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Ein Häkchen im Internet

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Wenn Florian Schröder Langeweile hat, läuft sein Smartphone heiß. Florian klickt und wischt darauf herum, springt von einer „App“ zur nächsten. Neugier, das hat Florian herausgefunden, verdrängt seine Langweile. Er hat einen regelrechten Hunger nach Augenkitzel entwickelt. Dazu beigetragen hat, dass in der globalisierten Welt Bilder aus Fernost oder aus Süd-Amerika ebenso schnell auf seinem Display sind wie Videos aus Surabaya oder Texte von seinem Bruder, die Stefan auf dem PC im Nebenzimmer schreibt.

Dass sich in der Fülle bunter Bilder Schein und Wirklichkeit vermischen, darüber macht sich Florian nicht viel Gedanken. Und dass die virtuelle Wirklichkeit das Unterhaltende sehr viel mehr in den Vordergrund rückt als seriöse Informationen, ist für ihn kein Thema. Hauptsache, die sozialen Netzwerke funktionieren, meint er. Er will, dass seine Nachrichten schnell bei seinen Freunden ankommen, und dass er möglichst sofort Antwort erhält. Dass seine Daten missbraucht werden können, ist für ihn Nebensache. Florian hat einen Facebook Account und ein paar Hundert „Freunde“. Mit einem harten Kern von einem Dutzend ist er fast täglich in Kontakt.

Heute wartet Facebook mit einer nicht alltäglichen Mitteilung auf. Katrin will einen Rekord aufstellen. An ihrem 15. Geburtstag will die Schülerin die 'größte Geburtstagsparty der Welt'

feiern. Alle sind dazu eingeladen. Jeder kann weitere Gäste mitbringen. Treffpunkt ist der Garten vor dem Haus, in dem Katrin bei ihren Eltern wohnt. Termin ist der nächste Freitag.

Florian feixt als er in seine Facebook-Runde auf die Einladung aufmerksam macht: „Von Freibier hat sie nichts geschrieben.“ Mit drei Dutzend Mails, die innerhalb weniger Minuten ausgetauscht werden, gibt es ein reges 'Für und Wider' die Teilnahme an der Party einer 'Möchtegern-Guinness-Rekordlerin'. “Wir lassen uns nicht als Stimmvieh missbrauchen“. „Auch nicht als Stimmungsmacher.“ „Schon gar nicht als Reinigungskraft nach dem Fest.“ „Gibt's denn 'nen Geburtstagskuchen?“

Florian schlägt eine Wette vor. „Mehr als 50 Leute werden bestimmt nicht kommen.“ „Mindestens hundert,“ gibt ein Facebook-Freund zu bedenken. „Was, wenn tausend kommen?“ Bald ist man sich einig, dass es wahrscheinlich zu schwierig werden würde, die Zahl der Partygäste zu ermitteln. Besonders wenn es mehr als tausend Personen werden. So lassen sie die Wett-Idee fallen. Doch weil alle ein Stück vom Geburtstagskuchen abhaben wollen, beschließt die Facebook-Truppe, dass man sich bei Katrin m Garten trifft.

Die Party wirft lange Schatten voraus. Als Florian in den Bus steigt, setzt lautes Geklatsche ein. An jeder Haltestelle nimmt die Zahl der Feierfreunde zu. Auf dem Platz am Bahnhof drängen sich hunderte junger Leute. Mehrere Busse sind so sehr eingekeilt, dass sie nicht weiterfahren können. Weder die Busse, aus denen Partygäste quellen – noch ein Fahrzeug der Linie 99, in das die meisten umsteigen wollen. Der Fahrer der 99 wäre – selbst wenn er es gekonnt hätte – auf keinen Fall gestartet. An Bord seines Busses sind mindestens 30 Personen zu viel. Erfolglos hat er versucht, die Türen zu schließen. Doch der Ansturm war zu groß. Hilflos ruft er nun nach der Polizei. Seine Rufe gehen unter im Gelächter. Es dauert nicht lange, bis alle Zufahrten zum Bahnhof blockiert sind. Der Stau greift dann auf das halbe Bahnhofsviertel über. Er löst sich erst auf, als Polizisten ein großes Areal in der Innenstadt weiträumig absperren.

Schon als er aus dem Bus aussteigt, muss Florian erkennen, wie falsch er die Feierlaune seiner Facebook-Freunde eingeschätzt hat. Von der Endhaltestelle der 99 bis zum „Ort der Feierlichkeiten“ benötigt man normalerweise fünf Minuten. Um sich zu Katrins Garten vorzukämpfen, braucht Florian jetzt drei mal so lange. Schulter an Schulter tänzeln junge Leute auf der Straße. Schüler, Berufsschüler, Studenten, Gelegenheitsjobber, arbeitslose Jugendliche. Einige haben ihre Karnevals-Kostüme aktiviert. Andere tragen bunte Hütchen. Manche pressen ihre Handys ans Ohr. Aus den Mobiltelefonen krächzen rhythmische Töne. Wieder andere haben Posthörner mitgebracht, aus denen sie Halali-ähnliche Töne blasen. In der Menge sind auch einige Vermummte. Kaum einer kennt das Geburtstagskind. Was sie alle verbindet, sind „Facebook“ und die Feierlaune.

Ein paar Dutzend Netzwerk-Freunde sind in den Garten vor dem Haus vorgedrungen, in dem die Jubilarin wohnt. Sie warten auf die Gastgeberin. Sie skandieren „Happy birthday“. Und sie rufen „Wo bleibt der Geburtstagskuchen?“ Doch Katrin lässt sich nicht blicken. Als jemand die Fensterläden von innen schließt, setzt Gejohle ein. Was die Menschen draußen nicht wissen: Katrin hat einen handfesten Krach mit ihrem Vater. Als sie die Einladung verschickte, hat sie vergessen, auf ihrer Facebook-Seite ein Häkchen zu setzen. Ein Häkchen hätte die Geburtstags-Versammlung zur privaten Party erklärt. Katrins Vater beklagt sich, dass die Tochter ihren Eltern nichts von der Einladung gesagt hat. Die Tochter macht dem Vater Vorwürfe, dass er zu spießig sei. Aber das sei ja auch kein Wunder. Er sei schließlich aus dem letzten Jahrtausend und habe keine Ahnung, was junge Leute heute interessiert.

Mittlerweile haben die „Gäste“ draußen mitbekommen, dass kein Kuchen zu haben ist und dass auch nicht auf den Geburtstag angestoßen wird. Nun skandiert die Menge: „Komm heraus du kleine Maus.“ Plötzlich explodieren Böller. Bierflaschen fliegen durch die Luft. Der Ruf „Katrin wir holen dich“ geht in einem Pfeifkonzert unter. Dann brennt eine Mülltonne. Einige Partygäste haben genug von dem Krawall. Sie wollen zur Bushaltestelle. Rowdies pöbeln sie an., versperren ihnen den Weg.

Florian ist irritiert. So hat er sich eine spontane Party nicht vorgestellt. Als eine Flasche ein Auto trifft und Glassplitter auf seine Jacke spritzen, tritt auch Florian den Rückzug an. Im Bericht der Polizei heißt es dann lapidar: „Bei einer nicht genehmigten Versammlung im Westend ist es zu Ausschreitungen gekommen. Mehr als 3000 Jugendliche trafen sich spontan zu einer Geburtstagsparty. Randalierer bewarfen sich mit Glasflaschen. Autos wurden demoliert. Mülltonnen wurden angezündet. Eine Gartenlaube brannte ab. Elf Personen wurden vorübergehend festgenommen – wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung oder Widerstandes gegen die Staatsgewalt.“

Ein flaues Gefühl macht sich in Florians Magen breit. Ein falsch gesetztes Häkchen im Internet - mit diesen Folgen? 'Und wer kommt für den Sachschaden auf?'

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