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6 Ming Li machte es mir wirklich leicht

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Aus diesem Schlamassel heraus halfen mir mein „Verantwortungsbewusstsein“ und (wie schon so oft!) der Zufall. An meinem sechsten Freitag in St. Louis steckte Koinzidenzia ihr beziehungsweise Ming Lis Köpfchen in mein Großraumbüro. Sie, Ming Li, müsse mich sprechen. Ich folgte ihr (widerwillig), betrat ihr Office (widerstrebend), schloss die Türe (widerständig) und Ming Li kam zur Sache, noch bevor ich mich (widerborstig) gesetzt hatte:

„Jakob, ich hab noch mal über unsere Projekte nachgedacht.“

Ich setzte mich (ganz). Ming Li erläuterte, es verschwende eigentlich meine Qualitäten, mich an den Dingen arbeiten zu lassen, die sie mir bisher aufgetragen habe. Dafür könne sie einen x–beliebigen Postdoc einstellen. Ich lächelte. Künftig, fuhr sie ernst fort, solle ich mich in Zukunft mit einem Projekt beschäftigen, das meine Expertisen voll, aber auch gänzlich zum Tragen bringe. Ich betrachtete meine Schuhe und überlegte einen Augenblick, ob Redundanzneigungen und Ähnliches auch interkontinental übertragbar seien. Unterdessen erläuterte mir Ming Li das Projekt, das sie sich für mich vorgestellt habe. Mir war es egal. Sie begeisterte sich. Ich empfand die Situation als nahezu unerträglich. Während Ming Lis Ausführungen hörte ich gar nicht richtig zu. Vielmehr suchte ich krampfhaft nach einer galanten Überleitung zu dem Punkt, an dem mir gelegen war: meinem endgültigen Ausstieg aus der Forschung. Der Entschluss war in diesem Moment (fast) gefallen: Das hier war nicht mehr meine Welt! Und Ming Li ins Leere rotieren zu lassen, wäre unfair.

Irgendwann machte Ming Li einen weiteren Vorschlag:

„Und dann hab ich mir überlegt, dass unsere Chancen für Funding langfristig besser wären, wenn du in der Sache gewissermaßen ein eigenes Profil entwickeln würdest. Das wäre auch für dich nicht schlecht. Wenn ich dann an einer anderen Uni eine Stelle bekomme, wäre es für mich leichter, eine Art unabhängige Research Associate Position für dich zu verhandeln. Du hättest dann etwas mehr Freiraum für deine Projekte – natürlich unter der Bedingung, dass wir unsere Sachen gemeinsam weitermachen und sich deine Projekte künftig auch in Zukunft weiter mit meinen verzahnen.“

Ming Li plante damals, sich an eine andere Universität zu bewerben. Ich überlegte, ab jetzt und auch ein bisschen in die Zukunft, und antwortete:

„Aha.“

Sie, Ming Li, antwortete, sich ihre Brille über die nervös zuckende Nase nach oben schiebend:

„Ich hab schon was aufgesetzt. Schick’s dir eben zu.“ Ming Li drehte sich zu ihrem Computer, sendete eine vorbereitete E–Mail ab und erklärte blinzelnd, sie habe mir soeben ein Layout für einen das neue Projekt betreffenden Drittmittelantrag zugeschickt. Anfangs wolle sie das Projekt finanzieren. Später plane sie, es hauptsächlich aus den Drittmitteln zu unterhalten, die ich nun – nach Vorgabe des Antragslayouts, das sie mir gerade zugesendet habe – beantragen solle. Ming Li fuhr, gehetzt wirkend, fort: „Du machst dann den Antrag als Principal Investigator mit mir als Co–Principal Investigator fertig. Das geht. Und wir haben auch schon preliminary Data und die Sache müsste wohl eigentlich steigen. Ich kenne ein paar Leute in der Gutachterkommission und die haben mir ein verdammt gutes Feedback gegeben.“

„Ach ja?“, neigte ich meinen Kopf.

„Ja“, nickte sie, und erläuterte nasenzuckend und sich gelegentlich die Brille nach oben schiebend: „Am besten fängst du gleich mit dem Antrag an. Das Ding muss Mitte Juli rausgehen. Wir müssen uns also beeilen. Allerdings müsstest du noch ein paar Experimente machen, um die preliminary Data ein bisschen zu verbessern. Ist nicht viel, kannst du zwischendurch und an den Wochenenden machen.“ Und sie ergänzte, abfällig lächelnd: „Hast ja lange genug Urlaub gehabt in den letzten Jahren und müsstest jetzt ja eigentlich gut erholt sein. Gelle? – Ich schick dir eben eine kleine Liste mit den Experimenten zu, die wir benötigten.“ Ich sinnierte kurz über die terminologische Passung von „Urlaub“ für den „Urlaub“, den ich in den letzten Jahren gemacht haben sollte. Währenddessen drehte sich Ming Li auf den Computer zu, suchte eine Datei auf dem Desktop, transferierte diese in eine an mich adressierte E–Mail, und drückte auf den „Send“–Knopf. So einfach ging das. Wir sahen uns an. „Tja, das war’s dann eigentlich“, schloss Ming Li, und ihre Augen wurden unruhig.

Ich blieb sitzen, schaute auf ihren Computer und konzentrierte mich auf die Essenz des Geschehens: Wenn ich diesen Antrag fertig machte, verpflichtete ich mich auf Jahre hinaus! Falls der Antrag angenommen würde. Davon aber war auszugehen. Ich betrachtete Ming Li. Sie fummelte nervös an einigen Papieren herum und schob hie und da ihre Brille über den nervös zuckenden Nasenrücken nach oben. Offensichtlich hatte sie noch anderes zu tun, als einen meditativen Vormittag mit mir zu verbringen. Ich hatte Derartiges auch nicht vor. Die Zeit war reif, reinen Tisch mit Ming Li zu machen. Ich besann mich auf die Befeuchtung meines mentalen Putzläppchens und begann also, „den Tisch zu wischen“:

„Ming Li, hast du einen Augenblick Zeit? Ich müsste etwas Wichtiges mit dir besprechen.“

Ming Li schaute mich fragend und – wie ich fand – sorgenvoll bis genervt an, und antwortete:

„Ja. Für etwas Wichtiges hab ich immer Zeit.“

Ich „wischte“ weiter:

„Dir ist womöglich aufgefallen, dass ich nicht mehr so begeistert bei der Sache bin wie früher.“

„Ja“, blinzelte sie ad hoc, „Ich habe das bemerkt und mich gewundert. Wollte aber noch nichts sagen und dir noch eine Woche Zeit lassen.“

Sie schob ihre Brille, die ihr unterdessen ein wenig über den nervös zuckenden Nasenrücken nach unten gerutscht war, auf eben diesem nach oben.

„Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll“, wusste ich nicht genau, wo ich anfangen sollte. (Ich erinnere daran, dass es sich bei dieser Art Formulierung nicht um Redundanz handelt, sondern um einen Ausdruck der Aufrichtigkeit meines Vortrags. Unterdessen war ich fortgefahren:) „Die Angelegenheit ist kompliziert, aber ich kann sie auf einen Nenner bringen: Mir bedeutet die Forschung bei weitem nicht mehr so viel wie früher.“

„Wirklich?“, grinste Ming Li spöttisch, und erläuterte blinzelnd: „Vielleicht musst du dich erst eingewöhnen oder solltest einfach mehr arbeiten. Dann kommst du gar nicht erst auf solche Gedanken. Außerdem ist das eigentlich gar nicht so schlimm. Meinst du, ich hätte immer Lust auf diesen ganzen Krempel? Ich komm doch kaum noch zu Experimenten und schlag mich die meiste Zeit mit Sachen herum, die mich überhaupt nicht interessieren: Tierschutzanträge, allen möglichen anderen Papierkram, Committee Meetings, irgendwelche lästigen Gutachterkommentare und was weiß ich noch alles. Aber so ist das halt mal in diesem Job. Der Laden muss laufen!“

„Klar“, nickte ich bedächtig, und erinnerte sie behutsam, für den Fall, dass sie es vergessen habe: „Ich kenne diesen Beruf. Mit all seinen lästigen Begleiterscheinungen.“

„Wo liegt dann das Problem?“, sah sie mich mit großen Augen an; ihre Nase zuckte; ihre Brille rutschte; ich erklärte das Problem:

„Mir fehlt die Freude am eigentlichen Forschen, die mich früher all diese Begleiterscheinungen problemlos hatte ertragen und locker erledigen lassen. – Es macht mir keinen Spaß mehr!“

„Dann mach’s halt ohne Spaß!“, steigerte sich ihr Blinzeln nahezu zu einer periokulären Konvulsion (ich musste kurz an Günter denken), und sie schob ihre Brille nach oben. Sich wieder ein wenig beruhigend, aber nach wie vor angespannt, ergänzte sie: „Die Arbeit ist da und muss erledigt werden. Außerdem ist es mir eigentlich vollkommen egal, ob du deine Arbeit mit Spaß oder ohne Spaß machst. Hauptsache, der Output stimmt. Dafür bezahle ich dich immerhin.“

Ming Li machte es mir wirklich leicht. Ich lächelte diskret und erläuterte:

„Hier sprichst du einen wesentlichen Aspekt an: den Output. Für mich gibt es keinen Grund, eine Arbeit zu machen, die mich nicht interessiert, wenn ich mit einer mich ähnlich wenig interessierenden Arbeit deutlich mehr Geld verdienen könnte.“

„Was möchtest du damit sagen?“, hob sie überrascht das Kinn.

Ich lehnte mich entspannt zurück und erklärte ruhig:

„Wie du weißt, bin ich auch Arzt. Als solcher kann ich jederzeit und fast wo ich will arbeiten und deutlich mehr Geld machen als in der Forschung. Meine einzige Motivation, in der Forschung zu arbeiten, war mein Enthusiasmus für diese. Und exakt der ist mir abhandengekommen.“

„Verstehe“, schob sie ihre Brille nach oben und blinzelte. „Aber du hast doch gar keine Erfahrung als Arzt. Hast du überhaupt eine Lizenz?“

„Wofür hältst du mich?“, musste ich lachen, „Natürlich habe ich eine Lizenz! Überdies brauchst du dir um meine klinischen Erfahrungen nicht den Kopf zu zerbrechen.“

„Worauf willst du hinaus?“, flirrten ihre Augen so nervös, dass ich mich fast um sie, Ming Li, gesorgt hätte.

„Das ist ganz einfach“, sagte ich, und faltete meine Hände auf meinem Schoß ineinander, „Ich will mich mit dir über eine einvernehmliche Lösung für die Beendigung meines Aufenthaltes in St. Louis unterhalten.“

Ming Li zögerte einen Augenblick mit ausdrucksloser Miene. Dann fragte sie gepresst und mit unkoordiniert fibrillierender Gesichtsmuskulatur:

„Meinst du das jetzt im Ernst?“

„Über Derartiges scherzt man nicht“, zuckte ich die Schultern.

„Ich fasse es nicht!“, schnaubte sie, „Du bist gerade mal einen Monat hier und willst schon wieder gehen? Das ist absolut lächerlich. Das kann ich nicht ernst nehmen!“

„Wie du meinen Entschluss siehst, ist deine Sache“, entgegnete ich ärgerlich, doch ruhig, und erläuterte weiter: „Mir ist dieser Entschluss ernst und ich sehe ihn nicht im Geringsten als lächerlich an.“

„Doch, das ist absolut lächerlich!“, winkte sie ab.

„Meinetwegen hältst du ihn für lächerlich“, lachte ich durch die Nase aus, „Ist mir egal. Ich habe mich sicherlich schnell entschlossen, ...“

„Das kann man sagen!“, unterbrach sie mich energisch, und schob sich die Brille nach oben; ich lächelte und fuhr fort:

„... aber besser schnell als zu langsam.“ (Ich hatte bewusst „besser schnell“ gesagt und auf das „zu“ zwischen „besser“ und „schnell“ verzichtet, um prophylaktisch meiner Einschätzung Ausdruck zu verleihen, dass ich sehr wohl die Schnelligkeit meines Entschlusses anerkannte, ich diesen aber nicht als „zu“ schnell ansähe. Ming Lis nervöses Augenzucken betrachtend war ich mir allerdings nicht sicher, ob sie diese Nuance meines Ausdrucks realisiert hatte, fuhr dennoch in meiner Darlegung fort:) „Ich bin hierhergekommen, um wieder in die Forschung einzusteigen. Gut. Aber ich musste – erneut mit der Materie befasst – feststellen, dass sich einiges geändert hat und mir forschen keinen Spaß mehr macht. Für mich ist diese Erkenntnis nicht lächerlich, sondern einschneidend, ebenso wie der Schluss, dass ich ihretwegen handeln muss. Wenn du sie und ihn trotzdem als ‚lächerlich‘ bezeichnest, verfehlst du den Punkt und drückst bestenfalls Frustration darüber aus, dass sich unsere Zielsetzungen nicht mehr miteinander decken. Und um auf den Zeitaspekt zurückzukommen: Stell dir vor, dieser Entschluss wäre erst in einem Jahr gefallen, nachdem alle möglichen gemeinsamen Projekte am Laufen wären und ich mich tatsächlich auf Verpflichtungen eingelassen hätte: So etwas könnte man dann als ‚unangenehm‘ bezeichnen, aber noch immer nicht als ‚lächerlich‘.“

Wir sahen uns an. Die Luft zwischen unseren Augenpaaren schien zu oszillieren. Nach einem Moment sagte Ming Li gedrängt und sich die Brille nach oben schiebend:

„Wir haben jetzt schon gemeinsame Projekte laufen.“

„In deiner Vorstellung vielleicht“, schmunzelte ich, und erläuterte behutsam: „Du hast mich soeben von dem Projekt, das ich bisher bearbeitet habe, abgezogen und mir ein neues angetragen. In der Hinsicht wäre somit kein Verlust entstanden, wenn ich bald ginge. Außerdem wollte ich mich mit dir speziell darüber unterhalten, wann ich gehe, um eventuell die eine oder andere geplante Sache abschließen zu können, damit möglichst kein Schaden aus der Geschichte entstünde.“

„Warum hast du nicht noch ein paar Monate gewartet mit irgendwelchen Entscheidungen?“

„Der Antrag, den du mir eingangs vorgeschlagen hast, hätte eine langfristige Verpflichtung geschaffen, sobald wir ihn abgeschickt hätten. Nebenbei wäre es auch absurd, einen Antrag für ein jahrelanges Projekt zu schreiben, wenn ich ohnehin wüsste, dass ich mich verabschieden werde.“

„Ich sehe“, rückte sie agitiert auf ihrem Stuhl hin und her, „Du wirfst mir also jetzt vor, ich hätte dich zu sehr gepusht.“

„Nein. Ich habe dir lediglich erklärt, warum ich dir jetzt und nicht erst in einem Monat von der Angelegenheit erzählt habe. Länger hätte es sowieso nicht gebraucht, bis ich sie angesprochen hätte. Wie gesagt, ich sehe sie klar.“

„Ich finde, du siehst gar nichts klar! Ich kann deine Entscheidung nicht ernst nehmen! In meinen Augen hast du eine Depression und brauchst dringend ärztliche Hilfe.“

„Du gehst zu weit!“, antwortete ich, und sah sie ernst an.

„Nein. Du hast eine Depression!“

„Es langt!“, hob ich meine Stimme leicht, und erklärte, wieder ruhig: „Abgesehen davon, dass du als Laiin meinen psychopathologischen Befund – so interessant der auch sein möge – weder erfassen noch erheben kannst: ich habe keine Depression. Und wesentlicher: Du verletzt hier eindeutig die Grenzen des Erlaubten.“

„Doch, du hast eine Depression“, schüttelte sie ihren Kopf, sodass ihre Brille nach unten rutschte. Sie schob sie nach oben, beugte sich leicht, doch nahezu bedrohlich, auf mich zu, und fuhr fort: „Ich sehe doch, wie du dich mit deiner Arbeit herumquälst. Früher warst du ganz anders. Da hattest du Freude an deiner Arbeit und die Ideen sind nur so aus dir herausgesprudelt.“

„Letzterer Aussage kann ich zustimmen“, zuckte ich die Schultern, und belehrte sie: „Von meinem Desinteresse an einer bestimmten Arbeit auf Depression zu schließen, erreicht hingegen noch nicht einmal das Niveau plausibler Spekulation.“

„Doch!“, insistierte sie, „Du bist depressiv! Ich akzeptiere deine Entscheidung nicht, solange du nicht mit einem Psychiater gesprochen hast.“

Ich hielt einen Moment inne und führte mir vor Augen, dass sich Ming Li mit ihrer Argumentation keinen Gefallen tat. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf zusammen, und legte, in gewisser Hinsicht um ihr zu „helfen“, dar:

„Ming Li! Ich möchte mich auf dieser Ebene nicht mit dir auseinandersetzen und werde jetzt beziehungsweise gleich gehen. Du kannst dir in den nächsten Tagen Gedanken machen, ob du gerne meine Kündigung zum nächstmöglichen Kündigungstermin hättest, oder ob du dich mit mir über einen nicht in allzu ferner Zukunft liegenden Kündigungszeitpunkt unterhalten möchtest, bis zu dem ich noch das ein oder andere Projekt erledigen könnte, das für dich von Interesse wäre. Du entschuldigst mich?“

Meine Hände ließen einander los und ich stand harmonisch aus der herabgleitenden Bewegung meiner Arme heraus auf. Ming Li war sichtlich aufgebracht. Sie biss sich nervös auf der Unterlippe herum und antwortete blinzelnd, nachdem sie die Brille auf der zuckenden Nase nach oben geschoben hatte:

„Du ziehst hier augenblicklich eine tierische Scheiße ab. Wenn du das machst, wirst du nie wieder in die Forschung zurückkommen können.“

„Ich hatte meine Motivation bereits erläutert“, neigte ich meinen Kopf sanft zur Seite.

„Du bist unglaublich egoistisch“, hob sie ihre Stimme auf annähernd quiekendes Niveau, „Ich hatte etliche Projekte mir dir geplant. Du kannst mich jetzt nicht einfach so sitzen lassen.“

Trotz meines Schauderns ob des erfahrenen Missklangs erklärte ich besonnen:

„Den meisten Kündigungen ist es eigen, dass die Erwartungen einer der beteiligten Seiten nicht erfüllt werden. Außerdem muss ich darauf achten, meinen Interessen nachzukommen. Ähnliches gilt für dich. Mir in diesem Zusammenhang ‚Egoismus‘ zu unterstellen, passt nicht, um mich zurückhaltend zu formulieren. Soll ich etwa meine Interessen ignorieren, damit sich die deinen erfüllen?“

„Doch, du bist unglaublich egoistisch!“, erregte sich Ming Li, „Ich habe zweitausendfünfhundert Dollar in dein Visum und neunhundert Dollar in deinen Flug investiert. Und da willst du dich jetzt einfach aus dem Staub machen?“

„Die dreitausendvierhundert Dollar kann ich dir gerne zurückzahlen, wenn’s dir damit bessergeht.“ Ich zögerte, war einen Augenblick erstaunt über mein spontanes „kalkulatorisches Geschick“, denn Rechnen gehörte normalerweise nicht zu meinen Stärken. Ich rechnete also kurz nach: zweitausendfünfhundert plus neunhundert ist gleich dreitausendvierhundert. Richtig! Ich freute mich über mich und fuhr fort: „Oder wir unterhalten uns darüber, ob ich noch die ein oder andere, zeitlich gut abgrenzbare Sache mache, auf dass sich deine Investition rentiere.“

„Ich glaube, du gehst jetzt besser.“

Ming Li schien zu dampfen, ihre Brillengläser zu beschlagen. Ich sagte:

„Sehe ich auch so. Tschüssi.“

Ich ging.

Mich gemessen auf mein Großraumbüro zubewegend verspürte ich eine tief durchatmende Erleichterung. Welch Belebung! Ich hatte es hinter mich gebracht! Die Unterhaltung war in mehrerlei, auch klanglicher Hinsicht nicht harmonisch verlaufen, aber die Fronten waren klar. Und darauf kam es an!

Wenig später. Ich saß in meinem Großraumbüro an meinem Schreibtisch und spielte gerade mit dem Gedanken, mich ins Labor zu begeben (tatsächlich hatte ich solche Impulse noch!), als Ming Li wieder ihren Kopf in die Tür steckte.

Ob sie mich jetzt beißen würde? (Trotz ihres kleinen Kopfes hatte sie große Zähne!)

Sie tat es nicht, sondern bat mich, in ihr Büro zu kommen. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer hoffte ich, dass sie mich jetzt gleich in hohem Bogen hinauswerfen würde. – Langsam wollte ich zurück zu meiner Smuk! – Mein Hoffen erfüllte sich nicht.

In ihrem Büro eröffnete mir Ming Li, sie habe überreagiert. Sie akzeptiere meine Entscheidung, hege aber tiefe Trauer darüber, dass meine „Fähigkeiten“ für die Wissenschaft verlorengingen. Ich war gerührt. Ming Li bat mich, wenigstens so lange bei ihr zu bleiben, bis ich das experimentelle Modell etabliert hätte, dessentwegen sie mich im vorigen Dezember in Marokko kontaktiert habe (siehe Band II: „Überraschungen“). (Madame hatte nach meiner Ankunft in St. Louis andere Prioritäten gesetzt. Deshalb war ich noch nicht dazu gekommen, an diesem Modell zu arbeiten.) Ich ging davon aus, dass ich zwei Monate benötigen würde, es zu etablieren, und weitere zwei, um es Ming Li oder einem Mitarbeiter so anzutrainieren, es selbstständig anwenden zu können. Ming Li und ich einigten uns daher darauf, dass ich bis Ende September in St. Louis bliebe.

Sie wies mich darauf hin, dass ich mir die Sache mit meinem Weggang jederzeit anders überlegen könne. Ich wies Ming Li darauf hin, dass mein Entschluss feststehe. Sie solle sich also keine falschen Hoffnungen machen.

Unsere Übereinkunft war fair. Ich richtete noch am gleichen Tag einen Raum für die geplanten Experimente her. Am folgenden Montag wollte ich mit ihnen beginnen.

Die Methode Cortés

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