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Die zweite Seligpreisung

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Glückselig die Trauernden,

denn SIE werden getröstet werden.

Dies ist ein klarer Fall eines „göttlichen Passiv“. Gott wird diejenigen trösten, die trauern. In der modernen Bibelübersetzung Das Buch wird die Passivform aktiv wiedergegeben: „Wahres Glück haben alle, die am Ende sind. Denn sie werden erleben: Gott lässt sie nicht allein.“ (DBU)

Worüber sollten wir trauern? Warum werden „die Trauernden“ glückselig genannt? Der menschliche Geist hat eine entsetzliche Seite, die es genießt, andere leiden zu sehen. Die Filmindustrie hat diese finstere Seite entdeckt und verdient jedes Jahr Milliarden damit. Diese perverse Faszination im Herzen der Menschheit ist eine widerwärtige Form des Bösen. Am anderen Ende des Spektrums werden in der Gesellschaft Milliarden damit verdient, die Öffentlichkeit in Watte zu packen und sie vor jeder Form von Leid oder auch nur Unannehmlichkeiten zu schützen. Es ist nicht nötig, beim Essen Selbstbeherrschung walten zu lassen, Sport zu treiben oder Schmerzen zu ertragen. Esst, was ihr wollt, kauft unsere Pillen, und ihr werdet abnehmen, ohne euch plagen zu müssen. Unsere Seligpreisung hat weder mit der einen noch mit der anderen dieser Extremhaltungen zu tun. Wenn Menschen trauern, verbirgt sich irgendein Leid dahinter. Wie sollen wir diese Dinge verstehen?

Christen werden nie dazu gedrängt, sich aktiv dem Leiden auszusetzen; allerdings werden sie ermutigt, Leid als außergewöhnlichen Lehrmeister anzuerkennen. Wir wissen wenig über die große Tiefe des menschlichen Geistes, bis wir selbst Leid durchgemacht haben. Schmerz ordnet unsere Prioritäten neu. Zum Flüchtling zu werden, ist schrecklich, und man muss sich den Kräften entgegenstellen, die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Doch jeder, der aus seinem Zuhause fliehen muss – wie es mir im Libanon dreimal geschah –, lernt schnell, was im Leben wirklich zählt, und dass aller Besitz letztendlich wertlos ist. Trauernde ertragen Leid, und wer dabei Gottes Seligpreisung vernimmt, erfährt Gottes Trost.

Große Naturkatastrophen wie Wirbelstürme oder Überflutungen treffen unsere Welt. Wenn es eine Vorwarnung gibt, bleiben meistens einige mutige Menschen in ihren Häusern. Die große Mehrheit der Einwohner flieht jedoch vor der herannahenden Verwüstung. Wenn der Sturm nachlässt, kehrt, wer kann, zurück nach Hause. Und manchmal wird in Berichten über die Katastrophe zwischen den Zeilen ein gewisses Muster erkennbar. Oft gibt es einen augenfälligen Gegensatz zwischen denen, die bleiben, und denen, die gehen. Die Herzen derer, die den Sturm aus der Nähe erlebten und doch überlebten, sind oft voller Dankbarkeit darüber, dass sie noch am Leben sind. Die Rückkehrer dagegen sehen manchmal nur die Verwüstung und spüren nichts als Schmerz. Daraus folgt nicht, dass wir uns absichtlich zerstörerischen Stürmen aussetzen müssen, um Dankbarkeit zu lernen. Doch wer Leid erlebt, kann gerade in seiner Trauer auf besondere Weise von Gott gesegnet werden.

In Prediger 7,2-4 heißt es:

Besser, ins Haus der Trauer zu gehen,

als ins Haus des Gastmahls zu gehen […]

Besser Verdruss als Lachen;

denn bei traurigem Gesicht ist das Herz in rechter Verfassung.

Das Herz der Weisen ist im Haus der Trauer,

das Herz der Toren aber im Haus der Freude.

Jahrzehntelang habe ich über diese Worte und ihre Bedeutung nachgedacht. Ich bin noch nicht zu einem endgültigen Schluss gekommen. Kürzlich war ich bei der Beerdigung eines lieben Freundes und Weggefährten auf dem Weg des Glaubens. Mehrere Bekannte des Verstorbenen berichteten davon, wie er sie ermutigt und beeinflusst hatte. Während sie erzählten und wir uns an sein Leben erinnerten, hob sich die Stimmung unter den Trauergästen in majestätischer Weise. Alle Freunde hatten die Möglichkeit, von ihren Erinnerungen an seinen Mut und Glauben, an seine Treue, Loyalität, Liebe und Weitsicht zu erzählen. Ja, es gab Tränen und auch Lachen, doch wir alle hörten in Herzen und Gedanken den Widerhall des Glaubens, und auf seltsame, unbeschreibliche Art und Weise war „bei traurigem Gesicht […] das Herz in rechter Verfassung“, und die Seligpreisung gewann eine neue Bedeutung.

Die Gerechten trauern auch, wenn Menschen ungerecht behandelt werden. Es ist leicht, persönliche „Schutzschilde“ zu entwickeln, um den Schmerz anderer nicht zu spüren; wenn das geschieht, hören wir auf, um sie oder mit ihnen zu trauern. Diejenigen, die von Jesus glücklich gepriesen werden, trauern auch angesichts von Ungerechtigkeit. Einmal las ich ein Buch mit Erinnerungen an Anne Frank, die ihre Freunde zusammengetragen hatten. Eine Bekannte, die mit ihr im Konzentrationslager war, sagte, dass „ihre Tränen nie versiegten“. Ihr Körper versagte ihr den Dienst, doch ihr Geist wurde nie müde, Mitgefühl zu empfinden. Bis zum Ende war sie in der Lage zu trauern, und dieses Gesegnetsein strahlte aus auf alle, die sie kannten.

Die zweite Seligpreisung ruft die Gläubigen außerdem auf, über das Böse in ihrem eigenen Leben zu trauern, wenn sie begreifen, dass sie es aus eigener Kraft nicht überwinden können. Wenn wir Gott und unsere Mitmenschen nicht lieben, sollten wir darüber traurig sein. Die Glückseligen sind diejenigen, die diese Trauer erleben.

Was geschieht mit Menschen, die ihren eigenen Schmerz betrauern, gleichzeitig aber dem Schmerz anderer gefühllos gegenüberstehen? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass solche Menschen unter den „Glückseligen“ zu finden sind. Vielmehr werden diejenigen den Trost Gottes erleben, denen bewusst ist, dass sie immer wieder an Gottes königlichem Gesetz versagen, Gott und ihre Mitmenschen zu lieben. Aus der Tiefe ihrer Seele wird mitten in dieser Trauer der stille Friede Gottes kommen. Die Gegenwart solcher Menschen ist ein Segen für Gottes Volk.

Jesus war kein Europäer

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