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Von byzantinischer Herrschaft zum Bund mit den Karolingern (731–799) Grundstrukturen und Voraussetzungen

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Die Hinwendung der Päpste zu den Karolingern entstand in einem Kräftefeld, zu dem neben dem Papsttum vor allem Byzantiner, Langobarden und Franken gehörten. Die Angelsachsenmission unter Gregor I., der Sieg des Katholizismus im Merowingerreich sowie die irische und angelsächsische Missionierung auf dem Kontinent und weitere Faktoren erleichterten die Annäherung der Päpste an die neuen Völker des Westens, die Vorgeschichte der päpstlichen Kontakte mit den Merowingerherrschern verdient jedoch sicher noch größere Aufmerksamkeit.1 Rom und die Päpste lösten sich wie bereits unterstrichen zwischen 731 und 774, vielleicht schon etwas früher, also von Gregor II. (715–731) bis zum Ende der Langobardenherrschaft in Italien, sukzessive von Byzanz, ohne dass dieser Prozess 774 schon völlig abgeschlossen gewesen wäre. Während dieser Zeit gewann die Stadt Rom nicht zuletzt aufgrund verschiedener Bauvorhaben ein immer stärker werdendes päpstliches Gepräge. Ebenso trug der Adel, der sich etwa seit der Mitte des 8. Jahrhunderts zuweilen feierlich als senatus bezeichnete, zum Machtzuwachs der Päpste in Rom bei und versuchte verstärkt, die eigenen Söhne in kirchliche Karrieren zu befördern. Für einzelne Adelsverbände können sogar bestimmte Siedlungskerne innerhalb des Stadtgebietes ausgemacht werden.

Die in Byzanz seit dem beginnenden 8. Jahrhundert verschärften, schon geschilderten Auseinandersetzungen um die Bilderverehrung beschleunigten vielleicht den Ablösungsprozess Roms. Da die Päpste einem strikten Bilderverbot nicht folgten, dürften einige in Ostrom verfolgte Mönche, die weiterhin der Bilderverehrung anhingen, als Flüchtlinge nach Rom gekommen sein. In der als „Zeit der griechischen Päpste“ bezeichneten Epoche des ausgehenden 7. und beginnenden 8. Jahrhunderts bestiegen sogar einige „Griechen“, die vor allem aus Syrien oder Palästina nach Rom geflüchtet waren, den römischen Bischofsstuhl. Die Migrationen zeitigten vielfache kulturelle Folgen, aber der persönliche Hintergrund mancher dieser Päpste förderte oft zugleich eigenständige päpstliche Positionen. Die Haltung Roms im Bilderstreit blieb für den Einflussbereich des römischen Bischofs nicht folgenlos, denn der byzantinische Kaiser entzog dem Papst die Jurisdiktion über den Vikariat von Saloniki sowie über Sizilien und Süditalien. Als er seit der Mitte des 8. Jahrhunderts sogar päpstliche Patrimonien in Süditalien und Sizilien beschlagnahmte, beraubte er die Päpste damit wichtiger bisheriger Einflusszonen. Dies betraf die spirituelle Oberhoheit sowie die materiellen Grundlagen. Papst Hadrian I. äußerte sich 791 folgendermaßen über die Verluste in Süditalien:

Schon als wir sie [scil. die Kaiser] vor langem zur Wiedererrichtung der heiligen Bilder aufgefordert haben, haben wir auch bezüglich der Diözese der Erzbischöfe und Bischöfe der heiligen, katholischen und apostolischen römischen Kirche protestiert, die sie damals zusammen mit unseren Patrimonien entwendet haben, als sie die heiligen Bilder abgenommen haben; deswegen haben wir sie diesbezüglich ermahnt, diese Patrimonien der heiligen, katholischen und apostolischen römischen Kirche zurückzuerstatten; aber sie haben überhaupt keine Antwort erteilt […].2

Die Reduzierung des päpstlichen Wirkungsbereichs auf Mittel- und Norditalien förderte die neue Orientierung zu den neuen politischen Kräften des Westens. Die Auseinandersetzungen führten jedoch ebenso dazu, dass der Exarch von Ravenna seine Hoheit nur noch in Teilen Norditaliens durchsetzen konnte. Da es in Rom seit der Mitte des 8. Jahrhunderts keinen vom Exarchen eingesetzten dux mehr gab, wurde der erst seit dieser Zeit belegte, als superista bezeichnete Vorsteher des Laterans für die römische Verwaltung immer wichtiger. Römischer Adel und Papst übernahmen damit zunehmend Verantwortung für Heer und Verwaltung, aber auch für die Getreidelieferungen, weil sie nun Rom sowie den römischen Dukat faktisch regierten.

In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurden außer dem Verhältnis zu Byzanz drei weitere, eng miteinander verknüpfte Aspekte für die Geschichte des Papsttums bestimmend: 1. das zunehmende Gewicht römischer und mittelitalischer Adelsgruppen, 2. die langobardische Bedrohung und 3. die Verbindungen zu den Karolingern, nachdem diese mit päpstlicher Billigung die Merowinger im Frankenreich abgelöst hatten.

1. Das neu entstehende Kräftefeld machte die „richtige“ Besetzung des Papststuhles für Adelsgruppen noch wichtiger als bisher. Formal wirkten vor allem zwei Gruppen an der kirchlichen und weltlichen Herrschaft der Päpste mit: die iudices de militia und die iudices de clero. Zur ersten Gruppe gehörten die bedeutendsten Vertreter aus Verwaltung und Heer, zur zweiten der primicerius und der secundicerius der Notare, der primicerius der Defensoren, Arkar, Sakellar, Nomenkulator, Vestarar, Vicedominus und der Vorsteher (superista) der Kubikulare. Diese Zweiteilung bleibt aber theoretisch, denn meist versuchten einflussreiche Familien, ihre Vertreter in beide „Gremien“ zu bringen. Von der Besetzung dieser Ämter hing maßgeblich ab, welche „Politik“ der jeweilige Bischof von Rom überhaupt betreiben konnte. Der Papst wurde somit zwar zur wichtigsten Person Roms, aber Adelige und Volk behielten ihr Gewicht, vor allem bei seiner Wahl. Das Ringen des römischen Adels um Einfluss blieb während des gesamten Mittelalters bestimmend; seit dem Pontifikat Pauls I. sollten sich Machtkämpfe römischer Adeliger zunehmend auswirken.

Das Gewicht des lokalen Adels ist weiterhin an der Verwaltung der römischen Ländereien seit der Mitte des 8. Jahrhunderts ablesbar. Vielleicht lag einer der Gründe für die Einrichtung der sogenannten – eher in Art einer kirchlichen Grundherrschaft betriebenen – domuscultae durch Papst Zacharias (741–751) darin, den lokalen Adel stärker in seine Schranken zu verweisen. Außerdem war eine Neuorganisation deshalb dringend nötig geworden, weil der wirtschaftliche Rückhalt in Süditalien und Sizilien weggebrochen war, in Rom aber die Versorgung mit Getreide de facto von den Päpsten erwartet wurde. Die Erträge dieser Wirtschaftsbetriebe gingen nach Rom; die Vita Hadrians I. im Liber pontificalis berichtet, dass Lebensmittel in der Portikus des Lateran verteilt wurden.3 Die in den domuscultae arbeitenden Kolonen, Halbfreie, wurden unterschiedlich bezeichnet: als conditionales, tributales, adscripti, censibus adscripti und mansuarii, die Dienste erscheinen als opera, xenia oder angaria.

2. Neben dem Einfluss verschiedener Adelsgruppen verstärkte sich der langobardische Druck. So hatte insbesondere König Liutprand (712–744) damit begonnen, sein Herrschaftsgebiet auszudehnen. Dies richtete sich zunächst gegen byzantinisch dominierte Regionen im Norden, betraf Rom aber zumindest indirekt. Die Dukate Spoleto und Benevent verbündeten sich mehrfach mit dem Papst gegen die Langobarden. Auch wenn sich die Wogen unter König Ratchis (744–749) wieder glätteten, so bedrohte sein Nachfolger Aistulf (749–756) sogar Rom und wollte im römischen Dukat seine Anerkennung erzwingen. Dies führte Stephan II. zum Hilferuf an die Karolinger. Der weitere langobardische Druck unter König Desiderius (756–774) bewirkte 771 einen Umsturz in Rom; Papst Stephan III. (768–772) wurde genötigt, sich den Langobarden zu fügen. Desiderius bedrängte schon ein Jahr später den neu erhobenen Papst Hadrian I., er solle die Söhne König Karlmanns (768–771) zu Königen salben (und damit indirekt gegen Karl den Großen [768–814] Partei ergreifen). Als 773 Gesandte Hadrians I. bei Karl um militärische Hilfe gegen Desiderius baten, rüstete Karl zum Langobardenkrieg, der noch im selben Jahr begann und 774 mit der Eroberung Pavias, der Absetzung des Desiderius und der Annahme der langobardischen Königswürde durch den Frankenherrscher endete.

Deutlich wurde die komplizierte Gemengelage der Interessen in Rom zum Beispiel 767, als nach dem Tod Pauls I. drei Gruppen um den Pontifikat konkurrierten: die alten Verwaltungsspitzen, eine Parteiung um die bedrängten Grundbesitzer des Umlandes und eine langobardische Gruppierung.4 Mit Stephan III. kam schließlich die erste Fraktion nach harten und grausamen Auseinandersetzungen zum Zuge. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse versuchte Stephan III. mit seinen 769 auf einer Synode erlassenen Bestimmungen zur Papstwahl den Einfluss des höheren Klerus zu steigern und den des Volkes und Adels zu mindern,5 allerdings mit eingeschränktem Erfolg, denn in kaum einer der folgenden Wahlen wurde diese Ordnung erkennbar angewandt. Vielleicht hüllte sich auch deshalb die Vita Hadrians nach dessen Wahl von 772 in Schweigen; sie berichtet jedenfalls keine Details über die Erhebung. Problematisch blieben die Wahlakte aber vor allem deshalb, weil viele der weltlichen Amtsträger inzwischen zumindest zum niederen Klerus gehörten. Ein Papst stammte deshalb in der Regel auch künftig aus einer angesehenen römischen Familie und musste gegebenenfalls die Anhänger seines Vorgängers gewinnen oder zumindest neutralisieren. Im Dekret Stephans III. zur Papstwahl wurden aus der Gruppe der Diakone und Presbyter Kardinäle (unus de cardinalibus presbiteris aut diaconibus) hervorgehoben. Erstmals berichtet auch der Liber pontificalis zu dieser Zeit über sieben Kardinalbischöfe. Sie sollten wöchentlich an der Lateranbasilika den Dienst versehen und sonntags in St. Peter zelebrieren.6

3. Nachdem sich unter dem Langobardenkönig Aistulf der Druck auf die Gebiete des hl. Petrus verschärft hatte, schloss Stephan II., der als erster Papst ins Frankenreich reiste, 754 ein Bündnis mit König Pippin dem Jüngeren. Die Annäherung der Päpste an die Karolinger wird gegenüber anderen Tendenzen der Papstgeschichte wahrscheinlich aber deshalb oft in den Vordergrund gerückt, weil hierzu die Quellen stärker sprudeln. Den Prozess der Orientierung zu den Karolingern dokumentiert unter anderem eine Sammlung von Briefen, die Karl der Große 791 zusammenstellen ließ (Codex Carolinus). Es sind fast ausschließlich päpstliche (99) Schreiben an die Karolinger aus den Jahren 739–791. Vielleicht gab es noch einen zweiten Teil mit Briefen von byzantinischen Kaisern, wie man aus der Vorrede ableiten könnte: „Unter der ewigen Regierung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus im 791. Jahr seit der Fleischwerdung unseres Herrn hat Karl, der herausragende und von Gott gewählte König der Franken und der Langobarden und Patrizius der Römer, im 23. Jahr seiner Herrschaft von göttlichem Rat beeinflusst […] alle Schreiben, die zur Zeit seines Großvaters Karl seligen Angedenkens und des ruhmreichen Vaters Pippin und zu seinen eigenen Zeiten vom höchsten apostolischen Stuhl des Apostelfürsten Petrus oder vom Kaiser an diese gerichtet worden waren, wiederherstellen und neu abschreiben lassen.“7 Jedenfalls bietet das Briefcorpus auch Aufschluss über den Stand der Latinität, die Formen des diplomatischen Verkehrs, vor allem aber zeigt die Sammlung den Willen Karls, die neue Orientierung seines Reichs auch schriftlich zu dokumentieren.

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