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HERR HOFFMANN GIBT DIE HAND
VON UNANGENEHMEN GRÜSSEN UND HANDGREIFLICHKEITEN
Als Egon Hoffmann das Foyer des Nakagawa Chemiekonzerns betritt, ahnt er noch nicht, dass ihm diese verdammt unangenehme Sache passieren wird. Nichts, was ihn oder andere irgendwie nachhaltig körperlich verletzten würde. Nichts, was den Medien eine Erwähnung wert wäre, nein. Nicht einmal die Mitarbeiterzeitschrift mit dem pragmatischen Namen ›Nakagawa kagakuhôjin‹ (Nakagawa Chemiekonzern) würde das Thema als so wichtig erachten, ihm auch nur eine kleine Randnotiz zu widmen. Und das, obwohl sich die Zeitschrift sogar schon einmal in einem 16-seitigen Special über Haarmoden der Landbevölkerung des 16. Jahrhunderts ausgelassen hatte.
HAARMODEN DES 16 JAHRHUNDERTS
Tatsächlich tat sich in der als Edo-Zeit bekannten Periode etwas Gewaltiges in Hinblick auf Haarmoden. Während Frauen in der Azuchi Momoyama-Zeit (1573–1603) noch die Haare zu einer einfachen zentralen Palme auf dem Kopf zusammenbanden, erfreute sich die Damenwelt anschließend komplexer, hochgesteckter Haargepränge. Dieser prachtvolle shimada-mage-Haarputz, der nicht mit Ornamenten geizte, ging auf Dirnen zurück, die sich unter anderem dadurch aufmerksamkeitsstark ausstaffierten. Später wurden diese Frisuren von männlichen kabuki-Theaterspielern aufgegriffen und der breiten Öffentlichkeit präsentiert. Da kabuki-Schauspieler seinerzeit so populär waren wie heutzutage Justin Bieber bei Teenies, ahmten viele Frauen die abgerundete und in Terrassen erhöhte Künstlermähne nach. Die Haartracht wurde zum Massenphänomen und wird heutzutage auch als nihon-gami (wörtlich: ›Japanhaar‹) bezeichnet. Was das mit Herrn Hoffmann zu tun hat? Nichts. Aber wenn schon die Mitarbeiterzeitschrift so episch breit darüber berichtet, wollten wir dem nicht nachstehen.
Als es dann geschieht, hat das Ereignis für Herrn Hoffmann und seinen japanischen Chemikerkollegen die Tragweite eines zweiten Titanic-Unglücks. Doch eins nach dem anderen. Lassen wir als unsinkbar geltende Luxusliner auf Eisschollen prallen und schauen uns genau an, welchen Fehltritt Herr Hoffmann sich nun wieder geleistet hat.
Drei Minuten und 23 Sekunden vor der Katastrophe. Der Japanreisende erreicht mit Frau Watanabe die Glas- und Betonzentrale von Nakagawa. Ihren Hinweis, dass Herr Yamaguchi, den es zu treffen gilt, bisher sehr wenig Kontakt mit Westlern gehabt habe und ihr dies leid täte, erwidert der Weitgereiste mit einem Abwinken und Lachen: »Das ist nicht so schlimm.«
45 Sekunden vor dem Aufprall. Als Herr Hoffmann im pompösen Foyer steht und Nakagawas Forschungsleiter Yamaguchi sieht, ist der Hinweis bereits vergessen. Mit festem Griff und ebensolchem Blick begrüßt er den Chemiker etwa gleichen Alters. Ein kurzes, joviales Schulterklopfen bei der Bemerkung, dass der augenscheinlich Schüchterne und er mehr oder weniger denselben Job in unterschiedlichen Ländern hätten, rundet Herr Hoffmanns herzliches Begrüßungsritual ab.
Herr Yamaguchi erwidert die Begrüßung mit angedeuteter Verbeugung und sichtlichem Unbehagen. Mit dem Blick schnell zwischen Herrn Hoffmanns Hals und der Tür wechselnd, schaut der japanische Forscher plötzlich als Übersprunghandlung auf seine Armbanduhr und grinst unbeholfen wie ein Teenager bei seinem ersten, bemühten Date.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Während Herr Hoffmann wegen des Treffens mit seinem Kollegen zunächst nur seliges Wohlbehagen verspürt, kann er bereits nach wenigen Sekunden am Gesicht des anderen ablesen, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Der Weitgereiste hat schlicht Frau Watanabes gut gemeinten Hinweis ignoriert, dass Herr Yamaguchi bislang wenig Kontakt zu Westlern und ihren Ritualen pflegte. Und dazu gehört auch der Händedruck, dieses intime Aneinanderdrücken der äußerst berührungsempfindlichen Handinnenflächen. Japanern sind von Hause aus intensivem Körperkontakt mit Fremden eher wenig zugetan. So wird sich zur Begrüßung verbeugt und nur unter Achtung der fremden Kultur mal die Hand gereicht, gerade bei Firmen, die Geschäfte mit Westlern machen.
Das aufmunternd gemeinte Schulterklopfen ist hier ebenso kontraproduktiv beim Versuch, eine freundschaftliche Gesprächsbasis aufzubauen, wie der direkte Blick in die Augen: Was in der einen Kultur als aufgeschlossen und ehrlich gewertet wird, fühlt sich in der anderen aufdringlich, unverschämt und einschüchternd an. Japaner blicken zur Vermeidung solch peinlicher Momente eher auf Kinn oder Hals des Gegenübers – und nicht nur, wenn dieser wie bei der Begegnung mit Herrn Hoffmann einen halben Kopf größer ist.
Was können Sie besser machen?
Wem begrüßungskulturelle Aussetzer unangenehm sind, wartet erst einmal, was der andere mit seinen Händen anstellt. Bleiben diese seitlich an die Schenkel gepresst (Männer) oder vor den Oberschenkeln aufeinander gelegt (Frauen), starten Sie lieber das Verbeugungsmanöver. Ist Ihr Gegenüber bereit, sich an Ihre Begrüßungsriten anzupassen, werden Sie unter Umständen bemerken, dass Ihr Händedruck mit beinahe schon unangenehm schlaffer Sanftheit erwidert wird.
Auch wenn es verführerisch sein mag zu demonstrieren, wie ›ein richtiger Händedruck‹ funktioniert, widerstehen Sie lieber dem Drang, mit unerbittlicher Härte die gerade im handwerklichen Mittelstand geschätzte ›teutonische Prankenzwinge‹ vorzuführen. Und wer weiß: Vielleicht hat der Handreicher auch ein japanisches Gegenstück zu diesem Werk gelesen und bringt schon von sich aus beim Händedruck Ihre Knöchel zum Knirschen.