Читать книгу Fettnäpfchenführer Japan - Kerstin und Andreas Fels - Страница 12
Was ist diesmal schiefgelaufen?
ОглавлениеGenau wie zum Beispiel Kartoffeln ausschließlich mit der Gabel und nicht mit dem Messer zerteilt werden dürfen, gibt es auch bei Stäbchen eine Menge Dinge, die schieflaufen können. Herr Hoffmann hat es geschafft, durch sein Benehmen die Erinnerung an ein buddhistisches Totenritual wach zu rufen. Durch große Ess-Stäbchen oder Räucherkerzen, die in eine Schüssel Reis gesteckt werden, wird bei einer Totenfeier den Verstorbenen Essen dargebracht. Daher gilt es als respektlos, bei Tisch die Stäbchen ebenfalls ins Essen zu spießen. Ein anderes Ritual sieht vor, dass die Angehörigen des Verstorbenen die Knochen der eingeäscherten Leiche mit Stäbchen weiterreichen. Aus diesem Grund ist es ebenfalls tabu, beim Essen einzelne Häppchen mit den Stäbchen zum Probieren an die hashi Ihres Tischnachbarn weiterzugeben.
Nur, warum essen Japaner eigentlich überhaupt mit Stäbchen? Einfach nur, damit wir Europäer beim ersten, kläglichen Ess-Versuch damit wie komplette Vollidioten aussehen? Nein – schuld sind die Chinesen. Denn die waren ihrer Zeit weit voraus. Schon etwa 1500 v. Chr. verwendeten die Chinesen Essstäbchen. Die Japaner dagegen aßen zu dieser Zeit noch mit den Fingern – jahrhundertelang sollte sich daran auch nichts ändern. Erst gegen 500 n. Chr. schwappte dieser Teil der chinesischen Kultur nach Japan. Ganz schön spät? Nun ja, wir Europäer haben noch sehr viel länger mit den Fingern gegessen.
Obwohl die Gabel im 10. Jahrhundert n. Chr. in Byzanz erstmals auftauchte und schließlich auch ihren Weg nach Italien fand, hatte diese neue Erfindung es zunächst schwer. Als Symbol des Teufels verdonnert, dauerte es bis Mitte des 14. Jahrhunderts, bis die Gabel sich zunächst in Italien durchsetzte. Aber noch Ludwig XIV, der Sonnenkönig, aß im 17./18. Jahrhundert mit den Fingern und auch Martin Luther schimpfte: »Gott behüte mich vor Gäbelchen!« Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt die Gabel neben dem Löffel und dem Messer auch im Rest der westlichen Welt ihren festen Platz. Endlich musste das Fleisch beim Zerteilen mit dem Messer nicht mehr mit den Fingern gehalten werden.
Zu dieser Zeit wird in Japan gar kein Fleisch gegessen. Seit 676 hat Kaiser Temmu unter dem Einfluss des sich ausbreitenden vegetarischen Buddhismus offiziell den Verzehr von Fleisch verboten. Da in Japan das Meer an keiner Stelle weiter als 150 Kilometer entfernt ist, ist Fisch die logische Alternative.
Nur, wie macht man ihn länger haltbar? Die buddhistischen Mönche experimentieren so lange mit dem leicht verderblichen Fisch, bis sie herausfinden, dass sich dieser nach Gärung länger hält. Reis beschleunigt die Gärung und macht den Fisch noch schmackhafter. Mitte des 17. Jahrhunderts wird mehr und mehr Reis angebaut und ein Teil der Ernte zu Reisessig verarbeitet. Der Arzt MATSUMOTO Yoshiichi kommt auf die clevere Idee, den tagelangen Gärungsprozess zu verkürzen, indem er den Reis ganz einfach mit Essig mischt. Jetzt geht alles viel schneller.
Doch seinen endgültigen Durchbruch erlebt Sushi Anfang des 19. Jahrhunderts in der Millionenstadt Edo, die später einmal Tôkyô heißen wird. In den überfüllten Straßen drängen sich die Angehörigen der verschiedenen Stände. Samurai stolzieren mit ihren edlen Seidengewändern umher, doch auch der niedrigste Stand – die Kaufleute – hat es in Edo zu großem Reichtum gebracht. Sie dürfen zwar nur einfache Baumwollgewänder tragen, stehen den Samurai aber durch aufwendig gefärbte Muster kaum nach. Kein Wunder, dass im immer beliebter werdenden kabuki-Theater denn auch häufig der tüchtige Kaufmann über den gerissenen Samurai siegt. Und natürlich sind die Kaufleute immer in Eile – Zeit war schon damals Geld. Da kommt es gerade recht, dass HANAWA Yôhei (1799–1858) eine neue Form des Sushi erfunden hat, das nigiri-Sushi. Im Gegensatz zu dem bislang verbreiteten Sushi, das noch umständlich in Formen gepresst wurde, formt Hanawa seinen Reis per Hand – und belegt diesen mit rohem Fisch. In wenigen Minuten ist das Fast Food fertig. Dieses flotte Sushi wird schnell beliebt, wie man an den verschmutzten Vorhängen an Hanawas Stand erkennen kann. An diesen Vorhängen wischen sich die Kunden die Hände sauber – je verschmutzter also der Stoff, desto besser das Essen.
Heute muss ein traditioneller Sushi-Koch in Japan eine mindestens fünfjährige Lehre absolvieren – bei Köchen, die den giftigen Kugelfisch zubereiten, dauert die Lehrzeit sogar zehn Jahre. Traditionell ist die Herstellung von Sushi Männersache. Frauenhände sind angeblich zu warm, um den klebrigen Reis richtig zu formen.