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DIE VERTIKALE BEZIEHUNG

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AUF EINEN PUNKT GEBRACHT möchte ich sagen: Schöpfung geschieht aus dem Nichts, dem nicht wissbaren Geheimnis hinter allem. Im alten chinesischen Weisheitstext Dao De Jing wird der Schöpfungsmythos auf eine sehr kurze und klare Formel reduziert:

»Dao erzeugt Eins,

Eins erzeugt Zwei,

Zwei erzeugt Drei,

Drei erzeugt alle Dinge.«

Dao De Jing, Kapitel 42

DAO STEHT FÜR DAS GEHEIMNIS DES URSPRUNGS, der nicht benennbar ist – jenseits jeder Verstandesmöglichkeit. Der Name »Dao« ist wie jede andere derartige Bezeichnung, wie zum Beispiel Gott, Leere, reines Bewusstsein, Nirwana, quasi eine Metapher für Nichts – für das, was jenseits des Seienden, auch des Unsichtbaren, ist. So wie Wissenschaftler nichts anderes annehmen, als dass der Urknall als Beginn unserer universellen Existenz aus dem Nichts heraus entstanden sei.

Der Urknall ist die gängige wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung unseres Universums. Er soll vor etwa 13,5 Milliarden Jahren stattgefunden haben. Ob der Urknall tatsächlich der Anfang aller Anfänge war, darüber gehen die Meinungen in der Wissenschaft auseinander. In jedem Fall scheint er der Ausgangspunkt unseres Universums zu sein. Vom diesem kaum vorstellbaren kosmischen Ereignis ausgehend hat sich unser Universum immer mehr entfaltet und expandiert auch heute noch immer. Forscher nehmen an, dass sich die Expansion des Universums eines Tages umkehren und sich wieder involutiv zusammenziehen wird, bis es wie in einem einzigen kosmischen schwarzen Loch vollständig absorbiert wird und verschwindet. Die ganze Materie des Universums wird in ein Nichts aufgesaugt und zu einem neuen Nullpunkt unvorstellbarer Energie verdichtet. Es wird spekuliert, dass dies der Beginn eines nächsten Urknalls und damit eines neuen Universums sein könnte. Wie oft das vielleicht schon geschehen ist oder wie viele parallele Universen auf diese Weise existieren, entzieht sich unserer Kenntnis und wäre reine Spekulation.

Es gibt ernst zu nehmende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die davon ausgehen, dass der Urknall immer jetzt stattfindet – dass also die Zeit der Evolution über 13,5 Milliarden Jahre nur der Art und Weise entspricht, wie der dual funktionierende Verstand darauf schauen kann. Das heißt, alles was je war, ist und sein wird, ist in einer gewissen Weise »gleichzeitig« (und dies ist auch nur eine Umschreibung, die es dem Verstand ermöglichen soll, das zu verstehen). Gleichzeitigkeit bedeutet, ein anderes Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erlangen. Mit den Worten ALBERT EINSTEINS: »Menschen, die wie wir an die Physik glauben, wissen, dass die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine besonders hartnäckige Illusion ist.«

Das deckt sich auch mit Erfahrungsräumen, die die Verstandesebene transzendieren, zum Beispiel in stiller, gegenstandsloser Meditation und ermöglicht es auch, bestimmte Phänomene zu erklären, auf die wir transgenerational oder kollektiv Zugriff haben und die unser Leben in jedem Moment beeinflussen können.

Wenn der Schöpfungsprozess zeitlos, immer jetzt, ist, dann gilt das für alles – für unser gesamtes Sein: Der physische Körper, unsere Gefühle und Gedanken entstehen in jedem Moment neu. Auch wenn die moderne Wissenschaft im zwanzigsten Jahrhundert zu dieser Erkenntnis kommt, so scheint dies doch schon ein uraltes Wissen zu sein – Wissen aus einer inneren Schau. In der Genesis heißt es in der modernen Übersetzung des altgriechischen Textes: »Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort ist Gott« (Johannes-Evangelium 1,1). Der Originaltext des Alten Testaments benutzt hier eine besondere Zeitform: das Tempus divinus (göttliche Zeitform). Es ist eine Zeitform »über der Zeit«, die nicht nur im biblischen Raum, sondern auch im indischen zur Beschreibung des göttlichen Wirkens benutzt wurde. Diese Zeitform beinhaltet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem und betrachtet sie als ein zeitlos untrennbares Ganzes. Und das Wort »logos« im Original wurde sehr verkürzt und eindimensional aus dem Altgriechischen als »Wort« übersetzt, heißt aber vielmehr: Es ist das geistige Prinzip oder der GEIST – der universelle Geist. Am besten lässt man den Begriff unübersetzt. So lautete der Anfang der Genesis eigentlich: »Am Anfang war, ist und wird immer sein der Logos, und der Logos war, ist und wird immer sein bei Gott, und der Logos war, ist und wird immer sein Gott.« Im Moment des Uranfangs, im Urgrund selbst, aus dem der Schöpfungsimpuls als strahlendstes Licht entsteht, gibt es keine Zeit – und Schöpfung geschieht jeden Moment aus diesem zeitlos-ewigen Grund.

Also, was wissen wir? Und warum ist das für das Verstehen von Heilen und Heilung wichtig?

»Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist die Erfahrung des Geheimnisvollen. Es ist die Quelle jeder wahren Kunst und Wissenschaft. Wer diesen Gemütszustand nicht kennt, wer nicht mehr innehalten kann, um zu staunen und Ehrfurcht zu empfinden, ist so gut wie tot: Seine Augen sind verschlossen. Diese Einsicht in das Geheimnis des Lebens, wenn auch gepaart mit Angst, ist auch der Ursprung der Religion: zu wissen, dass das, was für uns unergründlich ist, wirklich existiert, das es sich als höchste Weisheit und strahlendste Schönheit manifestiert, die unsere stumpfen Verstandeskräfte nur in ihren einfachsten Formen verstehen können – dieses Wissen, dieses Gefühl, steht im Mittelpunkt wahrer Religiosität. In diesem Sinne gehöre ich zu den frommen und religiösen Menschen.«

ALBERT EINSTEIN

Heilung als schöpferischer Prozess

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