Читать книгу Die Methode Cortés - Klaus M. G. Giehl - Страница 7
3 Was war nur mit mir los?
Оглавление„Irgendwie geht in den USA alles schneller.“ Diesen Spruch sollte ich auch bei meinem jetzigen Aufenthalt bestätigt bekommen. Am Donnerstag meiner ersten Arbeitswoche waren sämtliche Formalitäten an der Uni, sämtliche Versicherungen, die Etablierung meiner Wohnsituation und die anfängliche Projektplanung erledigt. Anderes, mich überaus Überraschendes, sollte auch „schneller gehen“. Doch dazu gleich. Zunächst zu dem mich weniger Überraschenden:
Es war mein erster „normaler“ Arbeitstag im Labor. Ming Li hatte mich gebeten, in Gewebeproben, die ich ihr noch aus Austin geschickt hatte, vermittels Immunhistochemie den Aktivierungsgrad eines bestimmten Signaltransduktionsmoleküls nachzuweisen. Ich hatte alles vorbereitet. Die Objektträger, auf denen die Proben aufgezogen waren, lagen wie Gourmetpralinées feinsäuberlich arrangiert auf einem Beistelltisch bereit. Auf den Objektträgermarkierungen erkannte ich Lindas Handschrift. Offensichtlich hatte Linda, meine damalige Technician, das Material prozessiert. Eigenartig, nach so langer Zeit Gewebeproben aus meinem ehemaligen Labor zu sehen. Sie waren all die Jahre sicher bei minus achtzig Grad Celsius aufbewahrt worden.
Ich begann, mit einer zweihundert Mikroliter–Pipette die für die Immunhistochemie benötigten Lösungen auf die Objektträger zu träufeln. Das war eine sehr ruhige Arbeit. Man musste dabei aufpassen, dass die Gewebeproben vollständig mit Flüssigkeit bedeckt waren und die Lösungen nicht über die mit Wachsstift um die Schnitte gemalten Kreise hinwegliefen. Ich fühlte mich durch das Procedere zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit, die hierdurch nicht mehr vergangen zu sein schien. Ich befand mich mitten in ihr! Die letzten Jahre waren nichts weiter gewesen als ein merkwürdiger Traum. Jetzt war ich aufgewacht und wieder in der Realität, in die ich gehörte.
Mich umgab flimmernde Ruhe. Nur die Tiefkühltruhe surrte im Hintergrund, was mich nicht störte. Ich empfand das Geräusch eher wie das mesmerisierende Summen eines meditativen Chorals. Ich war bei der Andacht im Labor. Bei jenen heiligen Verrichtungen, die Wahrheit herauszufinden.
Mein erster Arbeitstag war schön gewesen. Am Feierabend fuhr ich befriedigt durch die Stadt. Ein bestimmtes Ziel hatte ich nicht. Ich wusste lediglich, dass ich auswärts essen wollte. Langsam glitt ich mit meinem „Crown Victoria“ durch die breiten Straßen an Wohnvierteln und Malls vorbei. Hier sah ich ein „Home Depot“, dort einen „Wal–Mart“, einen „Whole Foods Market“ erspähte ich auch, und endlich machte ich einen „Burger King“ aus. Ich lächelte beseelt, bog bedachtsam ab, und schwebte in der freudigen Erwartung saftigen Fleisches auf den Parkplatz.
Nachdem ich stoisch den Zündschlüssel abgezogen hatte, stieg ich aus, drehte mich um, und näherte mich dem Eingang des „Burger Kings“. Die Luft roch klar und trocken, nach Mittlerem Westen. Die Sonne stand tief, doch schien hell, fast grell. Überall standen große Wagen, zwischen denen ich gemessen, einem weihenden Priester gleich, hindurchschritt. Gelegentlich schlenderte jemand mit einer Papiertüte auf dem Arm an mir vorbei. Amerikanische Gesichter, amerikanischer Duft. Und ein leichter, verheißungsvoller Wind wehte wie Liebkosung über meine Wangen. Schließlich hatte ich den Eingang erreicht. Ich trat ein.
An der Kasse warteten einige Leute. Ich hatte keine Eile und genoss den Klang der amerikanischen Sprache. Vor mir stand eine etwa zwanzigjährige Frau. Ihr knackiger Hintern presste den Stoff ihrer grauen Jogginghose glatt, sodass sich zwischen den prallen, ausladenden Pobacken einige in Zugrichtung verlaufende, stramme Faltenträger wie Stangen spannten. Das T–Shirt war charmant nach oben gerutscht und gab ein verspieltes Tattoo in ihrer Michaelisraute frei. Wenn ich meinen Hals leicht reckte, konnte ich von hinten in den Ausschnitt des T–Shirts, das mit drallen Brüsten gefüllt war, spitzen. Die Frau hatte einen rosigen, sommersprossenübersäten Teint. Aus ihrem Ausschnitt drang ein warmer, aromatischer Duft wie von frisch bereitetem Reisbrei in meine Nase. Aus ihrem Nacken (sie hatte ihre Haare zu einem Puschel, der an ein Vogelnest erinnerte, nach oben gebunden) quoll es mir zwischen feinen, an Babyflaum erinnernden Löckchen noch berauschender entgegen. Als mischte eine zarte Honignote sich in ihren Brei. Meine Nasenflügel legten sich an und ich fokussierte eine prominente, freistehende Locke an ihrem Haaransatz, der so schmackhaft weich und saftig war, dass ich am liebsten hineingebissen hätte, meine Zähne versenkt hätte in ... Meine Gedanken wurden unterbrochen. ...
... Jetzt war ich an der Reihe! Ich orderte einen Double Whopper und eine Cola Light und wartete geduldig an einem Raumtrenner, auf dem bunte Plastikblumen standen, vor der Kasse. Als ich meine Bestellung entgegengenommen hatte, bewegte ich mich wie in Trance treibend durch den Raum und auf die Fenster zu, wo ich mich in die weichen, roten Kunstlederpolster hockte. Ich packte meinen Burger aus, biss lustvoll hinein, und kaute das knusprige Fleisch, das seinen Saft und ein dezentes Bukett von Flammen und Holz über meine Zungenränder goss. Meine Lider kitzelten vor Genuss und ich beobachtete das Geschehen auf dem Parkplatz. Eine alte Frau schlurfte gekrümmt und sich an einem Stock gegen ihren Fall stemmend an mir vorbei. Und mein Whopper schmeckte – ich hatte dies, glaube ich, schon angedeutet – vorzüglich. Selig sank mein Blick auf die Schlucht, die meine Zähne aus dem Burger gerissen hatten, und ich biss nochmals hinein. Beglückt kaute ich und schaute wieder nach draußen. Während dieser göttliche Fleischbrei durch meinen Mund meinem Schlund entgegen wogte, sog ich den zarten Lavendelduft des Raums ein und ließ meine Augen sich in dem diffusen Glitzern verlieren, das die untergehende Sonne über die sauberen Wagendächer sprühte. Und immer wieder machte ich mir ungläubig klar, dass ich nun zuhause sei. (Tatsächlich fühlte ich mich in den USA heimischer als in Deutschland oder sonst wo.)
Endlich zuhause!, dachte ich. Wieder und wieder dachte ich dies. Endlich hatte ich es geschafft!
Wenig überraschend hatte ich von den privaten Lebensumständen her keine Probleme, mich in St. Louis wohlzufühlen. Bevor ich angekommen war, hatte ich allerdings erwartet, dass sich Schwierigkeiten mit Ming Li ergeben könnten. Sie hatte wie auch ich einen „eigenen“ Charakter. Reibungen zwischen uns waren somit vorprogrammiert. Das Ganze war jedoch für mich eine Chance, in meine geliebte Forschung zurückzukommen. Darum gedachte ich, die absehbaren Spannungen mit Ming Li geduldig und mit Vernunft anzugehen.
Reibereien mit Ming Li hatte ich schon nach ein paar Tagen. Sie wolle, dass ich meine Arbeitsabläufe so plante und durchführte, wie sie es als richtig erachte, womit ich mich gar nicht anfreunden konnte, weil ich gewohnt sei, meine Forschungsarbeiten selbst zu organisieren, und zwar in einer Weise, die ich für angebracht hielte. Das Konfliktchen hatte sich schnell erledigt. Wir einigten uns auf einen Kompromiss, der irgendwo zwischen meiner und Ming Lis aber näher an meiner Position lag. Das war okay. Ich hatte das Problem also im Griff und war beruhigt. Doch schnell holten mich Probleme aus einer Richtung ein, die mich völlig überraschte:
Das war in meiner dritten Arbeitswoche, als ich etwas mich vollkommen Befremdendes zur Kenntnis nahm: Meine Arbeit machte mir keinen Spaß mehr! Wenn ich die Lösungen auf meine Objektträger träufelte, fragte ich mich, wozu dieser Blödsinn gut sei. Wenn ich Literatur recherchierte, überlegte ich, wen dies eigentlich interessiere. Und hatte ich einen die Arbeit betreffenden Text zu schreiben, stellte ich fest, dass mich dieser Schmarrn überhaupt nicht interessierte.
Ich maß dem Phänomen zunächst keine größere Bedeutung bei. Zuweilen sann ich darüber nach, warum ich so fühlte. Meine ersten Antworten waren nicht befriedigend: Ich war weder gestresst noch brauchte ich Urlaub und in meiner neuen Umgebung gefiel es mir. Desgleichen konnte ich gelegentliche Zänkereien mit Ming Li reinen Gewissens als Ursache negieren. So weit also kein Grund zur Panik. Als sich aber gegen Ende der Woche mein Angeödetsein derart dramatisierte, dass ich – mich nach dem Wochenende verzehrend – verkündete, mir diesmal nicht nur den Sonntag, sondern auch den Samstag frei zu nehmen, begann ich mich ernsthaft zu sorgen:
Was war nur mit mir los?