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DIE HORIZONTALE BEWEGUNG
ОглавлениеHimmel in mir ist die schöpferische Kraft des Dao, Erde in mir ist Qi. Die schöpferische Kraft fließt herab, das Qi breitet sich aus, und dort ist Leben.«
Ben Shen, Ling Shu 8 6
DIE VERTIKALE BEZIEHUNG MÜNDET in die horizontale Bewegung des Lebens.7 Vertikal meint das zeitlos-ewige Moment der Quelle, das sich in jeder Phase des Schöpfungsprozesses wiederfindet und ihn belebt – der Himmel im Menschen, wie es das Zitat bezeichnet. So ist Leben immer ungetrennt von seinem Ursprung. In der Sprache spiritueller Traditionen ist Schöpfung das Ausatmen der schöpferischen Quelle, in den abrahamitischen Religionen das Ausatmen Gottes, durch das die Welt der Erscheinungen in Raum und Zeit entsteht. Das Ewig-Eine atmet sich aus in das Endlich-Diverse. Im Einatmen der schöpferischen Quelle kehrt alles Erschaffene wieder zum Ursprung zurück.
Die vertikale Beziehung zur Quelle wohnt allem Leben inne – unabhängig davon, ob das bewusst ist oder nicht. Sie ist quasi der göttliche Funke, der uns leben lässt.
Sobald sich aus der Quelle, dem Nullpunkt, Leben manifestiert – sich also etwas aus allen schöpferischen Möglichkeiten in eine Möglichkeit konkretisiert –, ist es den Gesetzen von Raum und Zeit unterworfen. Leben entsteht und Leben vergeht in endlicher Abfolge. Der Atem kommt und geht, das persönliche Leben kommt und geht, die Generationen kommen und gehen, das Universum kommt und geht …
Wir nennen das die horizontale Bewegung. Im Zitat oben aus dem Ling Shu weist die Zeile »das Qi breitet sich aus« genau darauf hin. Und wenn das Zitat zum Ende kommt und es heißt »und dort ist Leben«, dann ist damit der Kreuzungspunkt der vertikalen Beziehung mit der horizontalen Bewegung gemeint. Was nichts anderes bedeutet, als dass dem Leben in Raum und Zeit das Immer-zeitlos-Ewige der Schöpfungsquelle immanent ist. In jeder unserer Zellen atmet das Göttliche, schwingt die Seele in Anbetung an DAS.
Dieser Moment in Raum und Zeit
So gesehen ist Leben der immerwährende Ausdruck der schöpferischen Quelle in Raum und Zeit. Der ewig-zeitlose Atem der Quelle ist eins und ungetrennt mit dem Ein- und Ausatmen des irdischen Lebens, einem Leben, das sich auszeichnet durch seinen Rhythmus und fließende Bewegung.
Wenn ich hier die Bezeichnungen »horizontal« und »vertikal« verwende, dann sind sie als Metaphern zu verstehen – als Bilder, die versuchen, dem Verständnis dessen, was nicht verstehbar ist, einen Ort zu geben.
Das gilt besonders für die vertikale Beziehung. Von alters her lokalisieren wir Menschen das Göttliche oder Gott oben, im Himmel. Das heißt jedoch nicht, dass der Ursprung allen Seins im Himmel liegt. Auch der Himmel in seiner Form und Gestalt ist Teil der Schöpfung aus der einen Quelle und Teil des schöpferischen Lichtimpulses. Wenn das Göttliche immanent ist, ist es überall, drückt es sich in allem aus – und alles trägt in sich die Essenz des Ursprungs. Im Koran gibt es die Figur des KHIDR, der »grünen«, geheimnisvollen Gestalt, als Bote Gottes. Er beauftragt MOSES, »zum Treffpunkt der beiden Meere« zu gehen. Vielfach ist nach diesem geologischen Ort gesucht worden. Natürlich ist dieser Treffpunkt ebenfalls eine Metapher: Das eine Meer steht für das irdische Leben und das andere für das Reich Gottes. Die Meere verbinden sich dort nicht. Das heißt, das irdische und das göttliche Reich sind einerseits verbunden, andererseits jedoch nicht vermischt. Ich persönlich kann es nicht anders sehen, als dass beides, der göttliche Ursprung und das Leben, zutiefst miteinander und voneinander durchdrungen sind.
Die horizontale Ebene lässt sich leichter nachvollziehen: Die Relativitätstheorie EINSTEINS zeigt, dass Raum und Zeit objektbezogene Strukturen sind und dass Zeit im Raum geschieht und den Raum aufspannt. Zeit ist Veränderung, Raum ist Vielfalt. Das Aufspannen räumlicher Dimension lässt sich leicht als eine horizontale Dimension verstehen, in der Zeit vergeht.
Der Kreuzungspunkt zwischen horizontal und vertikal jedoch beschreibt immer die Immanenz des Göttlichen im Leben – in allem. Und letztlich bleibt dieser Kreuzungspunkt ein Geheimnis – in Wirklichkeit ein Punkt des Nichtwissens, ein Punkt, der essenziell leer ist, ein Nicht-Punkt, ein Mysterium.