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GPF GmbH
Оглавление6. Juni. Thorben parkte gerade seinen Wagen in der Tiefgarage, als von hinten ein aufgeregter Dr. Cagliari winkte und bedeutete, dass er warten solle. Als Cagliari ihn eingeholt hatte, sagte der ihm noch atemlos vom schnellen Gehen: „Morgen, Lüderitz! Ist ihnen nun etwas eingefallen, wie wir die Sache packen können?“
Thorben schüttelte den Kopf: „Ich habe an nichts anderes denken können, aber nee, keine Idee. Ich komme immer nur auf dieselben Zahlen und Zeiten. Tut mir leid, die stimmen einfach.“
Dr. Cagliari schaute ihn irgendwie etwas verschlagen an. „Aber mir, Lüderitz, vielleicht…, Vielleicht, wissen sie, Lüderitz, gibt es da ja doch eine Chance. Eine kleine zwar. Die letzte vielleicht. Eine wackelige Brücke über den reißenden Strom, aber eine Chance!
Sagen Sie einmal, Lüderitz, Sie hatten da doch diesen Bekannten, diesen leicht verrückten Heini, Sie wissen schon, diesen Typen, der uns dieses Kostenvergleichsprogramm unterjubeln wollte, das keiner versteht ...?“
„HEAD?“, antwortete Thorben.
„Mag sein, vielleicht, keine Ahnung – aber der hatte da doch dieses andere Programm, dieses, mit dem man Mitarbeiter in der Klinischen Forschung ausbilden konnte? Kann uns das nicht helfen? Ich meine, irgendwie?“. Cagliaris Gesicht wirkte dabei irgendwie schlau, fand Thorben.
„Klinische Studien Simulation? Ich wüsste nicht wie, zur Ausbildung von Monitoren vielleicht? Aber sie haben doch gesagt, da kommen fertige „Supermänner.“
„Nein, nein, ja doch, die sind dann schon fertig…“, antwortete Cagliari hastig, „aber darauf kommt es doch gar nicht an! Denn, wenn das Programm Klinische Studien simulieren kann, was liefert es?“
„Naja, durch Simulation erzeugte Patientenbögen, also Daten die Mitarbeiter auf Fehler prüfen sollen, also so etwas wie Dummies“, sagte Thorben.
„Genau! Das liefert Patientenbögen. Und? Na, Lüderitz“, sein Chef machte eine kalkulierte Pause, schaute ihn auffordernd an, und machte zwei-, dreimal eine kreisförmige Handbewegung, wohl, um ihn zum Denken, zum schnelleren, aufzufordern: „Nun kommen sie schon…, machen sie…, Mensch, Lüderitz, begreifen sie denn nicht?“. Schließlich sagte er offenbar enttäuscht, dass sein Mitarbeiter nicht auch auf die naheliegende Lösung kam: „Das Programm liefert das, was sie nicht haben, Lüderitz: Patientenbögen!“
„Ich? Wieso habe ICH keine Patientenbögen? Wir haben nicht genug Patienten und wir können auch nicht genug herschaffen. Aber die aus dem Programm, die gibt es doch gar nicht, die Patienten.“
„Aber die Bögen! Die Bögen, Lüderitz, herrschaft, manchmal sind sie aber auch schwer von k.p. Haben sie die Nacht durchgesumpft, oder was? Das ist es doch! Können sie den einmal einbestellen?“
„Wen? Ach ja, den! Ja, natürlich.“
„Wo sitzt der mit seiner Klitsche?“
„Hier in München.“
„Perfekt.“. Inzwischen standen sie vor dem Fahrstuhl. Fräulein Gramlich, Gottvaters Kontrollerin, hatte sich zu ihnen gesellt und gegrüßt und sich leicht beleidigt abgewandt, als keiner von ihnen den Gruß erwiderte – das würden sie büßen, das war klar. Aber im Moment hatten die beiden keinen Kopf dafür, ihre Augen waren in eine andere Dimension gerichtet, also warteten sie jetzt schweigend. Auch im Fahrstuhl sprachen sie nicht. Als Thorben seine Etage erreicht hatte und das Fräulein Gramlich irgendwohin verschwunden war, sagte Dr. Cagliari: „Lüderitz, was ist? Was schauen sie denn so? Das war keine Erscheinung, das war bloß die Gramlich, die kennen sie doch… Worauf warten sie noch?“. Thorben war schon ausgestiegen, hielt die Tür aber noch einen Moment lang auf.
„Ja, ich ...“
„Los, Lüderitz, hopp hopp, machen sie sich auf die Socken, rufen sie den Kerl an, machen Sie uns einen Termin. Und, Lüderitz, kein Sterbenswörtchen, wofür wir das Programm brauchen, nicht wahr, das bleibt unter uns beiden Pfarrerstöchtern. Kein Wort zu anderen, auch nicht zu ihrer properen Mitarbeiterin, der neuen Hübschen, wie heißt die noch? Ach ja, Ketchup oder so ähnlich? Sehr hübsche Braut, die sie sich da unter den Nagel gerissen haben, Lüderitz, Gratulation! Sagen sie mir Bescheid, wenn sie den Termin haben, je eher desto besser. Ich sage Frau Peters, dass sie jederzeit Zugang zu mir haben, jederzeit, und auch zu der bis auf Weiteres kein Wort über unser Projekt, klaro?“
„Aber die wird wissen wollen, um was es geht, wenn ich zu ihnen will, die ist verdammt hartnäckig.“
„Na gut, sagen sie Projekt ..., fällt Ihnen etwas ein, Lüderitz? Na, ihnen wird doch etwas einfallen, nun mal nicht so langsam, Lüderitz.“ Thorben hielt immer noch die Tür auf.
„Hhm, mal nachdenken“, sagte er nachdenklich, „wie wäre es mit Projekt Eos, also Morgenröte?“
„Ich weiß, wer Eos ist, Lüderitz, naja, nicht gerade brillant, aber o.k. Dass wir langsam wieder Licht sehen in diesem Scheißtunnel, meinen sie? Von mir aus, nun denn, also Eos“
Damit war Thorben entlassen. Er ließ die Fahrstuhltür los, sie schloss sich und sein Chef verschwand hinter ihr.
Thorben schaute sinnend noch eine Weile auf die verschlossene Tür. Schließlich ging die wieder auf, und der sehr erfreuliche Anblick von Fräulein Heinz in ihrem Fähnchen von einem Sommerkleid riss ihn abrupt aus seinen Gedanken.
„Guten Morgen“, grüßte die, um dann zu fragen „ist etwas Dr. Herr Lüderitz? Haben sie ein Gespenst gesehen?“
„Einen Cagliari, der offenbar eine Idee hatte…“
„Dann haben sie wirklich ein Gespenst gesehen!“, erwiderte Miss Ketchup süffisant, „der und eine Idee? Das gibt Chaos.“
„Doch“, sagte Thorben immer noch ganz perplex, „ich ahne, dass der eine hatte.“. Er schaute sie an diesem Morgen erstmals bewusst an und deutete schmunzelnd auf einen dicken Stapel Kataloge unter ihren Arm und fragte: „Was haben sie denn da?“
„Urlaubskataloge“, sagte sie, „wir wollen dieses Jahr einmal richtig Urlaub machen. Wird das erste Mal, dass wir groß verreisen können, mein Max und ich. Er hat jetzt einen tollen Job, wissen sie“, lachte Fräulein Heinz ihn fröhlich an, „wird ganz toll: Mexiko oder USA, haben wir uns gedacht…“
„Das können sie knicken“, sagte Thorben im Wegdrehen, „Urlaub können sie dieses Jahr streichen, mindestens dieses Jahr.“. Hinter sich ließ er eine fassungslose Mitarbeiterin stehen.
Er ging in sein Büro, suchte nach der Büronummer vom Sören, wählte und hatte gleich darauf Frau Wolff am Telefon, Sören´ Sekretärin.
„MicroMed GmbH, mein Name ist Wolff, was kann ich für sie tun?“, meldete sie sich.
„Lüderitz, moin, Frau Wolff …“
Sie wollen den Chef?“, fragte sie, „sie, das ist gerade ganz schlecht, der telefoniert nämlich mit Rumänien. Da kann ich ihn nicht stören. Nicht einmal für sie. Das könnte noch dauern.“
„Er soll mich gleich zurückrufen, wenn er aufgelegt hat“, bat Thorben, „das könnte für euch eine größere Sache werden.“
„Ist gut“, sagte Frau Wolff, „ich sage ihm, dass sie angerufen haben, und mache ihm Dampf, dass er sich meldet.“
Zehn Minuten später klingelte Thorbens Telefon.
„Was ist so dringend?“, fragte Sören, ohne zu grüßen, „dass ich nicht einmal erst zum Klo gehen darf?“
„Könnte sein, dass wir CliSSim kaufen“, antwortete Thorben, „und zwar zu jedem Preis!“
„Oha“, fragte Sören erfreut, „das höre ich gerne. Habt ihr etwa ein Problem?“
„Könnte sein“, gab Thorben zur Antwort, „kann ich nachher einmal, so gegen zwölf Uhr, zu dir kommen?“
„Na klar, gehen wir essen?“
„Gerne, wo?“
„Zum Bögner? So gegen zwölf?“
„Bin da“, sagte Thorben und legte den Hörer ohne ein weiteres Wort auf die Gabel.
Kaum hatte Sören seinen Platz im Restaurant eingenommen und seine Bestellung aufgegeben, kam Thorben herein, setzte sich wortlos zu ihm und bestellte, ohne einen Blick in die Karte geworfen zu haben, beim Keller: „Das gleiche wie er“ und deutete auf Sören.
„Moin. Was ist so dringend?“, fragte der.
„Moin. Ganz einfach. Ein großer brauner Haufen ist am Dampfen: Wir haben ein neues, nagelneues Produkt und müssen in zwölf Monaten die ersten Unterlagen für die Zulassung einreichen ...“
„Dann ist also Hektik im Laden“, sagte Sören und beugte sich zur Seite, damit der Kellner den Teller Erbsensuppe mit Hummer vor ihm abstellen konnte. „Danke“, dann schaute er Thorben fragend an. „Und?“, fragte er seinen alten Freund.
„Ich soll die klinischen Studien machen“, sagte Thorben, „und ich sage dir, das geht nicht. Nicht in der Zeit ...“. Jetzt machte er dem Kellner etwas Platz und wartete einen Moment, bis der wieder verschwunden war.
Dann nahm er den ersten Löffel, probierte und meinte: „Seltsame Erbsensuppe, mit Scherengetier ... aber klasse. Gute Wahl“, lobte er, „das muss man dir lassen, also, selbst mit einem klasse Medikament würde die Zeit nicht reichen. Aber unser Zeug ist reiner Mist, schwache Wirkung und daher miese klinische Werte, weißt du, und die Bosse versprechen den Analysten das Blaue vom Himmel. Gerade jetzt läuft eine Pressekonferenz, auf der unsere Gauner den anderen Gaunern etwas vorflunkern, dass sich die Balken biegen. Und morgen steigen natürlich die Aktienkurse… Ich sage dir.“. Er aß etwas von der Suppe, legte den Löffel für einen Moment beiseite, nahm die Serviette, tupfte sich den Mund ab und fuhr fort, „ich wette unser Mittagessen ist besser als deren ... Die lügen und betrügen, sage ich dir, das glaubst du nicht.“
„Inwiefern?“
„Ich, also wir, haben 110 Patientenbogen fertig.“
„Wenn ich bedenke, wann du angefangen hast, ist das doch verdammt gut. Wann hast du mit dem Herz-Kreislauf-Zeug begonnen? Vor einem Jahr?“
„Fast, nicht ganz ...“
„Da sind 110 doch verdammt viele.“
„Ja, aber ich habe gehört, der Boss erzählt heute etwas von 3.000 Bögen ...“
Sören pfiff leise. „Und lass mich raten, alle mit klasse Ergebnis!“
„Darauf kannst du einen lassen!“
„Mutig!“
„Mehr als das. Wenn du mich fragst, ist das Harakiri!“
„Na gut, aber das ist schließlich deren Bier, oder?“
„Nicht ganz ...“
Sören schaute Thorben fragend an.
„Naja, mein Boss, weißt du, dem musst du vor ein paar Wochen, als du HEAD präsentiert hast, etwas von CliSSim erzählt haben.“
„Ist dein Boss der Idiot, der mich so hat abfahren lassen, von wegen, das versteht eh kein Doktor, weil er das ja nicht einmal versteht?“
„Genau der!“
„Und was will der mit CliSSim? Neue Leute schulen? Die dir dann den Job wegnehmen sollen? Das kann er vergessen. Punktum. Nicht mit mir!“
„Ich glaube nicht, dass der mir den Job wegnehmen will.“
„Was dann?“
„Der will, so habe ich ihn verstanden, damit Patientenbögen generieren.“
„Dafür ist das Programm ja da. Dann hat er ja zumindest das verstanden, erstaunlich…“
„Wie weit seid ihr denn mit der Entwicklung?“
„So gut wie fertig, die Jungens in Cluj sind einfach spitze. Die testen jetzt auf einer VAX an der Uni in Timisoara. Die dort scheinen nämlich die einzige VAX in Rumänien zu haben, oder so. Eine echte, keine Robotron-Clone aus der DDR.“
„Und was könnt ihr jetzt?“
„Naja, zuerst einmal den Patientenbogen designen, also generieren, du weißt schon welche, wie viele Messwerte werden wann erfasst? Das können übrigens beliebig viele sein. Dann können wir die Normalwerte erfassen, natürlich mit den pathologischen Abweichungen.“
„Also, welches sind die Werte von Gesunden, was ist normale Abweichung und was ist krankhaft?“
„Genau. Und das für Placebo, für Verum, also die Testsubstanz, und für ein Vergleichspräparat.“
„Kann man die Anzahl der Patienten festlegen ...“
„Klar.“
„... und kann man bestimmen, wie viele Prozent der Patienten die Studie nicht beendet haben ...“
„Klar“
„... wegen Versagen der Testsubstanz, weil der Patient abgebrochen hat oder wegen Todesfällen etc.?“
„Klar, jeweils!“
„Stark ...“
„Zum Schluss kannst du noch eingeben, welche Erfolgsrate Placebo, Verum und Vergleichssubstanz haben sollen, damit der Unterschied statistisch signifikant ist.“
„Was kommt heraus?“
Sören schaute Thorben verwirrt an, „wie meinst du das?“
„Ganz einfach, was kommt hinten raus aus der Maschine?“
„Pro Patient eine Liste mit den Werten und eine Gesamtdatei, die du in dein Statistikprogramm einspielen kannst ...“
„Hhm“, machte Thorben gerade, als der Kellner ihm den zweiten Gang servierte, „warte ´mal ...“
Als der Kellner sich wieder entfernt hatte, sagte er, „klar, eine Liste, aber wir brauchen Patientenbögen ...“
„Da musst du eben die Daten abschreiben, ihr habt doch genug Leute, die eh nichts Vernünftiges tun ...“
„Stimmt“, lachte Thorben, „geht hier aber nicht. Aber ich habe eine bessere Idee: Die Patientenlisten schicken wir an einen Professor in der DDR, der soll vierzig oder fünfzig Leute dransetzen, die die Daten per Hand in unsere Patientenbögen übertragen und Kugelschreiber schicken wir auch gleich mit, erlaubt ist ja nur schwarz.
Sören blickte Thorben fragend an.
„Du, ich hatte da einmal eine Studie in der DDR laufen, das könnte klappen ...“
„Aber wenn mein Chef dich fragt, die Idee ist von dir, klar? Wann kannst du?“
„Was?“
„Präsentieren!“
„Wie? Auf Papier oder auf dem Rechner?“
„Egal, Papier reicht, vom Rechner versteht der eh nichts.“
„Wann du willst ... Morgen, wenn es sein muss!“
„Nee, nee, lass den erst einmal schmoren, in einer Woche? Mittwoch? Du kannst nur zwischen elf und dreizehn Uhr, dann ist der noch halbwegs fit.“ Er machte eine kippende und schluckende Bewegung. „Ich mache den Termin klar, hältst du dir das frei?“
„Na klar! Du hast gesagt, ihr braucht das Programm um jeden Preis ... Was verstehst Du darunter?“
„Was kostet das Programm – Listenpreis?“
„Keine Ahnung, so weit bin ich noch nicht – was darf es denn kosten?“
„Denk doch mal nach ... denk mal daran, was für unseren Laden davon abhängt...“
„Fünfzigtausend oder Hunderttausend?“
„Bist Du blöd? Das Fünffache, mindestens!“
Sören schluckte. „Na gut, von mir aus ...“
„Und das Zwanzigfache, wenn er das Programm exklusiv haben will!“
„Warum sollte er das wollen?“
„Mensch, Sören, stehst du auf der Leitung? Wenn es das Programm nur einmal gibt, dann weiß doch keiner, dass es das gibt – außer uns. Dann kommt auch keiner auf die Idee, dass es das Projekt Eos gibt, verstehst du?“
„Eos? Nee“, schüttelte Sören den Kopf.
„Eos – Morgenröte ... Sonnenaufgang und so! So heißt das bei uns.“
„Ihr habt schon ein Projekt und einen Namen?“
„Wir sind fixe Dutts ...“
„Sieht so aus, also Mittwoch.“