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Kapitel 10

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Ich stehe an Deck der Fähre und lasse mir mit geschlossenen Augen den Wind durch die Haare wehen. Wir werden in Kürze die Insel erreichen. Die salzige Luft ist der Wahnsinn, auch wenn mir schon jetzt kalt ist. Ich bin im Moment einfach nur froh bald dort zu sein. Die Anreise war anstrengend und ich bin müde. Wäre schön, wenn ich hier endlich Schlaf finden würde. Die satte Luft sollte mir dabei helfen schlafen zu können. Ich habe mir vorgenommen viel spazieren zu gehen, Möglichkeiten gibt es auf der Insel ja zahlreiche. Und das Schönste dabei, hier begegnet man nicht so leicht anderen Menschen. Meine Panikattacken sollten sich also im Zaum halten. Ich denke an meinen letzten Sommer hier. Ich war knapp vierzehn. Meine Mutter war außerordentlich froh mich für ein paar Wochen los zu sein, so kommt es mir zumindest im Nachhinein vor. Ich war eigentlich auch froh, das Anwesen der Stewarts ist beachtlich. Ich durfte ausreiten, natürlich liebte ich wie alle Mädchen Pferde, und mit Vollblutpferden aus bester Zucht ist das wahrlich unglaublich. Keine Ahnung ob ich überhaupt noch reiten kann, früher beherrschte ich das ganz gut. Mein Vater hat es mir beigebracht. Er war ein Naturbursche und totaler Landmensch. Ich schätze er ist nur aufgrund der Liebe zu meiner Mutter in die Stadt gezogen. Doch die ließ sich von ihm scheiden, als ich noch in den Kindergarten ging. Heute weiß ich, dass Dad daran zerbrach. Vielleicht wurde er deshalb sterbenskrank. Ich atme tief durch. Auch wenn ich noch klein war werde ich nie seine warmen Augen vergessen. Er war ein wunderbarer Mensch. Er hat sich auch nach der Scheidung immer um mich gekümmert und sich Zeit für mich genommen, obwohl er einen sehr anstrengenden Job hatte. Während die Fähre anlegt, bin ich irgendwie nervös. Ich gehe voll bepackt von Deck und sehe Onkel James auch gleich. Seine Haare sind ziemlich grau geworden und seine Haut faltiger, doch sonst ist er noch ganz der Alte. Es ist so ein schöner Moment, dass mir fast die Tränen kommen. Jetzt erinnere ich mich wieder wie ähnlich er und Dad sich doch sind. Er umarmt mich fest zur Begrüßung.

„Meine Güte Mädchen, wo ist denn die Zeit hin? Du bist ja erwachsen geworden.“ Er schüttelt mich musternd den Kopf. „Und noch hübscher als bei deinem letzten Besuch, du liebe Zeit…“

Meine Wangen röten sich. „Du bist immer noch ein Schmeichler Onkel Jamie…“

Ja, auch ich habe mich verändert. Vor allem habe ich ordentlich zugelegt, aber das scheint ihn nicht zu stören, auch wenn ich mich unwohl fühle. Auf der Fahrt zum Anwesen der Stewarts sehe ich die ganze Zeit aus dem Fenster. Ich habe komplett vergessen wie schön es hier ist. Das felsige grau gepaart mit den Weiten der grünen Felder ist unglaublich. Doch am unglaublichsten ist die Farbe des Himmels. Ich erinnere mich daran, dass mich der schon als Mädchen fasziniert hat. Am Meer ist die Farbe des Horizontes türkisblau anmutend und die Schaumkronen des rauschenden Meeres spiegeln sich in den Wolkenschwaden wieder. Alles hier wirkt wie eine verzauberte Welt.

„Und? Wo ist dein Ehemann? Warum hast du ihn nicht mitgebracht?“, reißt mich Onkel Jamie aus meiner gedanklichen Schwärmerei.

Ich wusste dass diese Frage kommen wird, aber so schnell, naja, dann habe ich es zumindest hinter mir. Zögerlich antworte ich ihm.

„Das läuft im Moment nicht so gut…“

Er lächelt mich an und klopft mir fast väterlich auf den Oberschenkel. „Also eine Auszeit.“

Ich nicke. „Vielleicht auch mehr als nur eine Auszeit, ich weiß es nicht.“

„Dein Vater ist auch immer gerne hier her gekommen um nachzudenken. Die Ruhe und Weite der Natur werden dir dabei helfen. Auch wenn wir dich schon gerne früher wieder hier gesehen hätten, schön dass du da bist.“

„Ja ich weiß, ich habe auch ein schlechtes Gewissen, aber du weißt ja wie das ist und ihr wohnt auch nicht gerade um die Ecke. Auf jeden Fall weiß ich jetzt wieder wie schön es hier ist. Sag mal war es früher auch immer so kalt?“

James lacht herzlich auf. „Na ja, eigentlich schon.“ Er dreht die Heizung etwas hoch. „Im Moment ist das Wetter sehr wechselhaft und es regnet noch viel, aber in ein paar Wochen wird das besser. Wie lange hast du vor zu bleiben?“

„Keine Ahnung“, murmle ich. Ich will ihm nicht auch gleich noch erzählen, dass ich mich gesundheitlich Scheiße fühle. Es zieht komisch in meinem Herzen. Tyler zu verlassen, auch wenn ich noch immer nicht weiß ob es endgültig ist, tut weh. Ich vermisse seine Nähe. Kurz schließe ich meine Augen und atme durch. Dann sehe ich wieder aus dem Fenster. Alles hier ist nur Gegend, an manche Stellen erinnere ich mich, besonders weil wir uns dem Stewart Castle nähern. Ein Castle. Ja, dieses Anwesen ist wirklich ein unglaubliches Schmuckstück. Es ist noch schöner, als ich es in Erinnerung hatte. Die Straße der Auffahrt säumen perfekt geschnittene Buchsbäume, die Rosenbeete warten nur darauf endlich aufzublühen und der weiße Kies auf den Wegen schimmert nobel und weist den Weg in zur großzügigen Parkanlage hinter dem Castle. Wir fahren an den Pferdekoppeln vorbei, einige Vollblüter stehen darin und weiden.

„Wir haben im letzten Monat zwei Stuten verloren, so ein irrer Pferdehasser läuft herum und schlitzt Pferde auf, wenn ich das Schwein hier erwische erschieße ich ihn persönlich“, erzählt mir Onkel Jamie und ist verständlicher Weise außer sich dabei.

„Was? Ehrlich? Das ist ja schrecklich? Und man hat keine Vermutung wer so etwas tut?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, es ist ein paar Mal in der näheren Umgebung passiert. Wir haben jetzt alles wie in einem Hochsicherheitstrakt abgeriegelt, die Pferde sind nur tagsüber ein paar Stunden in der Koppel und nie unbeaufsichtigt.“

„Das ist ja fürchterlich“, meine ich betroffen. Es gibt wirklich irre Menschen.

„In der Tat“, seufzt er und stellt den Wagen ab.

Noch bevor ich ausgestiegen bin läuft auch schon Tante Eliza aus dem Haus. Es ist so ein gutes Gefühl zu sehen wie sie sich freut. Bevor sie etwas sagt umarmt sie mich fest, dann lächelt sie mich an und streicht durch meine Haare.

„Seit wann sind die glatt? Geht es dir auch gut Holly, warum bist du so blass?“

Tante Eliza wie ich sie seit jeher kenne, vor ihr kann man nichts verbergen.

„Ach Tante Eliza…Ich habe dich so vermisst“, murmle ich und drücke mich noch einmal fest an sie. Wie früher riecht sie unheimlich gut nach Kuchen oder irgendetwas Süßem. Sie kocht für die Stewarts und heute hat es scheinbar frischen Kuchen gegeben. „Es war eine lange Reise und keine Sorge, die Haare sind immer noch wie früher.“

Sie lächelt und nimmt meine Hand. „Herzlich willkommen mein Mädchen, komm erst mal herein. Ich mach dir etwas zu Essen, du bist doch bestimmt am Verhungern.“ Sie sieht mich noch einmal musternd an. „Herrje…Du bist kein Mädchen mehr.“

Ich habe zwar wirklich ordentlich Hunger, aber besser wäre es zu fasten.

„Besser, wenn ich nicht so viel esse“, meine ich zu Eliza. „Ich habe so viel zugenommen die letzten Monate.“

„Was? Keine Widerrede. Du bist ganz durchsichtig und blass. Mach jetzt bitte nicht auch so ein Theater wie Kendra, mir reicht eine komplizierte Person für die ich kochen muss.“

„Kendra?“, frage ich verwundert, während ich ihr ins Haus folge. Dieser Name sagt mir hier nichts.

„Lady Kendra, die Ehefrau von Tavis.“

„Ach so, von Tavis.“

Ich denke kurz nach. Mir fehlt die Erinnerung an ihn fast zur Gänze. Ich weiß nicht einmal mehr genau wie er aussieht. Als ich zuletzt hier war, hat er schon in den USA bei seiner Mutter gewohnt und dort studiert. Lady Cassandra Stewart und Lord Angus Stewart ließen sich etwa ein Jahr bevor ich zum Letzten Mal hier war scheiden. Lady Cassandra ging dann zurück in die USA, ist glaube nach Boston. Die Söhne Tavis und Peter blieben zwar hier in Schottland, aber Tavis studierte in den USA. Darum kann ich mich nur wage an ihn erinnern. Er ist einige Jahre älter als ich und hatte bereits andere Interessen als sich mit halbwüchsigen Mädchen zu beschäftigen. Dafür erinnere ich mich am Peter umso besser. Ich muss kurz schmunzeln.

„Tavis muss ich übrigens morgen abholen. Er kommt aus Glasgow von einem Geschäftstermin zurück“, sagt Onkel Jamie zu seiner Frau und reißt mich aus meinen Gedanken.

Tante Eliza nickt und nimmt mir meine Tasche und Jacke ab. Es ist zwar hier drinnen wärmer als draußen, aber ich bin so durchgefroren, dass ich sie lieber anbehalten würde.

„Also Tavis ist mit Kendra verheiratet und Peter?“, frage ich möglichst beiläufig.

Sie verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. „Der ist immer noch der draufgängerische Junggeselle. Er ist zwar unersetzlich für den Gutsbetrieb hier, aber mit den Frauen hat er es nicht so. Also mit den Frauen schon, aber nicht mit den fixen Beziehungen.“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch, manche Männer ändern sich wohl nie. Hätte ich mir denken können, er war schon früher ein kompletter Draufgänger.

„Er und Tavis sind immer noch wie Feuer und Wasser, zusammen sind sie eine explosive Mischung. Darum ist Tavis auch die meiste Zeit unterwegs. Er regelt die Geschäfte der Brennerei und kümmert sich um den weltweiten Vertrieb“, ergänzt mein Onkel noch.

„Und seine Frau nimmt er mit auf seinen Geschäftsreisen?“

Ich setze mich dicht neben den Ofen, Eliza wärmt scheinbar etwas auf.

„Nein.“ Sie dreht sich zu mir und spricht etwas leiser. „Kendra ist zwar eine höchst komplizierte Frau, aber sie kümmert sich wunderbar um Lord Angus. Du weißt doch, dass er schwer an Alzheimer erkrankt ist.“

„Nein. Wirklich? Er ist doch noch gar nicht so alt.“

„Er leidet unter einer frühen Form. Kendra ist die einzige die er um sich haben will. Er hat schon zahlreiche Pflegerinnen in die Flucht geschlagen. Er akzeptiert kaum jemanden. Dafür bewundere ich sie. Hin und wieder springe ich ein, wenn sie etwas vorhat und du kennst Lord Angus von früher. Er war immer schon sehr autoritär.“

Ja ich erinnere mich. Er ist eben ein richtiger Lord. Streng und unnahbar. Ganz im Gegensatz zu seiner Ex Frau Cassandra. Ich erinnere mich an eine wunderschöne, liebenswerte und einfühlsame Frau. Heute verstehe ich irgendwie, dass sie es hier nicht ausgehalten hat. Auch wenn ich meine Söhne, selbst wenn sie schon fast erwachsen waren, nicht hier zurücklassen hätte können. Aber sie sind eben Lords und gehören hier her. Das muss man nicht verstehen, das ist eben so. Im Adel gelten andere Gesetze.

„Aber du wirst Kendra sicher bald selbst kennen lernen. So und jetzt isst du erst einmal.“

Ich bin inzwischen froh über die warme Suppe, die dampfend vor mir steht. Onkel Jamie ist wieder nach draußen gegangen, wie immer gibt es am Gut jede Menge zu tun. Eliza erzählt mir noch so manche Neuigkeit und erst als ich meinen Teller leer gelöffelt habe, greift sie nach meiner Hand.

„Was ist los Holly? Ich sehe dir an, dass es dir nicht gut geht“, fragt sie ernst.

Ich senke meinen Blick. „Tyler und ich…Er hat mich betrogen, aber ich bin selbst schuld. Die letzten Monate ging es mir nicht gut und er…“

Sie unterbricht mich. „Stopp, Stopp, Stopp Holly. Er hat dich betrogen? Dafür gibt es keine Entschuldigung. Was ist denn los mit ihm? Er muss dich doch unterstützen, wenn es dir schlecht geht. Also erzähl weiter, warum geht es dir nicht gut, abgesehen von deinem Ehemann?“

Ich bin mir nicht sicher ob ich heute schon bereit bin über alles zu sprechen. Im Moment bin ich einfach nur müde und erschöpft.

„Können wir vielleicht morgen darüber reden? Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin komplett erledigt.“

Sie nickt und streicht über meine Wange. „Wenn du soweit bist, dann erzählst du mir alles. Du weißt doch noch wo das Gästezimmer ist?“

Ich nicke und folge ihr den Flur entlang. An den Wänden hängen wie früher zahlreiche Jagdtrophäen. Auch wenn es noch nicht einmal dunkel ist, falle ich vor Müdigkeit fast um. Ich schaffe es gerade noch mir die Zähne zu putzen. Es macht mich unglaublich froh endlich einmal müde zu sein und ich hoffe auch wirklich schlafen zu können. Ich lege mich ins Bett und tippe noch eine Nachricht an Tyler.

Bin angekommen. Es geht mir gut, auch wenn sich mein Herz nicht gut anfühlt. Holly.

Es dauert nicht lange bis er antwortet.

Auch wenn ich lieber hätte, dass du nicht so weit weg bist, erhole dich gut. Telefonieren wir mal die nächsten Tage. Ty.

Ich lese seufzend seine Antwort, während ich mein Handy weglege schlafe ich schon ein.

Kein Himmel ohne dich

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