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11 Abschied von St. Louis
ОглавлениеMein Abschied von St. Louis nahte. Ich hatte unterdessen eine Bleibe für die Zeit meiner bevorstehenden Arzttätigkeit gefunden: In der Einliegerwohnung einer Gründerzeitvilla, die mein alter Freund und Studienkollege Hektor Herrlich mit seiner Partnerin Sophie in Münster bewohnte. Dieses war mit Nahverkehrsmitteln nur eineinhalb Stunden von Oeding entfernt. Hektor hatte mir angeboten, dass ich das „Kabüffchen“ gegen einen Nebenkostenzuschuss beziehen könne, bis ich Besseres gefunden hätte. Ich nahm das Angebot natürlich an, da ich auf diese Weise eine Menge Geld sparen konnte und nicht durch lästige Mietverträge gebunden war, welche in Deutschland normalerweise einer dreimonatigen Kündigungsfrist unterlagen. Das laufende Strafverfahren im Hinterkopf, war mir schon an einer gewissen Flexibilität gelegen.
Während der letzten Wochen in St. Louis vertrieb ich mir die Zeit mit ergötzlichen Dingen. Tagsüber war ich einige Stunden im Labor und wies Ming Li und Mu in die letzten Feinheiten des Modells ein. (Die beiden machten gute Fortschritte!) Nach der Arbeit war ich bemüht, noch möglichst viel von „Amerika“ aufzusaugen. Dieser Aufenthalt wäre für ein Weilchen mein letzter hier.
Fokus meines (hoffentlich vorläufigen) amerikanischen Schlussaktes war, möglichst sämtliche Donut– und Hamburgervarianten auszuprobieren, die das Land zu bieten hatte. Eine besondere Entdeckung waren die „White Castle“ Burger. Ich konnte mich an diesen phantastisch fettigen und aromareichen Mini–Burgern kaum satt essen. Meist verschlang ich deren schon vier zum Frühstück, welches ich für gewöhnlich auf der Fahrt zur Arbeit zu mir nahm. Und die Bandbreite der Donuts–Varietäten war schlicht und ergreifend unermesslich. Alleine in meinem bevorzugten Donuts–Laden wurden mindestens fünfzig verschiedene Donutsorten feilgeboten. Eine köstlicher als die andere! Das war einfach nicht alles zu schaffen! (Die in „meinem Laden“ offerierten „French Crullers“ waren allerdings meine absoluten Favoriten: knackig–klebrig außen, cremig–knatschig innen, und insgesamt ein saftig–süßer Gaumenorgasmus, der seinesgleichen suchte! Mir wird heute noch schwarz und golden und schlabbersüß vor Augen, wenn ich nur daran denke, an diese elysischen ...)
Viel zu erledigen hatte ich vor meiner Abreise wenig. Einen Nachmieter für das Apartment hatte ich schnell aufgetrieben, Schreibtisch und Stuhl schenkte ich Mu, und für meinen „Ford Crown Victoria“ fand sich ein glücklicher Käufer, ein Kleinkrimineller aus Glasgow Village, der immer schon mal ein Polizeiauto sein (wirkliches) Eigen nennen wollte.
Eine Woche vor meinem Abflug rief mein Onkel Richard an. Wir hatten regelmäßigen Kontakt miteinander gehalten, obwohl ich nach den Ereignissen, die sich während der Monate vor dem Tod meiner Mutter zugetragen hatten, Irritation ihm gegenüber empfunden hatte. Ich hatte dies vormals nur angerissen, weil es für meine Reise durch die marokkanische Wildnis und meine Expedition in den Prärien St. Louis‘ nicht relevant gewesen war. Richard hatte in diesen Phasen keine signifikante Rolle gespielt. Für meine weitere „Reise“ würde sich seine Rolle allerdings signifikant ändern, weshalb ich jetzt detaillierter auf diese Irritation zu sprechen komme:
Gewundert hatte ich mich schon im Dezember 2005, als Richard meine damalige noch–Frau zu einem Einigungsgespräch mit mir „überredet“ hatte. Umso mehr gewundert hatte ich mich, als diese sich in dem Gespräch auf einen Kompromiss eingelassen hatte, der ihrem bisherigen Duktus diametral widersprochen hatte: Sie hatte (mündlich) darauf verzichtet, ihren Anspruchstitel zu realisieren, dass sich meine Unterhaltsverpflichtungen aus meinem „hypothetischen“ Gehalt errechnen würden. Damit hatte sie es mir ermöglicht, meine Kinder tatsächlich sehen zu können (konkret: ich vermochte meine Tankfüllungen wieder zu bezahlen!). Meine ehemalige Gemahlin hatte seinerzeit sogar davon abgesehen, meinen Umgang mit den Kleinen ständig zu torpedieren, ja, war richtig kooperativ gewesen und hatte mir somit „erlaubt“, meinen Kindern Vater zu sein. Seinerzeit. Richard hatte seinen Vermittlungserfolg mit dem „genialen“ Verhandlungsgeschick begründet, das ihn auszeichne, was ich ihm aber nie so recht hatte abkaufen können. Ich hatte vermutet, er habe ein Druckmittel besessen, das Magnolia „gefügig“ gemacht habe. Richard hatte den Verdacht bestritten und mir war es dann egal gewesen, weil ich froh gewesen war, wieder mit meinen Kindern zusammen sein zu können.
Re–aktiviert hatte sich mein Verdacht und bis hin zu jener „Irritation“ gesteigert, als Richard mich im Juni 2006, kurz vor dem Tod meiner Mutter, gewarnt hatte, Magnolia plane eine Zwangsvollstreckung gegen mich, würde unsere Übereinkunft also brechen. Irritiert hatte mich schon, dass Richard die drohende Zwangsvollstreckung überhaupt hatte in Erfahrung bringen können. Und endgültig irritiert hatte mich, als Richard sich geweigert hatte, mir zu verraten, von wem er dies erfahren habe. Ich hatte ihm danach ein wenig misstraut ob dieser Geheimniskrämerei.
Dennoch war mir in dieser Zeit und auch später nie der Gedanke gekommen, er wolle mir schaden. Das war eindeutig gewesen: Wir hatten stets ein gutes Verhältnis miteinander gehabt und er hatte mir bei meinem „Unternehmen Smuk“ geholfen. Überhaupt hatte er immer geholfen, wenn es nötig und für ihn möglich gewesen war (ich erinnere nur an den Prozess um die dreißigtausend Euro, den mir mein Schwiegervater an den Hals gehängt hatte! [siehe Band I: „Bei Richards Chinesen“]). Aber damals, kurz vor dem Tod meiner Mutter, war ich irritiert gewesen. Geheimniskrämerei hatte ich noch nie gemocht und ich hatte das Gefühl nicht loswerden können, mein Onkel verschweige mir etwas.
Als Richard mich nun in St. Louis anrief, realisierte ich, dass es im Augenblick nicht angesagt war, ihm gegenüber Irritation zu empfinden. An diesem Tag war mein Onkel geknickt:
Acht Jahre zuvor war ein Prostatakarzinom bei ihm diagnostiziert und, allem Anschein nach, erfolgreich behandelt worden. In den letzten Monaten hatte er jedoch Beschwerden entwickelt und unmittelbar vor unserem Telefonat erfahren, dass der Krebs mit überall im Körper verstreuten Metastasen zurückgekommen sei. Richard berichtete gefasst, die Ärzte sähen keine Chance auf Heilung. Die gäben ihm noch ein, bestenfalls zwei Jahre. Deshalb wolle er mich zum Abschied noch einmal sehen. Idealerweise träfen wir uns bald.
Ich fragte Richard, wie er mit der Situation zurechtkomme. Er meinte, ihm gehe es momentan gut. Er könne eigentlich ein normales Leben führen und wolle die Zeit genießen, die er noch habe. Die bevorstehende Perspektive sei zwar nicht angenehm, aber er komme damit zurecht. Er habe das Leben in vollen Zügen genossen (ja, das wusste ich!) und sich insofern keine Versäumnisse vorzuwerfen (sich etwas vorzuwerfen war ohnehin nicht meines Onkels Sache!). Irgendwann sei die Aufführung eben vorbei. Dumm nur, dass das jetzt schon sei. Er habe nämlich noch einiges vorgehabt.
Ich schlug Richard vor, mich während meines Urlaubes auf La Graciosa zu besuchen. Wir könnten zusammen segeln. Richard war begeistert und sagte sofort zu.
Tags darauf rief er an, er habe für den 7. Oktober einen Flug gefunden und könne zwei Wochen bleiben. Ich freute mich auf unser Wiedersehen.
Mein Lebewohl von St. Louis war kurz. Ich hatte eine kleine Farewell Party mit Mu und einigen Bekannten, und ein Goodbye Dinner mit Ming Li und George. Ming Li kochte wieder. Zu diesem Anlass fragte sie mich im Übrigen nicht, ob ich mir die Sache nicht doch noch anders überlegen wolle.
Am 26. September ging mein Flug über Madrid nach Lanzarote. Mein Abflug in St. Louis hatte ein paar Minuten Verspätung. Ich saß im Flieger, betrachtete die Startbahn und musste daran denken, wie ich mich bei der Abfahrt von meiner Insel gewundert hatte, wann ich dort meinen ersten Urlaub machen könne. Noch nicht einmal sechs Monate hatte es gedauert!