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Warum gehört dieser blutrünstige Bericht zur Geschichte der Geburt Jesu?

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Wenn man sich an Jesu Geburt erinnert, erzählt man ihre Geschichte oft in weichen Farben und mit schöner Hintergrundmusik. Der Mord an den Unschuldigen findet nie einen Platz im Krippenspiel, ganz gleich in welcher Kirche. Ich kann mich nicht erinnern, dass diese Geschichte je in einem Weihnachtsgottesdienst vorgelesen wurde. Die Christen erwarten – und bekommen – in der Regel eine Geschichte, die sich auf fröhliche Engel, aufgeregte Hirten und großzügige Weise beschränkt. Die verlesenen Texte sind voller Friedensverheißungen, durchsetzt mit Bildern eines hübschen Kindes, einer heiligen Mutter, eines mutigen Vaters und einiger harmloser Tiere. Es scheint eine Verschwörung des Schweigens zu geben, die sich weigert, das Massaker zu erwähnen. Warum nahm Matthäus es überhaupt in sein Evangelium auf?

Matthäus habe Jesus als neuen Mose darstellen wollen, wird häufig als Erklärung angeführt. Mose wurde mitten in einem „Mord an Unschuldigen“ geboren, nämlich zu der Zeit, als der Pharao die Tötung aller männlichen hebräischen Säuglinge angeordnet hatte (2Mo 1,8-22). In gleicher Weise erzählte Matthäus eine parallele Geschichte über Jesus.64 Doch möglicherweise gab es noch einen weiteren wichtigen Grund.

Die Menschen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten lebten (der Autor dieses Buches eingeschlossen), erlebten dort häufig Kriegssituationen. Im Libanon beispielsweise gab es über einen Zeitraum von fünfunddreißig Jahren sieben Kriege. Einer davon dauerte siebzehn Jahre. Andere waren kurz, aber brutal. Menschen sahen, wie Freunde und Verwandte von Kugeln und Sprengkörpern getötet wurden, und erlebten das Grauen moderner Kriege.

Wie behalten Menschen unter solchen Umständen ihren Glauben? Eine Antwort ist, dass sie sich sowohl an das erste Weihnachten als auch an den ersten Karfreitag erinnerten. Im Zusammenhang mit Jesu Geburt fand ein sinnloses, blutiges Massaker statt. Wer diese Geschichte liest, wird nicht mehr unvorbereitet sein, wenn sich die menschliche Fähigkeit zu Gräueltaten ihr hässliches Gesicht wieder am Kreuz zeigt. Am Anfang und am Ende seines Evangeliums zeigt Matthäus die Abgründe des Bösen auf, das Jesus durch sein Kommen aus der Welt schaffen sollte. Diese Geschichte stärkt beim Leser das Bewusstsein für Gottes Bereitschaft, sich in der Menschwerdung völlig verletzlich zu machen. Wenn das Evangelium sich in einer Welt ausbreiten kann, die ein Massaker an Unschuldigen hervorbringt, kann es sich überall ausbreiten. Aus diesem Bewusstsein können Leser der Evangelien zu allen Zeiten Mut schöpfen.

Jesus war kein Europäer

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