Читать книгу "Brender ermittelt" - Kim Scheider - Страница 13

Köln Ehrenfeld, etwa zur selben Zeit

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Katharina Grzyek hätte sich am Liebsten an irgendeinen anderen Ort der Welt gewünscht. Nichts war unerträglicher, als das Leid trauernder Eltern, noch dazu, wenn es sich um Eltern handelte, zu denen man eine enge persönliche Bindung hatte.

Ein uniformierter Beamter habe die Kinder in der Pause aus der Schule abgeholt, hatte Susanne erzählt. Das habe ihr die Sekretärin der Schule erklärt, als sie dort angerufen hatte, weil die Kinder nach Unterrichtsende nicht nach Hause gekommen waren.

Als sie kurz darauf ihren Mann in der Besprechung bei Hülser angerufen und gefragt hatte, was das sollte, war Herwig sogleich klar gewesen, was das bedeutete. Lorenz hatte die Zeit, die sie noch brauchten, um sich die drohende Gefahr zusammenzureimen, genutzt, um seine Kinder zu entführen.

Herwig und seine Frau Susanne waren nicht wiederzuerkennen. Mit tränenverhangenen Augen saßen sie Arm in Arm auf der Couch und sahen Grzyek erwartungsvoll an, als habe sie den Ruf, mit einem Fingerschnippen alles wieder gerade richten zu können.

Als Werter sich telefonisch meldete, war die Kommissarin geradezu dankbar für die Ablenkung.

“Pass auf, ich habe in der Schule mit der Rektorin gesprochen. Sie ist noch im Haus und wartet auf euch. Torsten wird den Weg dorthin ja kennen. Özkilics habe ich nicht erreicht, beide nicht. Aber laut der Vorzimmerdame beim Sender sind sie auf einer Hochzeit. Die Adresse finde ich noch für euch raus. Ansonsten gibt es noch jemanden, der einen Handschuh bekommen hat. Eine Vivien Meyer, wohl eine Freundin von Anna Lorenz. Bei Haferkorn habe ich es noch nicht versucht, der ist als nächstes dran.”

Von Freys Päckchen und seinem grausigen Inhalt hatte er schon bei einem früheren Anruf berichtet.

“Danke”, sagte Grzyek knapp. “Meld dich bitte, sobald du weißt, wo diese Hochzeit ist. Wenn sogar diese Vivien einen hat, dann garantiert auch die Beiden.”

“Wie geht es Torsten und seiner Frau?”, fragte Werter zaghaft.

“Den Umständen entsprechend!” Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

Sie beendete das Gespräch und wendete sich vorsichtig an ihren Vorgesetzten, der trotz seiner kräftigen Gestalt so zerbrechlich und hilflos wirkte, dass es ihr beinahe schon körperliche Schmerzen bereitete, ihn so zu sehen.

“Ich würde jetzt gerne zur Schule fahren und mit der Rektorin reden. Möchtest du mit?”

“Ob ich mit möchte?”, brauste Herwig unerwartet heftig auf. “Und ob ich mit möchte! Bin gespannt, was die dazu zu sagen hat, dass meine Kinder unter ihrer Aufsicht einfach weggepflückt werden!”

Susanne schluchzte neben ihm auf und vergrub ihr Gesicht in einem Kissen.

Als würde ihm erst jetzt bewusst, dass sie auch noch da war, drehte er sich erschrocken zu ihr um.

“Soll ich lieber bei dir bleiben?”, fragte er besorgt.

“Nein, “heulte sie erstickt. “Schnapp dir lieber diese miese Ratte und bring unsere Kinder wieder nach Hause! Ich komm schon klar. Außerdem kommt Nina ja auch gleich.”

Herwig brauchte keine Minute, dann war er startklar.

Auf dem kurzen Weg zur Schule versicherte Grzyek sich, dass es ihrer Familie gut ging und deckte sie mit umfangreichen Warnungen ein, während Herwig wie ein Automat funktionierte und den Wagen durch die Straßen lenkte.

Die aus der Nachmittagsbetreuung der Schule strömenden Kinder erschwerten ihnen das Vorankommen deutlich, so dass sie für das letzte Stück beinahe länger brauchten, als für die gesamte Fahrt zuvor. Hinzu kam, dass Herwig beim Anblick der fröhlichen und glücklichen Kinder beinahe zusammenbrach.

Als hoffte er darauf, in einem von ihnen eines seiner Kinder zu entdecken, beobachtete er sie und vergaß darüber ganz das Fahren. Erst als Grzyek ihn anstieß und fragte, ob sie lieber übernehmen sollte, kam er wieder in der Realität an.

„Nein, ist schon in Ordnung“, sagte er mit schwerer Stimme. „Ich schaff das schon!“

Herwig schüttelte sich, als könne er damit seine Sorgen loswerden und es gelang ihm tatsächlich mit bewundernswerter Selbstbeherrschung die letzten Meter ihres Weges zu fahren und den Wagen zu parken.

Die Kommissarin fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, ihn mitzunehmen. Nicht nur, dass er eigentlich zu seiner Frau gehörte, dürfte er als Betroffener gar nicht in dem Maße an den Ermittlungen beteiligt sein. Sicher würde es auch nicht mehr lange dauern, bis Hülser dies aufgehen und er Herwig zurückpfeifen würde.

Scheinbar sah man ihr an, was sie dachte, denn Herwig schüttelte mahnend den Kopf.

“Vergiss es!”, sagte er. “Ich werde verrückt, wenn ich jetzt zu Hause rumsitze. Ich gehe auf jeden Fall mit rein!”

Grzyek zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. “Gut, von mir aus. Aber bitte, Torsten, auch wenn es dir verständlicherweise schwer fällt, versuch dich zu beherrschen! Noch wissen wir nicht einmal genau was passiert ist, okay?”

Herwig antwortete nicht, aber sie wusste auch so, dass er im Grunde eine tickende Zeitbombe war.

Die Rektorin, eine Frau Soest-Klettenberg, kam ihnen schon auf dem Weg zum Rektorat entgegen geeilt.

“Herr Herwig, es tut mir aufrichtig leid, was da passiert ist”, begrüßte sie ihn mit angemessen zerknirschter Miene und nickte Grzyek kurz zu. “Ich habe eben mit der Lehrerin gesprochen, die ihre Kinder ihrem Kollegen mitgegeben hat. Sie hat mir versichert...”

“Moment bitte, Frau Soest-Klettenberg”, unterbrach Grzyek sie. “Das waren gar nicht Sie? Ich ging davon aus, dass Sie unsere Zeugin sind?” Was für eine Zeitverschwendung!

“Nein, das war Frau Gerber, die mit Ihrem Kollegen gesprochen hat“, antwortete die Lehrerin unsicher, als sie Grzyeks Enttäuschung sah. „Aber sie ist noch im Haus. Wir hatten nach Unterrichtsende eine Lehrerkonferenz, deshalb sind wir heute alle noch anwesend.”

Erleichtert atmeten die Kommissare auf.

“Dann möchten wir Frau Gerber sofort sprechen!” Die Schärfe in Herwigs Stimme mahnte die Schulleiterin, keine weitere Zeit zu verplempern.

“Selbstverständlich. Bitte folgen Sie mir, das Lehrerzimmer ist noch ein kleines Stück von hier entfernt.”

Eilig führte die Schulleiterin sie verschiedene Flure entlang, an leerstehenden Klassenzimmern vorbei. Bunte Frühlingsblumen klebten an den Fenstern der Flure und auch die Wände waren mit zahlreichen Kunstwerken der Kinder dekoriert. Unter anderen Umständen hätte es sich sicher gelohnt, die Bilder und Skulpturen genauer zu betrachten, selbst im Vorbeieilen ließ sich erkennen, was für eine erstaunliche Qualität die Werke der Kinder besaßen.

Als sie um die nächste Ecke bogen, verschwand alles heimelige und gemütliche und machte Schränken mit nüchternen Arbeitsmaterialien und riesigen Tafeln mit Unterrichtsplänen und Klassenlisten Platz.

Aus einer Tür zu ihrer Linken traten gerade zwei Lehrerinnen heraus und unterhielten sich miteinander.

“Ich werde mich dann gleich noch an die Lernstandserhebungen setzen dürfen”, klagte die eine und griff nach ihrer Tasche, die prall gefüllt mit Unterlagen war.

“Oh, mein Beileid. Da hast du ja noch was vor dir.”

“Ja”, stöhnte sie. “Und das nach dem Tag...”

Beide machten Anstalten, davon zu gehen, doch Herwig war schnell bei Ihnen.

“Wenn ich die Damen zunächst noch einmal zurück ins Lehrerzimmer bitten dürfte”, sagte er und Grzyek spürte, wie sehr er sich zusammenreißen musste. “Hauptkommissar Herwig und meine Kollegin, Kommissarin Grzyek, Kripo Köln”, fügte er hinzu. “Wir haben da ein paar Fragen an Sie und das Kollegium.”

Gemeinsam mit den Lehrerinnen betraten sie den Raum, in dem überall kleinere Grüppchen zusammen standen und in ihre Gespräche vertieft waren. Erst als Frau Soest-Klettenberg sie alle um Aufmerksamkeit bat und die Polizeibeamten vorstellte, kehrte Ruhe ein.

Es stellte sich schnell heraus, dass fast die Hälfte der Lehrerschaft nicht als Zeuge in Frage kam. Sie arbeiteten nur Teilzeit und waren zur fraglichen Zeit gar nicht im Haus. Doch auch von den restlichen Lehrkräften hatten nur wenige etwas mitbekommen und am Ende blieben nur Frau Gerber, sowie die Rektorin und zwei Lehrer übrig, die in der Pause Hofaufsicht hatten. Sie konnten zumindest die Beschreibung des vermeintlichen Polizisten bestätigen, die Frau Gerber ihnen gab.

“Er war unglaublich groß und kräftig”, berichtete sie. “Also, muskulös meine ich, nicht dick oder so.”

“Was genau hat er denn zu Ihnen gesagt?”, fragte Grzyek die eingeschüchterte Frau, während Herwig wie ein eingesperrter Tiger durch das Lehrerzimmer streifte und sich nervös die Hände knetete.

Frau Gerber warf einen verängstigten Blick auf den Kommissar und holte tief Luft, bevor sie zusammenfasste, was geschehen war.

“Er kam zu mir und hielt mir seine Dienstmarke unter die Nase”, begann sie langsam. “Er stellte sich als Kommissar Müllenbeck vor...”

“Wie bitte?”, unterbrachen Herwig und Grzyek sie zugleich. “Wie hat er sich genannt?”

Unsicher blickte die Frau zwischen ihnen hin und her.

“Kommissar Müllenbeck. Und so stand es auch in dem Dienstausweis. Ich hab ja extra genau hingeguckt, schließlich wollte er zwei Kinder mitnehmen.”

“Und als Sie da so genau hingesehen haben”, fuhr Herwig sie unbeherrscht an, “da ist Ihnen nicht zufällig aufgefallen, dass das Bild auf dem Dokument nicht mit dem Aussehen des Mannes übereinstimmte?”

Grzyek legte ihm beruhigend die Hand auf Schulter und drückte sie sanft.

“Bitte, lass mich das machen”, raunte sie ihm zu.

“Er sah aber so aus, wie auf dem Bild”, verteidigte sich die junge Lehrerin. “Ok, ich hab noch gedacht, da wäre auch mal langsam ein aktuelleres Foto fällig. Aber das war auch ziemlich unscharf. Beide waren blond und...”

Sie stockte, als Herwigs harter Blick sie traf.

“Ich dachte halt, er hätte sich durch die Jahre bei der Polizei vielleicht einfach nur verändert. Wäre kräftiger geworden und so. Was weiß denn ich, was die Polizeiarbeit so aus einem macht!”

Herwig schnaubte verächtlich und pirschte weiter durch den Raum.

“Was hat er denn für einen Grund genannt, ihm die Kinder mitzugeben?”, wollte Grzyek wissen.

“Er sagte, sein Chef - Hauptkommissar Herwig - wäre an einem schwierigen Fall dran und dass die Gefahr bestünde, dass man versuchen könnte, die Kinder zu entführen. Deshalb habe er den Auftrag, sie in Sicherheit zu bringen.”

“Und das haben Sie ihm einfach so geglaubt?”

“Du meine Güte, was hätten Sie denn an meiner Stelle gemacht?”, fragte sie aufgebracht. “Da steht ein Uniformierter mit Polizeimarke, noch dazu einer, bei dessen Anblick man schon bereit ist, alles zu gestehen und erzählt, die Kinder wären in Gefahr. Ich musste doch davon ausgehen, dass das alles seine Richtigkeit hat, schließlich ist ja hier allgemein bekannt, welchen Beruf Herr Herwig hat.”

“Und auf die Idee, mich anzurufen und sich abzusichern, sind Sie nicht gekommen?” Unbemerkt hatte der Tiger sich von hinten angeschlichen und fauchte der armen Frau über die Schulter. Erschrocken zuckte sie zusammen.

“Doch, natürlich!”, rief sie verzweifelt aus. “Das wollte ich gleich als erstes. Aber er wies mich zurecht, ob ich ihm denn nicht zugehört hätte? Er hätte doch gerade gesagt, dass Sie in schwierigen Ermittlungen stecken würden. Und ob ich nicht glaube, dass Sie oder Ihre Frau persönlich gekommen wären, wenn Ihnen das möglich gewesen wäre.”

“Gut, Frau Gerber”, lenkte Grzyek die Aufmerksamkeit der Zeugin wieder auf sich. “Wie ging es dann weiter?”

“Nun, es war Pause, also bin ich raus auf den Hof und habe die Aufsicht gebeten, nach Lucca und Giuliano zu suchen. In der Zeit habe ich die Klassenlehrer informiert und wollte Frau Soest-Klettenberg Bescheid geben, aber die war nicht im Haus.”

“Schulleiterkonferenz”, erklärte diese achselzuckend. “Mit den Kindern hat man in der Position nicht mehr viel zu tun. Leider!”

Grzyek nickte unverbindlich und wandte sich wieder der Zeugin zu.

“Kommen wir noch einmal auf die Beschreibung des Mannes zurück. Sie sagten, er sei sehr groß und kräftig gewesen. Wie groß ungefähr?”

Die Frau überlegte einen Moment.

“Sehr groß, zwei Meter bestimmt, würde ich sagen. In jedem Fall noch mal ein ganzes Stück größer als Herr Herwig.”

“Wie alt würden Sie ihn schätzen?”

“Mitte Dreißig, vielleicht Ende Dreißig.”

Grzyek notierte die Daten und sah ihren Kollegen fragend an.

“Nach Tom Lorenz klingt das aber nicht”, sagte sie schließlich nachdenklich.

“Hatte er eine auffällige Narbe im Gesicht oder wirkte irgendwie entstellt?”, hakte Herwig nach.

“Nein! Er sah zwar nicht sehr sympathisch aus - mehr so der Typ Rausschmeißer, aber eine Narbe? Nein!”

Grzyek notierte sich noch Telefonnummer und Adresse der Zeugin, dann verabschiedeten sie sich und verließen die Schule wieder.

Unterwegs zum Auto überlegten sie, wer dieser neue Gehilfe von Tom Lorenz sein mochte. Mit der Beschreibung konnten sie nicht sehr viel anfangen. Allerdings würden die Angaben mit dem wenigen übereinstimmen, das Anna Lorenz im Februar zu Protokoll gegeben hatte, als sie diesen Steve beschrieb, der sie festgehalten hatte, während Tom sein perfides Spielchen mit ihr trieb. Groß und kräftig, Typ Rausschmeißer, das würde passen.

In ihre Überlegungen hinein rief Werter erneut an. Er hatte endlich herausgefunden, wo Özkilics steckten und wollte sich dort mit ihnen treffen.

“Hülser schleicht die ganze Zeit hier herum. Ich glaube, es wäre keine gute Idee, ihn und Torsten aufeinander treffen zu lassen”, begründete er seinen Vorschlag.

“Was ist mit Jojo?”

“Der vernimmt noch diese Vivien Meyer. Irgendwas an ihrer Geschichte scheint merkwürdig zu sein.”

“Was denn für eine Geschichte?”

“Ach so, habe ich ganz vergessen!” Grzyek konnte hören, wie ihr Kollege sich mit der Hand vor die Stirn schlug. “Ganz schön was los hier heute. Die Holländer haben angerufen. Mit der Beschreibung von Tom Lorenz sind sie nicht weitergekommen. Aber der Postbeamte konnte sich noch sehr genau an die Person erinnern, von der die Pakete aufgegeben wurden. Und jetzt haltet euch fest – die Beschreibung passt haargenau auf Vivien Meyer!”



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