Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 12

Köln Altstadt, gegen 15 Uhr

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Christoffer Frey stand gedankenverloren in seiner Küche und rauchte mittlerweile schon die dritte Zigarette. In den vergangenen Monaten hatte er ein paar Mal versucht mit der Raucherei aufzuhören, aber es war wohl nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Andererseits, wann war schon der richtige Zeitpunkt für so etwas? Zumindest war es ihm bislang nicht gelungen und im Moment inhalierte er den Rauch, als wollte er damit all die düsteren Gedanken und die schrecklichen Bilder in seinem Kopf benebeln, um sie nicht mehr ertragen zu müssen.

Sie hatten den Hausflur noch nicht ganz betreten, da waren sie auch schon von der Vermieterin abgefangen worden.

“Jemand hat ein Paket für Sie bei mir abgegeben”, hatte sie Frey mitgeteilt und war eilfertig in ihrer Wohnung verschwunden, um es zu holen. Etwas irritiert hatte sie es den Polizeibeamten überreicht, die anscheinend verhindern wollten, dass er das Ding überhaupt in die Finger bekam. Es war ein ganzes Stück größer, als Annas Päckchen.

“Aber, das ist doch für Herrn Frey”, hatte sie schwach versucht, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Doch nachdem einer der Beamten ihr erklärt hatte, dass es sich dabei um ein Beweisstück handelte, betrachtete sie ihre Hände mit neuem Interesse. Dabei schwankte sie scheinbar zwischen zwei widerstreitenden Empfindungen. Einerseits schien sie es spannend zu finden, dass ihre Hände ein Beweisstück in einem Kriminalfall gehalten hatten, andererseits war sie aber offenbar auch nicht ganz sicher, ob ihre Hände jetzt nicht womöglich sogar beschmutzt waren. Kontaminiert mit Kriminalität! Es hatte eigentlich nur noch gefehlt, dass sie fragte, ob das ansteckend sei.

Bestimmt hatte sie noch weiter über dieses Problem nachgedacht, als Frey in Begleitung von Anna und den beiden Polizeibeamten schon längst gegangen war. Doch als sie gerade den dritten Stock erreicht hatten, war ihr noch ein weiteres aufgegangen.

“Aber da sind dann jetzt ja meine Fingerabdrücke drauf!”, hatte sie verängstigt nach oben gerufen. “Da kann ich aber doch gar nichts für!”

Erst nachdem die Beamten ihr versichert hatten, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nichts zu befürchten hatte, waren sie endlich in Freys Wohnung angekommen.

In der Küche hatte er das Paket unter der fachkundigen Aufsicht der Beamten geöffnet. Es war zwar größer als Annas Paket, jedoch nicht unbedingt schwerer.

Als Frey schließlich mit unsicheren Bewegungen die beiden Deckelhälften auseinander geklappt hatte, war ihm ein widerlicher Geruch entgegen geschlagen und er schlug instinktiv schützend die Arme vor das Gesicht. So hatte er den Inhalt der Postsendung nicht gleich sehen können.

Anna hingegen schrie angeekelt auf und auch das Stöhnen der Polizeibeamten war unmissverständlich. Auf das Schlimmste gefasst, hatte der Schauspieler schließlich vorsichtig in den Karton geschielt.

Wie zu erwarten war, hatte er ebenfalls einen Handschuh erhalten.

Jedoch nicht in einem schmucken Holzkistchen.

Eine knapp unter dem Handgelenk unsauber abgetrennte Hand hielt das Kleidungsstück in den verkrampften Fingern.

Der Anblick war grauenhaft. Nicht nur, weil es ganz offensichtlich eine echte Hand war, an der noch verkrustetes und getrocknetes Blut klebte. Das wirklich Schlimme daran war, dass Frey die Hand sofort erkannte und der Schock traf ihn mit aller Härte. Niemand sonst trug noch diesen unsäglichen Klarlack auf den Nägeln und nur ein anderer Mensch trug den gleichen Ring, wie diese Person.

Es war die Hand seiner Pflegemutter Helen Scherer.

Inzwischen war das Paket samt seines grausigen Inhalts ebenso wie das von Anna von den Polizeibeamten für Untersuchungen mitgenommen worden. Dort, wo es gestanden hatte, saß Anna auf der Tischplatte und nahm sich ebenfalls eine Zigarette aus der Schachtel. Mit zitternden Händen zündete sie den Glimmstängel an und sog den Qualm ein.

“Meinst du, sie lebt noch?”, fragte sie vorsichtig.

Kraftlos hob Frey die Schultern. “Darüber zermarter ich mir schon die ganze Zeit das Hirn.”

Er sah Anna an, als wäre die Lösung zu dieser Frage irgendwo zwischen ihrem Haaransatz und dem schmalen Kinn versteckt. Er sah einiges in diesem hübschen Gesicht, dass er so sehr mochte, allerdings nicht das, was er suchte. Entsetzen und Ratlosigkeit spiegelten sich darin wider, aber auch Angst. Viel Angst.

Wieder einmal war es Tom Lorenz gelungen, die Kontrolle über ihre Leben zu übernehmen und nach allem, was sie bisher an Erfahrungen mit ihm gemacht hatten, war Angst auch durchaus angebracht.

“Wir müssen gleich los. Kommissar Werter wird schon auf uns warten.” Anna rutschte vom Tisch herunter, drückte den Zigarettenstummel aus und sah ihn auffordernd an.

Frey nickte schweren Herzens.

“Ja, du hast recht. Johannes wird sicher auch schon da sein.”

Nachdem Frey den Beamten erklärt hatte, dass es sich bei der Hand nur um die seiner Pflegemutter handeln konnte, hatten diese sofort bei Johannes Scherer angerufen und sich nach seiner Frau erkundigt. Wie befürchtet hatte sich herausgestellt, dass er sie bereits seit Freitag vermisste.

“Sie ist morgens schon um acht Uhr mit dem Bus gefahren und wollte einkaufen”, hatte er den Tränen nahe erzählt. “Das dauert nie länger als eine, höchstens anderthalb Stunden, je nachdem, welchen Bus sie bekommt. Ich habe schon alle unsere Bekannten und Freunde angerufen und gefragt, ob sie vielleicht spontan bei ihnen auf einen Kaffee hereingeschaut hat, aber sie ist wie vom Erdboden verschwunden!”

Auf die Frage, warum er sie dann noch nicht bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte, reagierte er beinahe verschämt.

“Wir hatten Streit”, hatte er schließlich kleinlaut zugegeben.

Streit war etwas, dass es im Hause Scherer offiziell nicht gab. Schon gar nicht so, dass Außenstehende etwas mitbekommen konnten. Was hätten denn sonst die Leute von ihnen gedacht?

Schonend hatte der Beamte dem verzweifelten Mann ihren Verdacht mitgeteilt und Frey hatte selbst mehrere Meter vom Telefon entfernt den entsetzten Aufschrei seines Pflegevaters gehört.

Auch wenn sie nie ein wirklich inniges Verhältnis zueinander entwickelt hatten, berührte es ihn schon sehr, Johannes so voller Sorge und Angst um seine Frau zu erleben. Und auch ihn selbst ließ Helens Schicksal nicht kalt. Immerhin hatten die beiden ihm, wenn auch auf ihre Art, über viele Jahre hinweg ein sicheres Zuhause geboten, in dem ihm zumindest materiell an nichts gemangelt hatte.

Dass ihre Liebe jedoch mehr den himmlischen Kräften galt als irdischen Mitmenschen, hatte stets zwischen ihnen gestanden und letztlich dazu geführt, dass Frey sich zunehmend an Haferkorns orientiert hatte. Deren Herzlichkeit und Zuneigung war aufrichtig gewesen und nicht nur dem Wunsch geschuldet, einen guten Platz im Himmel zu ergattern.

Dennoch gab es nicht viel, was er Scherers hätte vorwerfen können und obwohl sie sich immer mehr voneinander entfernt hatten, war der Kontakt zu ihnen lange Zeit nicht abgebrochen. Erst seit einem heftigen Streit, bei dem Scherers seinen Lebensweg als “vom Teufel geleitet” bezeichnet hatten, hatte er es endgültig aufgegeben. Für sie war jeder, der Krimis nur ansah schon vom Teufel besessen und was jemand wie er, der solches Zeug dann auch noch produzierte war, wollten sie sich gar nicht erst vorstellen. Vermutlich das personifizierte Böse. Dementsprechend hatten sie sich seit mindestens zwei Jahren nicht mehr gesehen und Johannes nun auf dem Polizeipräsidium wiederzubegegnen, fiel Frey nicht leicht. Zumal Johannes sich jetzt wahrscheinlich auch noch bestätigt fühlen würde, dass der Weg seines Zöglings auf Dauer alle nur ins Verderben stürzen konnte.

Kaum, dass er den Flur im Polizeipräsidium betreten hatte, in dem sie auf die Aufnahme ihrer Aussagen warten sollten, ging es auch schon los.

“Das ist alles nur deine Schuld”, fuhr Johannes ihn ungeachtet der sonst so sorgsam gewahrten Maske der Harmonie in der Öffentlichkeit an. “Wenn du dich nicht nur mit solch gottlosen und verkommenen Subjekten abgeben würdest, wäre das alles nicht passiert!”

Das war mal wieder typisch.

Kein “Hallo Junge, schön, dass du die Entführung letztes Jahr überlebt hast” oder dergleichen. Nur direkt wieder Vorwürfe. Und das Schlimmste war, Johannes hatte ja sogar recht. Wenn auch anders, als er meinte. Natürlich wäre das nicht passiert, wenn er, anstatt Schauspieler zu werden, Bänker oder Verkäufer oder, wie es Helen und Johannes am Liebsten gewesen wäre, gar Pfarrer geworden wäre. Aber er ließ sich nicht einreden, dass es sein mangelnder Glaube an Gott war, der sie nun in diese Situation gebracht hatte.

“Hättest du Gottes sichere Pfade nicht verlassen...”, zeterte Johannes weiter.

Es war, wie in alten Zeiten.

“Und wo ist euer toller, gütiger Gott jetzt?”, fauchte Frey zurück. “Hat euch nicht viel genutzt, euer ganzes Gebete, oder? Was ist das für ein Gott, wenn er seine treuesten Fans nicht vor solchen Unglücken beschützt, hm?”

Wäre in diesem Moment nicht eine Beamtin zu ihnen getreten, um sie in ein Büro am Ende des Gangs zu begleiten, hätte Frey sich wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben eine Ohrfeige von Johannes eingefangen.

Frey erkannte die junge Frau sofort. Sie hatte ihm im vergangenen Jahr mit einem Kaffee das Leben gerettet, als er vollkommen demoralisiert schon einmal in diesem Büro gesessen hatte und von Herwig und seinen Leuten des mehrfachen Mordes beschuldigt worden war. Die junge Beamtin war seinerzeit so aufgeregt gewesen, ihm zu begegnen, dass sie beinahe das Getränk über seine Hose verschüttet hatte.

“Kommissar Karstens wird sich gleich um Sie kümmern”, wurden sie von Tina Bergermann informiert. “Die Anderen sind noch nicht wieder zurück.”

Von wo die Anderen noch nicht zurück waren, erfuhren sie fünf Minuten später, als Karstens ihnen mitteilte, dass sie nicht die Einzigen waren, die Post von Tom Lorenz bekommen hatten. Und als wäre das, was er ihnen erzählte, nicht schon schlimm genug gewesen, sorgte ein Anruf für weitere schlechte Neuigkeiten.

“Meyer?”, fragte Karstens schließlich, nachdem er eine Minute lang einfach nur zugehört hatte, was der Anrufer zu erzählen hatte. “Ja, hab ich. Soll herkommen!”

Als er auflegte, bedachte er Sie alle mit einem langen, forschenden Blick, als wollte er abschätzen, ob sie wohl bereit für neue Hiobsbotschaften wären.

“Es gibt ein weiteres Mitglied in unserem illustren Club der Handschuhbesitzer”, sagte er und sein Blick ruhte auf Anna.

Er brauchte gar nicht weiterzureden. Sie wussten auch so, dass er von Vivien sprach.



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