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Abenteuer in der Levante
ОглавлениеSven parkt den Airbus am Rand der Flugsteige des Rafic-Hariri-Airports. Der Kapitän und die Crew übernachten in Beirut. Am Flughafen ist es ruhig. Keine Schüsse. Kein Raketenlärm. Die Straße ins Stadtzentrum ist frei. Der Verkehr brodelt. Aber mitten drin und meist in schneller Fahrt: die Pickups von Milizen. Die Hisbollah-Milizionäre auf den Wagen sind bewaffnet. Mit Kalaschnikows und Panzerfäusten. Die Stacheldrahtverhaue entlang der Straße belegen: die Gewalt kann jeder Zeit neu ausbrechen, sekundenschnell und nur sehr schwer kontrollierbar.
Auch Jahre nach den Bürgerkriegen, in denen sich christliche Libanesen, schiitische Libanesen, schiitische Iraner, sunnitische Libanesen, sunnitische Palästinenser, Drusen und Israelis mörderische Kämpfe lieferten, sind die Wunden der Zerstörung nicht verheilt. In Beirut und in zwei weiteren Regionen im Norden und im Süden des Libanon gibt die schiitische Hisbollah den Ton an. Ihre sunnitischen Rivalen, die Terrortruppen des sogenannten „Islamischen Staates“, haben sich jenseits der libanesisch-syrischen Demarkationslinie eingerichtet.
Seitdem die Türkei ihre Grenze zu Syrien schärfer bewacht, ist Beirut als Brückenkopf für den Nachschub islamischer Terroristen wieder interessanter geworden. Die verworrenen Machtverhältnisse schrecken Freiwillige aus Europa, die für den sunnitischen „Islamischen Staat“ kämpfen wollen, nicht davon ab, die Beiruter Schleuse zu benutzen. Auch für ihre schiitischen Gegner ist Beirut ein wichtiges Tor für den Nahen Osten.
Die Hisbollah unterstützt die Truppen des syrischen Präsidenten Assad – auch weil der Assad-Klan der schiitischen Sekte der Alawiten angehört. Das Gebiet zwischen Beirut und dem Hisbollah-Bezirk im Norden ist in den Händen regulärer libanesischer Truppen. Auf der Hauptstraße, die von Beirut an die syrische Grenze führt, üben sowohl die Hisbollah-Schiiten als auch die regulären Libanesen die Kontrolle aus. Die Machtverhältnisse sind nicht stabil. Im Grenzgebiet ist es nicht ungewöhnlich, dass sich schiitische Hisbollah-Milizen und Kämpfer des sunnitischen „Islamischen Staates“ tolerieren.
Sven und seine Crew checken ein im Commodore. Im Stadtzentrum unweit der quirligen Hamra. Den Nobel-Absteigen am Meer kann das Hotel nicht das Wasser reichen. Es bietet aber ein klitzekleines Bisschen mehr Sicherheit. Wenn es nämlich zu Terroranschlägen kommt, dann sind die 5-Sterne-Hotels oft die ersten Ziele.
Sven bringt sein Rollköfferchen in sein Zimmer, hängt seine Uniform in den Schrank und verwandelt sich flugs in einen Touristen. Zuletzt steckt er seinen Reisepass in die Hemdtasche. Ihm bleiben nur wenige Stunden. Denn morgen muss er seinen Flieger zurück nach Deutschland bringen. Als Sven das Hotel verlassen will, tippt ihm ein Mann im Foyer auf die Schulter. Er übergibt ihm einen Brief. Sven erfährt Treffpunkt und Uhrzeit.
Auf der Hamra, auf der sich wie eh und je Menschen über Menschen, PKWs, Lastwagen und fliegende Händler mit ihren Obst-Karren drängen, winkt Sven einem Taxi. "Nach Chtaura", sagt er dem Fahrer, und er fragt sogleich nach dem Preis. Die Summe, die der Chauffeur nennt, kann Sven auf die Hälfte herunterhandeln. Den Preis findet er angemessen. Er ist vor allem ein Indikator dafür, wie sicher der Reiseweg ist. Sven gibt dem kleinen, dünnen Mann ein paar Dollars als Anzahlung. Die mahnenden Worte der Mutter hat er noch im Ohr. 'Also keine große Gefahr', befindet Sven. 'Siehst du, Mutter, ich pass auf mich auf. '
Nach ein paar Minuten ordnet sich der Fahrer in den Verkehr ein, der sich bergan in östliche Richtung quält. In holprigem Englisch versucht der Libanese, mit Sven ins Gespräch zu kommen. Auch wenn er spricht, bleibt seine Zigarette im Mundwinkel hängen. Ob Sven Amerikaner sei, will er wissen, ob er Dollars tauschen wolle, seit wann er im Libanon sei. Doch Sven will sich nicht ausfragen lassen. Wer hier Fragen stellt, ist er.
"Wird die Fernstraße nach Damaskus auf ganzer Länge von der Hisbollah kontrolliert? Oder nur teilweise? Sind oppositionelle syrische Milizen auch auf der libanesischen Seite der Grenze? Sind da auch reguläre syrische Verbände? Oder sind dort Milizen der oppositionellen Al-Nusra? Kontrolliert der „Islamische Staat“ auch Teile des Libanons?"
Der Fahrer ist zunächst verwirrt. Dann sprudelt er redselig heraus, dass es keinen schöneren Flecken auf Erden gäbe als seine Heimat. Die maronitischen Christen und die griechisch-katholischen Christen, die armenisch-apostolischen Christen, die sunnitischen Muslime und die schiitischen Muslime - und auch die Drusen - sie alle könnten friedlich miteinander leben - wenn nicht Strippenzieher im Ausland ihr Unwesen trieben. Das Hautproblem sei der israelisch-palästinensische Konflikt, in den der Libanon ohne eigenes Verschulden hineingezogen worden sei. Wenn die Amerikaner Israel nicht länger unterstützten, könne es bald echten Frieden geben. "Vielleicht schon nächste Woche," phantasiert er.
Weil er die Fragen, die Sven gestellt hat, offenbar nicht beantworten kann, beginnt der Fahrer mit einem Hohelied auf den Tourismus. Als er aber ein paar Kilometer weiter feststellen muss, dass Sven ihm gar nicht mehr zuhört, bricht er den Text ab, den er vor Jahren auswendig gelernt hat. Damals - als Beirut, die Perle des Nahen Ostens, noch eine Touristen-Metropole war. Aus seinem Autoradio ertönt jetzt arabische Musik. Sie klingt eher traurig.
Das Taxi rollt hinab in die Bekaa-Ebene. In schneller Fahrt kommt ihm ein Pickup entgegen. Die Fernlichter flackern grell, und eine Sirene heult. Der Taxifahrer tritt scharf auf die Bremse. Schon kommen vier Männer in zerschlissenen grünen Uniformen auf das Taxi zu. Drei von ihnen halten Maschinengewehre vor den Bauch. Einer zerrt Sven vom Beifahrersitz. Er soll sich ausweisen. Der Milizionär durchblättert den Reisepass und fragt nach Svens Reiseziel. Der nennt Baalbeck und den Bachus-Tempel aus römischer Zeit. Für einen Besuch der Tempelruinen sei es jetzt zu spät, erklärt der Mann barsch und fordert Sven auf, seine Hosentaschen zu leeren. Da Svens Taschentuch, sein Schlüsselbund und ein paar Euro-Münzen offenbar unverdächtig erscheinen, fordert ihn der Milizionär dazu auf, sich umzudrehen, die Hände auf das Taxidach zu legen und die Beine breit zu machen. Auch eine flüchtige Leibesvisitation fördert keine neuen Erkenntnisse zu Tage. Sven ist überrascht, als der Mann ohne Waffe seine Leute zurück in den Pickup beordert, dem Deutschen die Hand schüttelt und eine gute Weiterreise wünscht. Mit Sirenengeheul wendet der Pickup und jagt davon - in die Richtung, aus der er gekommen war. Der Stau, der sich infolge der Kontrolle gebildet hatte, löst sich schnell auf.
"Bei diesen Schiiten weiß man nie, woran man ist," kommentiert der Taxifahrer, als er Sven seinem Ziel näher bringt. Offenbar ist er ein Sunnit.
"Chtaura? Bleibt's dabei," fragt er.
"Ja. Halten Sie dann an der Tankstelle."
Der Verkehr ist jetzt merklich dünner. Der Taxifahrer hat einen Radio-Sender gefunden, der
Popmusik schmettert. Im Takt schlägt er sich auf den Oberschenkel, während sich Sven zurück lehnt und die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren lässt.
Um den "Nebenjob" als Kurier hat er sich nicht gerissen. Warum er so schnell zugestimmt hat, ist ihm selbst ein Rätsel. Weil er ein Abenteurer ist? Treibt ihn die Empörung über die Ruchlosigkeit der Terroristen? Jeder Lufthansa-Kapitän kennt das Drama mit den Baader-Meinhof-Gewalttätern, das sich auf dem Höhepunkt der RAF-Terrorwelle in den 1970er Jahren abspielte. Ein Lufthansa-Pilot wurde ermordet, bevor eine Spezialeinheit die Passagiere eines gekaperten Flugzeuges in Mogadishu befreite. Terroristen töteten den Arbeitgeber-Präsidenten, weil sich die Regierung nicht erpressen ließ. Der Bundeskanzler ließ sich damals von der Staatsraison leiten.
Diesmal gab die Regierung klein bei. Und er, Sven, war durch Zufall zu einem kleinen Rädchen im Kuhhandel um zwei Menschenleben geworden. Und das nur, weil man ihn im Dienstplan für den Flug nach Beirut eingeteilt hatte.
Als sein Gepäck heute Vormittag in der Abflughalle durch den Scanner lief, hatte ihn ein Zivilist angesprochen. Der Mann trug einen bräunlichen Mantel und hatte einen schwarzen Hut auf dem Kopf. Seine Sonnenbrille hatte übergroße Gläser. Nie und nimmer würde Sven in der Lage sein, den Mann ohne Mantel, Hut und Sonnenbrille wiederzuerkennen. Typen, die Sonnenbrillen tragen, wenn die Sonne gar nicht scheint, mochte er nicht. Sven sagte, er habe es eilig. Doch der Mann ließ sich nicht abwimmeln. Er heiße Müller und er habe eine wichtige Nachricht vom Außenministerium in Berlin. Das Flugzeug nach Beirut könne erst dann starten, wenn er mit dem Kapitän gesprochen habe.
Der Sonnenbrillen-Mensch hielt Sven einen Dienstausweis vor die Nase und entnahm seiner Notebook-Tasche einen Briefumschlag. Auf einem fast leeren Bogen Papier standen ein paar Buchstaben, die Sven wie ägyptische Hieroglyphen vorkamen. "Kommen Sie mit in die Lounge. Ich erkläre Ihnen, worum es geht."
Herr Müller - Sven fragte sich, ob dies sein richtiger Name war - Herr Müller, also, kam sofort zur Sache.
"Extrem-Islamisten haben zwei Ingenieure in Syrien als Geiseln genommen. Für die Freilassung fordern sie 10 Millionen Euros. Wenn Berlin nicht zahlt, wollen die Terroristen die Ingenieure töten. Die Frist, die die Salafisten gesetzt haben, läuft in zwei Tagen ab," sagte der Mann fast tonlos. "Die IS-Terroristen haben verlangt, dass ein Kurier noch heute nach Syrien kommt und bestätigt, dass wir zahlen werden.“
Müller wechselte die Tonlage. Jetzt musste er überzeugen.
"Der Krisenstab in Berlin hat sich für Sie als Kurier entschieden," sagte Müller fast triumphierend - so als ob Sven im Lotto gewonnen hätte.
"Wir stehen unter großem Zeitdruck. Sie sind ein Nahost-Kenner. Sie kennen sich im Libanon, in Syrien und in Israel gut aus. Sie sind ein erfahrener Flugzeugkapitän und haben einen guten Leumund in Ihrer Firma. Wir bitten Sie, heute Abend eine kurze Nachricht zu überbringen."
Nach einer Atempause spricht Müller Gefühle an, die Millionen Menschen rund um den Globus bewegen. "
Die Enthauptungen, die die Terroristen alle paar Tage im Internet zeigen, lassen niemanden kalt."
Der Mann mit dem Hut rückt seine Sonnenbrille zurecht.
"Sie können natürlich ablehnen. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn aber die Geiseln ermordet werden, weiß ich nicht, ob Sie danach noch ruhig schlafen können."
"Warum fliegt denn nicht einer Ihrer Leute mit uns nach Beirut?"
"Weil die Terroristen verlangt haben, dass nur Sie der Überbringer der Botschaft sein dürfen. Als Zivilist und ohne Waffen."
"Erpressung", murmelt Sven. "Und wo soll Ihre Nachricht abgeliefert werden?"
"Im Libanon, in Chtaura, an der Straße nach Damaskus."
„Und wann?"
"Vier Stunden nach Ihrer Landung in Beirut."
"Und welche Sicherheit habe ich?", fragt Sven.
"Ihre Sicherheit ist Ihr normaler Menschenverstand. Wenn etwas schief gehen sollte, geben Sie sich als Kunstsammler aus, der den Salafisten geraubte antike Kunstwerke abkaufen möchte."
Sven dachte an Bedenkzeit. 'Nur nichts überstürzen'. Und: 'Kann ich dem Müller trauen'?'
"Zeigen Sie mir doch noch einmal Ihren Dienstausweis."
Sven dachte an seine Mutter und daran, dass er ihr fest versprochen hatte, kein Risiko einzugehen. Dann lärmte ein Lautsprecher. Zwei Passagiere nach Beirut hätten noch immer nicht eingecheckt.
'Bloß kein Held sein,' sagte sich Sven, holte tief Luft und hörte sich wie aus weiter Ferne sagen: „ OK. Wenn ich helfen kann..."
Herr Müller schien erleichtert. Seinen Dienstausweis steckte er wieder in die Jackentasche.
'Ich benehme mich wie ein Anfänger. Ich hab' nicht mal gefragt, was für mich dabei herausspringt,' schoss es Sven durch den Kopf. 'Müller fragen? Ach was, der Mann würde es ohnehin nicht entscheiden können.'
"Und was soll ich, bitteschön, wem genau übergeben?"
"Übergeben werden Sie gar nichts. Hier ist ein Code", sagte Müller und reichte Sven den Briefbogen.
"Prägen Sie sich den Code genau ein und vernichten Sie das Papier. Die Terroristen wollen diesen Code von Ihnen persönlich hören. Keine Mitteilung am Telefon, keine Nachricht über die Mailbox, keine SMS - sondern den Code, den Sie persönlich überbringen."
Sven war im Begriff, seine Lesebrille zu aktivieren, ließ es aber sein, als er sah, wie groß die Buchstaben geschrieben waren.
LKL KKL KLK PROMIS KKK LLL KKK.
Die Anordnung erinnerte ihn irgendwie an Morse-Zeichen. Während des Fluges würde er genug Zeit haben, den Code auswendig zu lernen.
'Wer hat das sonderbare Passwort verfasst?,' geht es Sven durch den Kopf. 'Wahrscheinlich die Terroristen. Ist aber völlig irrelevant.'
Zu Herrn Müller sagte er: "Da fehlt noch etwas. Wo genau treffe ich den Empfänger der Nachricht?"
"Im 'McDonalds' von Chtaura"
"Wie erkenne ich den Mann? Wie sieht er aus?"
"Wissen wir nicht. Auch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau sein wird. Jemand wird Sie
ansprechen.“
Herr Müller hatte noch mehr Informationen. Sie kamen Sven wie Befehle vor.
"Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Sie den Code im Restaurant übermitteln. Man wird Sie auffordern, mitzukommen. Sie folgen der Person aber nur, wenn ihre Parole richtig beantwortet wird."
"Wie heißt die Parole?"
"The goal is straight ahead - was so viel heißt wie: Geradeaus führt der Weg zum Ziel."
"Das ist mein Part. Und was muss mein Gegenüber antworten?"
"Jackpot"
Dringlich kam es nun über den Lautsprecher: "Letzter Aufruf für den Flug LH 1306." Im Lärm ging Müllers Frage fast unter.
"Haben wir noch etwas vergessen?"
"Ja, einen schönen Gruß an den Krisenstab. Die Herren sollen ja nicht auf den Gedanken kommen, es sich anders zu überlegen. - Ich hab' Sie doch richtig verstanden: Berlin will sich erpressen lassen und 10 Millionen zahlen."
Als Müller nickte, steckte Kapitän Sven Windhorst den Briefbogen mit dem Code in die Innentasche seines Jacketts, sagte kurz 'adieu' und verschwand auf dem Flugsteig, der zu seinem Airbus führte.
An der Tankstelle in Chtaura zahlt Sven den Taxifahrer aus. Der Mann protestiert, als Sven ihm eröffnet, dass er nicht mit ihm zurück nach Beirut fahren werde. Sven gibt ihm ein weiteres Trinkgeld. Da lächelt der Mann, wendet und fährt zurück in die Berge im Westen. Sven hat noch ein paar Minuten Zeit. Die will er nutzen, um sich den Tatort seines Abenteuers anzusehen. Von der Tankstelle sind es nur ein paar Minuten zum 'McDonalds'. Das weiß er von früheren Besuchen. Chtaura ist berühmt für Labna, eine kulinarische Kostbarkeit fürs Fladenbrot. Selbst aus Beirut kommen viele, um ihre Labna-Vorräte aufzufrischen.
Sven nimmt ein neues Taxi. Als Fahrziel gibt er dem Fahrer das Krankenhaus an. Sven ist sich zwar im Klaren, dass er seine Spur nicht verwischen kann. Doch eingefleischte Gewohnheiten legt er nicht so schnell ab. Wenn immer er in einem neuen Hotel eincheckt, läuft er einmal um den Block. Um zu wissen, in welche Gegend es ihn verschlagen hat.
Als er am Fast-Food-Restaurant vorbeifährt, fällt ihm nichts Ungewöhnliches auf. Auf der Hauptstraße, die nach Damaskus führt, ist kaum Verkehr. Die Straße, die nach Norden in die Bekaa-Ebene abbiegt, ist stärker frequentiert. Ein letztes mal geht Sven im Stillen den Code durch. Er weiß, er ist sattelfest. Den Briefumschlag hat er verbrannt - noch bevor er in Beirut gelandet ist.
"Und wo gibt es das beste Labna"?, fragt Sven den Fahrer.
"Gleich neben dem 'McDonalds," sagt der Mann.
"Dann fahren Sie mich dorthin. Also nicht zum Krankenhaus."
Das "McDonalds" hat nur wenige Gäste. An der Bestell-Theke warten nur drei junge Leute. Ein junges Paar sitzt an einem Fensterplatz. Ein Kellner serviert Speisen und Getränke. Sven steuert die Waschräume neben den Toiletten an. Als er zurück ins Restaurant kommt, spricht ihn eine junge Frau in einem olivgrünen Parka an. Sie hat lange dunkle Haare und funkelnde, braune Augen. Sie ist eine Schönheit, die auffällt.
"Sind Sie zum ersten Mal hier?", fragt sie in tadellosem Englisch. Sven nickt – obwohl er weiß, dass man in Arabien den Kopf wie eine Acht wiegt, wenn man stumm „ja“ sagen will.
"Was wollten Sie denn im Krankenhaus? Sie kommen reichlich spät," sagt die Frau. "Wir haben Sie beobachtet."
Anstelle einer Antwort probiert Sven die Parole vom Ziel, das vorne, geradeaus liegt.
„The goal is straight ahaid", sagt er betont langsam.
"Jackpot", antwortet - wie aus der Pistole geschossen - die Frau im Parka.
'Bingo! Das wäre also geschafft,' denkt Sven.
"Kommen Sie, wir fahren ein Stückchen." Die junge Frau geht voraus und eilt auf einen Pickup zu, der mit laufendem Motor vor dem Restaurant steht.
"Sie werden verstehen, dass wir Ihnen eine Augenbinde umlegen müssen."
Sven bleibt nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Mit verbundenen Augen sitzt er zwischen dem Fahrer und der jungen Frau. Sven ist sich sicher, dass der Pickup auf der Straße nach Baalbeck, nach Norden fährt. Keiner spricht. Mehr als eine Stunde lang. Sven versucht ein paar mal, das Tuch, das man ihm über Stirn und Augen geknotet hat, zu lockern. Augenblicklich hält man ihm einen Pistolenknauf an den Kopf. Irgendwann hält der Wagen an. Alle steigen um in ein anderes Fahrzeug.
Auf einer kurvigen Nebenstraße fährt der Pickup bergan. Nach ein paar Kilometern hält der Wagen an. 'Wahrscheinlich ein Checkpoint der Hisbollah', denkt Sven. Offenbar sind die schiitischen Milizionäre nicht gut auf die Pickup-Besatzung zu sprechen. Ein Wortwechsel wird immer lauter und endet damit, dass der Fahrer unvermittelt Gas gibt. Die Männer am Kontrollpunkt feuern mit ihren Gewehren in die Luft.
Nach einer weiteren halben Stunde auf der kurvenreichen Straße hält der Wagen wieder an. Zu Fuß geht es nun über enge Pfade durchs Gestrüpp. Nach ein paar hundert Metern sitzt Sven in einem anderen Auto. Der Wagen rüttelt über Sandwege. Sven kann immer noch nichts sehen. Gesprochen wird noch immer kein Wort. Bis Sven in ein Haus geführt wird und jemand ihm kräftig die Schulter herunter drückt. Solange, bis er auf einem Stuhl sitzt. Eine offenbar an Befehle gewöhnte Stimme fragt ohne jede Vorrede:
"Wie heißt der Code?"
Sven hat ein super-flaues Gefühl im Magen. Ihn plagen Gewissensbisse. Der barsche Fragesteller kann nur ein gefährlicher, übler Verbrecher sein. 'Durch meine Hilfe kommt das Scheusal zu Geld. Ich bin schuldig, wenn der Kerl noch mehr Menschen drangsaliert', macht sich Sven Vorwürfe. 'Aber jetzt ist es zu spät, auszusteigen.'
"Jackpot hieß die Parole. Nun heraus mit dem Code", fordert die Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Sven weiß, dass er jetzt liefern muss.
"Lang-kurz-lang, kurz-kurz-lang, kurz-lang-kurz, promis, kurz-kurz-kurz, lang-lang-lang, kurz-kurz-kurz : KUR PROMIS SOS"
"Wiederholung!," fordert der Mann mit schneidender Stimme.
Sven tut, wie ihm befohlen. Jetzt wissen die Terroristen, dass Berlin zahlen will. Die Reaktion des Fragestellers ist gleich Null. Kein Danke, keine Nachricht nach Berlin, nichts.
Dann hört Sven Schritte, die sich entfernen. Jemand zerrt ihn am Arm und bugsiert ihn wieder in ein Auto. Noch immer sind seine Augen verbunden. Der Wagen holpert über Schlaglöcher. Sehr steil bergan. Bergab geht es weiter zu Fuß. Beim Gänsemarsch auf einem steinigen Pfad stolpert Sven. Seine Augenbinde verrutscht ein wenig. Für einen Moment sieht Sven verdorrtes Gebüsch. Vor ihm geht ein Uniformierter, der ein Gewehr trägt. Ein Begleiter, der hinter Sven läuft, hat bemerkt, dass sich die Augenbinde gelöst hat. Er greift nach Svens Schultern und zwingt ihn anzuhalten. Er ist offenbar der Anführer des Trupps. Sogleich beginnt er, die Augenbinde wieder festzuzurren.
Ein paar Momente später raunt er ein „Jalla !“ und die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung. Und wieder ein paar Augenblicke später stellt Sven freudig fest, dass die Augenbinde locker ist. Durch einen schmalen Schlitz am unteren Rand seines linken Auges kann Sven wie durch einen winzigen Tunnel sehen. Jetzt ist höchste Vorsicht geboten. Wenn seine Begleiter herausfinden, dass Sven nicht mehr völlig „blind“ durchs Gelände stolpert, kann dies nur unangenehme Folgen haben. Nach ein paar Metern wendet Sven den Kopf nach hinten. Er testet, wie der Mann in seinem Rücken darauf reagiert. Weil eine Reaktion ausbleibt, testet Sven ein zweites und dann noch ein drittes mal.
Durch den Schlitz sieht Sven nun das Gesicht des Anführers. Wie die meisten Milizionäre trägt er einen schwarzen Vollbart und hat dunkle Augen. Er hat aber ein besonderes Kennzeichen: eine Narbe, die vom linken Auge bis zum Nasenflügel reicht. 'Dieses Gesicht werde ich mir merken', nimmt sich Sven vor, und zieht seine Augenbinde nach unten. Als man den Piloten dann in einen anderen Pickup schiebt, ist der Sehschlitz verschlossen.
Sven schätzt, dass er auf dem Rückweg von fünf Personen bewacht wird. Wahrscheinlich ist auch die Schönheit im Parka dabei. Wie beim Hinweg steigt die Gruppe auch ein drittes mal in ein anderes Fahrzeug um. Den Kontrollpunkt, auf dem es zuvor so laut zuging, passieren sie dies mal ohne besondere Vorkommnisse. Auf der Hauptstraße wird Sven dann von seiner Augenbinde befreit. Von zarter Hand. Sven erkennt die Frau im Parka. Obwohl es mittlerweile stockdunkel geworden ist. Nur dann und wann kommt ihnen ein Fahrzeug entgegen.
„Der Fahrer bringt Sie nach Chtaura. Vor dem 'Mc Donalds' können Sie ein Taxi nehmen," sagt die Frau. "Dann sind Sie noch vor Tagesanbruch wieder in Beirut. Und bemühen Sie sich nicht, den Fahrer auszuquetschen. Es ist zwecklos. Er ist stumm.“
Sie hält ihr Handy in die Höhe und drückt die Aus-Taste.
"Telefonieren Sie mit niemandem! Ein Wort am Telefon über unser Treffen und Sie sind ein toter Mann.“
Als die Frau in eine Limosine steigt, die sie zurück nach Norden bringen soll, dreht sie sich noch einmal um.
„Täuschen Sie sich nicht, Herr Kapitän,“ lächelt sie. „Wenn der 'Islamische Staat' droht, meint er, was er sagt."
Auf der Strecke nach Süden ist dem Fahrer kein einziges Wort zu entlocken. Zeit für Sven zum Grübeln, wohin ihn die Milizionäre gebracht haben könnten.
'Wahrscheinlich nach Aarsal,“ kombiniert er.
Bevor er nach Beirut geflogen war, hatte er gelesen, dass der 'Islamische Staat' das libanesische Bergdorf überfallen und die Kontrolle über einen Polizeiposten übernommen hat. Aarsal ist nur ein paar Dutzend Kilometer von Damaskus entfernt. Und noch eine andere Zeitungs-Meldung hatte Sven beunruhigt: „Israels Ministerpräsident hat Jordanien Unterstützung im Kampf gegen die wachsende Bedrohung durch den Islamischen Staat zugesagt. Im Gaza-Streifen gäbe es aktive Anhänger des IS. Den Israelis werde bewusst, dass sie eines Tages erwachten, und der Islamische Staat stehe an ihren Grenzen.
'Während bei den Arabern der Teufel los ist, haben sich die Israelis auffallend zurückgehalten,' konstatiert Sven. 'Hoffentlich bleibt es dabei.'
In Chtaura muss Sven auf Labna, die libanesische Köstlichkeit aus Joghurt, auch diesmal verzichten. Die Milchbar ist geschlossen. Just in dem Moment, in dem er aus dem Auto klettert, kommt ein Taxi vorbei. Es hat ein Beiruter Kennzeichen.