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Die erste Seligpreisung

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Glückselig die Armen im Geist,

denn IHRER ist das Reich der Himmel.70

Was meint Jesus mit „arm im Geist“? Lukas sagt lediglich „Glückselig ihr Armen“. Über diese beiden Sätze wird in der Christenheit der westlichen Welt seit Jahren debattiert. Die einen behaupten, die authentische Stimme Jesu sei in der Aussage im Lukasevangelium zu hören. Den Armen ist von Gott das Glück zugesprochen. Matthäus, so heißt es, habe diese einfache und gewaltige Aussage vergeistlicht. Eine zweite Möglichkeit, den Unterschied zwischen den zwei Sätzen zu begreifen, besteht darin, Jesus im Kontext der prophetischen Tradition zu verstehen, sodass für ihn – wie für Jesaja – die „Armen“ die demütigen und frommen Menschen sind, die Gott suchen. Matthäus’ Formulierung würde in diesem Fall dazu dienen, die ursprüngliche und in der Lukas-Formulierung bereits enthaltene Bedeutung hervorzuheben. In Jesaja 66,2, von wo Jesus seine Formulierung entlehnt, heißt es:

Aber auf den will ich blicken:

der arm [‘ānî] und zerschlagen im Geist ist

und der zittert vor meinem Wort. [eigene Übersetzung]

Wenn der Leser des Matthäusevangeliums bereits von diesem Text beeinflusst ist – und von anderen ähnlichen Texten aus Jesaja und den Psalmen –, dann braucht er den Zusatz im Geist nicht. Wenn der Hintergrund aus dem Jesajatext nicht bekannt ist, ist der Zusatz arm im Geist zum Verständnis entscheidend. Bei Jesaja bezieht sich das Wort arm nur selten auf Menschen, die nicht genug zu essen haben (Jes 58,7). Vielmehr bezeichnet es in der Mehrzahl der Fälle die demütigen und frommen Menschen, die wissen, dass sie auf Gottes Gnade angewiesen sind, und vor seinem Wort „zittern“.71

Dann erklärt Jesus, dass diese selig Gepriesenen „Bürger“ des Himmelreiches sind, das ihnen bereits gehört. Doch was ist das für ein Reich? Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Alles, was Jesus sagte und tat, hängt irgendwie mit Gottes Königreich zusammen. Es hat mit der Herrschaft Gottes im Leben einzelner Menschen und ganzer Gesellschaften zu tun. Im Vaterunser sind die Worte „Dein Reich komme“ enthalten, die sich offensichtlich auf eine Zukunft beziehen, die sich erst langsam entfaltet. Doch das Reich Gottes ist bereits in Jesus Christus angebrochen, der sagte: „Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Lk 11,20).

Wir leben in der Zwischenzeit zwischen dem Anbruch von Gottes Königreich (seiner Herrschaft), das mit Jesu Kommen auf diese Erde anbrach, und seiner Vollendung am Ende der Zeiten. Unser Kampf um Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Erde gehört zur Nachfolge Christi dazu, während wir auf das Königreich auf Gottes neuer Erde, das Gott stiften wird, warten und uns dafür einsetzen.

In dieser ersten Seligpreisung sagt Jesus, dass die Armen im Geist bereits das Reich Gottes besitzen. Viele Menschen zur Zeit Jesu benutzten den Ausdruck das Reich Gottes als Beschreibung für einen jüdischen Staat, in dem allein Gott König ist.72 Im Gegensatz dazu verkündet Jesus, dass das Königreich bereits bei den Armen im Geist (nicht bei den Zeloten) gegenwärtig ist.

Die alte syrische Übersetzung dieses Textes lautet: „Es ist ein Glück für die Armen im Geist, dass das Himmelreich ihnen gehört.“73 Wie bereits erwähnt, ist der zweite Satzteil keine Belohnung für das, was im ersten Satzteil ausgesagt ist. Vielmehr besitzen die Armen im Geist bereits das Reich Gottes.

Jesus war kein Europäer

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