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Papstgeschichtsschreibung

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Das Papsttum ist eine der wenigen geschichtlichen Institutionen, die von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart Bestand hatten. Nicht nur die europäische Geschichte ist maßgeblich von ihm bestimmt worden. Schon lange übt es sowohl auf Anhänger wie auch auf Kritiker eine besondere Faszination aus. Weil das Thema aber von unterschiedlichen Grundüberzeugungen her angegangen werden kann, ist die Papstgeschichtsschreibung von Kontroversen gekennzeichnet: Schon seit dem 6. Jahrhundert gab es Schriften und Notizen, die sich nur mit der Geschichte der Päpste befassten. Für die Entstehung einer eigenständigen Geschichtsschreibung zum Papsttum und zu den Päpsten wurde aber die Reformation zentral, denn der Protestantismus sprach dem Papsttum den Rang einer von Gott gestifteten Einrichtung ab. Einigen protestantischen Autoren ging es darum aufzuzeigen, wie „niederträchtig“ jener Weg gewesen sei, den die Päpste hin zu ihren jurisdiktionellen Ansprüchen und zu ihrem weltlichen Reichtum beschritten hatten. Dies wollten zum Beispiel die sogenannten Magdeburger Zenturiatoren mit ihrem Hauptvertreter Flacius Illyricus (1520–1575) dokumentieren. Sie versuchten in ihrem umfangreichen, nach Jahrhunderten (Zenturien) gegliederten Werk zu beweisen, dass sich das Papsttum als Produkt von Betrug und Lüge entwickelt habe. Ihre Historia ecclesiastica (Kirchengeschichte) geriet so über weite Teile entgegen dem eigentlichen Titel zur „Papstgeschichte“.2 Und so wurde nicht ohne eine gewisse Berechtigung bemerkt, dass die Papstgeschichte ursprünglich eine Erfindung des Protestantismus gewesen sei. Aber die katholische Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Caesar Baronius (1538–1607) trat mit seinen Annales ecclesiastici zum Gegenbeweis an.

Kontroversen und Polemik blieben für die konfessionell bestimmten Werke in der Folgezeit kennzeichnend. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, immer wieder Beweise und Gegenbeweise zusammenzustellen. Deshalb waren die Auseinandersetzungen von der Sichtung umfänglichen Quellenmaterials begleitet, das zunehmend in Editionen verfügbar gemacht wurde. Die entsprechenden Werke sind noch heute zuweilen wichtige Fundgruben, zumal manches Material nicht oder inzwischen nicht mehr in Archiven oder Bibliotheken vorhanden ist. Hinzu traten quellenkritische Fragen: Waren wirklich alle frühen Papstbriefe echt? Wurde manches vielleicht erst später „zurechtgebogen“ oder zugespitzt? Während die katholische Seite sich stärker mit der Aufarbeitung des Materials beschäftigte, begannen protestantische Forscher seit dem 19. Jahrhundert, zusammenhängende und wertende Überblicke zu verfassen.

In Deutschland veröffentlichte der bekannte Historiker Leopold von Ranke 1834–1836 eine Geschichte der römischen Päpste des 15. bis 19. Jahrhunderts, die bereits 1874 ihre sechste Auflage erlebte. Vielen gilt dieses Werk als eine wichtige Überwindung der in der Papstgeschichte lange dominierenden konfessionellen Geschichtsschreibung, denn Ranke entwickelte eine durchaus neue Sichtweise: Er löste sich aus altprotestantischer Enge und zeigte sich gegenüber vielen Entwicklungen des Papsttums verständnisvoll, ohne jedoch eine grundsätzlich protestantische Perspektive aufzugeben.3 Vielleicht war für ihn die Beschäftigung mit den Päpsten eher ein ästhetisch zu genießendes Drama, wie es Philipp Funk wenig später im „Hochland“, einer katholischen Zeitschrift, formulierte.4 Dass Papstgeschichte weiterhin vor allem in Deutschland aus einer kritischen Grundhaltung heraus geschrieben wurde, lag vielleicht auch an der Dominanz protestantischer Historiker an deutschen Universitäten, die vielfach sogar die grundsätzliche Ansicht vertraten, dass katholische, „ultramontan“ (also auf Rom bezogen) geprägte Historiker zu großen geistigen Leistungen in der Geschichtsschreibung kaum fähig seien. Der Kulturkampf im Bismarck’schen Kaiserreich verstärkte dieses Vorurteil, rief aber auch katholische Reaktionen hervor. Konflikte innerhalb der katholischen Kirche bewirkten zudem einen weiteren Entwicklungsschub: Nach dem Beschluss zur Unfehlbarkeit des Papstes (wenn dieser ex cathedra in Glaubens- und Sittenfragen urteilt) auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) kam es zur Abspaltung der Altkatholiken, zu denen sich auch einige Gelehrte bekannten, die dem Papsttum vorwarfen, dieses neue Dogma leite sich aus geschichtlichen Fälschungen her. So bestimmten der Münchener Gelehrte Ignaz von Döllinger (1799–1890) und andere Verfechter alter katholischer Positionen mit zahlreichen Beiträgen die wissenschaftliche Diskussion in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.5 Papstgeschichte wurde damit zeitweise eine bevorzugte Domäne der Altkatholiken, blieb es aber auch weiterhin für Protestanten wie Jacob Burckhardt oder Ferdinand Gregorovius, der sich als Außenseiter mit einer monumentalen Geschichte Roms hervortat.6

Ludwig Pastor, der auf Initiative seiner katholischen Mutter mit erst zwölf Jahren katholisch wurde, empfand es als eine Schande, dass die Päpste von katholischer Seite keine entsprechende Darstellung gefunden hätten. Er wollte die Papstgeschichte Rankes in den Schatten stellen und setzte auf ein breiteres Material: Die 16 Bände für die Zeit seit dem Ausgang des Mittelalters, die 1886–1933 erschienen, bedeuteten eine immense Leistung, blieben aber gleichzeitig für fast jeden Leser erschlagend.7

Will man für das 20. Jahrhundert Autoren aus dem deutschen Sprachraum nennen und diese wiederum vor dem Hintergrund ihrer Konfession einordnen, so sind zunächst die Papstgeschichten von Franz Xaver Seppelt, Erich Caspar und Johannes Haller zu nennen.8 Der Katholik Seppelt schrieb bezeichnenderweise eine Geschichte der Päpste, während sich die Protestanten Haller und Caspar dem Papsttum, also eher der Institution, zuwandten. Jedoch wird bis heute die Faszination der Papstgeschichte zuweilen auch konfessionell angesprochen.9

Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bestimmte die konfessionelle Orientierung die Perspektiven der Forschung weniger, zumal inzwischen auch Beiträge von Personen vorliegen, die sich keiner der Konfessionen verpflichtet fühlen. Die Zeit grundsätzlicher Diskussionen und besonders konfessioneller Polemik scheint weitgehend vorüber zu sein. Weiterhin wird jedoch auch die neuere Papstgeschichtsschreibung von unterschiedlichen Interessen und Zugriffen geprägt: Während etwa die Forschungen Horst Fuhrmanns von den sogenannten pseudo-isidorischen Fälschungen und damit von Texten ausgingen, die den Vorrang der päpstlichen Institution mitbegründeten,10 und auch Harald Zimmermann sich mit seinen „Papstabsetzungen“ stärker Fragen der Legitimation und Rechtsgeschichte zugewandt hat,11 hob Bernhard Schimmelpfennig die Bedeutung des Papstes als obersten Liturgen Roms hervor und behandelte die Liturgiegeschichte gleichwertig neben der politischen sowie der Dogmen-, Rechts- und Verfassungsgeschichte.12 Über die Beschäftigung mit den Zeremonienbüchern der römischen Kirche13 schlug er eine Brücke zu Fragen der symbolischen Kommunikation, des Zeremoniells und der Sichtbarmachung von Herrschaft, die inzwischen neuere Studien zur Papstgeschichte prägen. Der jüngste Entwurf einer Papstgeschichte im Mittelalter von Thomas Frenz wiederum stellt weniger die Entwicklung als vielmehr die Funktionsweisen und Institutionen vor.14

Geschichte des Papsttums im Mittelalter

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