Читать книгу Heilung als schöpferischer Prozess - Klaus-Dieter Platsch - Страница 20
HEILUNG IST SCHÖPFUNG UND GESCHIEHT JEDEN MOMENT NEU
ОглавлениеALLES WIRD JEDEN MOMENT NEU ERSCHAFFEN. Das lässt sich sowohl aus mystischer als auch wissenschaftlicher Sicht betrachten.
In einem der umfangreichsten mystischen Werke, den Mekkanischen Offenbarungen al-Futūḥāt al-Makkīya,11 schreibt der spanisch-arabische Sufi-Mystiker IBN ‘ARABI (1165–1240) über den Zusammenhang von Zeit und Schöpfung. Er spricht von sha ‘n (Glanz Gottes), der alle Dinge erleuchtet. »Der kleinste Tag ist das Zeit-Quantum, und es entsteht, jeden Tag durch Seinen Glanz. Es ist die kürzeste und zugleich die kleinste Zeitspanne.«12 Er führt aus, kein Zustand dauere über zwei Zeitspannen an, denn wenn es er das täte, hieße das, »unabhängig von Gott« zu sein, und das sei unmöglich.13
IBN ‘ARABI spricht vom Schleier, der die Existenz Gottes verbirgt. Ein Schleier ist etwas, das verhindert, das Gesicht zu sehen. Insoweit als alles unter dem Himmel uns hindert, Gottes Gesicht zu sehen, ist es ein Schleier. Insoweit jedoch alles eine Manifestation der Existenz Gottes ist, ist jedes Ding auch identisch mit Seinem Gesicht. »Der Schleier ist die immer gegenwärtige Schranke zwischen Wesen und Existenz. Sie erinnert uns, dass inmitten unserer persönlichen Sicht auf das Göttliche immer auch ein verborgener transzendenter Aspekt liegt. Wir wissen mit Sicherheit, dass Neuschöpfung, die zu Gott gehört, mit jedem Atemzug des Kosmos geschieht.
›Würde, was verschleiert ist, den Augen offenbar,
Kein Glaube, kein Prinzip dann bliebe uns.
Nichts, was unbeständig, schiene auf,
Keine Krankheit, keine Heilmittel, keine Medizin,
keine Unsicherheit.‹«14
Auch wenn man nicht der mystischen Begründung folgen möchte, so haben sich auch Physiker mit diesem Phänomen »Alles wird jeden Moment neu erschaffen« auseinandergesetzt.
Der Physiker JULIAN BARBOUR thematisiert dies 1999 in dem Text The End of Time.15 und kommt zu dem folgenden Schluss: »Nach vielen Berichten sowohl aus der Mainstream-Wissenschaft als auch aus den Religionen hat das Universum entweder schon immer existiert oder es entstand in der fernen Vergangenheit – durch den Urknall. Warum jedoch nehmen wir an, dass das Universum eher in der Vergangenheit erschaffen wurde, als dass es jeden Moment, den wir erfahren, neu erschaffen würde? Keine zwei Momente sind identisch. Was wir in einem finden ist nicht genau dasselbe, das wir im anderen finden. Was also rechtfertigt es zu sagen, dass etwas in der Vergangenheit erschaffen wurde und seine Existenz eine Kontinuität bis in die Gegenwart hat?«16
Auf einer tiefen, existenziellen Ebene werden wir jeden Moment neu erschaffen – wie durch ein großes kosmisches Ein- und Ausatmen. Wie wir schon gesehen haben, tauscht sich unsere Körpermasse alle vierzehn Tage komplett aus und unsere Atome erneuern sich fast vollständig in Jahresfrist. Das ist inzwischen bereits weitgehend anerkanntes Wissen. Dieser unglaubliche, stete Austausch von Körpersubstanz ist eine Bewegung in Raum und Zeit. Auf der zeitlosen, vertikalen Achse des Lebens – der göttlichen Immanenz – werden wir jedoch auf einer viel essenzielleren Ebene jeden Moment neu erschaffen. Schöpfung ist jeden Moment neu – immer jetzt. So ist auch Heilung jeden Moment neu – immer jetzt.
Vergleichen wir das mit einem Film: Das Licht des Filmprojektors ist die Quelle, von der aus die Bilder des Films bzw. der Welt auf die Leinwand projiziert werden. Das Licht des Projektors bleibt immer dasselbe – unverändert, wie das gleißende Licht des kosmischen Ursprungs. Das Leben, die Welt, ist eine Projektion, die durch das Licht möglich wird. Der Film/das Leben besteht aus zahllosen Einzelbildern. In Wirklichkeit sehen wir immer nur ein Einzelbild als Neuschöpfung aus einem Raum »dazwischen«. So erscheint es auch im realen Leben, dass jeder Moment eine Neuschöpfung aus einem Raum »dazwischen« ist. Es ist allein unserem Gehirn geschuldet, dass wir die Folge der Einzelbilder als eine scheinbare Kontinuität erleben, also eine Story, die sich kontinuierlich von einer Vergangenheit über eine Gegenwart in eine Zukunft fortschreibt. Und auch im Film sind Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft implizit als Ganzes enthalten – sie werden erst zu Zeitabläufen, wenn wir den Film abspielen. Zeit existiert nicht in der impliziten Ordnung17 und ist auf der Ebene der eingefalteten Non-Dualität eine Illusion, wie EINSTEIN bereist nahegelegt hat.
Anders als im Film gibt es im richtigen Leben kein festgelegtes Drehbuch. Was im jeweiligen Augenblick erschaffen wird bzw. in Erscheinung tritt, hängt von zahllosen begleitenden Faktoren ab – unter anderem von unseren Erinnerungen und Glaubenssätzen.