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Römische Führungsposition – Petrinologie und Synoden

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Der römische Bischof stand nicht nur der römischen und den umliegenden (vor der Stadt: suburbikarischen) Gemeinden vor, sondern er nahm weitere Aufgaben wahr: als Patriarch der westlichen, lateinischen Kirche sowie als Träger eines wie auch immer zu dieser Zeit konzipierten universalen Papsttums. Gerade der mit der letzten Bezeichnung verbundene Führungsanspruch bildete sich nur langsam aus; dies geschah in theoretischen Reflexionen und durch (kirchen-)politische Konstellationen. Die Festigung und Vereinheitlichung der römischen Diözese und des christlichen Lebens in Rom schufen die Voraussetzungen für weiter reichende Formulierungen, denn nun wurde die Frage nach den Anfängen und den Wurzeln dieser Gemeinde dringlicher und aus verschiedenen Perspektiven gestellt.

Wie erwähnt ehrte Damasus I. seine Vorgänger durch Ausschmückung einer Bischofsgruft an der Via Appia und würdigte sie in eigenen Epigrammen. Trotzdem fehlten noch immer direkte Verbindungslinien von diesen Vorgängern zu Petrus. Die Brücke schlug ein fiktiver griechischer Brief, der schon früher geschrieben worden war, aber erst Ende des 4. Jahrhunderts durch den mit Rom in Beziehung stehenden Rufinus von Aquileja († 410/411) ins Lateinische übersetzt wurde. Die Schrift zitierte die entscheidende Matthäusstelle, nach der Petrus die Schlüssel des Himmelreiches und die Binde- und Lösegewalt empfangen habe, und führte sodann Papst Clemens (I.) als Nachfolger Petri auf. Das Dokument war zwar in anderem Kontext entstanden; es skizzierte jedoch auch angebliche Mitteilungen Clemens’ an den Herrenbruder Jakobus über die letzten Verfügungen, die Petrus getroffen haben soll. Hier war zu lesen, dass Clemens I. die volle Binde- und Lösegewalt von Petrus empfangen habe. „Ich (Petrus) verleihe ihm (Clemens) die Gewalt zu binden und zu lösen, sodass, was immer er (Clemens) auf Erden entscheidet, im Himmel gutgeheißen wird, denn er bindet, was gebunden, und löst, was gelöst sein soll“.16 Damit wurde gedanklich die Rechtsnachfolge unterstrichen, und der lateinische Text scheint dies römischem Denken entsprechend juristisch klar formuliert zu haben. Römische Kirchenrechtsversammlungen nahmen den Brief schon um 500 auf. Von der Idee der Rechtfolge bedeutete es nur noch einen kleinen Schritt, um allen weiteren Bischöfen auf der cathedra des hl. Petrus bzw. auf der sedes apostolica, dem Apostelsitz, die von Petrus verliehenen Befugnisse beizumessen. Da diese von Gott selbst verliehen waren, bestanden sie unabhängig von der jeweiligen Person und begründeten ansatzweise ein transpersonales Amtsverständnis. Nachdem schon Damasus I. verstärkt von der sedes apostolica gesprochen hatte, versuchte Innozenz I. zu Beginn des 5. Jahrhunderts autoritative Entscheidungen in Glaubensfragen zu fördern, bis Leo I., zu einer Zeit, als das weströmische Reich schon fast untergegangen war und als im Osten noch dogmatische Auseinandersetzungen die Diskussionen bestimmten, den päpstlichen Jurisdiktionsprimat und Universalepiskopat grundlegend festigte: „Indem er juristische, theologische und biblische Argumente miteinander verband, baute er eine Theorie päpstlich-monarchischer Herrschaft auf“.17 Er bediente sich Kategorien des römischen Erbrechtes: Demnach seien die Päpste die Erben der von Christus auf Petrus übergegangenen Funktionen. Mit dieser Denkfigur war eine noch stärkere Trennung von Amt und Person vollzogen, was für das mittelalterliche Papsttum langfristig wichtig werden sollte. Die im Amt über die gesamte Kirche und ihre Patriarchen ererbten Gewalten umschrieb Leo I. mit dem Begriff plenitudo potestatis (Fülle der Gewalt, Vollgewalt). Die Anleihen bei zeitgenössischen staatlich-monarchischen Konzeptionen spiegeln sich in den Begriffe deutlich wider: Petrus wird als princeps apostolorum bzw. Petrus und Paulus werden als principes apostolorum (Apostelfürsten) bezeichnet, und dem Papsttum wird der Begriff principatus zugewiesen.

Die Bezeichnung principes apostolorum bezog neben Petrus explizit Paulus ein. Schon seit Damasus I. war die doppelte Apostolizität Roms weiter untermauert worden: So hatte zu dessen Pontifikatszeit etwa der sogenannte Ambrosiaster in Rom 13 Paulusbriefe kommentiert.18 Hinzu trat der Ausbau einer Basilika über der Stelle, wo man das Paulusgrab an der Via Appia verehrte. Bildliche Darstellungen deuten eine funktionale Teilung an: Petrus stand stärker für die Binde- und Lösegewalt, Paulus für die Unterweisung der Völker. Damit waren römische Ursprünge für die Jurisdiktions- und Lehrvollmacht doppelt angelegt. Diese zweifache Apostolizität konnte noch stärker genutzt werden, wie eine Predigt Leos I. zum Doppelfest der Apostelfürsten am 29. Juni 441 verdeutlicht.19 Petrus und Paulus traten an die Stelle der Gründergestalten des antiken Rom. Wie Romulus und Remus am Anfang der Geschichte des antiken Rom, so wurden die beiden Apostel als die eigentlichen Schirmherren und „Gründungsväter“ des neuen, des christlichen Rom gefeiert. Ähnlich wie Romulus war Petrus der Wichtigere der Zweiergruppe.

Somit führte besonders Leo I. verschiedene, bereits seit dem 4. Jahrhundert anzutreffende Aspekte zur Legitimation einer besonderen Stellung des römischen Bischofs gedanklich zusammen. Dennoch wird über den kurz- wie den langfristigen Einfluss dieser Ideen schon seit langem gestritten. Wie die Predigt Leos verdeutlicht, lag das unmittelbare Wirkungsfeld der Päpste zunächst in Rom selbst. Hier war mit dem Rückgang staatlicher Gewalt das notwendige politisch-administrative Vakuum entstanden, um die skizzierten Positionen nachdrücklich vertreten zu können. Als die neuen „Völker“ der Westgoten und Vandalen 410 und 455 Rom bedrohten, erschienen – wie erwähnt – die jeweiligen Bischöfe Roms, Innozenz I. und Leo I., den Zeitgenossen als wahre Herren der Stadt, die Verhandlungen führten oder Abwehr organisierten.

Dieser Zuwachs an Befugnissen und Macht geistlicher Würdenträger verband Rom aber grundsätzlich mit anderen civitates (Städte, Gemeinden) Italiens, wo die Bischöfe ebenfalls immer häufiger „staatliche“ Aufgaben übernahmen. Nur befand sich der römische Bischof eben in der alten Hauptstadt des Reiches und verfügte zudem über eine große, recht einheitlich ausgerichtete Gemeinde. Trotz einer gewissen Unabhängigkeit blieben die Ansprüche Roms und der Päpste in der Zeit nach der Konstantinischen Wende jedoch weiterhin stark von der Stellungnahme des Kaisers abhängig, der sich selbst als oberster Moderator in Religionsfragen verstand. Gerade im Zusammenhang mit Bischofsversammlungen machten die jeweiligen Kaiser ihren Einfluss immer wieder geltend. Auf Synoden oder Konzilien (im Mittelalter weitgehend synonym verwendet), die seit dem 4. Jahrhundert voll ausgebildet waren, erscheint der Kaiser als die beherrschende Gestalt Im Westen verschob sich das Gewicht im Hochmittelalter zugunsten des Papstes oder anderer Mitglieder der kirchlichen Hierarchie. Unterhalb der allgemeinen Konzilien tagten Provinzialkonzilien einer Kirchenprovinz oder Bischofssynoden, jedoch nach dem Zerfall des Römischen Reiches in manchen Herrschaften auch Landeskonzilien.

Nur selten sind in der Spätantike Ausnahmen von der kaiserlichen Dominanz in religionspolitischen Fragen erkennbar: Die Kaiser erkannten es zum Beispiel – wenn auch erst etwa 40 Jahre später – an, dass auf einer Synode in Sardica (heute: Sofia) 342/343 einer der Beschlüsse Rom als kirchliche Appellationsinstanz in Fragen von Disziplin und Lehre herausgehoben hatte.20 Dieses Appellationsrecht ist in der Spätantike bezeichnenderweise kaum geltend gemacht worden, aber wie bei vielen anderen schriftlichen Verlautbarungen griff man später auf diese Sätze zurück.

Haben aber Synoden, die vornehmlich im Osten stattfanden, die römische Autorität oder sogar eine Überordnung Roms anerkannt? Konnte beispielsweise Leo I. seine Vorstellungen hier zur Geltung bringen? Die theologischen Streitigkeiten der großen Konzilien im 4. Jahrhundert um die Dreifaltigkeit und um eine Bestimmung der Naturen Christi, besonders die Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel I (381), wurden von geistigen Führern des Ostens bestimmt, Rom spielte nur eine untergeordnete Rolle. 381 untersagte das Konzil sogar allen Bischöfen die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Diözesen. Vielleicht förderten solche Begrenzungen auch die Entwicklung der skizzierten Positionen, denn ein 382 in Rom abgehaltenes Konzil formulierte, dass die römische Kirche nicht durch Synodalbeschlüsse, sondern durch Petrus und Paulus, zwei Apostel, begründet worden sei. Dieser Seitenhieb gegen Konstantinopel widersprach indirekt der auf einigen Konzilien vertretenen Lehre von fünf Patriarchaten (Pentarchie).21

Auf dem Konzil in Ephesos 431 war eine päpstliche Delegation anwesend, die mit wuchtigen Worten petrinische Positionen vortrug. In der Konzilssitzung am 11. Juli sagte der römische Vertreter, der hl. Petrus sei das Haupt und der Grundstein der ganzen Kirche, Statthalter sei sein Nachfolger, der jetzige Papst Coelestin I.22 Obwohl diese Äußerungen später im Westen rezipiert wurden, blieben sie zunächst eher „akademische“ Einwürfe. Dies gilt ähnlich für das Konzil von Chalzedon (451). Mit seinem „Dogmatischen Brief“, der von den Gesandten auf der Sitzung vom 10. Oktober verlesen wurde, hatte Leo I. in die Glaubensstreitigkeiten eingegriffen und zu den zwei Naturen Christi (das heißt der göttlichen und der menschlichen) formuliert: „Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn […], der in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht“. Danach sollen die versammelten Konzilsväter gesagt haben: „Der hl. Petrus hat durch Leo gesprochen“.23 Diese Zustimmung belegt aber kaum, dass in der Mitte des 5. Jahrhunderts die Leitungsfunktion des Bischofs von Rom allgemein akzeptiert wurde, denn die Formulierung deutete in der konkreten Situation zunächst nur an, dass die Konzilsväter mit den Ausführungen Leos voll übereinstimmten.

Insgesamt lagen Leos Gestaltungsmöglichkeiten somit eher im Westen. Dies war auch deshalb gegeben, weil schon auf dem Ökumenischen Konzil von 381 Konstantinopel als dem „Neuen Rom“ der gleiche Rang wie dem alten Rom beigemessen worden war. 451 wurde dies auf dem Konzil von Chalzedon bekräftigt. Dabei war die Vorstellung leitend, dass politische und kirchliche Zentren einander entsprechen sollten.24 Insofern war Konstantinopel als Amtssitz bevorzugt, obwohl Rom der gleiche Ehrenrang gebühren sollte. Hier lag eine der Wurzeln für eine zunehmende Auseinanderentwicklung von Ost und West, die sich in vielen Bereichen erkennen lässt: Die Unterschiede in Liturgie, Sprache und Kirchendisziplin sind weitere kennzeichnende Stichworte für einen noch länger andauernden Prozess der Entfremdung.

Während im Osten die Verschränkung von weltlicher und geistlicher Gewalt eng blieb, setzte sich im Westen seit dem 5. Jahrhundert langsam, aber langfristig die Vorstellung durch, dass die Kaiser in kirchlichen Fragen der geistlichen Gewalt untergeordnet seien, wie dies bereits Ambrosius von Mailand (374–397) gegenüber Kaiser Theodosius anlässlich dessen drakonischer Bestrafung der aufsässigen Stadt Thessaloniki praktizierte: Indem Theodosius daraufh in die Buße annahm, akzeptierte er, dass er in der Kirche nur Laie war und sich wie andere Christen der Bußübung unterwerfen musste.25 Der römische Bischof Leo I. schrieb entsprechend 457 dem oströmischen Kaiser Leon, dass der Kaiser seine Gewalt hauptsächlich zum Schutz der Kirche besitze, und derselbe Leo ließ sich in seinem Konflikt mit dem Bischof von Arles 445 vom Kaiser die Autorität Roms gegenüber den Westkirchen bestätigen.26

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