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GPF GmbH
Оглавление3. Juni. Cagliaris Sekretärin, Frau Peters, blickte auf, als Thorben nach kurzem Klopfen ihr Zimmer betrat, lächelte ihm kühl zu und nickte mit ihrem blonden Kopf nur kurz in Richtung der Tür zum Zimmer ihres Chefs und sagte dann aber doch freundlich: „Gehen sie nur rein, Herr Doktor Lüderitz, der Chef erwartet sie schon… Er scheint etwas aufgeregt. Ansonsten: Wie geht´s?“.
Thorben grüßte: „Moin, Frau Peters, tach auch, ja danke der Nachfrage, ja, mir geht´s gut. Ihnen auch einen schönen Tag, Frau Peters“. Frau Peters schüttelte irritiert den Kopf, ohne die Ohrstöpsel des Diktiergerätes ab- und die Hände von der elektrischen Typenrad-Schreibmaschine zu nehmen, deren Finger ein Eigenleben zu führen schienen, so flink huschten sie über die Tastatur der eleganten Olivetti, für die sie lange hatte kämpfen müssen. Thorben deutete kurz auf die Schreibmaschine und fragte: „Neu?“. Frau Peters hörte nicht auf zu schreiben und nickte. „Ja“, sagte sie, „schick nicht?“
Thorben blinzelte ihr zu und machte die paar Schritte durch das Vorzimmer bis zur Tür. Kaum hatte er geklopft, hörte er auch schon das „Herein!“ von Cagliari.
„Schön, dass sie Zeit haben, Lüderitz“, sagte Thorbens Chef, erhob sich hinter seinem Schreibtisch, deutete auf den Besprechungstisch, reichte Thorben die Hand zur Begrüßung und sagte freundlicher als sonst: „Nehmen sie Platz. Kaffee und Kuchen?“ Kuchen? Handshake und Kuchen? Das hatte Thorben bei seinem Chef noch nie erlebt, Kaffee? Immer. Und Plätzchen oder Kekse, ja, manchmal, aber Kuchen? Nein, niemals. Handschlag? Das war das erste Mal, das war etwas ganz Besonderes.
„Haben sie das durchgerechnet?“, kam Cagliari sofort auf den Punkt, „ist das zu schaffen, dreitausend Patienten in einem Jahr?“
Thorben schenkte sich erst einmal den Kaffee ein, goss etwas Sahne in die Tasse, rührte die Melange um und prüfte die kleine Kuchenauswahl von vier Stückchen – Apfelkuchen, Stachelbeerkuchen und Plundergebäck.
„Ja“, sagte er sinnend und langsam (was sollte er nehmen, nicht, dass er das nahm, was Frau Peters für Dr. Cagliari vorgesehen hatte… Er entschloss sich, mit der Auswahl des Kuchens noch zu warten bis sein Chef sich entschlossen hatte – besser ist besser, dachte er), „das habe ich.“
„Und?“, fragte Cagliari gespannt, „was sagen sie?“
„Tjaaa“, sagte Thorben lang gedehnt, „das wird problematisch.“
„So klug war ich schon lange, Lüderitz, das weiß ich selber…“
„Sehr problematisch“, ergänzte Thorben. Er hätte am liebsten den Stachelbeerkuchen genommen, der sah gut aus, am besten, fand er. Aber genau deshalb würde der Chef den auch haben wollen.
Dr. Cagliari musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
Thorben kannte den Blick – noch einen Moment zu lange und Cagliari würde platzen. Nein, das brauchte er jetzt nicht und deshalb nahm er auch nicht das Stück Stachelbeerkuchen.
„Darf ich mal das Flipchart benutzen?“, fragte er stattdessen.
„Bedienen sie sich“, entgegnete Dr. Cagliari, „dafür ist sie da.“
Thorben erhob sich, zog die Kappe vom Filzstift ab, stellte sich an die Tafel und begann zu dozieren: „ Ich habe das einmal ausgerechnet“, begann er, „ich und meine beiden Mitarbeiter können laut Plan in einem Jahr 750 Studienpatienten betreuen.“ Links oben auf das Flipchart schrieb er siebenhundertfünfzig und darunter ergänzte er einhundertzehn.
„Einhundertzehn“, sagte er, „haben wir schon, dazu haben wir ein halbes Jahr gebraucht.“
Dr. Cagliari japste: „Weiß ich doch – weiß ich, das reicht aber nicht!“
„Genau“, sagte Thorben, „klar, aber wir haben uns die Zahl ja nicht aus der Nase gezogen, nicht wahr? Da steckt ja Überlegung dahinter. 750 Patienten bei im Schnitt 20 Patienten pro Prüfzentrum macht das siebenunddreißigeinhalb Prüfzentren, nehmen wir round about 35, das rechnet sich leichter. Hinterher müssen wir nur im Kopf haben, dass es in Wirklichkeit ein klein bisschen länger dauern wird.“
Dr. Cagliari nickte zustimmend, also fuhr Thorben fort: „Im Prüfplan aus Birmingham ist eine Studiendauer von neunzig Tagen pro Patient vorgesehen, das macht ja auch Sinn. Nun fangen aber nicht alle Patienten am Tag eins einer Studie an, die Patienten müssen ja den Einschlusskriterien genügen, sie müssen zustimmen und so weiter.“.
Thorben machte eine kurze Pause, nur um gleich darauf fortzufahren: „Ich gehe von den Erfahrungswerten in anderen Studien aus. Pro Studienzentrum werden wir wohl mit insgesamt 9 Monaten Studiendauer rechnen können. Neun Monate, das macht circa 270 Tage.
Zwanzig Patienten in sechs Monaten… da brauche ich … wenn ich nichts anderes mache … weil ich ja noch ein paar Altstudien abzuwickeln habe, denke ich …
„Denken sie daran, was wir denen anbieten können!“, fiel ihm Cagliari ins Wort, „Frantzen meint, dass ein Kurztrip mit dem Volk in die Karibik helfen könnte. Mit einer kompetenten Einführung in Steuersparmodelle oder so, Lüderitz, wir können denen das Honorar dort gleich auf neu eröffnete Konten einzahlen… Meinen Sie, das hilft bei der Akquise?“
„Das sind eher Marketing-Methoden“, sagte Thorben, der sich als Wissenschaftler betrachtete und das, was er als Marketing-Methoden bezeichnete, häufig als etwas Anrüchiges empfand. Er lehnte so etwas nicht vollständig ab – aber das sollten lieber andere machen: Produktmanager, Außendienstler, solche Leute.
Er wiegte den Kopf, „die verfangen bei meinen Leuten nicht immer … Könnte bei einigen Chefs eventuell hilfreich sein – bei den ganz Gewieften vielleicht… bei anderen eher nicht. Kann bei einigen für uns aber auch nach hinten losgehen. Muss man sehen… Das kommt auf die Situation an, glaube ich.“
„Sie machen das schon“, meinte Dr. Cagliari, „die Betreuung vor Ort kann ich übernehmen, dann müssen sie nicht aus der Betreuung der Zentren raus und sie können ihre Youngster im Auge behalten, Lüderitz, das ist mir wichtiger, als sie da drüben in der Hitze rumfliegen zu sehen!“
Thorben musste innerlich über die letzte Bemerkung seines Chefs grinsen, machte wieder eine kurze Pause, auch um sich zu konzentrieren, spielte einen Moment mit dem Schreiber, dann schaute er seinen Zuhörer an und führte weiter aus:
„Bis ich die ersten 20 Zentren unter Vertrag habe, das werden die sein, die ich mit dem Auto anfahren kann, also sagen wir einmal bis zu zweihundert Kilometer rund um München, brauche ich, ich denke, zwanzig Tage. Den Erstkontakt muss ich selber machen, die Folgebesuche können meine beiden Youngster übernehmen. Bis ich alle 35 Zentren festgemacht habe, sind vierzig oder sechzig Tage um. Arbeitstage, wohlgemerkt!“
„Dann würde die Reise auf die Caymans also irgendwann im Herbst stattfinden, oder? Überstunden für sie und ihre Leute sind kein Problem, da können sie auch am Wochenende hin…“, wandte Dr. Cagliari mit einer Hand abwinkend ein.
„Könnte ich zwar… prinzipiell“, sagte Thorben abwägend, „aber es geht da weniger um mich, mehr um die Ärzte, die Chefs – und ob die bereit sind, mich am Sonntag auf dem Golfplatz zu treffen…? Und jetzt ist praktisch schon Urlaubszeit, wir haben Juni!“ Als Thorben den dunklen Blick seines Vorgesetzten sah, schob er ein: „Vielleicht nicht bei uns, Chef – aber bei denen ganz bestimmt. Und zwar noch bis Ende August!
Ich habe da meine Zweifel. Lassen sie uns lieber realistisch rechnen: Sechzig Arbeitstage sind zwölf Wochen oder ein viertel Jahr. In deren Urlaubszeit“, er betonte „deren“, „kann ich die Vorbereitungen treffen, da verlieren wir nicht so viel.“
Cagliaris Miene hellte sich ein wenig auf. „Puh“, stöhnte er trotzdem.
„Naja“, gab Thorben zu bedenken, „die allerersten Prüfärzte können ja – mit etwas Glück – schon in drei bis vier Wochen beginnen, die anderen folgen dann zeitversetzt. Die Studienbögen sind ja schon fertig, denn ein paar Studien laufen ja schon. Der nachdruck auf 3000 geht schnell, die prüfmuster kommen.
Im allerschnellsten Fall beginnt somit der erste Prüfer in vier Wochen. Selbst wenn die erste Therapie beim ersten Patienten dann schon am nächsten Tag beginnt – und die dauert mindestens neunzig Tage, also drei Monate – dann ist der erste Patient in vier Monaten fertig. Und wenn der Prüfer schnell ist, sehr schnell, richtig verdammt schnell sogar, dann brauchen die vier bis sechs Wochen, bis der zwanzigste Patient „drin“ ist, also mit der Therapie begonnen hat. Also, ich denke, in sechs Monaten ist der erste Prüfarzt fertig mit der Studie.“
„Naja“, sagte Cagliari, „das hört sich doch nicht so schlecht an, oder?“
„Ich weiß nicht“, entgegnete Thorben, „der letzte Prüfarzt beginnt nach dieser Kalkulation in zwei bis drei Monaten.
Dann beginnt sie… Die gesamte Studie wird 250 bis 270 Tage dauern, also knapp neun Monate. Plus die zwei Monate Vorlaufzeit bis die alle begonnen haben. Macht also elf Monate. Im Idealfall! Immer noch ohne Wochenenden, hohe Feiertage, Krankheit, Schwangerschaft oder Urlaub zu berücksichtigen.“
„Urlaub ist gestrichen“, sagte Cagliari betont, „Schwangerschaften sind verboten…“. Er meinte das offenbar ernst, glaubte Thorben, das war ihm anzusehen.
„Ja“, sagte Thorben, „aber Weihnachten, Ostern, Pfingsten und nicht zu vergessen in halb Deutschland Karneval kommen, ob sie wollen oder nicht, die können sie nicht verbieten. Vielleicht, wenn es mal einen deutschen Papst geben sollte… Aber auch dann nur mit guten Beziehungen von Gottvater zum Papst“, versuchte Thorben einen Scherz.
„Papperlapapp!“ winkte Dr. Cagliari ab, „bleiben sie ernst, Lüderitz, mir ist nicht zum Lachen zumute…“
„Gut“, sagte Thorben“, „aber ich garantiere ihnen: Unter dem Stress wird es zu krankheitsbedingten Ausfällen kommen, keine Frage. Und das meine ich verdammt ernst.“
„Sagen Sie einmal, Lüderitz, sind sie ein Defätist? Ich habe gesagt, die werden verboten!“
„Ihr Wort in Gottes Ohr…“, murmelte Thorben.
„Was haben sie nur immer mit ihrer Religion, Lüderitz, was hat Gottvater damit zu tun? Er hat mir völlig freie Hand gegeben, Urlaub etc. können sie von mir aus später nachholen… – wenn es denn unbedingt sein muss!“
„Ich habe nicht Herrn Frantzen gemeint, ich habe IHN gemeint, „ihn“ in Versalien, den großen Lenker, den Herrn!“
„Sind sie etwa gläubig, Lüderitz?“, fragte Cagliari entsetzt.
„Das tut hier nichts zur Sache“, befand Thorben.
Für Cagliari war das Thema noch nicht beendet: „Urlaub, möglichst noch Grippe, das klingt ja fast so, als ob sie in der Gewerkschaft wären, Lüderitz…“. Aus Cagliaris Mienenspiel und Körpersprache sprach größte Abscheu. „Lüderitz“, sagte er noch einmal, „ich dachte, ich könnte mich auf sie verlassen, sozusagen, von Mann zu Mann!“
Insbesondere was die letzte Bemerkung anging, verstand Thorben nichts.
Doch dann kam für Cagliari der eigentliche Hammer.
„Also, mit meinen zwei Leuten kann ich maximal 750 Patienten pro Jahr in Studien betreuen. Das ist das Ende der Fahnenstange, 3.000 geht einfach nicht. Das ist Fakt.“.
Das Flipchart war nicht wirklich benutzt worden als Thorben wieder Platz nahm. Er blickte auf das fast leere Blatt, stand noch einmal auf und schrieb oben rechts die Zahl 3.000 hin. Darunter 110 und wieder einen Strich und 2890 und wieder einen Strich und dann 2.140 und machte einen Kreis um diese Zahl.
Er ging wieder zu seinem Platz und sagte „Das ist das, was wir nicht schaffen, nicht mit den Bordmitteln, die wir haben.“
„Malen sie nicht den Teufel an die Wand“, kommentierte der Chef diese Zahl, „Sie kriegen zusätzliche Leute, drei oder fünf…“, sagte Cagliari, „nun nehmen sie schon von dem Kuchen, bedienen sie sich, freie Wahl“, quetschte er bedrückt hervor.
„Na gut“, dachte Thorben und nahm sich das Stück Stachelbeerkuchen.
„Ach“, sagte der enttäuscht dreinschauende Dr. Cagliari, „den hatte ich mir eigentlich…“
„Das wusste ich nicht“, krümelte Thorben mit vollem Mund und hielt Dr. Cagliari seinen Teller hin, „wenn sie wollen…“
„Schon gut“, entgegnete Cagliari beleidigt, „ich hatte gedacht, sie nehmen den Apfelkuchen oder so eine Plundertasche oder wie die Dinger da heißen.“. Er deutete auf die trockenen Stückchen.
„Und wenn sie die Neuen kriegen, wie sieht es dann aus?“. Er schaute Thorben kauend an. „Gar nicht so schlecht der Apfelkuchen, nicht zu vergleichen mit Stachelbeeren, wissen sie, das ist nämlich mein Lieblingskuchen, naja, können sie ja nicht wissen, wie sollten sie auch. Da hätte die Peters auch zweimal Stachelbeere bringen können…“
„Wenn es gute Leute sind, müssen wir die woanders abwerben, dann können die frühestens in – sagen wir – Quartalsende plus 3 Monaten anfangen, also in ziemlich genau einem halben Jahr. Die werden dieselbe Kündigungsfrist haben wie ich: Drei Monate zum Quartalsende. Also haben die noch ein halbes Jahr – und wir nicht! Wenn es drei sind, macht das die Rechnung einfach. Dreihundertfünfundsiebzig Patienten! Einarbeitungszeit nicht eingerechnet, aber das geht schnell – zwei Wochen oder so, das können wir vernachlässigen.“
„Häh“, fragte Cagliari, „wieso dreihundertfünfundsiebzig?“
„Drei Mann, ein halbes Jahr, das ist die bestehende Mannschaft für den halben Zeitraum – macht genau die Hälfte von dem, was ich eben ausgerechnet habe: Dreihundertfünfundsiebzig!“
„Ach so, ja, klar!“
„Macht zusammen dreihundertfünfundsiebzig plus siebenhundertfünfzig gleich zwölfhundertfünfundzwanzig…“
„Nein“, sagte Cagliari, „leider nur elfhundertfünfundzwanzig, einhundert weniger.“
„Stimmt“, sagte Thorben und schaute etwas konsterniert, „wo sie recht haben, da haben sie recht: Elfhundertfünfundsiebzig.“
„Da fehlen noch eintausend…“, sagte Dr. Cagliari.
„…achthundertfünfundsiebzig“, ergänzte Thorben schnell, der sich immer noch ärgerte, dass er sich eben verrechnet hatte.
„Eintausendachthundertfünfundsiebzig“, murmelte Cagliari während Thorben die neuen Zahlen an die Tafel malte und wiederholte das noch einmal: „Eintausendachthundertfünfundsiebzig!“. Nach einer Weile sagte er leise: „dafür brauchen wir noch einmal zwei Jahre…“
„Naja, vielleicht eineinhalb“, verbesserte ihn Thorben, „aber dann muss alles wie am Schnürchen gehen!“
„Das interessiert dann doch niemanden mehr, Lüderitz,“ sagte Cagliari laut, „wir haben ein Jahr und keinen Tag länger…, Scheiße, Mist, Dreck…!“
„Naja“, sagte Thorben, „wir könnten eines von diesen neuen externen Studieninstituten beauftragen. Die können ganz fix arbeiten“, meinte Thorben, „aber zaubern können die auch nicht. Vielleicht fast so viel wie wir, sagen wir überschlagsweise eintausend. Realistisch aber eher fünfhundert. Aber die sind teuer!“
„Geld spielt keine Rolle“, erinnerte ihn Dr. Cagliari, „dann bleiben immer noch knapp neunhundert, die wir nicht schaffen können. Aber immerhin … und vielleicht fällt uns ja noch etwas ein. Unsere Idee mit diesem Institut ist gut, das sollten wir auf jeden Fall machen. Lüderitz, sie kümmern sich um den internen Kram mit ihren Leuten, ich rede mit denen vom Institut – haben sie die Adresse?“
Thorben nickte. Wenn es „unsere“ Idee war, dann fand sein Chef sie wirklich gut.
„Geben sie die Adresse der Frau Peters. Und ich rede mit der von Reventlow, dass die mit den Neuen in die Puschen kommt, so sagt man doch da, wo sie herkommen, nicht wahr?“
Thorben wunderte sich ob so viel Zuwendung. Was ein bisschen Druck doch ausmachen konnte. Als er sich erhoben hatte, sagte Cagliari noch: „Nehmen sie die beiden Plunderstücke mit für ihre Miss KliFo, wie heißt die noch?“
„Fräulein Heinz, wie der Ketchup, ganz leicht zu merken: Heinz!“
„Ich esse keinen Ketchup, Lüderitz, beim Witzigmann gibt es das nicht, Gott sei Dank, den Teller können sie in der Pantry abstellen, wenn Fräulein Ketchup mit dem Kuchen fertig ist.“
Zwei Stunden später klingelte Thorbens Telefon. Es war sein Chef. „Lüderitz“, flüsterte der, „grande Kacke. Ich habe gerade mit der Gailbraithwisthle telefonieren müssen, wissen sie was die mir gesagt hat? Es ist unglaublich …“
„Keine Ahnung“, sagte Thorben, „aber ich denke, sie werden es mir gleich erzählen…?“
„Weil wir doch so schnell sind mit unseren 110 fertigen Bögen und angeblich ja auch schon alle dreitausend Patienten in der Studie am Laufen haben…“. Cagliari hörte auf zu reden, Thorben hörte ihn am anderen Ende der Leitung tief atmen.
„Ja?“, fragte er.
„Wir dürfen, „dürfen“ hat sie gesagt, Lüderitz, wir dürfen…! Diese blöde Kuh…“
„Was denn?“, fragte Thorben noch einmal vorsichtig.
„Wir dürfen“, die Betonung lag auf „dürfen“, „also, wir müssen, das meint die nämlich mit dürfen, noch einmal eintausend Patienten mehr machen, Lüderitz, eintausend! Mindestens!“
Thorben sagte vor Schreck nichts, jetzt atmete er so schwer wie eben sein Chef.
„Und wissen sie, was das Beste ist, Lüderitz?“
Nein, wie sollte er.
„Godfather already agreed“, hat sie höhnisch gesagt, „und dass es ihm eine Ehre sei!“ Das Letzte brüllte er so laut in den Telefonhörer, dass Thorben den fast vor Schreck fallen gelassen hätte.
„Sind hier denn alle total durchgeknallt?“, hörte er den Chef immer noch brüllen, „das sind doch alles Idioten! Lüderitz, sie waren doch beim Bund. Haben sie nicht eine größere Knallerbse mitgehen lassen, die wir der rüberschicken können?“ Dann war einen Moment lang Ruhe. „Lüderitz, das Letzte habe ich nicht gesagt! Niemals, verstehen sie, niemals!“
Thorben verstand sehr wohl. Das mit dem „niemals“ und dass es jetzt um die zweitausend Patienten waren, die sie niemals schaffen würden. Das ist das Ende für den Chef dachte er, sein Kopf würde rollen, das war klar. Gottvater würde keine kläglichen Versager in seiner Firma dulden.
Denn zweitausend Patienten, zweitausend läppische Patienten nicht herschaffen zu können, galt als Versagen. Sie für GPF nicht herbeischaffen zu können, das war sogar kläglichstes Versagen. Zumindest in diesem Konzern.
Und wenn Gottvater Dr. Cagliari nicht opfern würde, dann wäre er selber dran – und das war schließlich undenkbar. Er war Gottvater und der machte keine Fehler. Niemals. Und wirklich absolut-absolut undenkbar war, dass jemand im Headquarter in Birmingham verantwortlich wäre für ein minor problem in Germany. Das sollten diese bloody Krauts gefälligst selber fixen, wozu hatten die Engländer schließlich diesen Krieg gewonnen – selber fixen und zwar schnell und geräuschlos.
Thorben würde halt für einige Zeit in Deckung gehen müssen, bis ein Nachfolger für seinen Chef sich gesettelt hätte. Darin hatte er Erfahrung. In mehr als zehn Jahren bei GPF war Dr. Cagliari sein vierter Chef. So etwas konnte verdammt schnell gehen.
„Zweitausend Patienten“, stöhnte Thorben, „puh, zweitausend – nicht machbar, Chef, wirklich, da müssten wir schon hexen können… und das kann nicht einmal der sechste Stock!“
„Nennen sie diesen Namen nicht“, presste Cagliari durch offenbar geschlossene Lippen, „nicht jetzt, nicht mir gegenüber, niemals! Haben sie verstanden. Nicht, bevor sie eine Idee haben, wie sie alles herschaffen, Lüderitz.“
Thorben sagte nichts. Sein Chef auch nicht. Nach einer Weile brach Cagliari das Schweigen. Mit geradezu flehentlicher Stimme fragte er: „Lüderitz? Sind sie noch da?“
„Ja!“
„Haben sie keine Idee, nicht eine klitzekleine?“
„Nein“, sagte Thorben und das war auch nicht gelogen. Sein Gehirn war wie leer gefegt.
Er musste seinem Chef recht geben, sie war schon bösartig, hinterhältig, gemein und eine verdammte Expertin im Legen von Tretminen, diese Gailbraithwisthle. Aber ihr eigener Oberboss war auch eine selten charakterlose Pfeife, fand Thorben.
„Äh, Chef?“, sagte er dann.
„Ja?“, hörte er Cagliari, in dessen Stimme ein Funke Hoffnung mitschwang, „was ist?“
„Frau Heinz lässt sie für den Kuchen grüßen, der war ganz lecker, hat sie gesagt…“, sagte Thorben. Dann hörte er einen Schrei „Lüderitz!“, und dann nichts mehr, denn Dr. Cagliari hatte wortlos aufgelegt.