Читать книгу Der verstellte Blick: Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit intellektueller Beeinträchtigung - Klaus Hennicke - Страница 12
Voneinander lernen
ОглавлениеAuch wenn ich mich der Gefahr fehlender Seriosität aussetze: Meine Erfahrung ist, dass Lernen am besten gelingt, wenn wir uns etwas erzählen, nicht wenn wir uns belehren. Es ist ein zähes Geschäft, andere davon zu überzeugen, was in ihrem Kontext richtig ist. Zweifelsfrei kann das in manchen Fällen gelingen, nicht selten scheitert es aber. Mir schien meist hilfreicher, mich darauf zu konzentrieren, was wir bei uns differenziert beobachtet hatten, was unter unseren Bedingungen gelang und was misslang. Und natürlich ist das etwas anderes als Plauderei, weil es hier um eine Erzählung auf dem Hintergrund professioneller oder multiprofessioneller Erfahrung geht. Mein Eindruck war, dass meine Gesprächspartner viel häufiger etwas für sie Nützliches »mitnehmen« konnten als bei meinen Versuchen, sie zu beeinflussen.
Gegenseitiges Lernen gelingt auch leichter, wenn man dem Gegenüber das Gefühl gibt, dass das Aufsuchen beispielsweise der Klinik kein Zeichen von Versagen, sondern eher ein verantwortungsvoller Akt ist und Veränderung bereits durch die Art der Zuweisung in Gang gesetzt wurde.
Aus Sorge vor Missverständnissen noch eine Ergänzung: Erzählungen in psychiatrischen Kliniken sollten sich immer, wenn das hilfreich ist (für Kooperationspartner ebenso wie für Familien), eines sehr umfassenden psychiatrischen Wissens bedienen können und dieses auch anderen zugänglich machen. Dieses Wissen gerät in Dialog mit anderen Kompetenzen und Kompetenzen anderer. Die Nützlichkeit für die Kinder und Jugendlichen entscheiden dann diese und ihre Bezugssysteme aufgrund eigener Expertise.
Übrigens hatte unsere spezialisierte Abteilung nie den Impuls, die Klinik zu »verlassen«. Die Vielfalt des klinischen Angebots einer großen Versorgungsklinik ermöglichte einerseits inklusives Handeln (gemeinsame Feste und Freizeitangebote), andererseits war immer wieder hilfreich, sich auch der Kompetenzen anderer Bereiche zu bedienen. Isolierten Klinikangeboten nur für Menschen mit Intelligenzminderung stünden wir eher skeptisch gegenüber.