Читать книгу Kein Himmel ohne dich - Kerstin Teschnigg - Страница 3

Kapitel 1

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Langsam erwache ich aus einem Zustand den ich weder kenne, noch zuordnen kann. Doch eines weiß ich ziemlich genau, auch wenn meine Gedanken alles andere als klar sind, der Zustand in dem ich mich befinde ich keinesfalls normal. Mir tut alles weh und mein Herz pumpt ungewohnt unregelmäßig in meiner Brust, fast als wäre es mit der Situation überfordert, was nicht überraschend ist. Es versucht das Durcheinander in meinem Körper in irgendeinen geregelten Ablauf zu bringen, auch wenn es nicht zu gelingen scheint. Ich lasse meine Augen noch zu und versuche ruhig zu atmen. Mein Kopf und mein Gehirn fühlen sich dumpf an, so als wäre alles in dicke Watte gepackt, es ist unmöglich zu denken. Der Boden unter mir ist kalt - mir ist kalt. Ich öffne vorsichtig meine Augen, irgendwann muss ich es ja tun, und blicke auf meine Hände. Meine Fingerknöchel sind aufgeschlagen und voller Blut, gleich wie meine Knie und Schienbeine. Mein rechter Ellenbogen tut auch weh. Vorsichtig greife ich unter meine Nase die auch blutig ist. Der Herzschlag in meiner Brust beginnt stechend zu brennen, ich schnappe hysterisch nach Luft. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Was zur Hölle… Ich habe keine Ahnung wo ich bin, ich weiß auch nicht wie ich auf die Treppe dieser scheißdunklen abgefuckten Gasse gekommen bin. Einen Moment lang versuche ich mich zu beruhigen, da ich befürchte sonst eine Panik Attacke zu bekommen. Ich erinnere mich wage, dass ich dieses wahnsinnige Herzklopfen heute Nacht schon hatte, aber mehr will mein Gehirn mir nicht verraten. Wie spät ist es überhaupt? Auf jeden Fall ist es schon hell, aber die Straßen scheinen noch ruhig. Wieder sehe ich an meinem Körper hinab. Ich kann mich einfach nicht erinnern was passiert ist. Keine Ahnung, auch wenn ich es noch so sehr versuche. Tränen lösen sich aus meinen Augen die ich immer noch schwer offenhalten kann. Meine Tasche? Wo ist meine Tasche? Ich greife um mich und finde sie schlussendlich. Hektisch ziehe ich mein Handy heraus. Darauf sind unzählige Anrufe und Nachrichten. Von Tyler. Ich muss kurz meine Augen zu machen, denn die Tränen laufen immer unkontrollierter meine Wangen hinunter und tropfen auf meine blutigen Hände, wo sie sich zu einer rotwässrigen Flüssigkeit gemischt ihren Weg über meinen Körper suchen. Meine Lippen aufeinanderpressend versuche ich mich zu beruhigen. Daran erinnere ich mich. Er ist ein Arschloch. Ich hasse ihn. Nein ich liebe ihn. Nein. Man kann so einen Menschen nicht lieben. Er hat mich fallen gelassen. Mich verraten. Uns verraten. So etwas macht man nicht. Mit zittrigen Fingern tippe ich Amys Kontakt. Sie ist die Einzige die mir helfen kann. Es klingelt lange.

„Holly?“, fragt sie verschlafen auf der anderen Seite.

Ich atme schwerfällig durch.

„Hilf mir bitte…“, murmle ich verzweifelt. „Ich kann nicht… Ich weiß nicht…“ stammle ich weiter bis sie mich unterbricht.

„Scheiße Holly, was ist los? Wo bist du denn?“

„Ich weiß es nicht.“

Wieder beginne ich zu weinen und kann darum kaum sprechen.

„Holly! Was heißt du weißt es nicht? Ich kann dir nicht helfen, wenn du dich nicht kurz beruhigst“, sagt sie mit ernstem Ton.

Ich atme ein und aus und versuche aufzustehen, was gar nicht so einfach ist, denn jeder Knochen tut mir weh. Doch am schlimmsten sind die Kopfschmerzen.

„Ich bin in einer Gasse…“ Ich gehe ein paar Schritte.

„Ist da vielleicht eine Straßenbezeichnung oder so? Schau mal auf die Hauswände“, weist sie mich an.

Plötzlich rauschen Erinnerungsfetzen durch mein Gehirn. Es sticht fürchterlich und pfeift schrill in meinem Kopf. Mir wird schlecht, ich unterdrücke den Würgereflex.

„Holly!“, schreit Amy ins Telefon, was das Stechen noch verstärkt.

„Ich…Ich bin in Dover glaub ich. Ja. In Dover.“

„Scheiße, was machst du denn dort? Was ist überhaupt passiert? Wo ist denn Tyler? Hast du ihn schon angerufen?“

„Nein!“, schreie ich lauter als nötig. „Und ich rufe ihn auch nicht an, er ist doch der Grund für das alles hier…“ Meine Stimme wird wieder leiser.

„Was? Ich verstehe kein Wort. Bleib wo du bist Holly. Ich bin gleich bei dir. Dreißig Minuten. Schaffst du das?“

„Ja“, antworte ich kleinlaut.

„Warte auf meinen Anruf, ich melde mich wenn ich dort bin“, sagt sie noch.

Ich bin einfach nur unglaublich erleichtert, dass sie gleich hier sein wird. Kraftlos lehne ich mich an die Hauswand und öffne meine Tasche. Mein Blick fällt auf die bunten Tabletten in den Blisterpackungen. Ich greife danach. Sie würden mir helfen. Gegen die Kopfschmerzen. Vielleicht auch gegen die anderen Verletzungen und sie würden mich runterholen, mich beruhigen.

„Nein!“, sage ich für mich selbst und kralle meine Finger um die Tabletten was ein knisterndes Geräusch zur Folge hat. „Nein…Nein…Nein…“

Wieder kann ich die Tränen nicht kontrollieren. Ich habe das Gefühl es dauert ewig bis sie kommt. Zum Glück habe ich irgendwie den Weg aus dieser Gasse hinaus in eine befahrene Straße geschafft, wo sie mich aufliest und sichtlich geschockt über meinen Zustand ist.

Etwas später sitze ich im Untersuchungszimmer der örtlichen Klinik und nippe an meiner Wasserflasche. Ich wollte nicht her, aber Amy hat darauf bestanden, darum habe ich nicht widersprochen. Sie tut so viel für mich. Mehr als man erwarten kann. Wie blöd bin ich eigentlich? Meine Gedanken sind inzwischen klar, auch wenn ich mich kaum daran erinnere was passiert ist. Ich schäme mich dafür. Es fällt mir schwer der Ärztin in die Augen zu sehen. Amy streicht über meine Hand. Das beruhigt mich ein wenig. Was wenn ich sie nicht hätte? Sie ist so eine wunderbare Freundin. Und ich? Es ekelt mich vor mir selbst.

„Sie haben Glück gehabt Mrs. Barnes“, lächelt mich die junge Ärztin an. Auf ihrem Namensschild steht „Dr. Jones.“

Sie ist jung und hübsch. Was wird sie von mir denken? Ich senke meinen Blick, meine Hände zittern ein bisschen.

„Es ist nichts gebrochen, die Schürfwunden werden in ein paar Tagen abheilen, gleich wie die Blutergüsse.“

Ich nicke wortlos. Was soll ich auch sagen. Ich schäme mich fürchterlich.

„Wir haben Reste von Schlaf-, Schmerz- und vermutlich Aufputschmitteln in ihrem Blut gefunden. Ich denke Tabletten und eine Lifestyle Droge, natürlich auch reichlich Alkohol. Keine gute Kombination. Ich vermute das ist der Grund für Ihr Blackout.“

Ich spüre wie mein Gesicht heiß wird. Kurz erinnere ich mich an einen jungen Typen. Er hat mich geküsst und mir dann eine kleine Tablette mit seiner Zunge in meinen Mund geschoben.

„Was hast du denn?“, fragt mich Amy leise, weil ich nervös, fast hysterisch über den Erinnerungsfetzen herum zapple.

„Ich bin nicht vergewaltig worden, oder hatte ich Geschlechtsverkehr?“, frage ich beschämt nach. Ich bringe die Worte fast nicht über meine Lippen. Vorhin wurde vorsichtshalber auch eine gynäkologische Untersuchung vorgenommen. Ich war mir zwar gerade noch sicher, dass nichts in dieser Art passiert wäre, aber jetzt habe ich doch Angst. Keine Ahnung was mit dem Typen noch war.

„Nein. Keine Anzeichen dafür, auch nicht für Geschlechtsverkehr“, entgegnet sie beruhigend.

Ein wenig erleichtert atme ich aus.

„Sie bekommen jetzt noch eine Infusion gegen die Schmerzen, dann können Sie nach Hause gehen.“

Ich nicke, Amy drückt meine Hand.

„Ist mein Herz ok? Ich habe das Gefühl es platzt gleich aus meiner Brust.“

„Ja, es ist soweit in Ordnung. Wie gesagt, Aufputsch- und Schlafmittel vertragen sich nicht sonderlich gut in Kombination, dass ihr Herz da überfordert ist wundert mich nicht.“

Wieder nicke ich mit beschämtem Blick.

Nachdem Dr. Jones die Infusion angelegt hat, streicht sie noch einmal über meinen Arm.

„Ich verschreibe Ihnen keine Tabletten gegen die Schmerzen“, sagt sie und sieht mich eindringlich ein.

Wieder wird mein Gesicht heiß. Keine Ahnung was ich sagen soll, doch sie fährt auch schon fort.

„Was nehmen Sie so alles?“

Ich sehe zu Amy die kopfschüttelnd ihre Augen schließt. Auch wenn ich davon ausgehe, dass sie es schon vorher wusste, tut es mir leid sie zu enttäuschen. Ich öffne meine Tasche und lege ihr die Tabletten wortlos hin.

Dr. Jones sieht kurz auf die Packungen und seufzt leise.

„Ein schöner Cocktail. Sie müssen damit aufhören. Können Sie denn damit aufhören?“, fragt sie ernst.

Ich zucke mit den Schultern.

„Du hast es versprochen“, flüstert Amy und verlässt enttäuscht das Behandlungszimmer, was mir einen schrecklichen Stich verpasst, vor allem, weil ich ihr nicht nachlaufen kann um mich zu entschuldigen.

„Wie lange nehmen Sie denn das Zeug schon?“

„Ein paar Monate, aber ich nehme keine Drogen. Keine Ahnung was heute Nacht war und warum ich das getan habe.“

Sie nickt. Bevor sie noch etwas sagen kann, nutze ich die Gelegenheit und rede selbst.

„Ich weiß, dass ich damit aufhören muss, ich wollte es ja aber…Es ist schwer…“ Ich schließe meine Augen. „Es ist einfacher damit. Das Leben ist leichter zu ertragen. Keine Schmerzen. Keine Selbstzweifel.“

Wieder nickt sie.

„Das was da heute Nacht passiert ist, ich schäme mich so unglaublich dafür.“ Ich schüttle den Kopf. „Das passiert mir nicht noch einmal. Ganz sicher nicht. Ich werde sie nicht mehr nehmen. So die Kontrolle zu verlieren, das schockiert mich wirklich. Ich bin so nicht.“

„Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass sie das aus eigener Kraft schaffen. Ihre Einsicht ist ein guter Anfang.“ Sie zieht eine Visitenkarte aus ihrer Manteltasche. „Doch ich weiß wie schwer das ist und dass es immer einen Grund gibt um es doch nicht zu schaffen. Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich einfach an. Sie müssen sich dafür nicht schämen. Zögern Sie nicht um Hilfe zu bitten.“

„Danke“, sage ich und versuche dabei ein wenig zu lächeln.

Nach einer halben Stunde ist die Infusion durch. Amy ist nicht wieder hereingekommen. Ich bin froh sie im Wartebereich zu sehen, mein schlechtes Gewissen nagt an meinem sowieso schon komplett lädierten Körper. Wortlos gehe ich auf sie zu und bleibe vor ihr stehen.

„Holly…“, sagt sie kopfschüttelnd.

Doch dann nimmt sie mich in den Arm und drückt mich fest, was ich mit energischem Druck erwidere.

„Was ist denn eigentlich passiert?“, fragt sie mich und streicht meine Haare zurück. „Und was zum Teufel ist mit Tyler?“

„Ich würde jetzt einfach gerne duschen und ehrlich gesagt habe ich Hunger. Kann ich dir nachher alles erzählen?“, seufze ich. „Also das woran ich mich noch erinnere.“

Sie lächelt und greift nach meiner Hand als wir losgehen.

„Du kommst erstmal mit zu mir. Das wird schon wieder. Du kannst dich frisch machen und ich bereite uns ein Frühstück.“

„Danke Amy.“ Ich bleibe noch einmal stehen. „Es tut mir leid. So unendlich leid. Ich weiß ich habe dir versprochen…“

Sie unterbricht mich.

„Ich habe doch gesagt das wird schon wieder. Wir schaffen das.“ Sie streicht über meine Wange.

Wir schaffen das. Das wird schon wieder. Schaffe ich das? Ich muss.

Nach einer langen Dusche fühle ich mich etwas klarer und vor allem wohler, weh tut mir aber immer noch alles. Ich versuche krampfhaft zu überlegen was genau passiert ist. Amy hat mir etwas zum Anziehen hingelegt. Ich sehe mich im Spiegel an. Kein schöner Anblick. Meine Nase ist aufgeschlagen, gleich wie meine Oberlippe. Tiefe Augenringe und eine rote Schürfwunde an der Wange runden das katastropale Bild ab und das ist nur mein Gesicht. Mein Körper ist zusätzlich voll mit unzähligen Blessuren. Ich bürste meine langen dunklen Haare durch. Lufttrocknen muss heute reichen, zu mehr bin ich nicht fähig, auch wenn ich weiß, dass ich dann die Locken, die ich an mir gar nicht mag, ertragen muss. Egal. Kurz muss ich an Tyler denken. Er sagt immer mit den Locken sehe ich aus wie ein falscher Pudel. Es gefällt ihm nicht, er findet es nicht zeitgemäß und unmodern. Darum föhne ich sie eigentlich immer aus, oder glätte meine Haare, was mir nach fünf Jahren Ehe und gesamt acht Jahren Beziehung inzwischen auch besser gefällt. Mit schlurfendem Gang und gesenktem Blick gehe ich in die Küche. Acht Jahre und er schmeißt einfach alles weg, einfach so. Ich bin unendlich traurig und wütend auf ihn.

„Ich hab uns Tee gemacht und Pancakes. Mit Sirup und Früchten.“

Amy stellt mir den Teller vor die Nase und gießt den heißen Tee ein. Inzwischen ist mir wieder schlecht. Ich lächle und versuche mir das nicht anmerken zu lassen. Sie gibt sich so viel Mühe. Der Tee tut auf jeden Fall gut. Sie setzt sich neben mich.

„Ich weiß du bist müde, aber erzähl mir bitte was passiert ist Holly.“ Sanft streicht sie über meine aufgeschlagenen Fingerknöchel. „Und du solltest Tyler sagen wo du bist.“

Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ganz sicher nicht.“

Sie seufzt und nimmt einen Schluck von ihrem Tee. Ich atme tief durch, dann beginne ich zu erzählen.

Kein Himmel ohne dich

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