Читать книгу Pharmageddon - Klaus Bock - Страница 15

GPF GmbH. Im Chefrestaurant

Оглавление

4. Juli. Dr. Cagliari hatte Thorben in das Vorstandsrestaurant im sechsten Stockwerk eingeladen. Das grenzte an ein Wunder, denn selbst langjährige Mitarbeiter konnten sich kaum erinnern, dass so etwas passiert war – das war höchstens ein oder zweimal pro Jahr geschehen, dass ein Vorstandsmitglied einen „Normalo“, einen normalen Mitarbeiter, dorthin eingeladen hatte. Thorben war sich der Ehre sehr wohl bewusst. Er war sich nur nicht im Klaren, wem oder was er diese Auszeichnung verdankte. Immerhin war er gottfroh, dass er heute den guten Business-Anzug trug – und sogar der war frisch aus der Reinigung, die Krawatte war neu.

„Kommen sie hierher, hier ist unser Tisch“, winkte Cagliari Thorben an den Tisch, als dieser das kleine, aber sehr feine Restaurant betreten hatte. Alle Tische waren mit schneeweißen Leinendecken eingedeckt, an den Plätzen standen Wasser-, Weiß- und Rotweingläser, das Besteck war selbstverständlich altes Silber und das Porzellan teures Rosenthal. Auf jedem Tisch stand eine kleine Vase mit einem geschmackvoll dekorierten Blumenstrauß und zwei Wasserkaraffen. In der einen perlte das Wasser, in der anderen schwammen nur ein paar Eisstückchen. „Alles vom Feinsten“, befand Thorben. Sogar die Servietten waren aus Leinen und kunstvoll zu Schwänen gefaltet.

Der Tisch, an dem sein Chef auf ihn wartete, war für drei gedeckt. Auf seinen fragenden Blick auf den dritten Platzteller erläuterte Cagliari: „Ich habe noch Doktor Lorentz gebeten…, sie verstehen, Lüderitz?“

Nein, Thorben verstand nicht, was sollte der Finanzchef dabei?

„Was trinken sie?“, fragte Cagliari, „“Rot“ oder „Weiss“? Ach was, soll der Kellner uns beraten, mal schauen, was sie heute anbieten?“

Der Kellner erschien wie aus dem Nichts, zauberte eine Schale mit reschem Baguette sowie Schälchen mit Butter und Sour-Cream auf den Tisch und war schon wieder verschwunden. Eleganter und leiser konnte man sich als Kellner nicht bewegen. Er hatte kein Wort gesprochen, nur höflich gelächelt, dabei konnte er fließend in mindestens fünf Sprachen parlieren – aber das tat er nur, wenn er angesprochen wurde.

Gleich darauf betrat der smarte, teuer gekleidete Dr. Lorentz das Restaurant, zielgerichtet kam er zu dem Tisch, an dem Cagliari und Lüderitz schon saßen, grüßte die beiden kurz und griff sich schon im Setzen die Tageskarte und fragte: „Was bietet die Küche heute Schönes?“. Nach einem kurzen Blick legte er die Speisekarte zur Seite und schaute mit großem Interesse auf Thorben, als ob er ihn heute zum ersten Mal wirklich wahrnähme.

„So, so“, sagte er, „sie sind also unser Mann, der mal so eben über eine Million ausgeben will? Ich hoffe nur, das rentiert sich…“

Thorben war verblüfft, blickte fragend auf seinen Chef, der wortlos mit den Achseln zuckte.

„Ich?“, fragte Thorben, „was will ich?“

Der Finanzchef winkte lässig ab: „Lieber Doktor Lüderitz…“, meinte er und machte eine Pause, „sie müssen sich da nicht schämen. Ist ja nur eine Million. Peanuts! Ihr Chef hat mir ihre Idee erläutert.“. Er machte eine Pause. „Wissen sie schon, was sie nehmen? Sie sind nicht oft hier, oder?“. Er lächelte. „Naja, was nicht war, kann ja noch werden, nicht wahr? Also, ich empfehle ihnen das Filet. Das ist einfach – aber unser Küchenchef macht es hervorragend. Hervorragend!“.

Er schaute Thorben an: „Das müssen sie probieren. Ach was, ich befehle ihnen, es zu nehmen. Sie können ja das nächste Mal etwas anderes wählen. Das Roastbeef hier kann sich zwar ohne Weiteres mit dem Besten in englischen Herren-Clubs messen, aber heute nehmen sie das Filet, ich denke, das ist noch einen Hauch besser, zum Beispiel mit etwas von den Marktgemüse und dem Gratin – köstlich. Ich werde das jedenfalls nehmen…“

Thorben hatte gar keine Chance, etwas anderes aus der Karte auszusuchen, geschweige denn auch nur einen Blick in sie zu werfen.

Dr. Lorentz warf dem Kellner einen kurzen Blick zu, der eilte lautlos herbei und bestellte: „Zweimal das Filet, rosa, vielleicht einen Hauch mehr in Richtung „medium“, sie wissen schon … – aber nicht zu sehr! Dazu etwas Gemüse und Kartoffelgratin… Das haben sie heute zwar nicht auf der Karte, aber das dürfte doch möglich sein, oder?“

„Keine Frage“, bestätigte der Kellner mit leiser Stimme, „eine hervorragende Wahl, wenn sie mir die Bemerkung erlauben, Herr Doktor Lorentz, vorzüglich! Und was darf ich für sie notieren, Herr Doktor Cagliari?“. Er machte keine Anstalten, sich Notizen zu machen, das brauchte ein Kellner seiner Qualität nicht.

„Auch Filet“, sagte Cagliari, „ich werde bei doch „vorzüglich“ nichts anderes nehmen…“.

„Sehr schön“, sagte der Kellner, „also drei Mal… Und was geruhen die Herren zu trinken?“

„Das, äh …, überlassen wir ihnen“, sagte Dr. Lorentz, „sie werden uns das Passende dazu präsentieren, nicht wahr?“

„Selbstverständlich, Herr Doktor Lorentz, sie werden ganz sicher nicht enttäuscht sein, ich denke da an einen…“

„Wir lassen uns überraschen“, fuhr Lorentz dem höflichen Kellner über den Mund. Der verbeugte sich kurz und verschwand.

Lorentz wandte sich wieder Thorben zu: „Kollege Cagliari hat mich selbstverständlich von ihrer Idee in Kenntnis gesetzt“, säuselte Lorentz, „sie sind mir ja ein ganz schönes Schlitzohr, sie böser“, drohte Lorentz spielerisch mit dem Finger, „sie sind ja ein ganz schlimmer Finger…“

Thorben schaute ihn entsetzt an: Was hatte er verbrochen…?

„… aber in der Liebe und im Krieg sind bekanntlich alle Mittel erlaubt, nicht wahr, und wir befinden uns ja mitten im Krieg, nicht, für die Liebe fehlt uns das weibliche Element“, setzte Dr. Lorentz seinen Gedanken fort. Und nach einem kurzen Moment ergänzte er: „Es geht ja schließlich um unser aller Kopf! Erst habe ich mich fast erschrocken, wissen sie, Lüderitz, einfach so mal eben ein paar Hundert Patientenbögen zu …“, er musste kurz nachdenken, „… erzeugen, wissen sie. Schließlich und endlich ist die Idee aber genial! Wirklich, Lüderitz, Kompliment! Da muss man erst einmal darauf kommen!“

Vor Begeisterung, in die Lorentz sich geredet hatte, schlug er Thorben (nicht sehr fest, aber immerhin) auf die Schulter. Thorben war sehr überrascht von dieser Geste, er hätte sie im Vorstandsrestaurant jedenfalls nicht erwartet – und vom immer eleganten Finanzchef schon gar nicht.

„Genial, Lüderitz, das rettet uns alle. Ich meine, eines ist klar, wir sitzen ja alle in demselben Boot, das muss natürlich unter uns alten Fahrensleuten bleiben. Sie, Cagliari, und ich, wahrscheinlich müssen wir noch den …, äh, wie heißt dieser Rechnerheini noch…?“

„Reimers“, ergänzte Cagliari, „der Chef der Biometrie – aber ich denke, das ist kein Problem, der hat gerade gebaut, ist Vater geworden. Eine kleine Prämie und der schweigt wie eine ägyptische Pyramide!“

„Hoffen wir´s“, sagte Lorentz, „Mumie würde mir dabei übrigens noch besser passen als Pyramide“, lachte er sonor, „aber da will ich mich gar nicht einmischen, das fällt in ihr Ressort Cagliari, da sind sie zuständig, ihr Ding! Das muss uns allen hier klar sein, das muss unter uns bleiben.“. Er schenkte sich ein Glas Wasser ein. „Lüderitz, in ihrer Gruppe, muss das eigentlich noch jemand wissen, dass wir die Daten …, äh, … erzeugen?“

„Naja“, antwortete Thorben, „wir arbeiten da schon eng im Team zusammen, ich kann nicht garantieren, dass das keiner mitbekommt, wissen sie, die merken natürlich schon, dass da irgendwann plötzlich Daten da sind, wo keiner weiß, wo die herkommen…“

„Lüderitz, dass müssen sie in den Griff bekommen, und, natürlich, wir werden die… erzeugten… Daten ja auch nur verwenden, wenn wir unbedingt müssen. Das wird sozusagen unsere fall back position, nicht wahr.“

Der Kellner kam mit einer Flasche Barbaresco. „Jahrgang 1975“, erläuterte er, „ein edler Tropfen. Wer probiert von den Herren?“

Dr. Lorentz erklärte sich bereit, roch am Korken, am Glas, nahm einen kleinen Schluck, rollte ihn mehrmals über die Zunge, nickte dem Kellner anerkennend zu. „Eine gute Wahl“, seufzte er genussvoll, „hervorragend!“

Der Kellner schenkte ihnen ein und verschwand so leise, wie er gekommen war. Der Finanzchef hob sein Glas: „Auf die guten Mitarbeiter, Lüderitz, also auf sie, von solchen kreativen Burschen wie ihnen, haben wir viel zu wenig, leider! Andererseits, wenn wir mehr davon hätten – mein Gott, dann Gnade meinem Budget!“, dröhnte er, „aber jetzt… Auf ihre geniale Idee!“

Sie stießen an, Thorben nahm nur einen kleinen Schluck: „Tatsächlich“, dachte er, „kurz vor göttlich und blickte noch einmal auf das Etikett.“

„Also“, sagte Lorentz, „Doktor Cagliari hat mich nur in die Grundzüge eingeweiht, erzählen sie mir ein bisschen mehr, bevor unser Essen kommt!“

Thorben schaute Cagliari fragend an, als ob er sich seine Erlaubnis holen wollte, den anderen tiefer einzuweihen. Sein Chef nickte ihm unmerklich zu.

„Ja“, begann Thorben, „wenn ich ehrlich sein soll, war das ja eigentlich gar nicht meine Idee, wissen sie…“

Sein Chef unterbrach ihn hastig: „Lüderitz, Ehre wem Ehre gebührt! Da brauchen sie ihr Licht gar nicht unter den Scheffel zu stellen, das waren schon sie …“

Thorben sah etwas verblüfft auf.

„Doch, doch, Herr Lüderitz“, warf Lorentz ein, „dass glaube ich sowieso nie, das mein Freund Cagliari, eine eigene Idee hat, dazu noch so eine…“. Er wollte sich fast weglachen, während Cagliari beleidigt aus dem Fenster schaute. „Wir brauchen uns ja auch nicht festzulegen! Erzählen sie einfach mal, wie sie sich das vorstellen.“

„Warum“, dachte Thorben bei sich, „wollen die unbedingt, dass ICH die Idee hatte?“

„Gut“, akzeptierte Thorben seine Urheberschaft fürs erste, „also, es gibt da ein Computer-Programm, mit dem kann man Studiendaten sozusagen rückwärts rechen, man könnte es als reverse research bezeichnen – oder so…“

Lorentz schaute ihn interessiert an, hob fragend die Augenbrauen. „Reverse was?“, fragte er.

„Sie müssen sich das so vorstellen“, führte Thorben aus, „wie eine Klinische Studie abläuft, das kennen sie ja: Wir sammeln die individuellen therapeutischen Daten und Ergebnisse von, sagen wir einmal, einhundert Patienten in einer Klinik, also einem Studienzentrum. Die Daten werden elektronisch erfasst und kommen – sozusagen – oben in die VAX rein …“

„VAX?“, fragte Lorentz, „sind das diese „vergoldeten“ Dinger, von denen dieser Reimers immer noch eine haben will? Jetzt will der ein ganzes …, warten sie einmal, wie heißt das? Ach ja: Cluster! Der will einen sogenannten Cluster von drei miteinander verbundenen Dingern von denen auf einmal! Die sind von DEC, nicht wahr?“

„Genau“, nickte Thorben, „von denen rede ich … Übrigens, das VAX-Cluster wird der für unsere Berechnungen dringend brauchen, glaube ich. Ohne die wird nichts gehen…“

Lorentz zuckte mit den Schultern: „Von mir aus soll er sein Spielzeug halt bekommen…“

„Also“, fuhr Thorben fort, „der Reimers nimmt die einhundert Patientenbögen, die in den Prüfkliniken erhoben und ausgefüllt wurden, und kippt sie – in elektronischer Form – sozusagen oben rein in die VAX. Dann startet er ein kompliziertes Statistikprogramm und unten kommt das Ergebnis raus: Unser neues Präparat ist besser als das alte von der Konkurrenz, so mal ganz einfach gesagt.“

„Soweit war mir das in etwa klar“, sagte Lorentz und nahm einen entschiedenen Schluck Rotwein, „und ihre Idee …“

„… DIE Idee stellt das Ganze auf den Kopf. Wir sagen der VAX, oder besser dem CliSSim-Programm, so heißt das, in der VAX, also den drei in dem VAX-Cluster zusammengeschalteten Rechnern, dass wir einhundert Patientenbögen haben wollen, bei denen – wenn man sie in das eben genannte Statistikpaket einfüttert – eine Heilungs- und Besserungsrate von 90 % herauskommt bei einem p<0,05 besser als das Vergleichspräparat ist. Eigentlich ganz einfach!“

„Nun ja“, sagte Dr. Lorentz nachdenklich, „wenn das so einfach wäre, wären ja wohl schon andere darauf gekommen, oder?“

„Sicherlich“, gab Thorben zu, „da steckt schon verdammt viel Know how drin in dem Programm, das wir einsetzen wollen. Und natürlich muss man erst einmal auf die Idee kommen, dass man Statistik umdrehen kann… Und das wurde ja nicht nur für ein einziges Problem geschrieben, das ist ja ein allgemeines Programm, also eines, das alle möglichen Klinischen Studien reverse engineeren kann. Deshalb kostet das ja auch einiges…“

„Das kostet eine verdammte Stange Geld!“, warf Lorentz ein, „da muss meine alte Mutter lange für stricken: Immerhin 1,25 Millionen!“

„Nun ja“, gab Thorben zu bedenken, „ein Teil davon wird es ja auch kosten, dass wir das Programm exklusiv haben wollen, das die das nicht noch einmal verkaufen dürfen!“

„Das ist gut“ befand Dr. Lorentz, „dann haben nur wir das? Exzellent, Lüderitz!“

„Sie kennen den Programmierer doch gut…“ warf Cagliari ein.

„Gut ist etwas übertrieben“, stellte Thorben auf alle Fälle einmal richtig und unterließ es dabei absichtlich zu erwähnen, dass er und Sören alte und enge Schulfreunde waren, weil er meinte, das müsse hier niemand wissen (Geschäft ist Geschäft, fand er), „ und Programmierer ist der Schack auch nicht, der ist der Chef von dem Laden, das würde mich wundern, wenn der auch nur eine Zeile Programmcode schreiben oder lesen könnte. Dafür kommt der aber aus der Pharmaindustrie, der weiß, worüber er redet. Aber es stimmt, wir haben schon mit der Firma zusammengearbeitet. MicroMed heißen die. MicroMed wie Microsoft. Ist ´ne kleine Firma, die haben, schätze ich, so um die zehn oder zwölf Mitarbeiter, aber alles Spitzenleute: Programmierer, Mathematiker oder besser Statistiker, Mediziner. Und dann der Chef – der hat die innovativen Ideen. Außerdem haben die noch Programmierer in Rumänien, und die, die sind wirklich unglaublich gut!

So etwas findet man hier nicht. Bei denen lassen die von MicroMed die ganz heißen Sachen programmieren…“

„Was macht MicroMed denn sonst so für Programme?“, wollte Lorentz wissen.

„Medizinische…, vor allem Gesundheitsökonomie.“, sagte Thorben, „für die Industrie – für die Forschung und für das Marketing, im Moment arbeiten die – soviel ich weiß – an einem Programm für Impfungen für die NATO und an einem Kosten-Nutzen-Programm für Antibiotika-Prophylaxe mit den aktuellen Präparaten.“

„Die arbeiten auch für die NATO?“, wollte Cagliari erstaunt wissen, „das wusste ich ja gar nicht.“

„Für die NATO und die UNO. MicroMed hat ein Impfprogramm für alle Länder entwickelt, das hat es in sich, mindestens viersprachig, so viel ich weiss. Und für eine französische Firma arbeiten die noch an einem Sexreiseatlas für Frauen mit Impfempfehlungen…“ grinste Thorben, „also, das habe ich so nebenbei gehört“.

„Typisch Franzosen…“ wollte Cagliari ausführen, aber mit „Vakzine haben wir nicht im Portefeuille“, fiel ihm Lorentz barsch ins Wort, „und Sexreisen schon einmal gar nicht… Sagten sie für Frauen?“, fragte Lorentz, „oder habe ich mich da verhört?“ Als Thorben „doch“ sagte, meinte er: „Die spinnen doch, diese Franzosen. Sexreisen. für Frauen! Aber Gesundheitsökonomie? Das hört sich ja interessant an…“. Ökonomie war ihm als Finanzmann jedenfalls vertrauter als high-end Medizin-Statistik oder Impfstoffe, die GPF nicht anbot, „was haben die auf dem Gebiet zu bieten? Ich meine Ökonomie? Keine Frauenreisen – machen Frauen wirklich Sextourismus, Cagliari?“

„Weiß ich nicht“, beeilte Cagliari sich zu sagen, „das war nie mein Problem“, und fuhr dann fort: „Das Gesundheitsökonomie-Programm haben wir gerade gekauft“, erläuterte Cagliari.

„Super Sache, Kollege Lorentz, super!“, fuhr er fort, „mit dem Zeug können sie die wahren Kosten von Therapien berechnen!“

Dr. Lorentz schaute Thorbens Chef fast fassungslos an, wurde vor Schreck ziemlich streng im Gesicht: „Das ist nicht ihr Ernst, Cagliari, oder? Wollen wir das wirklich wissen?“, fragte er leise mit Verschwörermiene und fuhr fort: „Was unsere Pillen die Kassen tatsächlich kosten? Und dann vielleicht noch weitererzählen? Ich meine, will das überhaupt jemand wissen?“

„Nun ja“, goss Thorben Öl auf die aufkommende Woge, „man kann das auch so formulieren: Mit dem Programm, HEAD heißt das, kann ich ausrechnen, dass unsere auf den ersten Blick teuersten Produkte schlussendlich preiswerter sind, als die billigsten bestehenden Konkurrenzprodukte – wenn man nur richtig und vor allem weit genug rechnet, also zum Beispiel inklusive Applikationskosten. Sie wissen ja: Tablette statt Spritze beim Arzt, das macht schon ordentlich was aus, wenn man Arbeitsausfallzeiten und -kosten mit berechnet, Nebenwirkungen und deren Therapiekosten etc.“

Lorentz lauschte jetzt hoch konzentriert.

„Plötzlich sind unsere gut verträglichen Produkte dann preiswerter als das billigste Konkurrenzzeugs …“, schloss Thorben seinen kurzen Vortrag.

„Sehr gut, Lüderitz, sehen sie Herr Kollege Cagliari, so hört sich das doch schon viel besser an!“ Und zu Thorben gewandt fragte er: „Funktioniert das wirklich?“

„Ja“, bestätigte Thorben, „verblüffend gut!“

„Ja, dann“, Dr. Lorentz schaute nachdenklich aus dem Fenster, dann wieder zu Thorben und sagte: „Bei uns hat sich eine Journalistin wegen eines Interviews angemeldet. Seriöses Organ! Dieses Programm oder besser die eindruckvollsten Ergebnisse könnte ich da eventuell ganz gut gebrauchen… da habe ich jedenfalls einmal etwas Neues zu erzählen, wissen sie, können sie mit dem Programm umgehen, Herr Lüderitz?“

Thorben nickte, denn er konnte verdammt gut damit umgehen, was kein Wunder war, denn er hatte wichtige Ideen dazu beigetragen und die ersten komplizierten Berechnungen zu seinen Präparaten ausprobiert. Deshalb konnte er HEAD ja auch aus voller Überzeugung empfehlen. Da konnte nichts schief gehen, das wusste er.

„Das müsste ich schon hinkriegen, Herr Doktor Lorentz, ich denke schon. Ich bräuchte etwas Zeit, um mich einzuarbeiten, wissen sie.“

„Teuer? Das Programm?“, wollte Lorentz wissen, „mir ist da gar keine signifikante Rechnung aufgefallen!“

„Nö“, sagte Thorben, „fünfhundert pro Lizenz…“

„Fünfhunderttausend?“, schnappte Dr. Lorentz nach Luft, „sie, Lüderitz, ich weiß ja nicht auf welch großem Fuß sie leben, aber das ist schon richtiges Geld, finde ich ...“

„Nö“, sagte Thorben wieder, „fünfhundert Mark.“

„Das geht ja“, meinte Lorentz jetzt entspannt, „und ich dachte schon …“, lachte er, „… und damit können wir zeigen, dass unsere Produkte preiswert sind?“

„Nein“, sagte Thorben jetzt verschmitzt lächelnd, „die bleiben so teuer wie sie sind – aber die Gesamttherapiekosten, die werden günstiger… Das ist der Trick: Wir berechnen die Gesamtkosten! Je nach Fragestellung die Therapiegesamtkosten oder die gesellschaftlichen Gesamtkosten.“

Dr. Lorentz schien beeindruckt. Von den Themen verstand er etwas. „Das müssen sie mir bei Gelegenheit einmal vorführen, aber bevor diese Journalistin kommt. Herr Lüderitz, das hört sich für mich verdammt gut an. Das müsste doch auch etwas für unsere Marketingfritzen sein, vielleicht sollten die einmal mit so etwas spielen? Ich werde darüber nachdenken, ob wir das nicht vielleicht sogar Frantzen präsentieren sollten?

Das könnte ihn, Frantzen, wirklich interessieren! Er macht ja gerne eine gute Figur im Konzern… Vielleicht macht er dann wieder eine Pressekonferenz, aber eine, die uns hilft?“ Er lachte leise, dann sagte er: „Aber auch das bleibt unter uns, nicht wahr? Zurück zu ihrer Idee …“

„Wo waren wir?“, fragte Thorben.

„Sie haben dem Programm gesagt …“, begann sein Vorgesetzter,

„… dass wir einhundert Patientenbögen haben wollen, die ein ganz bestimmtes Ergebnis erbringen, wenn man sie mit unserem Standard-Statistikprogramm wieder auswertet. Und genau die bekommen wir!“, ergänzte Thorben.

„In welcher Form?“, wollte Dr. Lorentz wissen.

„Jetzt hat er uns“, dachte Thorben, „Mist, der ist doch nicht so doof – der kommt sofort auf den Schwachpunkt.“ Laut sagte er: „Als Datenliste pro Patient und als Datensätze, die mit unserem Standard-Paket kompatibel sind.“

„Gut! Und wenn jetzt die Engländer kommen, zum Beispiel diese Lady Gailbraithwhistle? Die kommt auf die Idee, so etwas zu fragen, schon aus Boshaftigkeit, vor allem wenn sie ahnt, ahnen muss, dass wir getrickst haben, und die die Originalbögen sehen wollen? Das könnte eng werden für uns…“

„Tja …“, sagte Thorben und ließ die Antwort offen. Er schaute seinen Chef fragend an, um ihm die Antwort zu überlassen.

„Daran arbeiten wir noch, ist ja klar“, sagte Cagliari lässig und blickte versonnen aus dem Fenster. „Verdammt“, dachte er dabei, „daran haben wir noch nicht gedacht. Mensch, die Bögen! Die Audits16! Ende der Fahnenstange!“

„Och“, sagte Thorben jetzt genauso lässig, „ich hätte da vielleicht eine Lösung … Aber die ist …, nun ja, sagen wir einmal … sehr kreativ!“

„Ja?“, fragten unisono Cagliari und Lorentz und schauten ihn gespannt an, „heraus damit, was immer es ist“, forderte ihn sein Chef auf.

„Wir lassen die Daten einfach mit der Hand in unsere normalen Prüfbogen übertragen, da brauchen wir nur ein paar Studenten oder so anheuern – allerdings einige, damit die Handschriften schön verschieden sind …“

„Lüderitz!“, rief sein Chef, „Nein! Manchmal sind sie ja wirklich gut, aber dieses Mal sind sie ja wohl wahnsinnig! STUDENTEN? Die Kerle halten doch nicht dicht, nie und nimmer, vergessen sie das!“

In dem Moment kam der Hauptgang.

„Genießen sie jetzt ihr Filet“, sagte Dr. Lorentz zu Thorben, „essen sie erst einmal, danach können wir weiterreden!“

Das Fleisch war perfekt – ein Hauch mehr medium als rosa, aber keinesfalls durch, das Gratin war knusprig und sahnig und das Gemüse – tournierte Broccoli-Rübchen – zerging auf der Zunge. Der Wein passte perfekt dazu.

Thorben achtete sehr darauf, dass er nicht zu viel von dem Wein trank und hielt sich ans Eiswasser. „Betrinke dich nie in Gegenwart deines Chefs“, hatte ein alter Vorgesetzter ihm geraten, der es gut mit ihm meinte. Deshalb hatte Thorben sich das zur Regel gemacht. Denn, hatte sein alter Chef noch gemeint, „die legen es doch nur darauf an!“

„Jetzt kann ich vielleicht einmal etwas Gutes zu ihrer im Grunde ja wirklich brillanten Idee beitragen“, sagte Lorentz nach dem durchkomponierten Mahl, „gehen sie einfach in die DDR für die Bögen! Ich meine, lassen sie sie in der DDR übertragen, abschreiben oder was. Die sind noch für die nächsten fünfzig Jahre oder so eh alle eingesperrt und können nichts verraten. Da stellt sich doch keiner hinter die Mauer und brüllt: „Ich weiß ´was! Ich habe Daten für GPF ge...“. Fast hätte Lorentz gefälscht gesagt, aber er beherrschte sich gerade noch.

„Wissen sie, der Schalck-Golodkowski, der verkauft ihnen alles für harte Westmark, alles! Sogar Schreibkräfte – wenn er sie bloß nicht rauslassen muss!“. Er musste laut lachen über seinen eigenen Witz, Cagliari fiel gleich darauf ein – Thorben nicht, er lächelte nur mühsam und leicht. Von wegen Chefs…

„Ehrlich“, sagte Dr. Lorentz, „denken sie beide einmal darüber nach.“

In dem Moment kam der Keller mit dem Nachspeisen-Wagen, auf dem lauter süße Verlockungen um die Gunst der Anwesenden buhlten. Es gab alles – von der schwarzen Mousse bis zum frischen Obstteller (die Orangen – im Juli! – waren filetiert!).

Thorben lehnte dankend ab – er hatte am Nachmittag noch zu tun… Die beiden anderen langten dagegen noch einmal richtig zu. Dann bestellten sie noch einen Kaffee und ein Gläschen Dessertwein, was Thorben ebenfalls ablehnte.

Thorben konnte stilvoll sein, wenn er wollte, deshalb bat er bald darauf höflich darum, für heute entlassen zu werden. Seiner Bitte wurde huldvoll stattgegeben und er konnte endlich wieder in die Bereiche der Firma entschwinden, in denen er sich eindeutig wohler fühlte.

Als er das Restaurant verlassen hatte, fragte Dr. Lorentz sein Gegenüber: „Glauben sie, dass das klappen wird?“

„Ja. Muss!“, sagte Cagliari, „sonst stecken wir bis hier“, er deutete auf seinen Hals, „in der Scheiße …“

„Nein“, sagte Lorentz ernst, „viel weiter – bis hier!“, und dabei hielt er die Hand eine Handbreit über den eigenen Scheitel! „Bis hier … dann ertrinken wir darin, Cagliari. Das wäre gar nicht witzig, überhaupt nicht. Können wir den Deckel drauf halten, ich meine, schaffen wir es, dass das unter uns bleibt?“

„Wir müssen natürlich den Kreis der Eingeweihten so klein wir möglich halten, das geht gar nicht anders“, sagte Cagliari, „und die wenigen müssen wir gehörig vergattern.“

„Hält der Lüderitz denn den Mund?“, fragte Dr. Lorentz, „und die neue Maus, die Hübsche, die in ihrer Abteilung jetzt rumläuft?“

„Lüderitz? Sicherlich!“, sagte Dr. Cagliari nachdenklich, „mit ein bisschen Druck und Geld werden wir die alle stumm halten können, glaube ich… Aber trotzdem, der Kreis muss klein bleiben. Um die junge Dame kümmere ich mich persönlich.“

„Ja, dann… Ihr Wort in Gottes Gehörgang“, seufzte Lorentz, „hoffentlich… was meinen sie übrigens mit „ein bisschen Geld“?“

„Nicht so viel. Ein eine Nummer größerer Firmenwagen hier, eine Gratifikation da, ´mal eine schicke Kongressreise mit Ehefrau – das übliche! Nichts Besonderes.“

„Was machen sie mit Lüderitz?“

„Ach der“, winkte Cagliari ab, „Lüderitz? Das ist einfach. Der ist der typische Wissenschaftler, der will nur das neueste technische Spielzeug, dann ist schon der zufrieden. Der möchte seit Monaten einen von diesen neumodischen PCs … Klar, das Allerneueste, so einen tragbaren von Compaq. Nettes Ding, würde meiner Sekretärin auch gefallen, die steht auch auf diesen technischen Schnick-Schnack. Alles in allem, mit zwanzig Megabyte-Festplatte, Software und Drucker und so schätzungsweise um die zwanzig Mille … Ich weiß gar nicht, was diese jungen Leute an den Computern so toll finden?“

„Gute Frage! Trotzdem, geben sie ihm den, wenn er den will – das ist …“, er schnippte mit den Fingern, „nichts im Vergleich mit dem, was der Mann uns bringt … oder rettet!“

„Sage ich ja!“

„Na gut, dann hätten wir das. Wir machen also weiter in dieser Richtung …“

Cagliari nickte zustimmend.

„Brauchen sie meine Kontakte in die Zone?“, wollte Dr. Lorentz noch wissen.

„Wenn ja, komme ich natürlich auf sie zurück“, wehrte Cagliari ab, denn das würde seine Abteilung schon alleine hinkriegen.

„Das Futter war ganz okay, oder?“, fragte Dr. Lorentz kritisch im Aufstehen, „obwohl ich finde, der Koch darf sich auch einmal wieder richtig Mühe geben. Ich habe den Eindruck – oder täusche ich mich da? – dass der nur immer dann zu Hochform aufläuft, wenn Gottvater selbst im Himmel speist?“

Pharmageddon

Подняться наверх