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»Vincent will Meer«

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Ich habe vor einiger Zeit den Film »Vincent will Meer« gesehen und fand ihn sehr anrührend und absolut sehenswert. Darin geht es um einen jungen Mann, Vincent, der am Tourettesyndrom leidet. Nach dem Tod der Mutter wird Vincent von seinem Vater, einem viel beschäftigten Politiker, in eine Fachklinik eingeliefert. Dort trifft er auf die magersüchtige Marie und seinen zwangsneurotischen Zimmergenossen Alexander. Da Vincent den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllen möchte, noch einmal das Meer zu sehen, fliehen die drei aus der Klinik. Sie stehlen das Auto ihrer Betreuerin und fahren in Richtung Italien. Vincent will Meer, aber eben auch mehr, und sie geben nicht auf, bis sie am Ziel ihres Weges sind.

Ähnlich wie in diesem Film geht es uns Menschen in unserem Leben: Wir sind auf der Suche – auf der Suche nach einem Mehr. Wir suchen nach einem Ziel, nach einem Sinn im Leben. Über Jahrtausende der Geschichte lässt sich das zurückverfolgen. Die Religionen versuchen eine Antwort auf diese Frage zu geben, Ideologien mühen sich, dem menschlichen Dasein Sinn und Ziel zu vermitteln. Waren es in der Vergangenheit soziale Utopien wie der Marxismus oder die enge Bindung an eine Glaubensgemeinschaft, so geht es heute mehr um das Hier und Jetzt und um die Frage, wie ich mein Leben lust- und gewinnbringend gestalten kann. Die Sozialstudie des Jugendforschers Bernhard Heinzlmaier »Jugend unter Druck« kommt zu dem Schluss:

Wo ein das materielle Leben transzendierender Sinn fehlt, bekommt das intensive Erlebnis, die unmittelbare Leidenschaft im Hier und Jetzt, überragende Bedeutung. Dass ihnen ein tieferer Sinn, ein ideelles Lebensziel fehlt, ist vielen Jugendlichen überhaupt nicht bewusst, da ihnen die Bedeutung eines solchen für ein erfülltes Leben von den Erwachsenen nie vermittelt wurde.15

Aber irgendwie reicht alles, was so den Alltag bestimmt, nicht aus, um den unstillbaren Durst nach ›mehr‹ zu befriedigen. Zu viele Optionen stehen zur Auswahl. Man spricht von höherem Freizeitwert, besserer Lebensqualität, höherem Lebensstandard, und dabei verändert sich unsere Welt in einem unglaublichen Tempo und der vorgegebene Takt scheint zu lauten: »Nur nicht nachdenken!« – keine Pause zulassen, die mich zwingen könnte, darüber nachzudenken, worin der Sinn des Ganzen besteht.

Doch selbst die größte Fülle ist nicht genug! Spätestens in der Lebensmitte, wenn mittelfristige Ziele erreicht worden sind, kommt die Frage auf, die zu allen Zeiten die Menschen umgetrieben hat: Warum bin ich auf dieser Welt? Warum gibt es diese Welt überhaupt? Was ist der Sinn des Lebens? Wo komme ich her und wo gehe ich hin? Viele können ohne eine befriedigende Antwort leben, andere nicht.

Eine Geschichte hat mich sehr berührt und traurig gemacht. Am 20. April 2018 wurde Dj Avicii (Tim Bergling) tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Der erst 28-Jährige nahm sich in einem Luxusresort in Oman das Leben. Eine Woche nach seinem Tod veröffentlichte seine Familie einen erklärenden Brief:

Unser geliebter Tim war ein Suchender, eine zerbrechliche künstlerische Seele, die nach Antworten auf existenzielle Fragen suchte. Ein überambitionierter Perfektionist, der reiste und in einem Tempo arbeitete, das zu extrem schwerem Stress führte. Als er aufhörte auf Tourneen zu gehen, wollte er die Balance im Leben wiederfinden, damit es ihm gut geht und er das machen kann, was er am meisten liebte – Musik. Er hat wirklich gerungen mit dem Nachdenken über den Sinn, das Leben, das Glück. Jetzt hat er es nicht länger geschafft. Er wollte Frieden haben.16

Es sind Ereignisse wie diese, die mich immer wieder nachdenklich machen. Es tut weh, wenn ich sehe, wie äußerlich erfolgreiche Menschen, die alles haben, was man sich nur wünschen kann, innerlich so leer und verzweifelt sind, dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als sich selbst das Leben zu nehmen. Gleichzeitig stärkt es meinen Wunsch, Menschen die Hoffnung zu vermitteln, dass es ein Mehr gibt, auf das wir uns einlassen dürfen.


Andererseits gibt es andere Prominente, die hin und wieder die Schlagzeilen der Boulevardblätter füllen, die erstaunlich offen von ihrer Suche nach Gott reden und von möglichen Antworten, die sie gefunden haben. Nina Hagen, zum Beispiel, bekannte sich in einem Interview freimütig zu ihrer Geschichte:

»Als ich 17 war, habe ich LSD genommen, weil ich hoffte, eine Gotteserfahrung zu erleben. Aber zuerst bin ich in einem Bereich gelandet, wo es kein Leben und kein Sterben, sondern nur Schmerzen gab. Und das Gefühl, dass es jetzt für immer so bleibt. In diesem Moment habe ich gerufen: Oh, mein Gott, hilf mir doch! Plötzlich bin ich in eine tiefe Ruhe gekommen. Als ich ihn erkannte, habe ich ihn gefragt: Gehst du etwa wieder weg, wie all die anderen? Und da hat Gott mir geantwortet, dass er immer da war und dass er immer da sein wird.« Auf die Frage, ob sie sich vor dem Tod fürchte, antwortete die Künstlerin: »Nein, im Gegenteil. Lies nur schön die Bibel, und dann wirst du sehen, was unsere Verheißung ist. Ich habe darüber ein Lied geschrieben: ›Alle wollen in den Himmel, aber keiner hat Bock auf Tod.‹«17

Ähnlich erbauend war es mit Hanns Dieter Hüsch, der, genau wie ich, aus der kleinen Stadt Moers am Niederrhein stammte. Er war über 50 Jahre auf Bühnen, im Radio und im Fernsehen präsent als philosophischer Kabarettist und Wanderprediger. Für ihn gehörten Vertrauen auf Gott und Jesus Christus und politisches und gesellschaftliches Engagement untrennbar zusammen. Unermüdlich polemisierte er gegen Krieg, Hass und Gewalt, gerne in Form von komischen bis ätzenden Texten oder in fröhlich-poetischen Erzählungen, die einen zum Nachdenken zwangen. Unvergesslich, wie er zur Musik seiner kleinen Philicorda-Orgel seine modernen Psalmen über die Erhabenheit Gottes präsentierte. Das hat ihm vonseiten seiner Kabarettkollegen immer wieder auch Kritik und Spott eingebracht. Hanns Dieter Hüsch stand für einen fröhlichen Glauben, der das Lachen nicht verlernt hat, ein Glaube, der im Namen der Liebe Gottes tätig wird, der sich einmischt und augenzwinkernd von Gott und den Menschen erzählt. Seine Suche hat offensichtlich zum Ziel geführt, wenn er schreibt:

Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen.

Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält,

weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.18

Mir scheint es kennzeichnend für unsere Zeit, dass Stimmen dieser Art eher selten geworden sind. Die Suche nach dem Sinn des Lebens wird im Lärm des Lebens vertagt, ignoriert, in unzähligen esoterischen Varianten vermarktet und nicht zuletzt lächerlich gemacht. Es scheint für viele Menschen wie das Pfeifen im dunklen Wald zu sein, mit dem man sich selbst Mut machen will.

Im Roman »Per Anhalter durch die Galaxis« von Douglas Adams wird ein Computer namens Deep Thought von einer außerirdischen Kultur speziell dafür gebaut, die Antwort auf die Frage aller Fragen, nämlich die »nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest« zu errechnen. Obwohl er unvorstellbar leistungsfähig ist, benötigt er 7,5 Millionen Jahre Rechenzeit, um eine Antwort zu ermitteln, und verkündet dann, sie laute »42« und sei mit absoluter Sicherheit korrekt. Absurd, geheimnisvoll! In der Folgezeit wurde besonders in der Internetgemeinde heftig spekuliert, was diese Zahl wohl zu bedeuten hätte. Aber entgegen aller erwartungsvollen Fragen nach dem Sinn dieser Zahl antwortete der Autor:

Die Antwort ist ganz einfach. Es war ein Scherz. Es musste eine Zahl sein, eine ganz gewöhnliche, eher kleine Zahl, und ich nahm diese. Binäre Darstellungen, Basis 13, tibetische Mönche – das ist totaler Unsinn. Ich saß an meinem Schreibtisch, starrte in den Garten hinaus und dachte: »42 passt«. Ich tippte es hin. Das ist alles.19

So treibt die Suche nach Gott, nach dem Sinn des Lebens, die Frage, ob es, unterschieden von unserer Welt eine andere ewige Welt gäbe, auch allerlei skurrile, tragische und spekulative Blüten. Das passiert eben, wenn sie nicht auf den stößt, der gesagt hat: »Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.« (Matthäus 7,8) Es gibt dieses Mehr, nur die entscheidende Frage ist, wo wir danach suchen.

Auf dem Weg nach Hause

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