Читать книгу Fettnäpfchenführer Japan - Kerstin und Andreas Fels - Страница 11
HERR HOFFMANN ISST MIT STÄBCHEN
ОглавлениеWIE EIN VERBOT ZUR ERFINDUNG VON SUSHI FÜHRTE
Die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Schlange wird einfach nicht kürzer. Ganz Tôkyô scheint zur Mittagszeit auf den Beinen zu sein. Und Tôkyô ist riesig. Davon hat Herr Hoffmann sich gerade eben selbst überzeugen können, als er mit Frau Watanabe im 46. Stock des Rathauses stand und auf das sich scheinbar unendlich erstreckende Häusermeer herabschaute. Einfach unglaublich.
»Sehen Sie, wir sind gleich dran«, reißt ihn Frau Watanabe aus seinen Gedanken – und wirklich. Sie sind nun fast am vorderen Ende der Schlange der kleinen Sushi-Bar angelangt. Laut Frau Watanabe einer der besten Läden in Shinjuku.
Kurz darauf sitzen die beiden an einem kleinen Tischchen vor dem Mittagsmenü, das Frau Watanabe geordert hat. Nach einem Seitenblick auf seine Begleiterin reinigt sich nun auch Herr Hoffmann die Hände mit dem oshibori, das ihn an die heißen, feuchten Tücher erinnert, die er im Flugzeug beim Aufwachen bekommen hat.
»Essen Sie oft hier?«, fragt Herr Hoffmann, als er beobachtet, wie Frau Watanabe mit geübtem Griff die hashi, die Essstäbchen, aus dem Papier zieht und mit einer schnellen Bewegung auseinanderbricht.
Sie lacht: »Ich weiß schon, ihr Deutschen denkt immer, wir Japaner würden jeden Tag Sushi essen. Aber das stimmt gar nicht, viel häufiger esse ich mittags Nudeln oder eine Suppe.«
Herr Hoffmann nimmt schnell einen Schluck grünen Tee, der kostenlos zum Essen gereicht wird, um zu überspielen, dass er das tatsächlich gedacht hatte. Nun sieht er sich das Essen genauer an. Auf einem Holzbrettchen sind verschiedene Röllchen zu sehen, dazu Fischstücke auf kleinen Reisbällchen. Und eine Art rosafarbener Schwamm. Daneben, in einer kleinen Schale, eine Misosuppe. Um den Wasabi – den scharfen japanischen Meerrettich – macht er lieber einen Bogen. Das Erlebnis im Flugzeug reicht ihm.
Am besten fängt er mit der Suppe an – dass die hier aber auch die Vorspeisen zusammen mit dem Hauptgang bringen müssen ... Nur, wo ist der Löffel? Ein schneller Blick auf Frau Watanabe liefert die Lösung. Sie trinkt die Suppe direkt aus der Schale und fischt mit ihren Stäbchen die Tofu- und Algenstücke heraus. Das ist Herrn Hoffmann jetzt zu kompliziert. Er ist schließlich froh, wenn er überhaupt etwas mit seinen Stäbchen gegriffen bekommt, da muss es nicht gleich der glitschige Tofu aus der Suppe sein. Das ist doch eher für Fortgeschrittene. Misstrauisch beäugt er noch mal die Platte und entscheidet sich dann für ein Röllchen mit einer gelben Füllung. Das scheint kein Fisch zu sein, erst mal probieren. Frau Watanabe zeigt ihm noch mal, wie er die hashi richtig halten muss: Ein Stäbchen liegt als Basis unbeweglich zwischen Mittel- und Ring-finger. Nur das obere Stäbchen wird mit Daumen und Zeigefinger gegen das untere bewegt.
Herr Hoffmann greift ein wenig ungeschickt, aber dennoch erfolgreich das anvisierte maki-Röllchen, tunkt es kurz in das kleine Schüsselchen mit Sojasoße und nimmt es dann schnell in den Mund, bevor noch etwas schiefgeht. Geschafft. Zufrieden und auch ein bisschen stolz kaut er sein erstes Sushi. Nicht schlecht, schmeckt leicht säuerlich, erfrischend.
Frau Watanabe erklärt ihm, dass er zwischen den Sushis seine Geschmacksnerven mit dem eingelegten Ingwer – aha, das also ist der rosa Schwamm – neutralisieren kann. Die dünn geschnittenen Ingwerscheiben einzeln mit den Stäbchen hoch zu nehmen ist Herrn Hoffmann aber dann doch zu heikel.
So, welchen Fisch nun? Rohen Fisch hat er noch nie gegessen. Er denkt nun doch ein wenig wehmütig an das schnitzelähnliche katsu-karee zurück, das er gestern Abend im Hotel gegessen hatte. Vorsichtig nimmt er eines der Reisbällchen mit einem Stück dunkelrotem Fisch darauf, balanciert es zur Schale mit der Sojasoße und – platsch. Schon liegt das Fischfilet neben einem traurigen Häuflein Reis in der Soße.
Frau Watanabe legt ihre Stäbchen beiseite. »Sehen Sie, Hofuman-san, Sushi kann man ebenso gut mit der Hand essen!« Wie zum Beweis nimmt sie ein kleines Schiffchen mit rotem Fischrogen mit drei Fingern und steckt es in den Mund. Erleichtert spießt Herr Hoffmann seine Stäbchen in sein tamago-nigiri und nimmt nun ebenfalls die Finger.