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DIE KUNTERBUNTE WELT DER TECHNIK

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Wo wir ihr begegnen und warum wir keine Angst vor ihr haben müssen

Es ist ein sonniger Herbsttag im Jahr 2001. Ich sitze in einem Unterrichtsraum der Universitat de València und höre, wie Professor Emilio Soria mit Begeisterung erklärt, was ein neuronales Netz ist. Zum ersten Mal in meinem Studium habe ich das Gefühl, dass ich den richtigen Studiengang gewählt habe. Ich mag Mathematik, und konkrete Zukunftsaussichten sind mir auch wichtig. Die Telekommunikationsbranche ist in diesen Jahren im Aufbruch, und so habe ich mich für Telekommunikationsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik eingeschrieben.

Ich bin in Marokko zur Schule gegangen, dort bin ich sehr gut in Mathe und Physik ausgebildet worden, aber einen Computerraum hatten wir nicht. Programmieren ist für mich neu und Leiterplatten allenfalls etwas, was ich im Müll gesehen habe, wenn irgendein kaputter Fernseher oder Mixer nur noch Schrott war. (Eine Leiterplatte, auch Platine genannt, ist übrigens die Platte, auf der die elektronischen Bauteile eines Elektrogeräts befestigt sind. Meistens sind sie grün mit vielen kleinen Teilchen darauf.) Aber an diesem sonnigen Tag im spanischen Herbst zeigt mein Studium plötzlich sein menschliches Gesicht. Emilio erklärt uns, wie die Nervenzellen (Neuronen) im menschlichen Gehirn funktionieren, und zwar aus der Perspektive eines Elektrotechnik-Professors. Wenn wir etwas denken, zum Beispiel »Ich habe Hunger«, dann wandert die Information mittels Neurotransmitter (chemische Botenstoffe), aber auch in Form eines Elektroimpulses von einer Nervenzelle über die Synapsen zur nächsten Zelle und verbreitet sich so im ganzen neuronalen Netz. Also in diesem Fall dem Gehirn, bis dieses meinen Körper zum nächsten Snackautomaten steuert. Das habe ich in der Schule bereits gehört. Neu ist für mich allerdings, dass solche Phänomene auch technisch herstellbar sind. Bereits in den Vierzigerjahren, zeitgleich zum ersten Einsatz programmierbarer Computer auf elektronischer Basis, haben sich Forscher dafür interessiert, Verknüpfungen von elementaren Einheiten herzustellen, um jede logische oder arithmetische Funktion berechnen lassen zu können. Ähnlich, wie die Neuronen im Gehirn vernetzt sind.

Sich anzuschauen, wie die Natur funktioniert, um bestimmte Probleme zu lösen, ist nichts Neues. Die Menschen haben immer Phänomene der Natur auf die Technik übertragen, um vom evolutionären Prozess der Natur lernen und profitieren zu können. So hat zum Beispiel Leonardo da Vinci die Idee entwickelt, den Vogelflug auf Flugmaschinen zu übertragen. Heute werden hydrophobe Glasoberflächen gebaut, inspiriert von der Lotosblume, die eine wasserabweisende mikro- und nanoskopische Oberflächenarchitektur hat, die nicht nur die Haftung von Wasser, sondern auch von Schmutzpartikeln minimiert. Darüber freue ich mich als Brillenträgerin besonders.

Unsere menschliche Fähigkeit zu lernen sollte also auf die Computer übertragbar gemacht werden. Denn unsere neuronalen Netze haben die wunderbare Eigenschaft, komplexe Muster erlernen zu können, und zwar nicht nach einer fixen Logik und klar definierten, unveränderbaren Regeln, sondern nach einer intuitiven Musterverarbeitung. Je öfter ein neuronales Netz eine Lernerfahrung macht, desto erfolgreicher wird es das Muster erkennen. So lernt unser Gehirn ein ganzes Leben lang. Die digitale Abbildung dieses Lernens eröffnet natürlich ein riesiges Potenzial für die Forschung, denn damit können Experimente durchgeführt werden, die mit natürlichen neuronalen Netzen nicht möglich sind. Gerade auf dem weiten Feld der Medizin bieten sich dafür großartige Optionen: So kann man zum Beispiel ein künstliches neuronales Netz darauf trainieren, gut- und bösartige Hautveränderungen voneinander zu unterscheiden, indem man es mit vielen Tausend Bildern und der jeweiligen Diagnose füttert. Dieselbe Anzahl an Bilder anzuschauen, auszuwerten und eine Diagnose auszusprechen wäre für einen Menschen in derselben Zeit unmöglich. Unser Gehirn hat einfach natürliche Grenzen, die wir nicht steuern können, und so können künstliche neuronale Netze eine große Hilfe sein.

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