Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 20

Köln Ehrenfeld, 4 Uhr

Оглавление

Seit mindestens einer Stunde hatte keiner von ihnen mehr etwas gesagt. Tränen wollten keine mehr kommen und so saßen Torsten und Susanne Herwig einfach nur apathisch am Küchentisch. Der Kommissar starrte auf seine Hände, als seien sie Schuld an dem ganzen Unglück. Starke, kräftige Hände, die schon die Karriere so manchen Verbrechers beendet hatten. Und sie hätten es auch geschafft, Lorenz endlich das Handwerk zu legen, wenn man sie nur lassen würde, davon war Herwig zutiefst überzeugt.

Nun aber saß er untätig herum und würde es anderen überlassen müssen, seine Kinder aufzuspüren. Dabei wäre es doch seine Aufgabe, für sie da zu sein!

Ohne es zu bemerken, liefen ihm wieder die Tränen die Wangen hinab.

“Und unterstehen Sie sich, irgendetwas auf eigene Faust zu unternehmen!”, hatte Hülser ihn eindringlich ermahnt. “Ich garantiere Ihnen, dass ich es erfahren werde und dann lasse ich Sie in Schutzhaft nehmen. Augenblicklich!”

Das glaubte Herwig ihm aufs Wort.

Was ihn jedoch nicht davon abhalten würde, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Lucca und Giuliano aus der Hand dieses Psychopathen zu befreien.

Susannes Freundin Nina Wagner hatten sie unter hundertfachen Versicherungen, dass sie die Nacht schon überstehen würden, nach Hause ins Bett geschickt, was Herwig mittlerweile bereute. Es würde ihm unmöglich sein, etwas zu unternehmen, solange Susanne keine Ablenkung hatte.

Er wusste, dass sie insgeheim froh darüber war, dass er sich nicht auch noch weiteren Gefahren aussetzen musste. Obwohl sie von Anbeginn ihrer Beziehung gewusst hatte, was als Polizistengattin auf sie zukam, hatte sie sich doch nie ganz damit abfinden können und Herwig war klar, dass sie jeden Tag aufs Neue tausend Tode starb, bis er abends unversehrt wieder zu ihr zurück kam.

Aber das hier war etwas völlig anderes. Zum ersten Mal war ihre Familie ganz bewusst das Ziel eines Wahnsinnigen. Sie würde ausflippen, sollte er zu offensichtlich aktiv werden. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Unvermittelt sprang Susanne von ihrem Stuhl auf, so dass er krachend gegen den Herd knallte.

“Ich werde noch verrückt”, rief sie ungehalten aus. “Ich halte das nicht länger aus, hier einfach herumzusitzen, während dieser Kerl wer weiß was mit unseren Kindern anstellt. Man muss doch irgendetwas tun können! Torsten?”

Flehend sah sie ihn an.

Sollte er sich etwa getäuscht haben?

“Wir müssen doch irgendetwas tun können!”, wiederholte sie heftig.

“Du kannst leider gar nichts tun”, antwortete er kraftlos. “Wenn überhaupt, könnte ich...”

Sie ließ ihn gar nicht erst ausreden.

“Dann tu' es! Bitte, Torsten, egal was, tu' irgendetwas!”

Er stand auf und nahm sie in den Arm. Sie zitterte am ganzen Körper. Sanft drückte er seine Frau an sich und versuchte sie zu beruhigen.

Ein Schellen ließ sie erschrocken zusammenfahren.

“Das wird Rina sein”, überlegte Herwig. “Vielleicht hat sie irgendwelche Neuigkeiten für uns.”

Doch es war nicht seine Kollegin. Ein wutschnaubender Jojo Karstens stapfte zur Tür herein, kaum dass Herwig sie geöffnet hatte.

“Dieser Idiot”, fluchte Karstens, während er in die Küche durchmarschierte. “Dieser gottverdammte Idiot!”

“Jojo? Was ist denn los?” Verwirrt über seinen nächtlichen Besuch sah Susanne ihn an.

“Hülser hat mich auch rausgekickt. Vorübergehend vom Dienst befreit – ich könnte aus der Haut fahren!”

“Was? Wieso das denn? Was ist passiert?”

Es fiel Karstens sichtlich schwer, von seinem erneuten grausigen Fund zu berichten.

„Cathrin!“, stieß er mühsam hervor. „Heute war es Cathrin, die ich auf meinem Bett gefunden habe.“

Schockiert starrten Herwig und seine Frau den nächtlichen Besucher an, als er schilderte, was ihn bei der Rückkehr in seine Wohnung erwartet hatte.

Die Gerichtsmedizinerin Vanessa vom Stein hatte bereits einige Spuren deuten können und sein Entsetzen war noch um einiges gestiegen.

“Vom Stein meinte, sie sind wahrscheinlich zu Mehreren gewesen. Sie müssen sie stundenlang missbraucht und gefoltert haben. Den Spuren nach zu urteilen, hat man sie richtig leiden lassen. Und das nur, weil sie mit mir zusammen war! Wie krank ist dieser Typ eigentlich?”

Mitfühlend legte Herwig ihm eine Hand auf die Schulter, doch er bebte selber so sehr vor Wut, dass er seinen Kollegen beinahe durchschüttelte. Schnell nahm er die Hand zurück und knetete sie stattdessen wieder, dass die Knochen knackten.

“Und Hülser meint jetzt, dass du auch nicht weiter an der Sache dran bleiben darfst?”

“Ja! Unfassbar! Wenn das so weiter geht, ist bald keiner mehr an dem Fall dran, von denen, die bisher mit diesem kranken Schwein zu tun hatten. Aber wahrscheinlich ist es genau das, was Lorenz will.” Seufzend raufte er sich die Haare.

“Aber den Gefallen werdet ihr ihm nicht tun, nicht wahr?”, fragte Susanne lauernd.

“Wie bitte? Natürlich nicht! Meinst du, ich statte euch hier mitten in der Nacht einen Besuch ab, um gemeinsam mit euch Däumchen zu drehen? Wohl kaum!” Karstens schien beinahe beleidigt. “Ich dachte mir eher, dass wir einen Schlachtplan aushecken, wie es weiter geht.

Wir werden schon vorsichtig vorgehen müssen, damit Hülser nichts spitz kriegt. Mir hat er nämlich auch Schutzhaft angedroht, sollte er mich bei irgendeiner Aktion erwischen. Pah, netter Versuch!”

Irgendwie war Herwig Hülser beinahe dankbar, dass er ihm Jojo in die Arme getrieben hatte. Tatendrang regte sich in ihm und er überlegte bereits fieberhaft, wo sie am sinnvollsten ansetzen konnten.

“An diese Vivien kommen wir ja jetzt erstmal nicht ran“, überlegte er laut. Sie war in jedem Fall die Einzige von der sie wussten, dass sie in irgendeiner Weise in Kontakt mit Lorenz gestanden haben musste. “Wenn uns jemand weiterhelfen kann, dann vielleicht Anna Lorenz. Sie ist schließlich ihre Freundin und Mitbewohnerin.”

Karstens nickte bestätigend. “Das war auch mein Gedanke”, sagte er, schon deutlich beruhigter. “Allerdings ist sie bei Frey, wie ich hörte”, fügte er hinterlistig grinsend hinzu.

Herwig verzog das Gesicht, als habe er plötzlich Zahnschmerzen.

“Na prima, der hat mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt”, murmelte er.

“Und wenn er gegenüber Hülser etwas von euch erwähnt?”, fragte Susanne besorgt.

“Ach was”, warf Karstens ein. “Wir werden einfach dezent darauf hinweisen, dass wir noch was bei ihm gut haben, nachdem er uns letztes Jahr bei dieser Pressekonferenz in diese unmögliche Situation gebracht hat mit seinem losen Mundwerk. Der wird garantiert nichts sagen.”

Keine zwei Minuten später waren sie auf dem Weg zu Karstens Wagen. Es tat gut, unterwegs zu sein, etwas zu unternehmen. Da nahm Herwig sogar die Gesellschaft von Christoffer Frey geradezu gerne in Kauf.



Подняться наверх