nimmt es nicht wunder, dass Notkers Werk darauf abzielte, Kritik an den Zuständen seiner eigenen Zeit zu üben und die Zeitgenossen mahnend an die großen Taten Karls zu erinnern. Schon bei ihm erfüllt der König die Rollen eines Förderers von Kirche und Bildung, eines schlagkräftigen Feldherrn und wohlmeinenden Hausvaters.7 Im 12. Jahrhundert, dem Zeitalter der Kreuzzüge in den Vorderen Orient und der fortschreitenden Reconquista der Iberischen Halbinsel, trat als weiteres Bild das des göttlichen Streiters wider die Mauren in der literarischen Tradition hinzu. Bilder und Kunstobjekte setzten diese Vorstellungen von Karl dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend visuell um. Die Verformung der ursprünglichen Gestalt und ihres Wirkens setzte sich unvermindert fort, um im ausgehenden 19. Jahrhundert zunächst zum nationalistischen Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland und einige Jahrzehnte später von den NS-Ideologen zum „Sachsenschlächter“ verfremdet zu werden. Heute herrscht das Bild Karls als „Vater Europas“ vor, das nicht zuletzt mit der alljährlichen Verleihung des Aachener Karlspreises für Verdienste um die europäische Verständigung sorgsam gepflegt wird.8 Hinzu kommt eine lange, vor allem mündliche und bis heute weithin bekannte Sagentradition.

Artus ohne Tafelrunde

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