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Veränderte Rahmenbedingungen in Italien

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In Italien war fast gleichzeitig mit Leo I. Kaiser Majorian (457–461) gestorben, der noch einmal versucht hatte, das weströmische Reich in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Unter seinen Nachfolgern gingen dem Reich viele Provinzen nacheinander verloren. Als sich der Skythe Odoaker († 493) nach der Absetzung des jugendlichen und letzten weströmischen Kaisers Romulus 476 zum König erheben ließ, änderte sich wenig daran, dass er zwar de facto in Italien herrschte, aber nicht an der Spitze eines weströmischen Reiches stand; als nach 493 der Westgote Theoderich († 526) an seine Stelle trat, blieb diese Grundtendenz bestehen. Allerdings reichten die Ambitionen weiter, denn weil Theoderich als Beauftragter des oströmischen Kaisers nach Italien gekommen war, fühlte er sich in der Tradition des römischen Imperiums. Bedeutende Mitglieder seines Hofes waren Römer. Dennoch ging er als gotischer Herrscher mit diesen Traditionen nicht völlig unbefangen um, auch weil die Differenz zwischen dem arianischen Bekenntnis der Ostgoten mit dem katholischen der Römer Konfliktstoff barg, wie sich an einer päpstlichen Gesandtschaft gut ablesen lässt: Als Papst Johannes I. (523–526) von Theoderich mit dem für ihn wenig ehrenvollen Auftrag in den Osten geschickt wurde, für die Duldung der im Ostreich verfolgten Goten einzutreten, blieb seine Mission ohne Erfolg, vielleicht aber bewusst, um sich gegen Theoderich zu stellen.1 Er landete wohl 526 in einem gotischen Kerker, galt später in Rom als Märtyrer, für Theoderich allerdings als ketzerischer Tyrann.2

Nach dem Tod Theoderichs (526), der seine letzte Ruhestätte in Ravenna fand, blieb ein Ausgleich zwischen Gotentum, Römertum und Byzanz schwierig. Für Theoderichs minderjährigen Enkel herrschte dessen Mutter Amalaswintha. Schon bald war diese aber als byzanzfreundlich verschrien, wurde 535 gefangen genommen und ermordet. Nicht zuletzt dieser Mord bot einen Anlass für die Gotenkriege des oströmischen Kaisers Justinian, die von 535 bis 553/555 dauerten und das antike Rom in mehrfacher Hinsicht grundlegend verändern sollten. Den von den Goten 536 erhobenen König Witigis (536–540) nahm der oströmisch-byzantinische Feldherr Belisar, der den gesamten Kronschatz nach Byzanz schaffen ließ, gefangen. Obwohl ein weiterer ostgotischer König, Totila (542–552), noch einige Erfolge verzeichnen konnte, fiel fast die gesamte Apenninenhalbinsel an die byzantinische Militärmacht.

Damit war ganz Italien ein letztes Mal für kurze Zeit mit dem oströmischen Reich vereint. Für Rom und die Päpste bedeuteten die erbittert geführten Kriegshandlungen einen eminent wichtigen Einschnitt, der sich in mehrfacher Hinsicht bemerkbar machte. Vor allem verließen viele Römer die Stadt, so dass die Größe und Bedeutung der alten Reichshauptstadt weiter schrumpften. Neben einem allgemeinen demographischen Einbruch führte dies zu einer Entvölkerung von vielen noch in der Antike besiedelten Stadtvierteln, die nun neuen Nutzungen zugeführt wurden. Weil aber vor allem die Oberschicht und die Gebildeten der Stadt den Rücken kehrten, standen in der Folge philosophische Überlegungen und intellektuelle Auseinandersetzungen – auch um Glaubensfragen – nur noch vereinzelt im Vordergrund. Dagegen nahm der Anteil an solchen Christen zu, die zum Beispiel asketische Übungen oder Wundererlebnisse und spirituelle exercitia in den Mittelpunkt ihres Glaubenslebens stellten.

Kaum waren die Gotenkriege überstanden, suchten neue Kämpfe die Apenninhalbinsel heim: Trotz mancher Andeutungen in den Quellen ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass der byzantinische Feldherr Narses die Langobarden nach Italien gerufen hat. Diese eroberten seit 568 nach ersten Erfolgen in Friaul in zähem Ringen die spätere Hauptstadt Pavia (572). Da sie aber nicht die gesamte Appenninenhalbinsel langobardischer Herrschaft unterwarfen, blieben byzantinische und andere politische Einflusszonen bestehen oder entstanden gar neu. Die Langobarden siedelten vor allem in der Po-Ebene, in der Nordtoskana, aber auch in Umbrien, Spoleto und Benevent. Es bestanden neben dem Königreich mit der Hauptstadt in Pavia um 650 unter der jeweiligen Führung eines dux (ursprünglich Heerführer, Herzog) verschiedene fast selbständige Herrschaftsgebiete (Dukate): Trient, Friaul, Spoleto, Tuszien und Benevent. Die Langobarden ließen zwar der romanischen Bevölkerung ihren katholischen Glauben, bekannten sich aber selbst – wie früher die Ostgoten – zum Arianismus und näherten sich nur langsam – verstärkt seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts – dem Katholizismus an.

Gegenüber dem langobardischen Reich und den genannten Dukaten behielten die Byzantiner ihren Einfluss vor allem im „Exarchat von Ravenna“ und in der südlich davon gelegenen Pentapolis, in Istrien, im Dukat von Rom, im Dukat von Neapel, in Süditalien und Sizilien. Dabei vertrat der Exarch (Statthalter) den byzantinischen Kaiser. Innerhalb dieser byzantinischen Einflusszone gewann der hier besonders interessierende Dukat von Rom an Eigenständigkeit. Er unterstand zwar byzantinischer Oberhoheit, aber de facto herrschte der Papst zusammen mit den römischen Großen relativ unabhängig. Rom wurde somit mehr und mehr zu einer „Grenzstadt“ des byzantinischen Reiches, und der Papst musste oft notgedrungen eigenständig handeln, so dass der Weg zu einem Herauswachsen Roms aus dem byzantinischen Einflussbereich seit der langobardischen „Landnahme“ fast angelegt erscheint. Aus dieser Perspektive war die Orientierung hin zu den Franken in der Mitte des 8. Jahrhunderts der Endpunkt einer schon lange vorher einsetzenden Entfremdung von Byzanz.

Die neuen politischen Strukturen in Italien zeitigten für die Herrschaft der Päpste konkrete Folgen. Trotz der genannten Einschnitte galt weiterhin das römische Recht, das Justinian neu gesammelt und zur Geltung gebracht hatte. Dieses Recht wurde später in einer Sammlung als Corpus iuris civilis bekannt. Dort stand zum Beispiel in einer Novelle, dass der Bischof des alten Rom unter den Priestern der erste sei, im neuen Rom, also in Byzanz, folge der Bischof im Rang direkt dem Kaiser.3 Damit war der Einfluss Roms aus der Sicht des Kaisers auf den Westen beschränkt. Der Papst war aber Bischof von Rom, und im gleichen Gesetzwerk wurden Grundlagen für die weltliche Herrschaft der Bischöfe beschrieben. Demnach sollten Bischöfe gegebenenfalls weltliche Aufgaben wahrnehmen; außerdem bestimmte die pragmatische Sanktion von 554, dass Italiens Bischöfe bei der Einsetzung von lokalen Staatsbeamten mitwirken sollten.4 Im Recht gab es also Bestimmungen, die staatlichen Aufgaben zunehmend in die Verfügungsgewalt der Bischöfe legten oder deren Mitwirken regelten. Weltliche Aufgaben auch des römischen Bischofs waren damit begründet, obwohl Justinian von der praktischen Ausgestaltung wohl andere Vorstellungen als die Päpste hatte. Die dennoch fortbestehende grundsätzliche byzantinische Oberhoheit wird dadurch deutlich, dass die neu erhobenen römischen Bischöfe weiterhin ihre Wahl in Byzanz melden und von dort bestätigen lassen mussten.

Der Musterbrief, der dazu im Formelbuch des Liber diurnus (vgl. unten S. 51) überliefert ist, erwähnt nach einer ausführlichen Adresse, dass nach dreitägigem Fasten Klerus, Vornehme und Volk die Wahl eines Kirchenvorstehers vorgenommen hätten, und schließt nach den Unterschriften mit der Bitte um Bestätigung.5 Zum frühen Mittelalter bietet der Liber diurnus weitere wichtige Informationen über die Wahl des Papstes: Papstwahlen waren grundsätzlich Bischofswahlen, an denen sich Klerus und Volk beteiligten, womit vor allem die Presbyter und Diakone sowie die Vornehmsten der Stadt angesprochen waren. Ein kaiserlicher Erlass von 555 hatte schon entsprechende Bestimmungen getroffen.6 Verlangt wurde bei Vakanz eine Benachrichtigung des Exarchen von Ravenna. Dann sollte die Wahl selbst drei Tage nach der Beerdigung des vorigen Papstes erfolgen. Verlangt wurde außerdem eine Niederschrift des Wahlvorgangs, die dann mit den Unterschriften zur Bestätigung durch den Kaiser nach Konstantinopel gesandt wurde.

Ständiger Vertreter der Päpste in Byzanz war der sogenannte Apokrisiar (Überbringer der Antwort, dann: Beauftragter). Die Ausübung dieses Amtes konnte die Karriere begünstigen, wie das Beispiel Papst Gregors des Großen verdeutlicht. In Rom wurden die jeweiligen Kaiserbilder aufgestellt, und das Gebet für den Kaiser wurde gesprochen. Will man die historische Entwicklung des Verhältnisses zwischen Rom und Byzanz in dieser Zeit generell charakterisieren, so muss auf die Zu- und Abnahme solcher Symbole geachtet werden. Insgesamt scheint der Einfluss von Byzanz auf die verbliebenen Besitzungen in Italien nach den Kriegen Justinians kontinuierlich zurückgegangen zu sein. Dies lag auch an wachsenden Bedrohungen für das oströmischbyzantinische Reich. Schon im 6. und 7. Jahrhundert hatte sich der Druck durch die Perser verstärkt; entscheidender wurde die muslimische Expansion. Die Muslime eroberten ab 633 Syrien und Palästina, danach große Teile der byzantinischen Gebiete Nordafrikas; 717 standen sie vor den Toren Konstantinopels. Byzanz waren im 7. Jahrhundert zudem Gebiete auf der Iberischen Halbinsel verloren gegangen; außerdem befand sich der oströmische Kaiser um 700 auch auf dem Balkan und in Griechenland unter Druck, denn dort waren Awaren und Slawen, später Bulgaren nach verschiedenen Wanderungsbewegungen eingedrungen. In dieser Situation der Bedrohung geriet die oströmische „Peripherie“, der Westen, zeitweise aus dem Blick, so dass auch deshalb die skizzierten eigenständigen Entwicklungen in Italien kontinuierlich zunehmen konnten. Durch Landvergaben entstand ein neuer Adel, und im 8. Jahrhundert wurden schließlich die erstarkenden Langobarden für die noch in Italien bestehenden byzantinischen Besitzungen zur Bedrohung. In diesem Rahmen bewegte sich die Geschichte der römischen Päpste.

Geschichte des Papsttums im Mittelalter

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